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Kapitel 11

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Griechenland

Sommer 1195

Wochen waren vergangen, seit Nicolas in Aslan Limani gelandet war. Die erste Nacht hatte er sich in der Hafengegend herumgetrieben. Aber wie in allen Häfen auf der Welt, schien auch hier sich alles gemeine Gesindel der Gegend aufzuhalten. So bangte Nicolas um seine Habe und um Leib und Leben. Im tiefsten Schatten in eine kleine Mauernische gedrückt, harrte er stundenlang aus und sehnte sich die Morgendämmerung herbei. Als es hell wurde, ging er in die obere Stadt. Geschäftiges Treiben auf den Straßen und Plätzen empfing Nicolas und die vielen neuen Eindrücke ließen ihn für einen Moment sein Elend vergessen. An einem Stand mit heißen Pasteten blieb er stehen. Sein Magen knurrte und ihm wurde bewusst, wie lange er nichts gegessen hatte. Verstohlen kramte er in dem Beutel in seinem Wams und fischte eine kleine silberne Münze hervor. In der Hoffnung, dass der Pastetenbäcker diese nehmen würde, reichte er sie ihm und zeigt auf ein heißes Küchlein. Der Bäcker schaute einen Moment verdutzt auf die Münze, dann nahm er das große Blatt eines Nicolas völlig unbekannten Baumes, um zwei heiße Pasteten darauf zu legen. Mit mehreren tiefen Verneigungen reichte er ihm das Gebäck. Nicolas nahm es verwundert, aber mit Dank, entgegen und schlenderte mit seinem Leckerbissen zu einem nahegelegenen Brunnen. Hier ließ er sich im Schatten nieder und verspeiste genüsslich die Pasteten. Sie waren mit Fleisch gefüllt und schmeckten würzig. So etwas hatte er noch nie gegessen.

Durch die Schärfe der Speise durstig geworden, beugte er sich über den Brunnen, um mit der Hand Wasser zu schöpfen und zu trinken. „Halt ein!“ rief eine Stimme in der Sprache der Franken. Erschrocken fuhr Nicolas herum. Ein älterer Mann mit einer flachen Kappe auf dem Kopf starrte ihn entsetzt an. „Das Wasser des Brunnens ist nicht zum Trinken gedacht. Er soll die Menschen nur mit seinem Wasserspiel erfreuen. Hast du kein Geld, um dir in einer Schenke Wein zu kaufen?“ Nicolas schüttelte langsam den Kopf. „Ich bin erst mit dem Schiff hier angekommen. Von Sizilien. Sagt mir, guter Mann, wo ich eine solche Schenke finde.“ Nicolas packte sein Bündel noch etwas fester. Doch der Alte schien ihm wohlgesonnen. Ein weißer Bart bedeckte seine Wangen und sein Kinn, seine dunklen Augen blickten lebhaft und warmherzig. „Du kennst hier niemanden, stimmt`s?“ sagte er. Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Nochmals schüttelte Nicolas zaghaft den Kopf.

„Könnt Ihr mir sagen, ob ich hier ein Schiff finde, dass mich nach Jerusalem bringt?“, fragte er in seinem schlechten Französisch. Aber der Alte schien ihn trotzdem zu verstehen. „Es kommen und gehen hier viele Schiffe, aber du musst Geduld haben. Große Schiffe, die Pilger mit sich nehmen, gibt es eher selten.“ Der Funken Hoffnung, der in Nicolas erwacht war, wurde im Keim erstickt. Enttäuschung machte sich auf seinem Gesicht breit. Der Alte schien Mitleid zu haben. Auch erkannte er, dass Nicolas wohl kein diebischer Geselle war, sondern nur ein Junge, dem das Schicksal offenbar übel mitgespielt hatte.

„Wenn du willst, komme mit mir in mein Haus. Dort kannst du mir berichten, was dir widerfahren ist und was dich hierher verschlagen hat. Auch einen Schluck reinen Wassers kann ich dir dort geben.“ Damit drehte er sich um und ging davon, es Nicolas selbst überlassend, zu entscheiden, ob er ihm folgte oder nicht.

In Sekundenschnelle spielten sich die Gedanken in Nicolas` Kopf ab, war er entzwei gerissen von seinem Bedürfnis, endlich Hilfe zu bekommen und der Angst, sich in Gefahr zu begeben. Letztlich siegte seine Verzweiflung, nicht zu wissen, was er tun sollte, ganz allein hier in einem vollkommen fremden Land. Und so folgte er dem alten Mann, hatte ihn nach wenigen Schritten eingeholt und ging schweigend neben ihm her.

