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Ich bin einem Vertreter für Haus- und Haftpflicht hörig

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Das Eingeständnis einer Frau, die der Versicherungsbranche verfallen ist

Pochenden Herzens steigt Sabine Maus die steinernen Stufen des ehrwürdigen Gerichtsgebäudes nach oben. In ihrem Kopf hämmert es. Es sind immer und immer wieder die gleichen Worte, die sie sich einprägt:

„Ich bin klein und dünn und muss den Beschützerinstinkt wecken. Ich bin klein und dünn und muss den Beschützerinstinkt wecken. Ich bin klein und dünn und muss …“

Wenig später sitzt Sabine Maus im Gerichtssaal 223, neben ihr Rechtsanwältin Undine Seif, auch in ihrem Kopf hämmert es. Auch bei ihr sind es immer und immer wieder die gleichen Worte, die sie sich einprägt:

„Ich bin groß und stabil und hasse die Männer. Ich muss sie mit meinem Geist ersticken. Ich bin groß und stabil und hasse die Männer. Ich muss sie mit meinem …“

„Hiermit eröffnen wir die heutige Gerichtsverhandlung“, unterbricht Richter Hochmuth die Gedankenreise von Rechtsanwältin Seif. „Heutiger Kläger ist der Versicherungsvertreter Rudolf Übrig, vertreten durch seinen Anwalt Dr. Fabian Pracht. Die Beklagte ist Frau Sabine Maus, der Belästigung, Freiheitsberaubung sowie Körperverletzung vorgeworfen werden. Sie wird vertreten durch Rechtsanwältin Undine Seif.“

Sabine Maus treibt es die Tränen in die Augen. Er ist nicht gekommen! Rudolf Übrig ist nicht erschienen! Und sie hatte sich so auf ihn gefreut! Sie wollte doch ein letztes Mal versuchen, sein Herz zu erobern. Und nun war auch diese Chance vertan.

„Dr. Pracht, bitte schildern Sie uns den genauen Sachverhalt Ihrer Anklage!“, hört Sabine Maus wie durch eine Nebelwand.

Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht, ein schlanker, hoch gewachsener junger Mann, der gut und gerne auch ei-ne Traumkarriere in der Zahnpastawerbung hätte hinlegen können, erhebt sich sportlich von seinem Stuhl. Die schmalen Lippen von Rechtsanwältin Undine Seif verkneifen sich ins Nichts. Sie begreift: Es wird eine Sauarbeit werden, diesen Schönling fertig zu machen. Und es wird auf keinen Fall einfach, mit dieser lädierten Bandscheibe ebenso sportlich aufwärts zu gleiten. Sabine Maus dagegen hat sich ein sanftes Lächeln zurecht gelegt. Ihr Kopf ist in Richtung Gegenanwalt geneigt und der Körper nach vorn gekrümmt, um noch kleiner und unscheinbarer zu wirken.

‚Sie können mir nichts Böses’, denkt Sabine Maus. ‚Sie müssen sich selbst schuldig fühlen, wenn sie mich verurteilen.’

Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht spricht mit Blickkontakt zu Richter Hochmuth.

‚Warum schaut er nicht zu mir?’, ärgert sich Sabine Maus. ‚Dann würde er doch gleich von Anfang an sehen, dass er mir eigentlich helfen, statt schaden muss’, denkt sie verbittert.

„Mein Mandant, Herr Rudolf Übrig, ist ein angesehener Versicherungsvertreter für Haus- und Haftpflicht“, hört Sabine Maus den schönen Rechtsanwalt sagen.

