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Anreise aus Niedersachsen

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"Du trägst deinen Namen wahrlich nicht zu Unrecht" sagte Renate Fuchs zu ihrem Mann.

"Wie soll ich das verstehen" fragte Jürgen Fuchs grinsend zurück "beziehst du diese Aussage auf mein bestes Stück, oder auf meine Schläue?

"Such dir aus, was dir selbst am besten gefällt."

"Ich nehme beides. Weil wir gerade dabei sind, ist er dir immer groß genug gewesen?"

"Sag mal, spinnst du" empörte sich Renate Fuchs "hat es jemals Beschwerden gegeben? Nein. Also, das dürfte ja dann geklärt sein."

"Sagst du. Aber ich habe mal einen Fall bearbeiten müssen, da waren in einer Stadt drei Kerle im mittleren Alter in sehr kurzen Zeitabständen bestialisch umgebracht worden. Einem war die Kehle durchgeschnitten worden, der andere war offensichtlich mit einer Drahtschlinge erwürgt worden, und dem dritten hatte man das Genick gebrochen. Alle waren an relativ weit voneinander entfernten Orten aufgefunden worden, an den Tatorten waren alle Spuren verwischt beziehungsweise akribisch entfernt worden. Was hatten wir also in der Hand? Drei Männer mittleren Alters, alle verheiratet, Kinder, normaler bürgerlicher Hintergrund, beruflich ganz normal aufgestellt, keine Schulden, keine Drogengeschichten, alle absolut unauffällig. Der normale deutsche Spießbürger also. Es war 1978, da war ich gerade einmal 22 Jahre alt, ein absoluter Jungspund bei der Kripo. Um diese Zeit herum, also im Oktober 1977, hatte die "Rote-Armee-Fraktion" den Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer entführt und umgebracht. Alle waren also sehr auf einen eventuellen politischen Hintergrund der Mordserie fixiert. Da haben wir uns die Opfer alle nochmal in Bezug auf ihre Biografien angesehen. Was soll ich dir sagen, alle waren Mitglied in der CDU."

"Na und, das warst du doch auch zu dieser Zeit. Es war auch damals schon klar gewesen, dass du ohne das richtige Parteibuch nicht vorankommen konntest. Je nach Zielrichtung hat man sich eben bei den Schwarzen oder den Roten politisch engagiert. Das waren damals noch wirkliche Volksparteien, heute sind das doch nur noch Vereine für gescheiterte Existenzen wie Studienabbrecher oder Hochstapler. Die Beispiele kennen wir ja alle. Und so was soll ein Industrieland führen, nach Arbeit im Callcenter oder Kaffeekocher bei einem Bundestagsabgeordneten. Aber erzähl weiter."

"Es war tatsächlich eine falsche Fährte. So sehr wir auch grübelten, diese Morde folgten keinem Muster, selbst die Tötungsart war vollkommen verschieden. Pass doch auf, du Rindvieh" brüllte Fuchs plötzlich los und stieg auf die Bremse "so ein dummes Schwein! Überhöhte Geschwindigkeit und dann noch in den Sicherheitsabstand hinein abbiegen. Den zeig ich an."

Renate und Jürgen Fuchs waren auf dem Weg zum Treffen der Sippe.

"Reg dich ab Jürgen. Das bringt doch nichts. Hast du Beweise? Kameraaufzeichnungen?"

"Ich habe dich als Zeugen."

"Ich habe nichts gesehen, erzähl weiter."

"Na gut, du musst wissen, einen Menschen umzubringen, ist nicht so einfach. Ich muss allerdings sagen, seitdem ich deinen Vater kenne, kann ich einige der Täter durchaus verstehen. Jedenfalls muss man schon sehr abgebrüht sein, einem den Hals durchzuschneiden, denn das ist eine ziemliche Sauerei. Hast du schon mal Bilder vom Schlachten gesehen? Oder man schleicht sich von hinten an einen ran, stülpt ihm eine Drahtschlinge über den Kopf, und zieht ruckartig zu. Stell dir mal ne Klavierseite vor. Der Kerl vor dir röchelt und zappelt rum, und du drehst ihm gerade den Lufthahn ab. Noch schlimmer muss es wohl sein, einem das Genick zu brechen. Weißt du wie laut das kracht? Und dazu braucht man wirklich viel Kraft. Ich hab dann in die Diskussion eingebracht, dass wir wohl einen kräftigen Typen suchen sollten, der vermutlich einen Job hat, in dem er mit Chemikalien in Berührung kommt. Wie ich darauf gekommen bin? Na die Tatorte waren allesamt von Spuren gesäubert worden. Und zwar ziemlich fachmännisch. Die älteren Kollegen haben mich ausgelacht. Dann hab ich mir noch mal die Obduktionsberichte angesehen. So vom Körperbau fielen die Opfer nicht aus dem Rahmen. Max Mustermann sozusagen. Dann hatte ich ein Detail gefunden, welches hätte wichtig sein könnte. Ich fuhr also in die Pathologie. Die drei Opfer lagen noch in den Kühlboxen."

