Читать книгу Suicide Chicks - J.S. Ranket - Страница 5

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Mehrere tausend Kilometer entfernt, tief im Süden der Baja California, sprang Zoe aus dem bequemen Bürosessel im klimatisierten Keller ihrer kleinen Hazienda und sah entgeistert auf die Flatscreens. Ihre Hände krallten sich in die Platte des Arbeitstisches und sie achtete nicht auf die Zigarette, die ihr vor Aufregung aus dem Mund gefallen war und nun zu Boden rollte.

Suicide Chicks war wieder online!

Sie rieb sich die Augen, doch auch danach lag die junge Asiatin immer noch auf dem schmutzig-grauen Betonboden. Und die dunkle Lache, die unter ihrem Kopf immer größer wurde, zeugte davon, dass es ein Stream war und kein Standbild.

„Das gibt`s doch gar nicht … hier will mich irgendjemand verscheißern!“

Was vor Monaten als harmloses Surfen auf den dunklen Seiten des Web begann, entpuppte sich als bizarrer Internetthriller. Mehr aus Langeweile ließ sie sich damals durch das Netz treiben, immer auf der Suche nach etwas Interessantem. Und plötzlich stieß sie auf diese mysteriöse Seite, die einfach nur schwarz war, aber mit einem beunruhigenden Countdown in der oberen, rechten Ecke. Zoe benötigte nur knapp zwei Minuten, bis sie die Seite gehackt hatte und das lag keineswegs an deren mangelnden Absicherung. Im Gegenteil, sie war sogar sehr gut geschützt, doch gegen den Angriff der jungen Frau hatte sie keine Chance.

Nicht dass Zoe ein Genie gewesen wäre, sie hielt sich jedenfalls selbst nicht dafür, doch die Sicherheitsabteilung einer Schweizer Großbank sah das offenbar anders. Ohne mit der Wimper zu zucken überwiesen sie den, von ihr geforderten, hohen sechsstelligen Betrag für einen umfangreichen Sicherheitscheck. Und dieser lief gerade im Hintergrund, als Zoe auf die mysteriöse Seite stieß. Und die junge Frau hatte sich damals ebenfalls erschossen. Danach war die Seite wie vom Erdboden verschwunden und selbst Zoe fand außer ein paar Fragmenten keinen nennenswerten Spuren mehr. Doch diese Seite ließ sie nicht mehr los und ihr Jagdinstinkt war geweckt.

Sie fütterte ihren Computer mit den Daten, die ihr zur Verfügung standen, und ließ die Haie frei. Hochkomplexe Späher, die in dem riesigen elektronischen Ozean nach den Spuren von Suicide Chicks suchten. Sollte diese mysteriöse Seite jemals wieder auftauchen, dann würden sie sie finden.

Aber mit jedem Tag, der verstrich, geriet die Seite mehr und mehr in Vergessenheit, denn das Alltagsgeschäft forderte seinen Tribut. Zum einen gab es an der kleinen Hazienda ständig etwas zu reparieren und ihre beiden Mischlingshunde, Chapa und Manshas, forderten ebenfalls ihre Streicheleinheiten. Auch wenn sie jetzt etwas ausgeglichener waren, denn Kater Pepe, der als König des Hauses immer das Regiment führte, war gestorben. Und zum anderen hatten sich ihre komplexen Sicherheitschecks in der IT-Branche herumgesprochen, so dass sie sich über mangelnde Aufträge nicht beschweren konnte.

Außerdem war da noch Javier.

Irgendwann, als die Medien wieder über ein Gemetzel unter den Kartellen berichteten, dem auch viele Unbeteiligte zu Opfer fielen, hatte Javier seine Wut über die herrschenden Zustände herausgeschrien. Und Zoe fasste sich ein Herz. Haarklein berichtete sie ihm von ihrer Nebenbeschäftigung. Zuerst sah es so aus als wollte er lauthals loslachen, dann glaubte sie, er bekäme einen Herzinfarkt. Man erfährt ja auch nicht jeden Tag, dass seine Freundin mit einer Art Familienunternehmen Drogenbosse und Menschenhändler beseitigt. Schließlich war er einfach mit seinem Motorrad davon gebraust und hatte sich zwei Tage nicht mehr gemeldet, obwohl sie ihm mindestens eine Million Nachrichten hinterlassen hatte. Dann kam er zurück.