„Rudolf Übrig musste sein ganz normales und durchaus wünschenswertes Vertreterleben aufgeben, da seine ehemalige Kundin, Sabine Maus, ihn verfolgte, mit Telefonterror marterte und schließlich zu Hause überfiel und knebelte. Meinem Mandanten sprangen dadurch zwei sehr einträgliche Kunden ab. Rentnerin Thea Tapps wollte an jenem Tag eine hochwertige Hausratversicherung für ihr Zimmer im Seniorenheim ‚Abendrot’ abschließen. Ein stilvolles Zimmer, das eine beträchtliche Prämie hätte bringen können. Stattdessen wurde die Rentnerin von der Beklagten, Frau Sabine Maus, telefonisch gebeten, sich in Geduld zu üben und keinem neuen Vertreter in die Falle zu gehen. Herr Rudolf Übrig sei zurzeit nicht pässlich, werde sich aber in Kürze bei ihr melden, sobald er wieder zu Kräften gekommen sei. Die alte Dame erlitt daraufhin einen Herzstillstand, den die Hilfskraft, eine Ein-Euro-Jobberin, die zuvor 22 Jahre im Paketdienst der Deutschen Post tätig war, nicht zu beheben vermochte.“

„Dafür kann ich nichts!“, haucht Sabine Maus zart in den Gerichtssaal. „Das habe ich nicht gewollt, sie hätte doch meine Omi sein können“, ergänzt sie mit ganz viel Schmacht in ihrer Stimme.

„Ich muss die Beklagte bitten, den Hergang der Dinge, vorgetragen durch den Klägeranwalt Dr. Fabian Pracht, autorisiert vom Kläger Rudolf Übrig, dem Geschädigten, nicht zu unterbrechen!“, ruft Richter Hochmuth mit strenger Stimme. Sabine Maus zuckt zusammen.

‚Warum spricht er so böse zu mir?’, denkt sie. ‚Sieht er denn gar nicht, dass ich klein und zart bin und man mich beschützen muss?’

„Der zweite einträgliche Auftrag, der meinem Mandanten durch das Kidnapping von Frau Sabine Maus entgangen ist, war eine teure Hundehaftpflicht des Hundehalters Bodo Toll“, fährt Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht frisch fort. „Herr Toll betreibt eine Züchtung, in der er schwer depressive Rottweiler mit auffällig hyperaktiven Schäferhundmischlingen und übergewichtigen Bullterriern kreuzt. Die vielfältigen, komplexen Auflagen der Ordnungsbehörde haben natürlich eine außerordentlich hohe Hundehaftpflicht zur Folge. Mein Mandant hätte von der Provision für diese Prämie viereinhalb Jahre sich, seine Ex-Frau und seine beiden Kinder - Studenten im 14. und 16. Semester - ausreichend, sogar mit einer leichten Tendenz zum Luxuriösen, versorgen können. Auch dies ist ihm nun nicht mehr vergönnt, da Herr Toll natürlich nicht eine Sekunde unversichert sein wollte und ein anderer Versicherungsvertreter dann diesen schönen fetten Fischzug machen durfte. Einmal abgesehen vom materiellen Schaden, der meinem Mandanten damit zugefügt wurde, die seelischen Qualen bleiben wohl ein Leben lang auf seiner Seele haften.“

Rechtsanwältin Undine Seif erhebt sich schräg nach oben, ihre breite linke Hüfte schmerzt und die rechte Bandscheibe puckert wie ein aufgeregter Puls.

„Was die angesprochenen angeblichen seelischen Qualen des hier nicht anwesenden Klägers anbetrifft, so möchte ich doch im Namen meiner Mandantin, Frau Sabine Maus, festgehalten wissen, dass sich Herr Rudolf Übrig anfangs hat sehr gern von meiner Mandantin umflirten lassen. Außerdem ließ er selbst keine Gelegenheit aus, ihr - wenn auch ungeschickte und inhaltlich bedeutungslose, um nicht zu sagen zutiefst dümmliche - Komplimente zumachen. Das motivierte die von Ihnen zu Unrecht Beklagte in natürlichster und menschlichster Weise zu einer positiven und aktiven Gegenreaktion, nur auf wesentlich höherem intellektuellem Niveau, als das bei Ihrem Mandanten jemals möglich sein wird.“