Fuchs machte eine kurze Pause, weil sich vor ihm drei LKW gleichzeitig zu überholen versuchten.

"Alles verboten" sagte er "aber es hält sich doch keine Sau mehr an irgendwelche Regeln. Die Umgangsformen verlottern, es wird gleich gepöbelt, bei manchen Bevölkerungsgruppen sitzen die Messer locker. Als ich ein junger Mann war, da zählte noch Bildung, Disziplin, Fleiß und Höflichkeit. Davon ist nicht mehr viel übriggeblieben. Work-Life-Balance ist das Zauberort. Viel Kohle für wenig Ahnung und schlechte Leistung, aber maximale Freiheit und Freizeit. Manchmal kann ich der Merkel schon zustimmen: das ist nicht mehr mein Land."

"Jetzt erzähl nicht solchen Quark. Du warst bis vor kurzem in einer sehr herausgehobenen Position im Öffentlichen Dienst. Das ist doch verlogen, du warst doch über bestimmte Dinge am besten im Bilde. Aber das bringt alles nichts, wie wir zum wiederholten Male heute schon feststellen müssen. Also, wie ging es weiter?"

"Ich hatte immer einen Horror vor den Besuchen in der Pathologie gehabt. Schon der Geruch. Aber am schlimmsten waren die Typen dort. Nicht die Toten, die Lebenden. Alle hatten einen Sprung in der Schüssel. Aber einen mächtigen. Wer kuckt sich schon gern eine Wasserleiche an, die nach fünf Wochen gefunden worden ist? Eine hab ich mal gesehen, und hatte dann ein halbes Jahr Alpträume. Und wer offenbar höchste Befriedigung daran findet, einem Toten erst den Brustkorb aufzusägen und dann den gesamten Körper vom Hals mit dem Skalpell bis zum Unterbauch zu öffnen, und dann noch in dem Leib rumzuwühlen um die Organe rauszuholen, denkst du, dass der noch normal ist? Dort stank es ja immer mächtig nach Formalin, aber ich war mir ziemlich sicher gewesen, dass die Typen, die dort arbeiteten, bis unter die Schädeldecke mit Drogen und Alkohol zugedröhnt waren. Anders konnte das ein normaler Mensch doch sonst nicht ertragen. Ich hab mir dann die drei Leichen in einen separaten Raum fahren lassen. Sie lagen nackt auf so komischen Pritschen. Was hättest du dir bei einem vor dir liegenden nackten Mann zuerst angesehen?"

"Wahrscheinlich das Gesicht."

"Aha. Der erste hat eine ganz übel klaffende Wunde an der Kehle. Dem zweiten hängt die Zunge aus seinem blau angelaufenen Gesicht aus dem Mund. Dem dritte ist der Kopf wegen dem Genickbruch fast ganz nach hinten gedreht. Und da willst du dir die Gesichter ansehen?"

"Na bei Toten vielleicht doch nicht."

"Ich sage dir jetzt drei Zahlen. 19, 23 und 20. Was könnte das bedeuten?"

"Die Länge der Schlüsselbeinknochen."

"Nein."

"Der Rippen."

"Auch nicht."

"Verrate es schon!"

"Nun, es war augenscheinlich. Alle drei vor mir liegenden Leichen hatten extrem lange Schwänze!"

"Gott bewahre" sagte Renate Fuchs "und das in diesem Zustand."

"Genau. Diese Kerle, die waren so zwischen 30 und 40, standen also höchstwahrscheinlich bestens im Saft. Und jetzt stell dir mal vor, die hätten ihre Dinger noch ausgefahren!"

"Jesus, die armen Frauen!"

