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2.2. Zeitschrift – kirchliche Zeitschrift – Missionszeitschrift
ОглавлениеDie Geschichte der Zeitschrift begann mit dem seit 1665 von Denis de Sallo in Paris edierten Journal des Sçavans, einem universalwissenschaftlich ausgerichteten Rezensionsblatt.27 Die frühen Zeitschriften waren in den Gelehrtensprachen Latein oder Französisch geschrieben – oder in einem diese nachahmenden Deutsch. 1688 brachte Christian Thomasius seine Monatgespräche28 in deutscher Sprache heraus, was zu einem Bruch mit der Gelehrtenschaft führte.29
Die Entwicklung des Zeitschriftenwesens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war eine Reaktion auf die Fülle neuer und neuester Erkenntnisse. Die Zeitschrift war ideal als Publikationsorgan für kurze Aufsätze und Mitteilungen, die schnell verbreitet wurden. Der Aufwand war geringer als der einer Buchpublikation und der Stand aktueller. Kritische Rezensionen und referierende Bibliografien ermöglichten schnelle und zuverlässige Informationen darüber, was im eigenen Fachgebiet wichtig war. Themen aus der aktuellen Nachrichtenpresse wurden aufgegriffen und – im Rahmen der Zensur – reflektiert und analysiert, vergleichbar mit den Nachrichtenmagazinen im |30| Fernsehen heute. In Abgrenzung von der Zeitung besitzt Aktualität für die Zeitschrift nur eine relative Bedeutung. «Behandelt werden zwar auch immer Fragen der Gegenwart. Vorausgesetzt dabei wird aber fast immer die Kenntnis der tatsächlichen Geschehnisse und ihrer Abläufe. […] Es wird mehr Wert auf Genauigkeit gelegt als auf Neuigkeit.»30
Die frühen Zeitschriften erschienen im Buchformat. Zum Jahresende erhielten die Leser ein Titelblatt und ein Register. Dies signalisierte den Anschluss an das Buch und damit Seriosität.
In der Zeit von 1670 bis 1790 stieg die Zahl der Zeitschriften von 58 auf 1225, davon erschienen allerdings viele Zeitschriften nur kurz oder unter verschiedenen Titeln. Das 18. Jahrhundert war die Blüte- und Hochzeit der Druckmedien.31 Sie stifteten soziale Einheit im Bürgertum und hatten identifikatorische Funktion. «Mit der absoluten Dominanz der Printmedien war aber zugleich auch eine durchgängige Entsinnlichung der Kommunikation gegeben.»32 Die Zeitschrift nahm unter den Druckmedien im 18. Jahrhundert wiederum eine herausragende Rolle ein.33
Anfänglich fungierten Zeitschriften vor allem als Rezensionsorgane. Dadurch dienten sie der Rationalisierung von Wissen und der Beschleunigung des Informationsaustausches. Aber auch die Belehrung in Fragen von allgemeinem Interesse, die Meinungsbildung und die Selbstaneignung von Fachwissen gehörte zu den Leistungen der Zeitschriften.
Kirchner definiert eine Zeitschrift des 18. Jahrhunderts mit den folgenden fünf Kriterien:
1 Periodizität,
2 unbegrenzte Dauer des Erscheinens,
3 Publizität, d.h. Streben nach Öffentlichkeit,
4 ein einheitlicher Charakter, der sich im gleichbleibenden Titel und im etwa gleichbleibenden Umfang zeigt, und
5 Vielfalt des Inhalts.34
|31| Auch Faulstich nennt fünf Merkmale, setzt bei seiner Charakterisierung aber andere Akzente:
1 Themenzentrierung, d.h. die prinzipielle Universalität des Inhalts verkehrt sich aufgrund des eingeschränkten, oft sehr spezialisierten Leserkreises bei der einzelnen Zeitschrift gerade in ihr Gegenteil,
2 Temporizität,
3 Interessenspezifizierung, d.h. Themenzentrierung in Anlehnung an das Medium Buch,
4 Kontextualisierung und
5 partiell Visualisierung.35
Da Zeitschriften meist in niedrigeren Auflagen herausgegeben wurden, weniger aktuell oder politisch argumentierten und die Beiträge überwiegend anonym erschienen, hatten sie nicht so stark mit der Zensur zu kämpfen wie die (Tages-)Zeitungen. Sie konnten sich inhaltlich freimütiger äußern.