„Bitte, Frau Rechtsanwältin, Sie greifen hier dem Sachverhalt ein wenig vor. Wir müssen die Dinge der Reihe nach aufdröseln, damit sich die Richterschaft wirklich ein umfassendes Bild vom komplexen Geschehen machen kann. Aus diesem Grunde würde ich gern einige Worte von der Beklagten selbst entgegen nehmen. Bitte, Frau Maus, schildern Sie uns doch zunächst einmal, wie sich die Bekanntschaft des Versicherungsvertreters für Haus- und Haftpflicht Ihnen gegenüber vollzogen hat.“

Sabine Maus erhebt sich mit leicht gesenktem Blick und sanft geknickten Knien, was ihre ohnehin nicht allzu üppige Größe noch ein wenig mehr nach unten mogelt. ‚Seht ihr nicht, wie klein und schutzbedürftig ich bin?’, wirft sie gedanklich durch den Raum.

„Bitte, Frau Maus, Sie haben das Wort!“, ermutigt der Richter.

„Eigentlich“, beginnt Sabine Maus zurückhaltend, „eigentlich ist Herr Rudolf Übrig ja gar nicht mein Typ. Er ist muskelfrei, hat Untergewicht und was Chronisches mit den Ohren. Außerdem wachsen ihm Haare aus der Nase und beim Sprechen kommt er nicht so mit den Zischlauten klar. Doch als er mir beim ersten Vertreterbesuch erzählte, wie ich enden würde, wenn ich keine hochwertige Haus- und Haftpflichtversicherung bei ihm abschließen würde, war ich schon sehr angetan von ihm. Er machte sich so viele Gedanken um mein Wohl, entschlüsselte alle Risiken und Gefahren, denen ich ohne seinen Schutz gnadenlos ausgeliefert wäre, da habe ich mich auf den neunten Blick heftig in ihn verliebt. Er selbst gab mir auch das Gefühl, dass ich sehr wichtig für ihn wäre, er erzählte von seiner Arbeit, von dummen, unterversicherten Personen und wie ihn meine Weitsicht beeindrucken würde. Doch nachdem ich dann die ersten teuren Prämien bezahlt hatte, ließ er mich fallen und nichts mehr von sich hören. Ich musste mir eine neue Versicherungslücke einfallen lassen, um ihn zu mir zu locken. Es war ein wunderschöner, harmonischer Nachmittag mit Früchtekuchen, als ich mit Rudolf Übrig dann Verträge für Tischbeinbruch, Grünpflanzenfraß und Glastrübe abschloss. Alles Geheimtipps und echte Schnäppchen im Haus- und Haftpflichtbereich, wie mir Herr Rudolf Übrig versicherte. Und ich weiß noch wie heute, dass er mich dabei wie ganz unbeabsichtigt an der Schulter berührte.“

„Eine Berührung, die meine Mandantin in keinster Weise als ausführungsträchtig signalisiert hatte“, ruft Rechtsanwältin Undine Seif von ihrem ausgefüllten Sitzplatz dazwischen. „Hier müssen wir wohl stark davon ausgehen, dass der Kläger seiner zahlenden Kundin in primitiver und kindischer Weise menschliches Interesse vorheuchelte, um sie dann auf rabiate und außerordentlich infame, widerliche und höchst abartige Weise abzukassieren.“

„Stopp! Einspruch!“, ruft Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht dazwischen und schnellt wie ein Gummiball behände von seinem Platz nach oben. „Im Gegenteil! Mein Mandant hat seine Kundin sogar noch vor unnützen finanziellen Ausgaben bewahrt, denn Frau Sabine Maus erkundigte sich im selben Atemzug noch nach einer Hustenauswurfversicherung, einer Versicherung für Plastikkrätze und einer für Knopfverlust.“

„Das war doch scherzhaft gemeint!“, protestiert Sabine Maus mit einem honigsüßen Lächeln. „Es sollte originell und kreativ wirken, ich wollte Herrn Rudolf Übrig ja gefallen. Und ich wollte auch ein wenig Spaß und Humor in seine Arbeit bringen, ihn auf diese Weise glücklich machen.“