„Du hättest es mir sagen müssen!“, meinte er vorwurfsvoll.

„Ja ich weiß, ich habe Mist gebaut“, gab Zoe betreten zurück. „Aber wann hätte ich es denn dir sagen sollen? Wann ist für so etwas der richtige Zeitpunkt?“

„Ich weiß nicht, irgendwann … eben früher!“, antwortete er und seine Stimme nahm einen scharfen Unterton an.

„Idiot!“

„Aha, also voriges Jahr in Tijuana im Bus! Als du mir ein Stück meiner Verkleidung aus den Haaren gepuhlt hast.“

In Zoe fing es an zu brodeln, denn sie hatte das Temperament einer echten Latina, obwohl sie keine war. Aber jeder hielt sie für eine. Ihre ehemals schmutzig-blonden Haare hatte sie schon seit Langem schwarz gefärbt und mit ihrer kleinen, aber durchtrainierten Gestalt fiel sie unter den Einheimischen nicht weiter auf. Wenn da nicht ihre blau-grünen Augen gewesen wären.

„Was hätte ich denn deiner Meinung nach sagen sollen: ‚Oh sorry, das war meine Tarnung, ich habe nämlich gerade Garcia erschossen‘. Oder als du mich deiner Mutter vorgestellt hast: ‚Mucho gusto, ich bin Zoe, IT-Spezialistin und im Nebenjob Killerin‘. Also wie hätte ich es dann deiner Meinung nach machen sollen, du Schlaumeier?“

„Na ich weiß auch nicht“, meinte Javier jetzt versöhnlicher. Er rollte mit den Augen und hob in einer hilflosen Geste die Arme. „Eben irgendwie anders.“

„Ja … sorry … tut mir wirklich richtig leid. Hinterher ist man immer klüger.“ Zoe suchte seinen Blick und versuchte ihre Arme um seinen Hals zu schlingen, doch Javier hielt sie auf Abstand.

„Und dein Dad …“, meinte er skeptisch. „… und Kat, ich meine die waren doch hier … und … wir haben uns richtig gut verstanden … und … sie sind Ärzte. Die sehen überhaupt nicht so aus als …“

„… als würden sie Leute umlegen?“, vollendete Zoe den Satz. „Außerdem sind das keine Ärzte, das sind Chi-rurg-en“, sie dehnte das Wort. „Die sind von Haus aus schräg drauf.“

Javiers Blick verriet, dass er überhaupt nicht wusste, worauf Zoe hinaus wollte.

„Na“, klärte sie ihn auf, „ kennst du sonst noch jemanden der einfach so ungestraft Leute aufschneiden darf?“

Auch wenn Zoe einen relativ neutralen Gesichtsausdruck beibehielt merkte er, dass sie irgendwie versuchte mit einem schrägen Witz die ganze Situation zu entschärfen. Und meist gelang ihr das auch. Javier musste ja auch zugeben, dass der Drogenhandel, die Morde und die Verschleppungen seit Jahrzehnten tatsächlich völlig aus dem Ruder liefen. Aber ob Zoes Methode dafür das Richtige war, bezweifelte er. Außerdem war es saugefährlich.

„Was passiert, wenn das jemand herauskriegt?“, fragte er jetzt echt besorgt. „Und was sagt überhaupt dein Vater dazu, dass du mir das erzählst.“

„Er hat das mir überlassen“, antwortete sie. „Ich sollte selbst den Zeitpunkt bestimmen. Und was das mit der Sicherheit angeht … Ich bin nicht in Gefahr, ich bin die Gefahr! Und ich habe mich sehr gut vernetzt. Ein paar Pesos hier, ein paar Pesos da wirken echt Wunder. Außerdem kenne ich den Comandante von der Militärgarnison persönlich … und einen leitenden FBI-Agenten.“ Zoe holte tief Luft. „Und falls doch einmal etwas schiefgeht, dann haben wir ja immer noch unsere österreichischen Freunde von der Firma Glock und die Herren Heckler & Koch. Außerdem bist du ja inzwischen auch ein richtiger Präzisionsschütze geworden. Wenn ich daran denke, dass du beim ersten Mal in den Canyons nicht einmal das alte Autowrack getroffen hast.“

Sie schmunzelte, doch Javier drohten die Augen aus dem Kopf zu fallen. „Du kennst den Comandante und einen FBI-Agenten?“, fragte er entgeistert.

