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Der Gigolo

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Hubertus Kriegel kam 1958 als Kind einer alleinstehenden Mutter zur Welt und hatte erwartungsgemäß nicht unbedingt eine leichte und sorgenfreie Kindheit durchleben können. Geld war fortlaufend mehr als knapp, und somit wurde er auch kurzerhand in schon abgetragene Sachen gesteckt, die ihm eine Bekannte seiner Mutter dann zusteckte, wenn die eigenen Kinder aus diesen herausgewachsen waren. Kriegel kannte es gar nicht anders, als in bunt zusammen gewürfelten Arrangements herumzulaufen. Seine Mutter kam nur über die Runden, weil ihr ihre Eltern ab und an einmal einen Schein zusteckten. Später in der Schule wurde der Junge dann natürlich wegen seinem eigenartigen Bekleidungsstil gehänselt. Bereits in dieser Zeit wurde ihm klar, dass man, wenn man Geld hatte, besser wegkam. Das war zu diesem Zeitpunkt nur ein kindliches Bauchgefühl gewesen, aber als er älter wurde merkte er an vielen kleinen Begebenheiten, dass es leider tatsächlich so war.

Hubertus Kriegel war keine Geistesleuchte und ging bereits mit der 8. Klasse aus der Schule ab. Da er nicht vorhatte, sich die Hände in irgendeiner Klitsche schmutzig zu machen, schlug er eine Lehre als Schneider ein. Es kam wie es kommen musste. Kriegel war wegen seiner nur rudimentär vorhandenen mathematischen Fähigkeiten vollkommen unfähig, Teile eines Kleidungsstückes richtig auszumessen. Dazu kam noch ein fehlendes räumliches Vorstellungsvermögen. Sein Lehrmeister gab ihm nach drei Monaten entnervt den Rat, sich doch besser etwas anderes zu suchen, er könnte den vielen Verschnitt jetzt nicht mehr vor dem Chef rechtfertigen. Tatsächlich hatte Kriegel in der vergangenen Lehrzeit kein einziges Werk komplett fertigstellen können. Dennoch fühlte er sich irgendwie zur Mode hingezogen und fand dann eine Ausbildungsstelle als Verkäufer für Damenmode in einem kleinen Laden.

Dort machte er sich gut, denn was er nicht im Kopf hatte, glich er mit einem überwältigenden Charme aus. Dazu kam, dass der junge Mann ganz hervorragend aussah. In der letzten Zeit hatte er sich auf 1 Meter 85 Zentimeter gestreckt und ein schwarzer Bartschatten rahmte sein ebenmäßiges Gesicht ein. Man schrieb das Jahr 1975 und Hubertus Kriegel war wie viele andere junge Leute von der auf einer Erfolgswelle schwimmenden Band Led Zeppelin begeistert. Wie es der Zufall so wollte hatte er lange blonde Haare, die ihm wie dem Sänger Robert Plant lockig bis auf die Schultern fielen. Kriegel eignete sich den Slang der Verkäufer schnell an, denn rhetorisch war er gut. Dass er viel hohles Gewäsch von sich gab fiel den Kundinnen nicht auf, denn sie hatten eigentlich mehr Augen für den Mann, als für die auf den Kleiderbügeln hängende Ware.

Nach zwei Jahren hatte Hubertus Kriegel seine Lehre abgeschlossen und fühlte sich nunmehr zu Höherem berufen. Er wechselte sehr zum Leidwesen der Inhaberin des kleinen Ladens in ein größeres Geschäft in Innenstadtlage. Der junge Mann kam dort so gut an, dass sich die Kundinnen um ihn rissen. Wenn ein Einkauf besonders üppig ausfiel konnte Kriegel das Fahrzeug des Ladens nutzen und die Käuferin mitsamt der Sachen am Vormittag nach Hause fahren. Es handelte sich bei den gelangweilten Gattinnen von Ingenieuren oder vermögenden Handwerkern überwiegend um schon etwas ältere Jahrgänge (jedenfalls aus Kriegels Sicht, dabei waren die Frauen gerade so um die Vierzig), aber der junge Mann war auch reiferem Fleisch nicht abgeneigt. Den Beischlaf mit den Kundinnen betrachtete er sozusagen als eigenes Vergnügen während der Arbeitszeit, und zudem noch als Service des Hauses. Außerdem waren seine Bemühungen immer mit einem üppigen Salär verbunden gewesen. Da Kriegel diskret war und jeder der Kundinnen das Gefühl gab er sei nur an ihr interessiert, tanzte er auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig, ohne dass es auffiel. So langsam fühlte er sich in der Rolle des Verkäufers unterfordert und war zu der Auffassung gelangt, dass sein Betätigungsfeld eher im Bereich des Modedesign liegen würde. Also studierte er die einschlägigen Journale und fertigte zu Hause Skizzen von Entwürfen für Jacken, Hosen und Blusen an. Diese schickte er diversen Firmen zu, aber kassierte nur Absagen oder erhielt gar keine Antwort. Davon unbeeindruckt arbeitete Kriegel unverdrossen weiter und hoffte auf einen Durchbruch, der allerdings nicht eintrat.