„Sehen Sie, Herr Richter!“, wirft Anwalt Dr. Fabian Pracht ein, wobei er seine glänzenden Perlenzähne würdig ins Bild setzt, „sehen Sie, hier finden wir die ersten fanatischen Züge der Angeklagten. Sie wollte meinen Mandanten mit absurden Versicherungsverträgen glücklich machen. Das sind klare Ansätze einer beginnenden Hörigkeit, in die sich die Beklagte immer tiefer hinein manövrierte, um sich dann wie in einem Strudel darin zu verlieren - ständig tiefer, traumatisch befallen, gefühlsmäßig isoliert und völlig weltfremd handelnd.“

„Mit grundschulhaften Verbal- und sonstigen Konstruktionen können Sie hier niemanden beeindrucken, Dr. Pracht!“, zischt Anwältin Undine Seif laut von ihrem Stuhl.

„Bitte, Frau Rechtsanwältin, bitte bleiben Sie doch sachlich. Wir möchten die Dinge zum Abschluss bringen, bevor die Kollegen von nebenan zum Mittagstisch gehen, sonst haben wir bei der Nachspeise wieder das Nachsehen“, drängt der Richter mit eindringlicher Stimme. „Also - wie kam es denn dann zu den Ausschreitungen von Seiten der von Ihnen Beklagten, Dr. Pracht?“

„Es begann mit dutzenden Telefonanrufen an einem Tag“, schildert der Anwalt von Rudolf Übrig. „Mal gab sich Frau Maus als habilitierter Schildkrötentherapeut aus, dann als prominente Staubfängerin und anerkannte Männer-Expertin. Schließlich behauptete sie sogar, die Verfasserin des berühmten Nummer-Eins-Thrillers ‚Die Hand an der Wanne’ zu sein.“

Sabine Maus schmunzelt.

‚Ich war schon sehr witzig damals’, lobt sie sich stumm.

„Einspruch!“

Anwältin Undine Seif krümmt sich nach oben.

„Der Nummer-Eins-Thriller heißt ‚Die Hand an der Waage’. Das hohe Gericht bekommt hier also den unwiderruflichen Beweis dafür, wie lasch die Gegenseite ihre angebliche Beweisführung handhabt. Mit Sorgfalt hat es Anwalt Dr. Pracht also nicht so.“

„Aber das war ja nur der Anfang!“, fährt Dr. Pracht unbeirrt und mit einem abfälligen Blick auf die wieder auf den Stuhl sinkende Gegenanwältin fort.

„Mehrmals versuchte sich Sabine Maus Eintritt in die Wohnung von Rudolf Übrig zu verschaffen, wobei sie sich als Heizungsinstallateur, Botenjunge, Fischverkäuferin und Bauchtänzerin verkleidete. Mit letzterem gelang ihr dann auch der Zutritt zur Wohnung von Herrn Rudolf Übrig.“

„Das zeigt“, ruft Anwältin Undine Seif empört dazwischen, „das zeigt doch ganz deutlich, dass Ihr Versicherungsvertreter selbst nur auf puren Sex aus war, sonst hätte er meine Mandantin ja auch als Fischverkäuferin in seine Räume lassen können. Ihr Mandant, Dr. Pracht, ist hier der Schuldige, da er den Dingen sozusagen vorsätzlich Vorschub geleistet hat.“

„Bitte, Kollegin Seif, hören wir doch erst einmal die Argumente der Gegenseite, bis Sie dann das Ganze als Unsinn verwerfen dürfen“, ordnet der Richter das Gespräch und deutet auf Dr. Pracht, um ihn fortfahren zu lassen.

„Nun, um es kurz zu machen, als mein Mandant dann nicht mehr so mitspielte, wie sich das seine Kundin wohl vorgestellt hatte, knebelte sie ihn. Stundenlang musste er so in seinem Fernsehsessel verbringen und Füttern, Kämmen, Streicheln sowie Singen und alberne Kinderspielchen von Seiten der Beklagten über sich ergehen lassen.“

„Was sagen Sie selbst dazu, Sabina Maus?“, fragt der Richter.

„Ja, es stimmt …“

Rechtsanwältin Undine Seif schickt ihrer Mandantin einen giftigen Blick und kneift sie barsch in die Seite.