Im 19. Jahrhundert erlebte die Zeitschrift im deutschsprachigen Raum einen weiteren Aufschwung, sie wurde zum «Leitmedium in Wissenschaft und Kultur».36 Die «Wiederentdeckung der Sehsucht», also das Bedürfnis nach Veranschaulichung und Abbildbarkeit von Wirklichkeit als Reaktion auf die vorangegangene Periode der Entsinnlichung und der Konzentration auf den abstrakten Buchstaben, führte zu einer zunehmenden Visualisierung in den Medien und verhalf bebilderten Zeitschriften (‹Illustrierten›) zum Aufschwung.37
In der Theologie stieg zwischen 1800 und 1908 der Anteil von Zeitschriften an den Gesamterscheinungen von 8,3% auf 26,5%. Auch im religiösen Bereich zeigte sich die Differenzierung des Mediums Zeitschrift.
Kippenberg unterteilt die theologischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts in
1 kritische Zeitschriften, die vor allem Rezensionen enthielten,
2 |32| allgemeine Zeitschriften, mit Beiträgen zu Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft und
3 biblische, systematische, historische und praktische Fachzeitschriften, zu denen er das Missions-Magazin zählte.38
Neben der theologisch-wissenschaftlichen Fachzeitschrift und den eher praktisch-erbaulichen Gemeindeblättern ist seit spätestens 1790 der Begriff der kirchlichen Zeitschrift nachweisbar.39 Diese «umfasst ein breites Spektrum heterogener publizistischer Erzeugnisse, die formal nur die regelmäßige Erscheinungsweise, die thematische Fokussierung auf christl[ichen]. Glauben und Kirchen sowie die Orientierung an kirchl[ichen]. oder kirchennahen Öffentlichkeiten verbindet».40 Viele kirchliche Zeitschriften waren programmatisch ausgerichtet und vertraten – in scharfer Abgrenzung von konkurrierenden Richtungen – eine ganz bestimmte religiöse oder politische Wertorientierung, die als allgemein verbindlich dargestellt wurde. Auch deshalb sind kirchliche Zeitschriften, «stärker als andere kirchennahe literarische Medien […] repräsentativ für diskursive Konstellationen, weil in ihnen tektonische Verschiebungen des Politischen, sozialstrukturelle Wandlungsprozesse und teils sehr langsame, teils revolutionär explosive Neubestimmungen frommer Mentalitäten und Habitus Ausdruck finden».41 Dabei wird Geschichte als ein Prozess deutlich, dessen Ziel den ursprünglichen Akteuren verborgen war.42 Für das 19. Jahrhundert beobachtet Achtelstetter eine verstärkte Auseinandersetzung mit Positionen außerhalb der evangelischen Kirche.
