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Kapitel 1

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Burg Meißen

November 1191

Isbert lag seit dem frühen Morgen wach. Die Fenster der Kammer, in der er nun schon seit Tagen ausharrte, ohne dass ihn jemand über sein weiteres Schicksal informierte, zeigten zur Elbe. Vor drei Tagen ließ der Markgraf ihn vor ein Gericht zerren, das ihm Verrat vorwarf und deshalb zum Tode verurteilte. Da sich jedoch keine Zeugen fanden, Isberts Vergehen näher zu benennen, erwies man ihm die „Gnade“ eines Gottesurteils. Das Wort des Markgrafen, der ihn beschuldigte, wog schwerer als die Gerechtigkeit.

Isbert hörte das Krächzen eines Raben, der über den Fluss flog. War dies ein Zeichen? Die Untreue seiner Gemahlin brannte wie ein Geschwür in seiner Brust. Er würde den Markgrafen niemals hintergehen. Aber dieses Wissen half ihm jetzt wenig. Die weltlichen Gerichte hatten ihre Entscheidung getroffen. Wie würde Gott entscheiden? Würde er ihm verzeihen, dass er die Augen verschloss vor dem, was um ihn vor sich ging? Schon seit langem wusste er, dass ihm das Herz seiner Frau nicht gehörte. Aber zählte nicht, dass sie sich trotzdem letztendlich für ihn entschieden hatte? Dennoch lag es nicht mehr in ihrer Hand, den weiteren Weg zu bestimmen. Gott ließ nicht mit sich handeln. Der Ritter ahnte, wie der Zweikampf enden musste. Er würde sich gegen das Schicksal wehren, aber die noch nicht verheilte Verletzung von einem Kampf mit den Feinden Dietrichs behinderte ihn zu sehr, als dass er gegen einen starken Kämpen eine Chance haben würde. Und Hero von Lingenburg schonte niemanden!

Das leise Klirren eines Schlüsselbundes riss ihn aus seinen Überlegungen. Er ließ noch einen letzten Blick über den Fluss schweifen. Dort unten saß er; seine schwarzen Federn glänzten in den ersten Strahlen der Sonne. Es war ein Omen. Sein Schicksal war besiegelt. Isbert erblickte den Tod.

Unter Knarren schwang die Tür nach innen auf. Hubert, der Schließer, ließ seinen Blick durch die Kammer schweifen. Vor der hellen Fensteröffnung sah er die Silhouette des Ritters, groß und breit. Für einen Moment kam ihm der Gedanke, dass dieser Mann unbesiegbar war. Er schüttelte sich kurz wie ein Hund und trat ein.

„Isbert von Lichtenwalde, ich bin gekommen, um Euch zu holen. Aber wenn Ihr es wünscht, schicke ich Euch noch einen Priester, der…“

Isbert machte eine ungeduldige Handbewegung. „Nein, ich habe meine Beichte bereits gestern Abend abgelegt. Ein Priester kann mir jetzt auch nicht mehr helfen. Jetzt ist es die Sache Gottes… oder des Teufels.“

Hubert wich zurück und bekreuzigte sich: „Herr, lasst den Teufel aus dem Spiel, es nimmt ein böses Ende, wenn man Gott herausfordert.“

„Ein böses Ende nimmt es so oder so. Nun lass uns gehen, Hubert. Ich weiß, du tust nur deine Pflicht. Ich werde die meine tun.“

Der Kampf sollte auf einer Wiese nahe dem Elbufer stattfinden. Bereits am vorhergegangenen Tag hatte man eine Tribüne für den Markgrafen und sein Gefolge errichtet. Nun füllten sich die Ränge. Der Markgraf saß in einem Sessel, der mit Teppichen ausgelegt war. Die Markgräfin zog es vor, dem Kampf nicht beizuwohnen. Ihr schlechtes Gewissen, ihre Gottesfurcht diesmal zu weit getrieben zu haben, hielt sie davon ab. Dass der Ritter Isbert sterben sollte, lag gewiss nicht in ihrer Absicht, war er ihr doch stets höflich und ehrerbietend entgegengetreten.

Aber es gab genügend Schaulustige am Hofe Albrecht des Stolzen. Und so füllten sich die Sitzränge bald bis zum letzten. Viele mussten außerhalb des Platzes stehen, da wo das gemeine Volk, die Leibeigenen und die Bediensteten sich versammelt hatten.