„Alles reiner Zufall“, erwiderte Zoe ein klein wenig stolz. „Ich geb dir die Kurzfassung. Also die Tochter vom Comandante war in Los Cabos zu irgendeiner Party. Dann kam die unglückliche Kombination aus Alkohol, nackter Haut und Facebook. Der Comandante wollte schon den dritten Weltkrieg vom Zaun brechen, denn der arme Kerl, der die Sachen hochgeladen hatte, bekam sie nicht mehr vollständig aus dem Netz. Und da die Frau vom Comandante und ich ins selbe Fitnessstudio gehen … Also wenn die Kacke mal am dampfen ist, kommt die Kavallerie.“

„Und der Typ vom FBI?“ Javier fragte sich gerade, ob Zoe ihn verarschte.

„Da kann ich nichts dafür, das war mein Dad“, antwortete Zoe und hob abwehrend die Hände. „Der Sohn von dem Typ hatte während seines Urlaubs in Südafrika einen Unfall und irgendwie war die Lunge verletzt. Mein Dad kam zufällig vorbei und hat ihm den Brustkorb aufgeschnitten und einen Schlauch hineingesteckt, sonst wäre er erstickt.“

Javier konnte nur noch den Kopf schütteln, aber insgeheim war er auch ein wenig stolz auf Zoe.

„Siehst du“, riss sie ihn aus seinen Gedanken und grinste. „Die schneiden einfach Leute auf!“

In dieser Situation erwies es sich als ein guter Zufall, dass ein paar verrückte Surfer nahe eines kleinen Örtchens im Nirgendwo, an der Grenze zur Baja California del Norte, die wahrscheinlich längste Welle der Welt entdeckt hatten. Das kleine Fischerdorf an der Scorpion Bay wurde plötzlich zum Insider-Tipp der internationalen Surfszene und an den Sandstränden reihten sich die Zelte und Wohnmobile der Adrenalinjunkies dicht an dicht.

Da war es natürlich nicht verwunderlich, dass die Infrastuktur der Gegend dem Ansturm nicht gewachsen war. Zwar sind die Surf-Freaks nicht unbedingt auf Luxus aus und begnügen sich mit dem was vor Ort zu finden ist, doch Javier erkannte sofort das geschäftliche Potential. Einige Camps, die das Notwendigste boten, mussten aufgebaut und eine stabile Wasserversorgung installiert werden. Weiterhin macht Wassersport hungrig und durstig.

Die Einheimischen sahen ihre kleinen Supermärkte stets ausverkauft, also galt es die auch logistischen Probleme der Lebensmittel- und Bierversorgung zu lösen. Ganz zu schweigen von der miserablen Abdeckung des Mobilfunknetzes. Konnte man nicht ein Satellitentelefon sein Eigen nennen, dann sah es mit der Kommunikation schlecht aus, wollte man nicht auf das ständig zusammenbrechende Internet angewiesen sein. Doch so hatte Zoe genug Zeit, um sich um Suicide Chicks zu kümmern, und ohne Javier unnötig zu beunruhigen.

Sie spielte schnell in Gedanken die beiden Möglichkeiten durch, die ihr einfielen. Erstens, das war ein Fake. Aber warum versteckten die Betreiber dann ihre Seite so ausgeklügelt, denn bei solch abgefahrenen Sachen kam es ja auf genügend Publikum an. Und für einen Fake war das Ganze dann doch etwas zu unspektakulär. Okay, eine junge Frau hatte sich vor laufender Kamera erschossen, aber das sah man ja manchmal auch im Vorabendprogramm.

