Читать книгу Hilfe, meine Nachbarn nerven! - Jörn Kolder - Страница 4
Der Maschinenbauingenieur
Оглавление„Wenn dieses Rindvieh seinen Köter wieder an unsere Hecke schiffen lässt raste ich aus“ sagte Frank Beyer erregt zu seiner Frau Jana „das lasse ich mir jetzt nicht mehr länger bieten. Bloß weil dieser Sack Regierungsdirektor ist hat er nicht das Recht, mein Eigentum zu beschädigen.“
„Unser Eigentum“ erwiderte seine Frau vorsichtig.
„Egal“ tobte Frank Beyer weiter „ich werde das jetzt nicht mehr tolerieren. Wer Krieg will kann ihn gern bekommen. Ich bin bereit!“
Beyers Nerven lagen blank.
Der knapp 30jährige Mann war eigentlich ein beherrschter und rationaler Typ, wofür auch sein Beruf als Diplomingenieur des Maschinenbaus sprach. Mit 20 Jahren hatte er an der Universität der Landeshauptstadt sein Studium aufgenommen und zügig absolviert. Beyer war so organisiert gewesen, dass er die Regelstudienzeit punktgenau einhielt, denn er hatte keine Lust gehabt, noch drei oder vier Semester dranzuhängen, weil das in seinen Augen reine Zeitverschwendung gewesen wäre. Mit Disziplin und Fleiß hatte er das Studium durchgezogen und nebenbei noch in einem Lebensmittelmarkt an der Kasse gearbeitet, denn Geld war bei ihm immer knapp gewesen. Das lag keineswegs an einem ausschweifenden Lebenswandel, denn dieser passte überhaupt nicht zu Beyer. Vielmehr war der Grund der gewesen, dass Frank Beyer in einem Kinderheim aufgewachsen war und somit niemanden hatte, der ihm mal einen Schein zusteckte. Die Kindheit in dem Heim hatte den Mann stark geprägt. Schon als Junge musste er sich durchsetzen und Probleme ohne Hilfe von anderen meistern. Dieses Verhalten bestimmte sein weiteres Leben sehr deutlich, wobei Beyer keineswegs gefühllos war, bloß steckte ihm der Drang nach klaren Regeln und Ordnung tief in den Knochen. Selbstredend war er handwerklich außerordentlich geschickt. Damals im Heim hatte er erst Roller, dann Fahrräder und später die Motorräder der Erzieher repariert.
Aus dieser Zeit stammte sicher auch seine Fähigkeit, eine Konstruktion schnell begreifen zu können. Wie nebenher hatte er früher als Junge auch gern mit elektronischen Bauteilen herumgebastelt und ganz brauchbare Ergebnisse erzielt. Die Kinder und Jugendlichen im Heim waren vollkommen von den Socken gewesen, als Beyer eines Tages einen Schaltkreis so mit anderen Bauelementen arrangiert hatte, dass auf ein Händeklatschen von ihm hin die Beleuchtung anging. Natürlich waren dies nur Spielereien, aber der Junge hatte die grundlegenden Dinge der Elektrotechnik verinnerlicht. In der Schule kam Frank Beyer problemlos mit und auch das Abitur riss er auf der linken Arschbacke ab. Das Studium forderte ihn zwar mehr heraus, aber mit der ihm eigenen Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit absolvierte Beyer auch diesen Bildungsabschnitt mit Bravour. Es brauchte nur drei Bewerbungen abzugeben, dann wurde er schon zu einem Vorstellungsgespräch in die Zweigniederlassung eines großen Konzerns gebeten. Seine sachlich und leicht unterkühlte Art schien gut anzukommen, und er stieg als Konstrukteur in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung ein.