„Was glaubst du, Gevatter, wer wird den Kampf gewinnen?“, wandte sich Isberts alter Knecht Einhardt mit banger Miene seinem jüngeren Gesellen zu. Die Frage war rein rhetorisch gestellt. Jedem der Anwesenden war bewusst, dass der edle Isbert keine Chance hatte. Hero war jünger und erfreute sich bester Gesundheit und Isberts Verwundung war allgemein bekannt. „Ich hoffe, Gott hat ein Einsehen und der edle Herr entscheidet den Kampf für sich“, sprach er weiter. „Er ist ein guter Mensch. Und was wird dann aus uns, wenn er stirbt und sein Besitz an den Markgrafen geht?“

„Darüber musst du dir keine Sorgen machen. Ob dieser Herr oder jener. Du musst dich für jeden zu Tode schuften, ohne jemals einen Dank dafür zu erhalten. Was geht es mich an, ob Isbert gewinnt oder verliert. Ich habe nur sein Pferd getränkt und gefüttert oder seine Stiefel geputzt. Das kann ich auch für einen anderen tun“, antwortete der Stallknecht Uwo barsch.

„Du bist ein Narr, wenn du glaubst, ein Herr sei wie der andere“, entgegnete der alte Einhard. Nachdenklich wandte er sich dem Kampfplatz zu, auf den jetzt sein früherer Dienstherr geführt wurde. Uwo indessen blickte in freudiger Erwartung eines Spektakels auf die Kämpen. Ihm war es völlig gleich, wer hier gegen wen antrat. Hauptsache, es gab einen Kampf. Das entsprach seinem eigenen streitlustigen Naturell. Zu gern ließ er andere seine Fäuste spüren, auch wenn der Anlass nur gering war.

Von der Burg her näherte sich der Kämpe des Markgrafen, Hero von Lingenburg. Er ritt auf einem Apfelschimmel, den ihm Albrecht eigens zu diesem Anlass geschenkt hatte. Die blaue Satteldecke und das versilberte Zaumzeug leuchteten weithin. Für jedermann war offensichtlich, wessen Gunst Hero besaß. Der Ritter vermied es, seinen Blick über die Ränge der Zuschauer schweifen zu lassen. Er hatte Angst, unter den Anwesenden könnte auch Lioba sein. Sein blondes Haar wehte ihm in die Augen, noch hatte er den Helm nicht aufgesetzt. Er wollte sein Antlitz nicht verstecken vor seinem Rivalen, sondern Isbert stolz in die Augen sehen, ihn wissen lassen, dass er derjenige sein würde, der das Kampffeld als Sieger verließ, und der letztendlich auch die Frau in sein Bett bekam.

Isbert saß auf seinem Rappen, der ihn schon seit langen Jahren über manches Schlachtfeld getragen hatte. Er hoffte inständig, dass sein treuer Gefährte beim Kampf keinen Schaden erleiden mochte. Was ihn selbst anging, so hatte Isbert mit seinem Schicksal abgeschlossen. Er würde das Urteil Gottes ohne Widerspruch annehmen.

Eine Fanfare verkündete den nahen Beginn des Kampfes. Über den Platz senkte sich eine gespenstische Stille. Viele empfanden Sympathie für den dunklen Ritter, kannten seine Tapferkeit und schätzen seine Aufrichtigkeit. Keiner konnte sich so recht vorstellen, dass er den Markgrafen verraten haben sollte. Aber das Wort des Markgrafen wog letztendlich schwerer und man nahm die Sache hin, wie sie war.

