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5 Ungelöste Fragen

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Als sie endlich wieder zu Hause waren, stand Mutter in der Küche und bügelte.

„Na, seid ihr wieder da? War’s schön draußen, Liese?“ Sie begann Lieses Jacke aufzuknöpfen. „Ticktack“, antwortete Liese, und Henk hatte einen Moment lang das Gefühl, dass er das jetzt erst mal oft genug gehört hatte.

„Habt ihr Uhren angeguckt?“

Liese schüttelte den Kopf.

Henk wusste, dass er Mutter eigentlich erzählen musste, was sie erlebt hatten, aber ihm fehlte die Geduld. Er brannte darauf, endlich zu seinem Nachbarjungen hinüberzugehen. „Ich gehe noch kurz zu Jaap“, stieß er hervor und hatte dabei schon die Türklinke in der Hand. Beim Hinausgehen drehte er sich noch einmal kurz um, rief: „Bis gleich!“ und rannte dann den Pfad zum Nachbarhaus hinüber.

Auf dem kleinen Weg hinter den Häusern blieb er stehen. Einen Plan – er brauchte jetzt einen guten Plan. Sein Ziel war, von Jaap zu erfahren, was er im Schilde führte, aber wie bekam er ihn so weit, dass er es ihm erzählte? Ihm ein Messer an die Kehle zu setzen, würde natürlich am besten funktionieren. Er musste grinsen. „Zu viele spannende Bücher gelesen, Henk“, tadelte er sich selbst.

Jaaps Mutter aushorchen, ins Haus schleichen, wenn alle weg waren, oder Wanzen basteln und im Haus verstecken – das kam alles auch nicht in Frage. Vielleicht musste er einfach mit offenen Karten spielen.

Henk trottete langsam den Weg entlang zur Straße. Er konnte auf jeden Fall klingeln und fragen: „Hey, kann ich kurz reinkommen, Jaap?“

Er sprang über den niedrigen Gartenzaun. Er zögerte einen Moment, bevor er auf die Klingel drückte, aber dann presste er den Finger entschlossen auf den kalten Kupferknopf. Die Klingel schien noch mehr Krach zu machen als die Glocken der Sankt-Bavo-Kirche, aber das lag bestimmt an ihm.

„Hallo, Henk.“ Es war Jaaps Mutter. Sie sah ihn stirnrunzelnd an. Normalerweise sagte sie immer sofort: „Warum kommst du nicht hinten herum, Junge?“ Das machte er nie, aber sie fragte jedes Mal. Henk wartete, aber diesmal blieb es still.

„Äh …“, begann er, „ist Jaap zu Hause?“

Jaaps Mutter machte einen Schritt auf ihn zu und beugte sich zu ihm herunter. „Nnn…ein “, sagte sie zögernd. Henk biss sich auf die Lippe. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, bis sie fortfuhr: „Jaap hat mir gesagt, er ginge Fußball spielen.“

Ups. Er zögerte. Musste er jetzt schnell eine Geschichte erfinden, um Jaap zu decken? Er führte anscheinend irgendetwas im Schilde, wovon seine Mutter nichts wissen durfte. Das konnte alles Mögliche sein. Aber sein Alibi war nicht sehr stichhaltig. Und Henk musste sich dringend irgendetwas ausdenken, denn Jaaps Mutter durchbohrte ihn beinah mit ihren Blicken.

„Nein, wir spielen nicht Fußball.“ Bis dahin war es noch nicht gelogen. „Ich hab’ da anscheinend irgendwas verpasst.“ Auch das stimmte, gerade noch. „Ich komme dann ein andermal wieder. Würden Sie ihm sagen, dass ich da gewesen bin?“ Er merkte, dass er angefangen hatte, immer schneller zu reden. Er musste zusehen, dass er wegkam.

„Ja, das tue ich bestimmt. Verlass dich drauf.“

„Gut, prima … Na, dann einen schönen Abend noch.“

Die Haustür schlug mit einem Knall zu, ein Geräusch, das ihn wieder an die vergangene Nacht denken ließ.