Beyers Lebensmotto war „Carpe Diem“, und so kniete er sich in die Arbeit hinein und war bald auf dem gleichen Wissens- und Kenntnisstand seiner Kollegen, die dort schon längere Zeit arbeiteten. Karrieredenken war ihm zu diesem Zeitpunkt vollkommen fremd, er wollte eigentlich nur eine ordentliche Arbeit abliefern. Dennoch blieb es nicht verborgen, dass sich Beyers Konstruktionen stets durch ein elegantes Design auszeichneten und immer materialsparend ausgelegt waren. Er fiel aus allen Wolken, als ihn der Abteilungsleiter eines Tages (Beyer war gerade einmal acht Monate in dem Unternehmen beschäftigt) zum Gespräch bat und ihm direkt die Perspektive aufzeichnete, in gut anderthalb Jahren seine Nachfolge antreten zu können. Beyer wusste nicht, ob er in der Lage sein würde, eine Mannschaft von immerhin 20 Leuten führen zu können. Bislang hatte er immer einen klar abgesteckten und überschaubaren Arbeitsauftrag gehabt und diesen gewissenhaft abgearbeitet. Als Abteilungsleiter würde sich einiges an seinem Aufgabenprofil ändern, aber er sah die Sache nach und nach immer mehr als Herausforderung an. Mit gerade einmal 27 Jahren trug er dann die Verantwortung für die gesamte Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Wegen seiner korrekten Art und seines fachlichen Könnens gab es unter seinen nunmehrigen Mitarbeitern auch keinerlei Ressentiments gegen ihn. Frank Beyers Bezüge hatten sich mit der Beförderung nahezu verdoppelt. Abwägend wie er war, hatte er sich in einer kleinen Einraumwohnung eingemietet, was hätte er denn allein von einer größeren Wohnfläche. Zum Feierabend machte er es sich in einem Sessel bequem, stülpte sich Kopfhörer über, und genoss die Opern von Richard Wagner in voller Lautstärke. Auch dieser Sachverhalt, nämlich seine Liebe zu klassischer Musik (die er unbedingt laut hören musste) hatte ihn bewogen, sich nur diese Wohnung zu leisten, denn auch in einer besseren Wohnlage wäre es sicher unmöglich, den Tannhäuser aus den Boxen dröhnen zu lassen. Das wäre wohl nur auf dem Lande in einer abgeschiedenen Lage möglich, und dieser Gedanke nistete sich in Beyers Kopf immer mehr ein.
„Da kommt er“ zischte Frank Beyer seiner Frau zu und spähte durch das Fenster „er hat die Töle schon wieder nicht angeleint. Kuck‘ mal, jetzt hat der Köter bei Hartmanns an den Zaun geschifft. Vielleicht hat er dann sein Pulver verschossen, wenn er bei uns vorbei kommt.“
„Aber Frank“ versuchte ihn seine Frau zu beruhigen „du weißt doch, dass Rüden ihr Revier markieren müssen, die können gar nicht anders, als überall ein paar Tropfen abzulassen.“
„Hast du etwa auch noch Verständnis für diese Verhaltensweise“ regte sich Beyer auf „ich werde dieser Regierungsschwuchtel jetzt die Meinung sagen, verlass‘ dich drauf!“
„Bitte, Frank, das bringt doch nichts. Denke doch an die Straßenblockade vor zwei Tagen.“
Frank Beyer hatte sich vor drei Jahren immer ausgiebiger mit dem Projekt eines Hauses im Grünen und vor den Toren der Landeshauptstadt beschäftigt. Da er so gut wie nichts ausgab (außer für ein paar Klamotten, schließlich musste er als Abteilungsleiter im feinen Zwirn auf Arbeit erscheinen) wuchs sein Guthaben bei der Bank monatlich an. Er wusste, dass er aufgrund seines recht hohen Einkommens kreditwürdig war, und so rückte der Traum vom eigenen Heim langsam näher. Jetzt hieß es noch, ein geeignetes Grundstück zu finden, und er begann die Immobilienteile diverser Zeitungen zu studieren. Lange war nichts Passendes dabei, aber an einem Sonnabend fand er in einem Ort namens Wildbach ein erschlossenes und noch freies Wohngebiet.
Walther Ziergiebel hatte nach seiner Wahl zum Bürgermeister den Riemen auf die Orgel geschmissen und mächtig Gas gegeben. Zunächst musste er im Gemeinderat einen Bebauungsplan für die Eigenheimsiedlung durchsetzen. Ziergiebel hatte sich mit wieder enorm erweckter Tatkraft und unter Hilfestellung von Frau Weber, der Verwaltungsangestellten, in die umfangreichen und kaum zu durchschauenden Regelungen des Verwaltungsrechts eingelesen. Er wusste dann zumindest, dass eine Gemeinde in einer Satzung festlegen musste, welche Nutzung auf einer Fläche zulässig wäre. Dieser Plan sollte aus dem Teil A (Planzeichnung) und B (Textteil) bestehen. Frau Weber vermittelte Ziergiebel ein Treffen mit einem Planungsbüro, und der Bürgermeister sog alle Informationen wie ein Schwamm auf. Wenn er sein Büro so gegen 17 Uhr verließ, nahm er stets Akten mit nach Hause, und biss sich an diesen bis kurz vor Mitternacht wie eine angriffslustige Bulldogge fest. Die vor seiner Wahl so üppige Freizeit gab es jetzt nicht mehr, denn Ziergiebel hatte es sich fest vorgenommen, absolut sattelfest bei der Durchsetzung dieses Projektes zu sein. Das war er den Bürgern von Wildbach schuldig, schließlich hatten sie ihm das Vertrauen ausgesprochen. Nach weiteren Konsultationen mit dem Planungsbüro fühlte sich Ziergiebel sicher und rief den Gemeinderat zur Sitzung ein. Es kam, wie er es vorausgeahnt hatte. Da drei der fünf Gemeinderäte ausgesprochen großes Interesse an der Vermarktung ihrer Grundstücke hatten, wurde der vom Planungsbüro vorgelegte Bebauungsplan kurzerhand durchgewinkt, zumal auch der Umweltbericht nichts Nachteiliges ergeben hatte. Ein Projektentwickler, der auch die Akquisition durchführen sollte, stand Gewehr bei Fuß bereit. Als die Anzeige das erste Mal in der überregionalen Presse geschaltet wurde war Walther Ziergiebel auf die Resonanz gespannt. Diese war überwältigend, die Interessenten standen Schlange.
