Читать книгу Schatzkiste der Simple Things - Jule Hildmann - Страница 6
ОглавлениеEinführung ins Buch
Das Leben kann so einfach sein! Ein Plädoyer für die Einfachheit.
Das Ende der großen Materialschlachten ist eingeläutet! Der Minivan mit Seilkisten und Gurtzeug für erlebnispädagogische Veranstaltungen kann zu Hause bleiben und die Trainer können bequem und umweltfreundlich mit einer überschaubaren Reisetasche und der Bahn anreisen. Eine Anregung dessen, was in dieser Reisetasche – wahlweise auch Roll- oder Moderationskoffer im Baukastenprinzip – enthalten sein könnte, ist in Abb. 1 dargestellt. Solche und ähnliche, einfach zu beschaffende Gegenstände reichen aus, um die hier vorgestellten Übungen zu ermöglichen. Und zumindest einiges davon sollte auch am jeweiligen Handlungsort vorhanden sein, so dass es nicht einmal eingepackt werden muss.
Abb. 1: Solche einfachen Gegenstände – und das, was am jeweiligen Ort verfügbar ist – benötigen wir für die Aktivitäten in diesem Buch. Mehr nicht!
Das Leben kann bzw. sollte auch insofern einfach sein, weil großer (Material)Aufwand tieferen Entwicklungsprozessen sogar im Wege stehen kann. In der Praxis mit verschiedenen Zielgruppen lassen sich action-intensive Sportangebote mit solchen vergleichen, die auf den ersten Blick deutlich weniger reizvoll wirken, wie etwa Achtsamkeitsübungen und Kommunikationsaufgaben mit einfachem Arbeitsmaterial. Die Adrenalinausschüttung und Geschwindigkeit, Lautstärke und Bewegungsintensität bei Abenteuer-Aktivitäten vermag zwar nachhaltige und besonders eindrückliche Erlebnisse schaffen. In erster Linie beziehen sich diese allerdings meist auf körperliche Grenzerfahrungen (z.B. Höhe beim Klettern) und Wow-Effekte. Je minimalistischer – und manchmal, aber nicht immer, ruhiger – eine Aktivität dagegen ist, umso weniger Ablenkungen gibt es für die Teilnehmer, und die Auseinandersetzung mit sich selbst und den anderen Gruppenmitgliedern rückt deutlich in den Vordergrund. Hier entsteht in der Regel viel schneller und zuverlässiger der geschützte Rahmen, in dem tiefer liegende Bedürfnisse, Erlebens- und Deutungsprozesse aufgedeckt und wachstumsorientiert bearbeitet werden können. Welches davon später mehr als „Erlebnis“ erinnert wird, ist zum Teil erstaunlich. Denn nicht selten sind es diese letzteren Momente und Erfahrungen, die von den Teilnehmern als besonders einprägsam und nachhaltig rückgemeldet werden. Dieses Wissen können wir bei der Gestaltung von Programmen gezielt nutzen.
SimpleThings – Erlebnispädagogik mit Alltagsmaterial
Diese aufkommende Erkenntnis war einer der zentralen Motoren, die zur Entwicklung des SimpleThings-Konzepts geführt hat. Der andere war der wachsende Wunsch von Lehrern, Jugendarbeitern und anderen finanziell eher schwachen Anbietern, mit ihren Zielgruppen erlebnispädagogisch zu arbeiten. Solange dafür ein kostspieliger Materialaufwand und umfassende Fachsportqualifikationen erforderlich waren, waren viele Anbieter automatisch von diesem erfolgreichen pädagogischen Ansatz ausgeschlossen. Daher begann die Suche und aktive Entwicklung von Aktivitäten, die erlebnispädagogische Grundprinzipien und Ziele verfolgen, und die man mit einfachsten Mitteln aus dem Hut zaubern kann (vgl. Hildmann, 2015). Als Alltagsmaterial gelten dabei alle Dinge und ggf. Besonderheiten, die an einem vor Ort ohne Weiteres verfügbar sind. Dass dies in einem Schulungsraum anderes umfasst als in einer Fußgängerzone oder im Wald, erklärt sich von selbst und ist durchaus beabsichtigt. Es geht also darum, die vorhandenen Ressourcen zunächst einmal wahrzunehmen und dann kreativ zu nutzen.