Bis jetzt lief es noch nicht so gut mit seinem Plan. Eigentlich hatte er überhaupt noch nichts erreicht.

Er konnte natürlich noch kurz zum Park laufen, um nachzusehen, ob Jaap zufällig doch dort war, aber das war wahrscheinlich Energieverschwendung. Nein, er ging nach Hause. Er hatte keine Lust mehr, und er hatte Durst bekommen. Das las man übrigens nie in einem Abenteuerroman, dachte er – dass der Held keine Lust mehr hatte und Durst bekam. Echte Helden hielten es tagelang aus, ohne zu trinken. Er nicht.

„Ach so, heute Nachmittag hat jemand einen Brief für dich eingeworfen.“ Mutter schenkte Henk einen Becher Tee ein – oder etwas, das daran erinnern sollte. Er hatte gerade sein Rechenbuch aufgeschlagen, um mit den Hausaufgaben anzufangen.

„Oh, wo liegt er denn? Ist er von Vater?“ Er war schon unterwegs zum Flur.

„Auf dem Tischchen im Gang“, rief Mutter ihm nach.

Es war ein zugeklebter Briefumschlag, auf dem auf der Vorderseite mit großen Buchstaben sein Name geschrieben war. Er erkannte sofort, dass es Jaaps Handschrift war. Er riss den Umschlag so hastig auf, dass er fast den Brief zerrissen hätte.

„Komm heute Nachmittag um vier Uhr zum Park. Ich muss dich was fragen. Jaap.“

„Das darf doch wohl nicht …“ Henk rannte in die Küche und sah auf die Uhr. Es war halb sechs. „Wann ist der Brief gekommen, Mutter?“

„Als du mit Liese spazieren warst.“

„Warum hat du mir das nicht gesagt?“

„Als ihr zurückgekommen seid, bist du Hals über Kopf zu Jaap gerannt. Als du wieder da warst, hab’ ich nicht mehr daran gedacht. Tut mir leid.“

Henk holte tief Luft, um etwas zu sagen, aber er schwieg.

„War der Brief denn so wichtig?“, fragte Mutter.

„Äh … nein, schon gut.“ Er rannte nach oben und ließ sich aufs Bett fallen. Der Brief in seiner Hand wurde knittrig, aber das war egal. Er wusste ja, was darin stand. Was wollte Jaap? Und warum benahm er sich so komisch? Das war wirklich eine blöde Aktion, fand Henk.

Inzwischen frage er sich, ob Jaap tatsächlich etwas mit dem Widerstand zu tun haben konnte. Bis jetzt sah es jedenfalls nicht so als, als ob er dafür sehr geeignet wäre.

Was sollte er jetzt machen? Noch mal zu den Nachbarn rübergehen und nachschauen, ob Jaap jetzt da war? Keine gute Idee. Außerdem wartete unten noch ein Rechenbuch auf ihn mit so vielen Aufgaben, dass einem schlecht davon wurde. Außerdem begann er zu merken, wie wenig er heute Nacht geschlafen hatte. Nein, er würde die Sache fürs Erste auf sich beruhen lassen und abwarten, was Jaap als Nächstes unternahm.

Zum Glück stellte Mutter keine weiteren Fragen wegen des Briefs. Henk kämpfte sich durch seine Hausaufgaben, sorgte dafür, dass das Feuer im Ofen nicht ausging, und aß zum Abendbrot mit Mutter und Liese eine Scheibe Brot, das dünn mit Marmelade bestrichen war.

„Gerrit hatte am Samstag beim Schwimmen ein echtes Butterbrot mit Butter und Käse dabei. Er hat mir auch ein Stück abgegeben. Es war unglaublich lecker!“

Mutter sah auf. „Tatsächlich? Das gibt es in den Geschäften schon lange nicht mehr zu kaufen. Da haben sie die Butter und den Käse aber gut aufbewahrt.“

Henk biss lustlos auf seinem Brot herum. „Er hat gesagt, seine Mutter würde Leute kennen. Ich fand das komisch.“

Mutter nickte langsam. „Mach dir darüber keine Gedanken. Das geht uns nichts an. Ach ja – erzähl mir doch mal, was heute Nachmittag in der Stadt alles passiert ist. Liese war total erschöpft und konnte nur noch ‚Ticktack‘ sagen. Ich hatte direkt ein bisschen Angst, dass sie sich selbst in eine Uhr verwandelt hätte.“

Henk lachte und schaute zu Liese hinüber, die mit den Fingern die Krümel von ihrem Teller aufpickte. „Mehr?“, fragte sie.