Frank Beyer verließ das Haus und postierte sich am Grundstückszaun. Regierungsdirektor Dr. Jürgen Ballauf bewegte sich auf der anderen Straßenseite und vermied es, zu Beyer hinzusehen. Ballaufs Hund war gut 10 Meter vor seinem Besitzer unterwegs und hob regelmäßig das Bein. Auf einen Pfiff seines Herrn kam er gehorsam zu diesem zurück und ließ sich anleinen. Mann und Hund befanden sich jetzt auf gleicher Höhe mit Frank Beyer, aber auf der anderen Straßenseite. Ballauf stoppte, und der Hund nutzte die Gelegenheit, um erneut das Bein zu heben. In diesem Augenblick schaute Ballauf triumphierend zu Beyer hin und drehte dann um.
Auf die Baugrundstücke in Wildbach hatte es einen regelrechten Run gegeben. Die Bauern hatten aus ihrer Sicht ordentliche Preise für den Quadratmeter verlangt, aber mehr aus dem Bauch heraus entschieden, und eine Analyse der üblichen Kosten unterlassen. Sie lagen knapp 8 Prozent unter den gängigen Werten, und das machte bei der im Eigenheimgebiet durchschnittlichen Grundstücksfläche von 800 Quadratmetern schon eine ganze Menge aus. Der Bebauungsplan wies die Gesamtfläche in Form eines sich zum Waldrand hin immer mehr verbreiternden Dreiecks aus. Vorn an der Straße waren die Preise naturgemäß am niedrigsten, zum Wald her nahmen sie zu. Frank Beyer hatte sich ein Grundstück gesichert, welches direkt am Ende des Dreiecks und somit am Wald lag. Es war exakt 834 Quadratmeter groß. Er konnte also davon ausgehen, dass er zumindest an der dem Wald zugewandten Seite keinen Nachbarn haben würde, sondern einen schönen Blick in die Natur. Dass der Ort Wildbach seinen Namen zu Recht trug, ahnte er damals nicht. Jedenfalls besichtigte er das Gebiet und sein Grundstück regelmäßig, denn es war erst einmal wichtig, sich ein Bild von der ganzen Anlage zu verschaffen, und dann über den Haustyp nachzudenken. Eile verspürte er nicht, er betrachtete schon allein den Erwerb des Grundstücks als Kapitalanlage. Für ihn lief momentan alles rund und es kam noch besser.
Manchmal gönnte er sich den Luxus eines Opernabends in der Spielstätte in der Landeshauptstadt. An diesem Abend saß er neben einer jungen Frau, die der Musik mit geschlossenen Augen folgte. Beyer schielte ab und an zu ihr herüber und sah, dass ihr an einer für ihn besonders schönen Stelle Tränen über die Wangen liefen. Das berührte ihn so stark, dass er sie in der Pause ansprach und auf ein Glas Sekt einlud. Jana Brettschneider war es als Psychologin gewohnt, mit seltsamen Verhaltensmustern der Menschen konfrontiert zu werden, und nahm die Einladung lächelnd an. Der Mann redete sich begeistert über die Struktur der Oper in Rage und sprudelte seine Interpretationen verschiedenster Passagen nur so heraus. Er drückte sich aus ihrer Sicht sehr gewählt und intellektuell aus, und es war ein Vergnügen, ihm zuzuhören.
Frank Beyer erregt in das Haus zurück.
„Eines Tages bringe ich dieses Arschloch noch um“ sagte er wütend „der hat mich wie so oft schon wieder provoziert. Lässt seine Promenadenmischung direkt gegenüber bei Neumanns an den Zaun schiffen und grinst mich dann auch noch an. Na gut, der Neumann ist ja auch nicht besser, von mir aus kann die Töle dort auch noch hin kacken. Am besten wäre es aber, der Bullterrier des Rappers würde diese hässliche Promenadenmischung in Stücke reißen und ihr so das Licht ausknipsen! Und diesem widerlichen Kerl gleich noch dazu den Schwanz und die Eier abbeißen!“
Jana Beyer wusste, dass ihr Mann an diesem Abend noch eine ganze Weile Zeit brauchen würde, um sich wieder einzukriegen. So richtig wunderte sie das nicht, denn in der letzten Zeit war an ihrem neuen Wohnort in Wildbach schon einiges gründlich schief gelaufen.
Das betraf auch etliche andere Neuankömmlinge in der Eigenheimsiedlung.