Als er verinnerlicht hatte, dass sich sein Traum als erfolgreicher Designer wohl nicht so schnell erfüllen würde, beschloss er, wenigstens einer der Starverkäufer der Stadt zu werden. Aus diesem Grund bewarb er sich beim führenden Haus für Damenbekleidung und wurde sofort genommen, da er sich schon einen gewissen Ruf erarbeitet hatte. Kriegel machte da weiter, wo er aufgehört hatte, aber diesmal auf einem höheren Niveau. Das bedeutete konkret, dass er für die vermögenden Ärzte- und Anwaltsgattinnen als persönlicher Berater abgestellt wurde, und sich seine Tätigkeit jetzt neben dem Verkauf und dem Beischlaf um eine kulturelle Komponente erweiterte. Da die Ehemänner der Kundinnen beruflich mächtig eingespannt waren und fast alle auf einen Porsche sparten, ließen sie ihren Frauen freie Hand, ohne jedoch zu wissen, welches Maß die Bemühungen von Hubertus Kriegel mittlerweile angenommen hatten. Dieser begleitete die Frauen also nach dem Einkauf nach Hause, vögelte dann relativ lustlos mit ihnen ein bisschen herum, und ließ es sich danach noch bei einem erlesenen Essen gut gehen. Später erschien er dann noch einmal im Laden, plauderte noch ein wenig mit den anderen Angestellten, und ging nach Hause.

1989, da war er 31 Jahre alt geworden, hatte er die Lust an den immer gleich bleibenden Tätigkeiten verloren und etwas Geld aufgrund seiner Verkaufserfolge und den geheimen Salären seiner Kundinnen angespart. Konkret waren es 124.565,72 D-Mark, die auf seinem Bankkonto lagen. Als wenig später die Mauer fiel witterte Kriegel eine Chance, im Osten ordentlich Geld verdienen zu können. Er ging nach Potsdam, da sich im Umland von Berlin doch einige Leute ansiedeln würden, die Geld hatten. Er mietete einen Laden an und kaufte eine Grundausstattung von Damenbekleidung ein, die im höheren Preissegment lag. Zwar rannten ihm die Leute die Bude ein (da er einer der ersten Anbieter direkt vor Ort war), aber kaum jemand kaufte etwas, da die Preise für die Einheimischen schlichtweg zu hoch waren. Vielmehr bestellten die Interessenten lieber über Kataloge. Hubertus Kriegel saß auf einem Hocker hinter dem Verkaufstresen und auf seiner Ware. Dieser Zustand hielt knapp anderthalb Jahre an, dann musste er den Laden aufgeben.

Also ging er wieder nach Nordrhein-Westfahlen zurück und stieg erneut als Verkäufer ein. Kriegel war in seiner Erscheinung in den Jahren wie guter Wein gereift und machte einen blendenden Eindruck. Durch die vielen Gespräche und Begegnungen mit den Kundinnen wusste er ganz genau, wie Frauen tickten. Da er sehr kommunikativ veranlagt war, stellten die einsamen Abende für ihn ein Problem dar. Zwar konnte er ohne große Mühe in Bars herumlungernde einsame Frauen aufreißen, aber das befriedigte ihn schon lange nicht mehr richtig. Hubertus Kriegel verspürte so eine Art Verlangen, die wilden Zeiten hinter sich zu lassen, und nun sesshaft zu werden.

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