„Sie reden sich um Kopf und Kragen, Sie dumme Kuh! Leugnen Sie!“, zischt sie ihr zu. Doch Sabine Maus lässt sich nicht beirren.

„Ja! Ich habe meinen Versicherungsvertreter an den Sessel gebunden, er hatte zunächst auch nichts dagegen. Doch ich wollte keine langweiligen Sexspielchen, sondern eine würdige, seriöse Partnerschaft. Das habe ich ihm auch bewiesen und seine Fenster geputzt, das Bad gereinigt und den Herd gescheuert. Zwischendurch brachte ich ihm dann immer ein paar Häppchen zum Sessel, beruhigte ihn, sang die neusten Hits aus den Charts, zitierte aus dem aktuellsten Comedy-Programm und cremte sein Gesicht. Ich wollte, dass er versteht, wie schön er es mit mir hätte. Wissen Sie, ich konnte doch gar nicht mehr leben ohne ihn, keine Minute! Ständig hatte ich Angst, dass mir etwas passieren könnte, wenn nicht alles hundertprozentig haus- und haftpflichtmäßig abgesichert ist. Ohne die Verträge von Rudolf Übrig fühlte ich mich so ausgeliefert, so schutz- und hilflos.“

Die letzten Worte von Sabine Maus gehen in ein tiefes Schluchzen über.

„Ich will keinen anderen Kundenberater als ihn, keiner ist besser! Zu keinem anderen habe ich Vertrauen!“, ruft sie tränenüberströmt.

Rechtsanwältin Undine Seif schüttelt fassungslos den Kopf, Dr. Fabian Pracht schenkt ihr ein mitleidiges Lächeln.

„Nun gut! Ich denke, das reicht der Richterschaft für einen Urteilsspruch“, sagt Richter Hochmuth.

Anwältin Seif schwenkt ihren Arm heftig nach oben und ruft hysterisch:

„Nein, nein, nein! Wo bleibe ich denn da? Ich hatte doch noch gar nicht die Gelegenheit, mich ausschweifend gegen die Darstellung von Dr. Pracht zu wehren, ihn auseinander zu nehmen und als schmierigen, arroganten Lügner zu überführen.“

„Das muss doch auch nicht sein!“, sagt Sabine Maus sanft und wischt sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. „Ich habe begriffen, dass es nicht richtig war, was ich getan habe. Ich habe meinen geliebten Versicherungsvertreter, den von mir so geschätzten Rudolf Übrig, genötigt und der Freiheit beraubt. Und ich bitte das Gericht, mir zu untersagen, einen geringeren Abstand zu Rudolf Übrig als 250 Meter einzuhalten, es sei denn, er will es selbst anders. Auch möchte ich eine Verhaltenstherapie, drei Wochen stationär, dann über längere Zeit ambulant in Wohnnähe. Und ich erkläre mich bereit, ein Schmerzensgeld an den von mir Geschundenen zu zahlen. Ich bin zu 1500 Euro bereit, weniger sollte es auf jeden Fall nicht sein. Ich muss das alles auch irgendwie mit meinem Gewissen vereinbaren und auf diese Weise könnte ich es.“

Anwältin Undine Seif sackt in sich zusammen und schüttelt ihren Kopf so heftig, dass ein Windhauch den Gerichtssaal durchzieht. Anwalt Dr. Fabian Pracht nickt dagegen anerkennend.

„Nun, da haben wir die Beklagte wohl stark unterschätzt! Ich hätte auf weniger Schmerzensgeld geklagt, aber ein reines Gewissen hat natürlich absoluten Vorrang.“

Richter Hochmuth nickt ebenfalls zustimmend.

„Ja, das sind Angebote von Seiten der Beklagten, die durchaus real sind. Ich denke, dem kann ich bedenkenlos zustimmen. So machen wir’s!“

Wenig später verlassen die Anwälte und Sabine Maus den Gerichtssaal. Anwältin Undine Seif hält eine Hand an ihre linke Hüfte und zieht das rechte Bein leicht nach.

„Ist Ihnen nicht wohl, verehrte Kollegin?“, fragt Dr. Fabian Pracht ein wenig süffisant.