Der Marschall senkte seinen Stab und die zwei Kontrahenten ritten mit immer schneller werdendem Tempo aufeinander zu. Die Lanzen stießen mit großer Wucht auf die Schilde der Kämpfer, sie schwankten beide im Sattel, aber es fiel keiner zu Boden. Die Ritter begaben sich zurück in ihre Ausgangsposition, noch ein Gang mit den Lanzen war vorgeschrieben. Wieder ritten sie aufeinander zu, mit der ganzen Wucht ihrer Körper trafen sie zusammen. Die Lanze Heros zersplitterte am Schild Isberts. Ein Aufschrei ging durch die Menge, nicht wenige hofften, Hero würde zu Boden gehen. Doch der blieb im Sattel und ritt zurück zu seiner Schranke. Jetzt begann der eigentliche Kampf. Das Los hatte entschieden, dass Isbert mit der Keule und Hero mit dem Morgenstern den Kampf bestreiten sollte. Zwei furchterregende Waffen, tückisch und tödlich wie kaum eine andere. Die Gegner prallten aufeinander. Die ersten Schläge fielen. Hero hieb mit großer Wucht und Wut auf seinen Gegner ein. Doch Isbert war ein erfahrener Kämpfer, er umkreiste Hero, immer darauf bedacht, seine Deckung nicht zu vernachlässigen. Schlag auf Schlag sauste hernieder, noch hatte keiner der beiden den Vorteil auf seiner Seite. Da glitt Isberts Rappe auf dem nassen Gras aus und schlitterte zur Seite. Obwohl Isbert das Tier sofort parierte, genügte diese kleine Bewegung, dass der Morgenstern schwer auf seinen Schwertarm traf. Durch den heftigen Schlag platzte die alte Wunde an der rechten Schulter wieder auf. Ein scharfer Schmerz durchfuhr Isbert, sein Arm war wie gelähmt und er konnte die Keule nur noch mit Mühe umfassen. Hero nutzte die Situation aus und versetzte Isbert sofort einen zweiten Schlag auf dessen ungeschützte rechte Seite, so dass diesem die Keule entglitt. Ein weiterer Hieb traf den Verletzten so unglücklich in der Halsbeuge, dass er vom Pferd stürzte. Hero sprang ebenfalls ab und drosch in blinder Wut mit seiner schrecklichen Waffe auf den am Boden Liegenden ein. Ein Schrei der Entrüstung erhob sich. Der Markgraf sah sich gezwungen, dem unfairen Kampf ein Ende zu bereiten. Zwei Ritter rannten auf das Turnierfeld und rissen Hero von seinem Opfer weg. In seinem Blutrausch wehrte er sich heftig, bis er zu begreifen begann, dass der Kampf vorüber war. Doch es war bereits zu spät. Isbert rührte sich nicht mehr. Der Marschall beugte sich über ihn, löste Helm und Halsberge. Der Anblick ließ ihn erschauern. Der mit Eisendornen bewehrte Morgenstern war durch das Visier in den Helm eingedrungen und hatte dem Unglücklichen den Schädel über der Stirn zertrümmert. War es wirklich Gottes Wille gewesen, dass Isbert auf diese Weise starb? Darüber kamen so manchem der Anwesenden seine Zweifel.

Wütend erhob sich Albrecht. Er beherrschte kaum seine Stimme als er seinen Rittern befahl, Hero zu ihm zu bringen. „Bringt ihn in die Burg. Und lasst ihn nicht aus den Augen. Ich will nicht, dass er sich davonstiehlt. Das würde zu seinem Charakter passen, heimtückisch und verschlagen und vollkommen ehrlos. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?“

Der dunkle Umhang umwallte den Markgrafen, als er schweren Schrittes davoneilte, als wolle er dem Ort der Schandtat schnell entfliehen.

Isbert wurde davongetragen und die Menge begann sich langsam zu zerstreuen. Es gab wohl kaum jemanden, der sich nicht mit Abscheu von Hero abwandte. Der Burghauptmann Dedo von Wißlingen trat an den Lingenburger heran. „Ihr solltet jetzt mit uns kommen, Hero. Der Markgraf ist sehr erbost über Euer Verhalten. Was ist nur über Euch gekommen? Ich hatte Euch als Mann von Ehre in Erinnerung. War es die Frau, die Euch im Kopf herumspukt?“

Hero zuckte erschrocken zusammen. „Was wisst Ihr von einer Frau? Wer hat Euch davon erzählt?“

„Das brauchte mir niemand zu erzählen. Das pfeifen die Spatzen von den Dächern. Glaubt Ihr wirklich, am Hof könnte so etwas geheim gehalten werden? So wie Ihr immer um Lioba herumgeschlichen seid, und wie Ihr diese Frau mit liebeskrankem Blick angestarrt habt, wenn ihr Gemahl abwesend war. Seid Ihr in der Tat so naiv und dachtet, den anderen wären die heimlichen Blicke und Zeichen entgangen, mit denen Ihr Euch verständigt habt? Dann seid Ihr wirklich dümmer, als ich annahm.“

Hero brauste auf. „Ich bin der Kämpe des Markgrafen. Ich habe Isbert nicht getötet, weil ich seine Frau begehre. Er war ein Verräter, vom Markgraf selbst angeklagt. Es war Gottes Wille, dass der Kampf mit seinem und nicht mit meinem Tod endete.“

„Wohl eher der Wille des Teufels.“

„Was glaubt Ihr ….“

„Es steht Euch nicht zu, hier herum zu diskutieren. Ihr habt Albrechts Befehl vernommen. Ihr sollt unverzüglich bei ihm erscheinen. Und mit Sicherheit wird er Euch nicht mit Gold überhäufen.“ Hämisch grinsend packte Dedo Hero am Arm und zerrte den Widerstrebenden in Richtung Burg. „Mein Pferd!“, schrie Hero. „Glaubt Ihr, dass lasse ich hier, damit Ihr und Euresgleichen es wegführt. Wer weiß, wohin Ihr es bringt.“