Und wer auf richtig heftigen Stoff stand, der ging auf eine Seite, die meist mit Extreme-dies oder Infernal-jenes begann, kaufte für lächerliche fünfzig Dollar einen Account und konnte sich dann einen Monat lang an allerhand tollen Vorführungen ergötzen. Ganz legal natürlich, denn am Anfang wurde immer bestätigt, dass alles in Übereinstimmung mit den jeweiligen Gesetzen war. Und nachdem man mit einem Klick erklärte, dass man volljährig ist, konnte es losgehen. Zuvor bestätigten die Akteure noch in kurzen Interviews, dass sie sich unheimlich gern verdreschen lassen und noch nie so geil gekommen sind, wie gefesselt und geknebelt mit einem Dildo im Arsch.

Zweitens, das war kein Fake. Dafür sprach erst einmal der Name: Suicide Chicks. Wer ließ sich schon so etwas einfallen? Dann war da noch der Countdown, der bei 6:14:57 stehen geblieben war. Bedeutete das etwa, dass die junge Asiatin knapp eine Woche dort festgehalten wurde?

Zoe konnte sich absolut keinen Reim auf die ganze Sache machen. Sie lehnte sich zurück, zündete sich eine neue Marlboro an und öffnete mit einem Zischen ein kaltes Tecate. Das leise Brummen des Monsters, so nannte sie ihren Rechner, wirkte irgendwie beruhigend in dem fast klinisch reinen Keller. Der flüssige Stickstoff rauschte leise durch die Kühllamellen der Hochleistungsprozessoren, ohne dessen Hilfe sie innerhalb von Sekunden zu schwarzen Klumpen verschmort wären. Denn mit dem Monster war sie problemlos in der Lage, die Kontrolle von zwei Dutzend Weltraumsonden zu übernehmen.

Dem und ihrem heimlichen Hobby entsprechend, war auch das Sicherheitssystem ihrer Hochsicherheitshazienda äußerst ausgeklügelt. Verborgene Kameras überwachten jeden Quadratzentimeter des Anwesens bis hinunter zum Highway. Und bevor man in den Keller vordringen konnte, musste auf einer verborgenen Tastatur der entsprechende Code eingegeben werden. Ein Fehler oder die falsche Geschwindigkeit bei der Eingabe löste sofort einen Elektroschock aus, der ohne Weiteres einen Bullen von den Hufen holen würde. Sollte es dennoch ein Spinner bis in den Keller schaffen, dann wartete dort noch eine kleine, aber gemeine, Ladung Plastiksprengstoff auf ihn.

Plötzlich schlugen die elektronischen Warnsysteme Alarm und die Seite verschwand aus dem Netz. Offenbar gingen die Computerkenntnisse der Betreiber deutlich über Office-Anwendungen hinaus, denn sie hatten bemerkt, dass sie gehackt worden waren und suchten nun nach ihr. Denn Spuren gab es immer, egal wie intensiv man sie verwischte. Außer die Verfolger landeten rein zufällig auf dem Server des Fraunhofer Instituts in Deutschland.

Dabei erwies es sich als günstige Fügung, dass einer der letzten Archivare, Karl Brinkmann, in den wohlverdienten Ruhestand ging und seine Stelle durch einen Computer ersetzt wurde. Nicht aber sein Schreibtisch. Hinter dem Möbel befand sich ein Netzwerkanschluss, wie an jedem Arbeitsplatz des Instituts. Niemandem, der alte Ordner auf dem Schreibtisch stapelte, fiel auf, dass plötzlich ein kleiner Kasten in dem Anschluss steckte. Ein Aufkleber der Telecom wies Neugierige darauf hin, dass das versehentliche Entfernen des Gerätes zu einer ernsthaften Störung der Telefonanlage des Instituts führen könnte. Und so geriet der kleine Plastikwürfel in Vergessenheit.

Doch im Verborgenen schickte er unermüdlich High-Speed Datenströme in das Netz, die auf einer kleinen mexikanischen Hazienda empfangen wurden.

Suicide Chicks

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