Über die Jahre hinweg habe ich dieses Konzept erheblich weiterentwickelt, so dass inzwischen nicht nur Kooperationsaufgaben darunter gefasst sind, sondern alle möglichen Aspekte prozessorientierter Erlebnispädagogik, wie z.B. die Gestaltung fließender Übergänge zwischen einzelnen Übungen, Auswertungsmethoden, die Entwicklung von Metaphern und Rahmengeschichten, ein leicht verständliches Sicherheitskonzept, u.v.A.m. Diese sind z.T. an anderen Stellen veröffentlicht (Hildmann, vorr. 2017), und werden in Fortbildungen und einer Ausbildung am Centrum für Erlebnispädagogik Volkersberg vermittelt.
Gebrauchsanweisung – unbedingt lesen!
Dieses Buch soll ein schnell und einfach zu nutzendes Nachschlagewerk für Trainer und Pädagogen sein, die bereits Sicherheit haben in der Durchführung und Auswertung erlebnispädagogischer Angebote. Die Übungsbeschreibungen selbst sind auf einige zentrale Punkte beschränkt und thematisch wie optisch durchstrukturiert. Genaueres dazu siehe im nächsten Abschnitt. Dies soll das Nachschlagen und Anwenden einzelner Aktivitäten erleichtern.
Gleichzeitig erfordert es vom Leser und Anleiter einiges an Kompetenzen, auf die hier ausdrücklich hingewiesen seien (s. u., Abschnitt Qualitätsmerkmale für gute Erlebnispädagogik). Da das Verständnis von Erlebnispädagogik in der Fach- und Laienwelt sehr vielfältige Ausformungen annimmt, sind zudem einige zentrale Aspekte ausgeführt, die aus meiner Sicht entscheidende Kriterien für „gute“ Erlebnispädagogik sind – im Sinne von verantwortungs- und wirkungsvoll.
Buchkapitel und „Schnellsuchfunktion“
Sicher gäbe es viele sinnvolle Unterteilungen für die Übungen in diesem Buch. In Zusammenarbeit mit Claudia Seuffert entstand letztlich die Entscheidung, sie in Handlungsräume zu untergliedern, die den meisten Trainern und Pädagogen ohne großen organisatorischen Aufwand zur Verfügung stehen. Auf diese Weise können Sie gezielt zu der Räumlichkeit blättern, in der Sie vorhaben sich mit Ihrer Gruppe aufzuhalten, und einzelne Übungen oder ganze Übungssequenzen entnehmen. Die Nacht verstehen wir dabei übrigens ebenfalls als – genialen, da zuverlässigen und kostenfreien – Handlungsraum, nur eben nicht im herkömmlichen Sinne.
Ein paar grundsätzliche Informationen zu den einzelnen Räumen sind hier in der Einleitung zu finden, speziellere Infos und Hinweise sind jeweils am Anfang eines Kapitels aufgeführt.
Viele der Übungen lassen sich allerdings auch – mit zum Teil kleinen Abwandlungen – an anderen Orten durchführen. Die Einteilung in Handlungsräume ist lediglich eine Hilfsfunktion, kein Gesetz. Daher ist am Ende dieses Buches eine tabellarische Übersicht als Schnellsuchfunktion eingefügt, in der die Übungen nach verschiedenen Kriterien sortiert sind.
Teil I: Naturnahe Räume
Natur ist ein dehnbarer Begriff. Ist nur die Wildnis Natur? Oder alle Pflanzen und Tiere? Was ist mit angelegten Landschaften und Gewässern? Und der Mensch, in wie weit sind wir Natur?! Dies sind spannende und wichtige Fragen. Allerdings haben andere darüber bereits ausführlich diskutiert, und unser Hauptziel ist hier weder philosophisch noch wissenschaftlich zu sein, sondern rein praxisorientiert. In diesem Buch bezeichnet „Natur“ daher solche Räume, in denen Pflanzen, Erde, Steine etc. vorhanden sind, als Arbeitsmaterial, als Bewegungsraum und zur Interaktion (hoppla, doch philosophisch). Dazu gehören natürlich Wald, Wiese und Felder genauso wie Bachläufe und andere Gewässer, Feldränder, bis hin zu angelegten Parks, und städtischen Grünflächen. Und genau bei letzteren wird die Abgrenzung zu den anderen Kapiteln mitunter fließend. Hier kann wie gesagt die Schnellsuchfunktion am Ende des Buches einen Überblick bieten, welche Übungen sich für welche Orte eignen. Auch die Nacht wird hier als naturnaher Raum verstanden.