Costorkos war ein Kaufmann, der mit vielen Ländern der bekannten Welt Handel trieb. Schon als junger Mann war er mit einer Karawane am Hofe des Kaisers gewesen, den alle Welt ob seines roten Haares wegen Barbarossa nannte. Hier hatte er auch die Sprache der Franken gelernt, die ihm auf seinen vielen Handelsreisen immer dienlich gewesen war. Jetzt im Alter hatte er sich zur Ruhe begeben und sein Geschäft seinem Sohn überlassen. Seine Frau war schon vor Jahren gestorben. Um der Einsamkeit zu entgehen, begab er sich oft stundenlang zum Hafen, dem bunten Treiben hier zuzusehen. Und so hatte das Schicksal es gewollt, dass Nicolas und er sich begegneten.

Costorkos nahm den jungen Mann voller Mitleid bei sich auf. Nicolas erzählte ihm davon, wo er aufgewachsen und was seiner Familie zugestoßen war. Und dass er sich auf dem Weg ins Heilige Land befand, seinen ehemaligen Dienstherrn zu finden. Der Grieche hatte Gefallen an dem Jungen gefunden und gewährte ihn über Wochen hin Gastfreundschaft, ohne etwas dafür haben zu wollen. Nicolas vertrieb ihm die Einsamkeit mit seinen Geschichten vom Lande der Franken. Hier wurde alles so genannt, was jenseits des Mittelmeeres und der Alpen war. Er erzählte von Kaiser Barbarossa und seinem Großvater, der unter diesem gedient hatte. Und er erzählte vom Markgrafen Albrecht. Costorkos versicherte ihm, dass es auf der Welt überall gleich zuginge und dass es allerorten Schurken aber auch viel Gutes gäbe. Und so ging die Zeit dahin, in der Nicolas die unbeschwertesten Tage seines ganzen bisherigen Lebens genoss. Doch letztlich kam die Stunde, in der es hieß, Abschied zu nehmen.

Am Abend zuvor hatte ein großes Handelsschiff im Hafen angelegt, das auf direktem Wege nach Akkon war. Wie es das Glück wollte, kannte sein Gönner den Eigner der Galeere und handelte für Nicolas eine Passage nach Palästina aus. So schwer Nicolas auch der Abschied von dem alten gütigen Mann fiel, den er sehr ins Herz geschlossen hatte, so glücklich war er doch darüber, endlich ans Ziel zu gelangen.

„Ich danke Euch sehr für alles, was Ihr mir hier habt angedeihen lassen“, sagte Nicolas zu Costorkos. „Noch nie in meinem Leben hat mir jemand soviel Liebe gegeben, wie Ihr. Das werde ich niemals vergessen.“

„Geh mit Gott, der auch der meine ist, mein Junge Und diene deinem Herrn im Heiligen Land zum Guten, auf dass wir das Grab unseres Herrn Jesus Christus auf immer beschützen können. Möge Jerusalem eines Tages wieder in die Hände der Christenheit fallen. Mutige junge Männer wie du, geben mir Hoffnung.“

Der Grieche schloss Nicolas kurz in die Arme, dann schob er ihn in Richtung Schiffssteg. Von Bord aus winkte Nicolas dem Alten, in dessen Augen er es verdächtig glitzern zu sehen glaubte. Dann hieß es „Leinen los!“ und das Schiff setzte sich langsam unter Ächzen in Bewegung. Bald war es aus dem Hafen heraus und nahm langsam an Fahrt auf. Ein leichter stetiger Wind trieb es immer weiter aufs Meer hinaus, bis der Hafen von Aslan Limani nur noch ganz wage zu sehen war und Nicolas einer ungewissen Zukunft entgegenfuhr.

Er betete in seiner Angst vor erneuter Seekrankheit leise zu Gott, in der Hoffnung, dass der ihn vielleicht doch erhören und die Überfahrt über das offene Meer diesmal für ihn besser ablaufen würde, ohne das ein Sturm ihm erneut das Leben zur Hölle machte.

Und der liebe Gott schien es gut mit ihm zu meinen; nach vier langen Wochen kam Akkon in Sicht.

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