„Nehmt Euch in Acht mit dem, was Ihr sagt. Es ist eine Sache, als Kämpe des Markgrafen dessen Schutz zu genießen, während man einen ehrenhaften wehrlosen Mann umbringt, aber es ist eine andere Sache, sich mit einem Ritter anzulegen, dem es ein Vergnügen sein wird, Eurem armseligen Leben ein Ende zu setzen.“

Erbost und unbelehrbar schnappte Hero nach Luft und setzte zu einer Erwiderung an. Doch Dedo ließ ihn nicht mehr zu Wort kommen. Grob versetzte er ihm einen Stoß in den Rücken und trieb ihn in Richtung Palas. Hero konnte vor Wut fast nichts sehen. Rote Kringel tanzten vor seinen Augen als er den Saal betrat. Alles in ihm rebellierte. Der Markgraf hatte ihn zum Kämpen bestimmt, Isbert war ein Verräter. Gott hatte ihm seine gerechte Strafe erteilt, durch seine, Heros, Hand.

Der Markgraf stand in der Mitte des Saales und blickte dem Lingenburger unheilverkündend entgegen.

„Was glaubt Ihr, ist in Euch gefahren!“ brüllte er Hero unvermittelt an. „Denkt Ihr, es sei mein oder Gottes Wille, dass Ihr einen wehrlos am Boden liegenden ermordet? Wo bleibt Euer Ehrgefühl, was seid Ihr für ein Ritter? Am liebsten würde ich Euer Schwert fordern und Euch die Ritterehren nehmen. Aber Ihr habt auch mich da mit hineingezogen. Ich kann Euch nicht vor aller Welt verdammen, ohne meine eigene Ehre in Frage zu stellen. Ihr habt mir einen Bärendienst erwiesen mit Eurem Hochmut und Eurer Verblendung.“ Albrecht wandte sich zum Fenster und ließ seinen Blick zur Elbe schweifen. Doch der Anblick des Turnierfeldes versetzte ihn nur erneut in Rage. „Ich möchte, dass Ihr noch heute den Hof verlasst. Wo Ihr hingeht, ist mir egal. Meißen werdet Ihr allerdings nicht mehr betreten. Und ich rate Euch eins. Wagt es ja nicht, mit Lioba von Lichtenwalde Kontakt aufzunehmen. Ich würde Euch wegen Hochverrats hinrichten lassen, dessen könnt Ihr gewiss sein. Ich werde Lioba wiederverheiraten, aber nicht mit Euch.“ Albrecht wollte sich abwenden, da schien ihm noch etwas einzufallen. Er drehte sich halb zu Hero herum, griff in seinen Mantel und holte einen Beutel heraus. „Hier, der Lohn für Eure Dienste. Ein Beutel Silberlinge.“ Damit verließ er mit großen Schritten den Saal.

Hero starrte auf den Beutel in seiner Hand. Langsam wurde er sich wieder der Blicke bewusst, die ihn von ringsum zu durchbohren schienen. Er straffte seine Schultern und hob das Kinn. Mit einer eckigen Bewegung schüttelte er sich das blonde Haar aus der Stirn. Dann schritt er in Richtung Ausgang, erst langsam, dann immer schneller, so als sei ihm das Böse auf den Fersen. Je intensiver er die Blicke der Anwesenden in seinem Rücken spürte, umso unwohler fühlte er sich und ein kalter Schauer überlief ihn. Was war es, das ihm diesen Schrecken einjagte. Die Höflinge, die sich im Palas aufhielten? Das Bewusstsein über seine Tat, das langsam in ihm heraufdämmerte? Verstohlen drehte er sich an der Tür noch einmal um, fast magnetisch wurden seine Blicke zu einem kleinen Durchgang gezogen, der im Dunkel des Saales lag. Bildete er es sich nur ein, oder stand dort wirklich eine Gestalt. Ein Schatten nur, eine Bewegung, dann war der Spuk vorbei. Hero beeilte sich, aus dem Saal zu kommen. Im Hof fand er sein Pferd, das schon auf jemandes Befehl bereitgestellt worden war. Er schwang sich in den Sattel und ritt zum Tor hinaus. Die Hufe des Pferdes donnerten über die Zugbrücke, dann verlor sich das Getrappel im Schlamm des Weges bis es gänzlich erstarb. Oben an einem kleinen Fenster neben dem Rittersaal hatte ein zwölfjähriger Junge sein Gesicht dem Hof zugewandt. Doch seine Augen blickten in die Ferne, als würden sie etwas sehen, was noch keiner wusste.

Zeit der Könige

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