Teil II: Städtische Räume
Unter diesem Thema sind Räume zusammen gefasst, die mehr oder weniger stark von Zivilisation und menschlicher Bebauung beeinflusst sind. So gehören hierhin Seminar- und Gruppenräume, ebenso wie die Turnhalle oder allgemein eine bebaute und belebte Innenstadt.
Qualitätsmerkmale für gute Erlebnispädagogik
Wie einleitend bereits gesagt, ist dieses Buch als einfach zu nutzendes Nachschlagewerk für erfahrene Trainer und Pädagogen gedacht, die bereits Sicherheit haben in der Durchführung und Auswertung erlebnispädagogischer Aktivitäten. Die Erläuterungen zu den hier vorgestellten Übungen sind bewusst knapp und übersichtlich gehalten, um den Leser nicht mit einer Flut von Texten und Hinweisen abzuschrecken. Dies bedeutet allerdings auch, dass viele kleine Aspekte nur angedeutet sind oder gänzlich in den Händen der Anwender liegen.
Um einem hohen Qualitätsanspruch gerecht zu werden, sind im Folgenden einige Aspekte ausgeführt, die hoffentlich jeder Leser als Grundlagen guter erlebnispädagogischer Arbeit kennt. Sie sind erforderlich, um die vorgestellten Übungen ziel- und zielgruppenorientiert, sicher und wachstumsorientiert durchzuführen. Die dahinter stehende Fachliteratur mit Gedankenmodellen, wissenschaftlichen Erkenntnissen, etc. ist im Literaturverzeichnis an Ende des Buches enthalten.
Erlebnispädagogik ist in erster Linie Pädagogik
Das Erlebnis ist in der Erlebnispädagogik der zentrale Lernträger. Klettern, Rafting, und andere Natursportarten können allerdings nur dann als erlebnispädagogische Medien gelten, wenn sie bewusst ausgewählt und durchgeführt werden, um pädagogische Lernziele zu fördern. Einen Hochseilgarten zu besuchen, weil es Spaß macht und eine tolle sportliche Aktivität ist, ist absolut berechtigt und als individuelles oder Gruppenerlebnis auch gut nachvollziehbar. Erlebnispädagogische Arbeit ist es deshalb noch lange nicht! Da Erlebnispädagogik erfolgreich und beliebt ist, wird die Bezeichnung gerne als werbeträchtiges Label verwendet oder gar missbraucht, um auch rein kommerzielle Angebote zu vermarkten. Auf den daraus resultierenden Imageschaden für alle seriösen Anbieter möchten sei an dieser Stelle nur hingewiesen. Sie Sind als Leser zu kritischen Blicken aufgefordert, wenn sie sich – in welcher Funktion auch immer – auf dem erlebnispädagogischen Markt bewegen.
Ziel- und Prozessorientierung
Lernprozesse lassen sich weder garantieren noch berechnen. Individuen – und Gruppen von Individuen noch einmal mehr – lassen sich in ihren Reaktionen auf spezielle Situationen nicht eindeutig vorhersagen. Mit einem wachsenden Erfahrungsschatz und damit geschulter professioneller Intuition bekommt man als Trainer ein zunehmend sicheres Gefühl dafür, geeignete Herausforderungen und Übungen anzubieten, die die Teilnehmer in Richtung ihrer gesetzten Lernziele voran bringen. Wenn wir in Bezug auf diese Lernziele nicht sinnvoll begründen können, weswegen wir eine Aktivität durchführen, dann sollten wir lieber nach einer geeigneten Alternative suchen, um nicht wertvolle Zeit und Energie zu vergeuden.