„Nein, alles alle, Liese. Morgen wieder.“

Liese machte ein böses Gesicht, sagte aber nichts mehr.

„Also, was habt ihr erlebt?“

„Puh!“ Henk lehnte sich zurück und dachte schnell nach. Was konnte er von diesem seltsamen Opa und der Frau erzählen? Er wollte nicht, dass Mutter dachte, er sei unvorsichtig gewesen, aber er hatte einfach seinen Namen genannt und quasi versprochen, dass sie die beiden morgen besuchen kommen würden. Na ja, nicht wirklich versprochen, aber trotzdem … Er hatte auf jeden Fall nicht abgelehnt.

Er wusste selbst noch nicht, was er von diesen Leuten halten sollte.

„Heute Nachmittag, als wir gerade in die Barteljorisstraat einbiegen wollten, kamen plötzlich so große deutsche Lastwagen angefahren. Du weißt schon, wo Vater auch …“

Mutter nickte. „Liese war ganz schön erschrocken“, fuhr Henk fort, „darum haben wir uns in einen Eingang geflüchtet. Da waren noch mehr Leute, und als wir weggehen wollten, merkte Liese, dass der Opa von dem Uhrengeschäft auch in dem Eingang stand. Sie hat ihn erkannt, darum hat sie ganz laut gesagt …“

„Ticktack!“, ergänzte Mutter lachend. „Du hast dich bestimmt ein bisschen für sie geschämt.“

Henk sah auf seinen leeren Teller. „Ja, ein bisschen schon. Auf jeden Fall haben wir dann noch kurz mit den Leuten geredet. Sie waren sehr nett.“

Er stand auf und nahm Mutters Becher und Teller.

Liese klatschte in die Hände. „Pätzen!“

„Was meinst du?“, fragte Mutter.

„Pätzen Ticktack.“ Liese zog Henk am Arm. „Heng, Pätzen.“

„Habt ihr Plätzchen gegessen?“

„Nein, aber die Frau hat gesagt, dass wir mal zu Besuch kommen dürfen, und dann kriegen wir Plätzchen, denn sie kann sehr gut Plätzchen backen.“ Henk fuhr fort, den Tisch abzuräumen, und ging zur Anrichte.

„Das gefällt mir aber nicht. Es ist ziemlich komisch, einfach zwei Kinder einzuladen.“

Er hatte schon gewusst, dass Mutter das sagen würde. „Sie sahen wirklich nicht gefährlich aus …“ Er musste lachen, als er an den alten Mann dachte. Nein, der hatte bestimmt noch keiner Fliege etwas zuleide getan. „Sie sind von dem Uhrengeschäft ten Boom, die kennst du doch, oder?“

Mutter schob ihren Stuhl an den Tisch. „Ja, schon. Sie gehen auch in unsere Kirche. Ich finde sie ein bisschen komisch. Ich weiß noch, dass die Frau – Corrie heißt sie, glaube ich – die ganze Zeit über Gott geredet hat. Es kam mir ziemlich übertrieben vor.“

„Sie hält Gottesdienste für Behinderte ab.“

„Ja, das habe ich auch schon mal gehört.“

Henk lehnte sich an die Anrichte und sah Liese an. „Sie hat gesagt, Liese könnte auch kommen.“

„Aha“, sagte Mutter kurz. Sie drückte Henk das Marmeladenglas in die Hand. „Ich bringe Liese ins Bett, sie ist müde.“

Henk starrte das Glas an. „Da ist sie nicht die Einzige“, seufzte er.

Das Versteck im Uhrmacherhaus

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