„Ihnen fehlen noch ein paar Hirnwendungen, um den Zusammenhang von Stress und damit verbundenen körperlichen Beschwerden erfassen zu können“, entgegnet Anwältin Undine Seif mit spitzer Stimme und wendet sich dann hasserfüllten Blickes ihrer Mandantin zu.

„Und was Sie, Frau Maus, hier abgeliefert haben, das ist doch das Allerletzte! Wie stehe ich denn jetzt da? Ich hätte meinen Gegner doch mit seiner eigenen Jauche überziehen können! Und was tun Sie? Sie brechen mit Ihrer schwächlichen, unemanzipierten Tut-mir-nix-Frauenmasche jegliche Spielregeln auf dem juristischen Parkett! Ich verbiete Ihnen hiermit, auch nur ein einziges Wort über diese Gerichtsverhandlung verlauten zu lassen, sonst kriegen sie von mir eine fette Klage wegen Berufsbehinderung, übelster Nachrede und Falschaussage an den Hals. Und dann, meine Liebe, dann können Sie mich nicht mit mickrigen 1500 Euro abspeisen.“

In diesem Augenblick jagt Rudolf Übel auf das Gerichtsgebäude zu.

„Da! Sehen Sie! Er kommt doch noch!“, kreischt Sabine Maus aufgedreht.

Rudolf Übrig bleibt wenige Schritte vor Sabine Maus stehen.

„Ich habe mir noch einmal alles haarscharf durch den Kopf gehen lassen, meine liebe Kundin!“, sagt er, völlig außer Atem. „Das Knebeln war nicht schlimm und das mit den Telefonanrufen und dem Verkleiden eigentlich ganz lustig. Und so schön sauber war es bei mir schon lange nicht mehr, also - ich könnte die ganze Sache vergessen.“

Sabine Maus macht einen Luftsprung und umarmt dann ihren zerbrechlichen Versicherungsvertreter.

„Wirklich? Ist das wirklich wahr?“

Rudolf Übrig nickt.

„Die meisten Kunden haben doch nur ein rein geschäftliches Interesse an meiner Person, die lassen sich von mir vollschwafeln und wollen dann einfach fix ihre Prämie loswerden. Aber das hier, das war schon richtiges Engagement für mich. Also, ich denke, ich lasse mich doch überreden, noch eine Spazierversicherung für Sie abzuschließen. Und dann können wir ja sehen, was noch so alles drin ist …“

Sabina Maus umfasst den schmächtigen Rudolf Übrig.

„Ich lade Sie zum Mittagessen ein, Sie können es gebrauchen. Wie ist das eigentlich versicherungsmäßig, wenn meine Kochplatte mal implodiert oder sagt man explodiert …?“

Dr. Fabian Pracht und Anwältin Undine Seif sehen, wie ihre beiden Mandanten kichernd über die Straße laufen.

„Hm!“, sagt Dr. Fabian Pracht, „dann könnten wir beide ja die beiden verklagen! Mich hat mein Mandant schließlich auch kräftig an der Nase herumgeführt.“

„Sie haben wohl die Unrechtsversicherung von unserer Frau Maus vergessen!“, sagt Anwältin Undine Seif schnippisch. „Und dass Ihr Mandant eine der besten hat, davon dürfen Sie auch ausgehen.“

Nachdenklich nickt Dr. Fabian Pracht.

„Ja, diese Versicherungsvertreter haben’s tatsächlich faustdick hinter den Ohren, dabei ist dieser Übrig doch so ein unscheinbarer dünner Hering. Vielleicht sollte ich mal ernsthaft über eine Umschulung nachdenken …“

Auf dem Gesicht von Anwältin Undine Seif macht sich ein überraschtes Lächeln breit.

„Ihr erster vernünftiger Gedanke und das Einzige, wofür ich Ihnen nicht allzu viel Schlechtes wünsche“, sagt die Anwältin und spürt erfreut, wie Hüft- und Bandscheibenschmerz urplötzlich ins Erträgliche übergehen.

Was tust du?

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