Gleichzeitig stellt sich in dieser Nicht-fest-Planbarkeit auch die Frage, wer oder was im Programmablauf als Richtungsweiser gelten darf. Und noch einmal kommt die Intuition ins Spiel, diesmal gepaart mit Wahrnehmungsfiltern, die sich gezielt schulen lassen. Die Lernziele und Kernthemen, die im Vorfeld und zu Beginn einer Veranstaltung ermittelt wurden, sind nicht immer jene, die sich im Laufe einer Veranstaltung als die dringendsten herausstellen. Dies hängt meistens mit unaufgedeckten Kommunikationsmustern, verschiedenen Erwartungen oder Bedürfnissen und ähnlich eher Unbewusstem zusammen. Unsere Aufgabe ist es daher, ständig wachsam zu sein und mit sensiblen Antennen nach diesen heimlichen Themen zu horchen, da sie oft die Arbeit an den offiziellen Zielen behindern. Der Schlüssel zur Wirksamkeit ist dabei, möglichst zügig vom oberflächlichen Eindruck in die darunter liegenden Bedürfnisse und Themen einzutauchen und solche stillen Schätze behutsam an die Oberfläche zu bringen.
Die ursprüngliche Zielvereinbarung mit dem Auftraggeber und den Teilnehmern ist dabei jedoch zu berücksichtigen, und ggf. muss eine erneute Auftragsklärung durch eine Gesprächsrunde, Punktbewertung oder auf andere Weise vorgenommen werden. Auch sollten sich die Trainer immer wieder kritisch hinterfragen, wo ihre eigenen Kompetenzen enden und ein offizieller oder geheimer Auftrag besser abgelehnt und ggf. an eine andere Form von Unterstützung (z.B. Teamsupervision, Einzelberatung) verwiesen werden sollte. Diese eigenen Grenzen zu erkennen und zu wahren, ist ein Zeichen von Professionalität.
Prozessorientierung bedeutet also anzuerkennen, dass Veränderung und Wachstum in Einzelpersonen und Gruppen nicht linear und zuverlässig planbar sind. Vielmehr sind sie bedingt vom Zusammenspiel bewusster und unbewusster, äußerer und innerer Einflussfaktoren. Prozessorientiert arbeitende Trainer schulen ihre Wahrnehmung hierauf und haben methodische Alternativen parat, die sie flexibel anwenden können. Als Trainer strukturieren und begleiten wir also die Veranstaltung, lassen uns aber inhaltlich davon leiten, wie die Gruppe sich und ihre Themen entwickelt.
Erlebnispädagogische Veranstaltungen sinnvoll aufbauen
Ganz willkürlich sind die Entwicklungsprozesse von Gruppen natürlich nicht. Je nachdem, ob wir mit einer neu zusammengesetzten oder bereits miteinander vertrauten Gruppe arbeiten, sind typische Phasen und Rhythmen zu erwarten, nach denen die Teilnehmer sich zusammenfinden, ihre Unterschiede aushandeln und ihre Energie zur Erreichung gemeinsamer Ziele kanalisieren. Ein klassisches und oft zitiertes Modell solcher Gruppenphasen ist das von Bruce Tuckman (Tuckman, 1965; Tuckman & Jensen, 2010; 1977) mit den Phasen Forming/Annäherung, Storming/Positionssuche, Norming/Organisation, Performing/ Realisierung und Adjourning/Ablösung (dt. Bezeichnungen von König & König, 2002, 142f.). Die Bedürfnisse der Personen in den jeweiligen Phasen bestimmen verschiedene Faktoren prozessorientierten Arbeitens, wie etwa das Maß, in dem die Leitung eher durch die Trainer oder die Gruppe erfolgt. Unsicherheiten der Teilnehmer am Anfang einer Maßnahme erfordern z.B. eine deutlich höhere Präsenz und Steuerung der Trainer als in einer Phase der Höchstleistung eines eingespielten Teams. Auch der Schwierigkeitsgrad der gestellten Herausforderungen und andere Aspekte werden hierdurch entscheidend mitbestimmt.
Diese typischen strukturellen Merkmale können und sollten bei der Konzeption und Planung einer erlebnispädagogischen Maßnahme berücksichtigt werden, und die Auswahl der Übungen und Aktivitäten entsprechend erfolgen. Das Centrum für Erlebnispädagogik Volkersberg hat dafür das Wellenmodell entwickelt (Abb. 2): In einer Einführungsphase werden Ziele, der Auftrag und ähnliches innerhalb der Gruppe ausgehandelt. In den folgenden Aktionsphasen I und II werden diverse Lernsituationen mit steigendem Anforderungsgrad und Zielorientierung geschaffen. Die gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse werden dann gebündelt und münden in eine Phase des Ausblicks, die abschließende Schritte zur Transferunterstützung und – je nach Gruppenart – zur Gestaltung des Abschieds umfasst. Dieselben Schritte finden sich auf der Mikroebene auch innerhalb der einzelnen Lernszenarien (z.B. einer Kooperationsaufgabe).