"Das hatten wir uns auch gedacht. Also haben wir die Witwen verhört. Die waren zwar noch alle mächtig schockiert und durcheinander aber jammerten schon rum, dass mit der Bumserei jetzt wohl Schluss sein sollte. So haben sie es natürlich nicht gesagt, sondern von einem höchst befriedigenden Sexualleben gesprochen. Wir waren wieder auf dem Holzweg. Also hab ich mir wieder unsere Ermittlungsergebnisse vorgenommen. Ich kam nicht weiter. Drei Kerle mit Riesenschwänzen werden umgebracht. Am Tatort fehlen alle Spuren. Dann habe ich mir die Akten der Opfer nochmals angesehen. Ich wollte wissen, ob sie doch etwas gemeinsam hatten. Und siehe da, sie hatten ein gemeinsames Hobby: Hallenbahnschwimmen. In der Stadt gab es zwei Schwimmhallen. Also bin ich in meiner Freizeit dorthin gegangen. Ich wusste nicht, wonach ich suchen sollte. In der ersten Halle war mir nichts aufgefallen. In der zweiten aber hatte ich den Schlüssel zur Lösung des Falls gefunden. Als ich unter der Dusche stand, kam ein Typ in einem Blaumann durch den Raum gelatscht, und sah sich ziemlich ungeniert die nackten Kerle an. Dann verschwand er wieder. Als ich ein bisschen geschwommen war, ging ich zum Leiter des Hallenbades, hielt ihm meinen Ausweis unter die Nase und erfuhr den Namen des Mannes. In der Datenbank war er nicht auffindbar. Aber wir hatten seine Adresse. Ich besorgte mir einen Durchsuchungsbeschluss und war am nächsten Abend mit einer Kollegin vor seiner Wohnungstür. Er war ganz verdutzt und ließ uns rein. Sie befragte ihn zu allen möglichen Sachen, ich filzte die Wohnung. In der Abstellkammer fand ich eine Menge an Chemikalien. Da wusste ich, ich hatte ihn. Um es kurz zu machen, er hat dann alles gestanden. Als ich ihn nach dem Motiv fragte fing er an zu heulen. Er hätte eine Beziehung mit einer Frau gehabt, die ihn aber bald wegen einem anderen Kerl verlassen hatte. Er hatte sie einmal zusammen auf der Straße gesehen, und den Mann dann zufällig im Duschraum des Hallenbades wiedergetroffen. Was ihn bei dem Kerl aufgefallen wäre, du ahnst es ja, wäre eben dem sein extrem langes Ding gewesen. Und deswegen hätte er ihn und dann auch die anderen umgebracht."

"Und was hast du in den Tatbericht als Motiv geschrieben?"

"Penisneid."

Renate Fuchs lachte los und konnte sich kaum wieder einkriegen.

"War er wirklich so schlecht dran" fragte sie dann nach einer Weile.

"Ja, das war er" erwiderte Jürgen Fuchs "er kam auf 5 Zentimeter. Erigiert!"

"Oh Gott, die arme Frau."

Sie schwiegen eine Weile, dann fragte Renate Fuchs ihren Mann:

"Und wo ist jetzt der Bezug zu meinem Vater?"

"Es gibt da mehrere Aspekte" erwiderte ihr Mann "Kriminalarbeit umfasst Recherchen und Schlüsse. Fakt ist, dein Vater hat 1966 eine Spezialklinik in der Schweiz besucht. Da wart ihr Schwestern so um die zehn Jahre alt, natürlich mit Jahresabständen nach oben und unten. Diese Klinik war zu der Zeit auf Untersuchungen zur Fruchtbarkeit von Männern und Frauen spezialisiert. Die Schlussfolgerungen überlasse ich mal dir. Es steht auch fest, und das hat unsere Psychologin bestätigt, dass dein Vater vermutlich sehr darunter gelitten hat, dass er nur Töchter hatte. Sie meint, dass er in seinen eigenen Augen versagt hat, weil er keinen Stammhalter gezeugt hatte. Und daraus zieht sie die Schlussfolgerung, dass dein Vater euch Töchter vermutlich durchaus gern hat, aber seine Schwiegersöhne hasst. Und weißt du warum?"

"Nein, natürlich nicht."

"Weil er höchstwahrscheinlich einen Kurzen hat."

"Was für einen Kurzen?"

"Na eben einen kurzen Schwanz. Und er geht schon die ganzen Jahre davon aus, dass seine Schwiegersöhne einen Größeren haben. Aber das ist vielleicht gar nicht so wichtig. Die Psychologin meint, dass es sehr wahrscheinlich sein kann, dass irgendwo da draußen einer rumläuft, den dein Vater in der freien Wildbahn nach seinem Klinikbesuch oder sonst wann gezeugt haben könnte. Natürlich mit einer anderen Frau, als mit deiner Mutter. Ein Bastard, den er eventuell als Alleinerben einsetzen könnte."

"Gnade uns Gott, dann ist ja alles vorbei."

Der 90. Geburtstag - Eine rabenschwarze Kriminalkomödie

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