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Erwin Kunze

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Kunze war 1997 im Alter von 22 Jahren als Bürokaufmann in die „KME Export-Import GmbH“ eingestiegen und fühlte sich im Jahr 2014 mit seinen 39 Jahren als Urgestein der Firma. Seine Ausbildungsleistungen hatten damals für einen Job in mehr renommierten Unternehmen leider nicht ausgereicht. Kunze konnte zwar Dinge, die er einmal begriffen hatte, ganz gut anwenden, aber wenn er vor einer neuen und nicht durch Erfahrungswissen begründeten Aufgabe stand, sah er meistens kein Land. Er wusste zwar sehr wohl um seine mangelnden intellektuellen Fähigkeiten, aber versuchte das zu verdrängen und durch ein scheinbar sicheres Auftreten zu kompensieren. Wenn ihm also eine Sache übertragen wurde, die ihn wieder einmal überforderte, maulte er meist lautstark rum.

„Ich bin hier als Sachbearbeiter eingestellt worden und nicht als Mathematikprofessor“ verkündete er dann lauthals, so dass es alle in dem Büroraum, in dem die Leute des Inlandsvertriebs zusammen saßen, hören konnten, „wer versteht denn überhaupt, was eine Zinseszinsrechnung oder ein Barwert ist? Ich jedenfalls nicht! Das ist auch nicht mein Job, das zu begreifen.“

Martin Haller war ähnlich alt wie Kunze, aber bedeutend schlauer.

„Stell‘ dir mal vor, du legst Geld bei der Bank an. Dann bekommst du dafür Zinsen. Klar?“

„Sicher.“

„Du lässt das Geld auf der Bank liegen und nach einem Jahr zum Beispiel bekommst du 100 D-Mark Zinsen gutgeschrieben. Wenn du jetzt nichts abhebst, haben die Zinsen dein Guthaben erhöht. Klar?“

„Denkst du ich bin blöd!“

„Nein. Der Ausgangswert deines Guthabens für die neue Zinsperiode ist dann also höher als im ersten Jahr, und damit erhältst du bei gleichbleibendem Zinssatz in den folgenden Perioden mehr Zinsen. Du kannst natürlich auch anders herum rechnen, wenn du wissen willst, wieviel Geld du anlegen musst, um einen bestimmten Wert in der Zukunft zu erreichen. Das ist also der Wert, den zukünftige Zahlungen in der Gegenwart besitzen. Er wird durch Abzinsung ermittelt. Der sogenannte Barwert. Klar?“

„Wie bitte? Zukünftige Zahlungen in der Gegenwart? Sag‘ mal, willst du mich verarschen?“

„Will ich nicht, aber so etwas sollte man als Bürokaufmann schon wissen“ hatte Haller dann noch trocken erklärt und damit verlegenes Lachen der anderen Leute geerntet, denn die wussten auch nicht so recht, worum es bei dieser Sache ging.

Von da an stand für Erwin Kunze fest, dass er mit Haller nie ein lockeres Verhältnis haben würde. Jedenfalls versuchte er immer Wege zu finden, sich solche für ihn unlösbaren Aufgaben vom Halse zu schaffen und fand in Peter Frenkel eine geeignete Person dafür.

Frenkel war ziemlich beleibt, picklig, trug eine Brille, und war 26 Jahre alt. Wer ihn eine Weile beobachtete musste schnell zu der Vermutung gelangen, dass Frenkels sexuelle Disposition auf Männer ausgerichtet war. Natürlich hatten die anderen das schnell mitbekommen, und man nahm Frenkel aufs Korn, denn der wehrte sich meist nur mit sanften Gesten und Worten.

„Sag‘ mal Frenkel“ ging ihn Frank Walther einmal an „hast du überhaupt gedient?“

„Nein.“

„Und warum nicht?“

„Ich habe den Dienst aus Gewissensgründen verweigert. Ich schieße nicht auf Menschen.“

„Aber da sind dir doch Unmengen schmucker Burschen entgangen.“

„Wie meinst du das?“

„So wie ich es sage.“

„Lass‘ mich doch in Ruhe.“

„Oder soll ich es noch genauer erklären?“

Schweigen.

„Hör doch jetzt auf damit“ sprang Kunze Frenkel bei, denn er wusste, dass der Mann in Mathe fit war und ihm helfen konnte, „lass‘ Peter in Ruhe.“

„Interessiert du dich etwa für ihn“ fragte Walther anzüglich.

„Halte jetzt die Klappe und kümmere dich um deine Dinge.“

Erwin Kunze wohnte zu Beginn seiner Berufstätigkeit noch bei seinen Eltern und brüstete sich zu Hause mit vorgeblichem Arbeitsstress und seiner hervorgehobenen Stellung in der Abteilung. Dann schwadronierte er über Auf- und Abzinsung und andere, seinen Eltern vollkommen unbekannte und exotisch klingende Begriffe. Das war nicht weiter verwunderlich, denn Kunzes Mutter hatte als Küchenhilfe naturgemäß wenig mit solchen Dingen zu tun, sein Vater als Müllkutscher ebenfalls nicht. Erwin Kunzes Bühne für seine Auftritte lag somit überwiegend im privaten Bereich. Im Büro versuchte er zwar den Zampano zu geben aber war eigentlich nur ein Maulheld, der schon bei der kleinsten Herausforderung mächtig ins Rudern kam.

Diese Blenderei nutzte Kunze auch Frauen gegenüber. Er sah nicht übel aus und hatte wegen seiner Redseligkeit durchaus Erfolg bei den Damen. Seine Beziehungen hielten aber eigentlich nie länger als ein paar Wochen, dann hatten die Frauen erkannt, mit wem sie es zu tun hatten. Nur die bildhübsche aber strohdumme Inka Berger bekam davon nichts mit und hing an Kunzes Lippen, wenn der wieder einmal zu einem Vortrag über die Kompliziertheit des Bürolebens ansetzte und seine Rede mit für sie fremdartig klingenden Worten würzte. Inka Berger war tatsächlich mit außerordentlich wenig intellektuellen Talenten gesegnet, aber dafür eine Granate im Bett. Sie trieb Kunze im Schlafzimmer regelmäßig bis zur Weißglut, und dieser konnte in solchen Momenten gut und gern auf eine aus seiner Sicht gepflegte Konversation verzichten. Inka Berger war an Gesprächen auch nicht sonderlich interessiert aber fand beim Liebesspiel durchaus passende und Kunze anfeuernde schmutzige Ausdrücke. Da dieser Zustand der erheblichen sexuellen Befriedigung anfangs gar nicht abebbte war sich Kunze bald sicher, die Richtige gefunden zu haben.

Als er 25 Jahre alt war heirateten sie, mit 28 wurde er Vater eines Sohnes. Nach einer kurzen Pause setzte ihr Liebesleben dann wieder gewaltig ein und das war auch der Grund dafür, dass Erwin Kunze im Büro fortlaufend schlüpfrige Geschichten aus dieser Sphäre seines Privatlebens von sich gab, was ihm dann den Titel „Der geile Bock“ einbrachte.

Betriebsfeiern(n) bis die Hütte brennt!

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