Abb. 2: Das Wellenmodell (CEP 2016) zum Aufbau einer erlebnispädagogischen Maßnahme
Dieses Modell kann als grobe Richtlinie nicht für alle, aber doch viele Veranstaltungen dienen. Faktoren der Prozessbegleitung richten sich dabei grundsätzlich nach den typischen Bedürfnissen der Teilnehmer in den jeweiligen Gruppenphasen, müssen allerdings flexibel umgesetzt werden. Auf die Bedeutung der eigenständigen Vor- und Nachbereitung der Trainer für die Qualität der Veranstaltung wird hierin zudem hingewiesen. Weitere Details sind im Skript der Ausbildung nachzulesen (CEP 2016). Entscheidend bei der Anwendung dieses Modells und prozessorientierter Pädagogik allgemein ist, dass nicht einfach Kernaktivitäten (wie Kooperationsaufgaben oder Natursporteinheiten) aneinander gereiht werden. Um die Schätze im oben gezeichneten Bild an die Oberfläche zu holen und zu nutzen, sind Nachfragen, Metaphern, Auswertungs- und Transferunterstützende Maßnahmen von zentraler Bedeutung. Diese und andere Zwischen-den-Zeilen-Methoden zur Prozessbegleitung sind allerdings nicht Inhalt dieses Buches, sondern werden von den Autoren an anderen Stellen behandelt (Hildmann, vorr. 2017; Hildmann in review; Hildmann, 2015; Hildmann & Moseley, 2012; Busch, Hildmann, Steinicke & Trobisch, 2012; Hildmann & Seuffert, 2010).
Trainerkompetenzen
Dass der Trainer eine ganz zentrale Bedeutung im pädagogischen Prozess hat, ist einleuchtend. Wie vielseitig und vielschichtig dieser Einfluss – z.B. eben durch die diversen Anforderungen prozessorientierten Arbeitens – ist, wird allerdings oft zu wenig bedacht.
Stapelweise Fachbücher und -artikel stellen Anforderungsprofile für Erlebnispädagogen vor (König & König, 2002; Paffrath, 2013; Heckmair & Michl, 2004; BE, 2015a/b; Reiners, 1995; 2003; Martin, Cashel, Wagstaff, & Breunig, 2006; Shooter, Sibthorp, & Paisley, 2009; Priest & Gass, 2005). Worüber sich alle einig sind, ist, dass eine Kombination verschiedenartiger Kompetenzen erforderlich ist, um gute Erlebnispädagogik zu leisten. Dazu gehört, dass man neben den konkreten Aktivitäten, die durchgeführt werden sollen, auch allgemeine Methoden der Moderation und Gruppenleitung beherrscht. Weiterhin sind (Er-) Kenntnisse über oben genannte Gruppenprozesse und typische Themen in Gruppen erforderlich, und wie diese wachstumsorientiert begleitet werden können (siehe die Abschnitte Ziel- & Prozessorientierung und Sicherheits- und Notfallmanagement). Die Anwendung dieser Kompetenzen basiert auf einer ethischen Grundhaltung der Trainer, die von einem ressourcenorientierten Menschenbild und einem ganzheitlichen und systemischen Bildungsverständnis geprägt ist.
Obwohl es noch weitere Anforderungen an das Trainerprofil gibt, sei es jedem Leser ans Herz gelegt, sein Kompetenzspektrum kontinuierlich zu reflektieren und zu erweitern. Ein Bereich, der besonders von Anfängern oft hinten angestellt wird, ist der Ausbau solider Kompetenzen im Umgang mit Krisen- und Notfallsituationen.
Sicherheits- & Notfallmanagement
Es kann immer etwas schief gehen, egal wie gut wir ausgebildet und vorbereitet sind. Und sobald wir uns in die Natur bewegen, setzen wir uns von vorne herein einer Vielzahl an Risiken und Unsicherheiten aus. Das nehmen wir zwar in Kauf in der Erlebnispädagogik, in der es gezielt darum geht, Herausforderungen zu schaffen und bekannte, sichere Wege zu verlassen. Gleichzeitig haben wir jedoch auch eine Verantwortung für die psychische und körperliche Unversehrtheit unserer Teilnehmer. Diesen Spagat zu leisten, ist oft nicht einfach, wie die aktuelle Diskussion um Risiko und Wagnis demonstriert (z.B. Siebert, 2003; Gill, 2010; Leberman & Martin, 2003).
Ein ausgereiftes Sicherheits- und Notfallmanagement kann erstens viele Notfall- und Krisensituationen von vorne herein vermeiden, zweitens dafür sorgen, dass im Falle eines Notfalls schnell und kompetent gehandelt wird, und drittens für die Veranstalter und Trainer als wertvoller Schutz im Falle eines Rechtsstreits dienen.
Zu einem solchen Sicherheits- und Notfallmanagement gehören unter anderem:
Kenntnisse und Kompetenzen in Bezug auf psychische Grenzerfahrungen und einer kompetenten Betreuung von Teilnehmern in Krisensituationen.
Ein Konzept, wie in Notfällen standardmäßig zu verfahren ist (Interaktion mit dem Veranstalter, Telefonlisten, Koordination der Gruppenbetreuung, etc.).
Eine systematische Risikoanalyse der geplanten Aktivitäten in Bezug auf Gruppe, Örtlichkeiten, Wetter, etc.
Eine angemessene Abfrage gesundheitlicher Einschränkungen bei den Teilnehmern.
Neben einem formellen Erste-Hilfe-Schein auch praktische Handlungskompetenzen. Wer draußen unterwegs ist, sollte zusätzlich Kompetenzen in Erste-Hilfe-Outdoor haben.
Ein für das jeweilige Programm angemessen ausgestattetes Erste-Hilfe-Set.
Eine gewissenhafte Aufarbeitung aller Unfälle, Beinahe-Unfälle, und relevanter Vorkommnisse, mit dem Ziel eines stetig ausgereifteren Präventions- und Sicherheitsmanagements.
Wer sich in diesen Bereichen noch nicht sicher fühlt, der ist dringend angehalten, sich entsprechend fortzubilden. In Hinblick auf SimpleThings ist unbedingt zu beachten, dass eine Begrenzung auf die Verwendung von Alltagsmaterialien körperliche und psychische Gefahren keinesfalls ausschließt!
In diesem Zusammenhang sei ebenfalls betont, dass man Übungen nicht einfach aus einem Buch o. Ä. übernehmen und unkritisch anwenden sollte (auch aus diesem nicht)! Stattdessen gilt der dringende Rat, sie entweder vorzutesten oder wirklich so viel Erfahrung mit Gruppen und erlebnispädagogischen Prozessen zu haben, dass man sich sicher fühlt, Abwandlungen und Experimente zu wagen, Gefahrenstellen zu antizipieren, und auch unvorhergesehene Wendungen in Lernsituationen zu einem positiven Lernzuwachs zu leiten.
Viel Erfolg!
Nach diesen wohl gemeinten Warnungen und Hinweisen wünschen wir allen Lesern nun viel Freude und Erfolg mit den in diesem Buch beschriebenen Übungen.
Wer Lust hat, auch selber Übungen zu entwickeln, der kann sich aus Leitfäden für Förster und Naturpädagogen, sowie aus Büchern mit einfachen Spielen (z.B. Hechenberger, Michaelis, & O’Connell, 2007; Frank & Eckers, 2007; Lehner, 2005; Mertens, 2005; Geissler & Butschkow, 2004; Köckenberger, 2004; Baer, 1997) Anregungen holen und oft durch einfache Veränderungen Kooperationsaufgaben und andere erlebnisorientierte Herausforderungen umwandeln lassen. Wie erlebnispädagogische Übungen systematisch und Ziel- bzw. Zielgruppen bezogen entwickelt werden können, ist an anderer Stelle ausführlich beschrieben (Hildmann, vorr. 2017; Hildmann & Moseley, 2012; Hildmann & Seuffert, 2010).
Rückmeldungen und Anregungen zur Verbesserung dieses Konzeptes sowie auch SimpleThings-Ideen oder Übungen, die Sie vielleicht kennen, sind jederzeit herzlich willkommen. Bitte an jule.hildmann@gmx.de.