Die Auseinandersetzung ist von Seiten der evangelischen Publizistik geprägt von fünf Motiven:
1 dem polemischen, in Auseinandersetzung mit dem Katholizismus,
2 dem apologetischen, in Auseinandersetzung mit den Gebildeten über die Denkmöglichkeiten des Glaubens,
3 dem sozialen, in Auseinandersetzung mit dem Sozialismus,
4 |33| dem unionistischen, mit dem Ziel der Einigung der evangelischen Christen, von Kirche und Welt oder von Christentum und Kultur, schließlich
5 dem missionarischen Motiv, das der (Wieder-)Gewinnung der Abtrünnigen und Gleichgültigen dient.43
War die evangelische Publizistik insgesamt eine Reaktion auf die Blüte der Zeitschriften in der weltlichen Presse,44 partizipierten die Missionsgesellschaften des 19. Jahrhunderts als kirchlicher ‹Sonderfall› ebenfalls an dieser Zeitschriftenproduktion. Hier kam das oben erwähnte ‹missionarische Motiv› in besonderer Weise zum Tragen. Wenn auch an die unterschiedlichste Leserschaft gerichtet, mit wechselndem Erscheinungsrhythmus, von unterschiedlicher Qualität und variierendem Preis, so hatten doch alle Missionen ihre eigenen Zeitschriften und Magazine.45 Sie waren ein wichtiges Instrument der Öffentlichkeitsarbeit: Ihr Verkauf diente ganz offen profanen Zwecken, sie waren eine wichtige und dazu noch eine relativ gut kalkulierbare Einnahmequelle für die Gesellschaften, die sonst auf oft unregelmäßig fließende Spenden angewiesen waren.46
Die Missionszeitschriften stillten mit ihren Berichten über ferne, exotische Länder und Gebräuche das Bedürfnis ihrer Leserschaft nach Informationen47 und «Vorbildbiografien»48, vielleicht auch nach Sensationen.49 Und daraus |34| abgeleitet schufen sie einen Zusammenhalt in ihrer Lesergemeinde, die durch das Gefühl der Identifikation bereit war, sich für die ‹Missionssache› weiter zu engagieren – durch Fürbitte, Übernahme von ehrenamtlichen Aufgaben, Werbung für die Mission und Spenden. Hier spielt das Thema der Konstruktion oder Stiftung einer pietistischen Identität bzw. die Selbstinszenierung eine große Rolle.50
Der besondere Charakter der Missionszeitschriften als Werbeinstrument muss bei der Lektüre der Artikel immer mitbedacht werden. Bickers und Seton sehen darin sogar einen kleinen Vorteil: «[…] the biases of the missionary reporter are often much more clearly acknowledged and better known than those of other writers, which adds to their usefulness.»51
Im 18. und 19. Jahrhundert war eine Zeitschrift dann rentabel, wenn die Auflage 500 Exemplare überschritt.52 Das Basler Missions-Magazin hatte in seiner Blütezeit in den 1820er Jahren gut 7000 Abonnenten.53 Diese Auflagenhöhe war beachtlich und erklärt sich durch den Pioniercharakter der Zeitschrift in den Anfangsjahren, doch sank die Auflage im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts mit Entstehen zahlreicher weiterer Missionsgesellschaften und -zeitschriften kontinuierlich.54 Viele Zeitschriften, auch das Missions-Magazin, wurden im Abonnement oder durch Subskription vertrieben, um so die Vertriebskosten und das verlegerische Risiko gering zu halten und eine längerfristige Kalkulation zu ermöglichen. Doch ist der Leserkreis wesentlich größer anzusetzen als die Zahl der Abonnenten. Denn erstens las man häufig in Gruppen, d.h. man traf sich zu Lesezirkel, in Lesegesellschaften, in christlichen Hauskreisen oder Gebetsstunden und ließ sich von einer Person die Artikel vorlesen, und gab zweitens die Hefte weiter.55 Drittens schließlich berichtete |35| man aus den Zeitschriften und nutzte sie für öffentliche Vorträge und für den Unterricht.56 Schlatter berichtet für das Missions-Magazin von einer Verbreitung bis nach Russland, Frankreich, England und in die Niederlande.57
Die abgedruckten Texte durchliefen meist mehrere redaktionelle Korrekturen, in denen sie zu Gunsten der ‹offiziellen› Meinung zurechtgeschliffen wurden. Dieser Vereinheitlichungsprozess ist bei der Interpretation der Zeitschriften zu berücksichtigen. Sie geben dementsprechend keinen sicheren Hinweis auf die Gedanken eines Individuums, aber in vielen Fällen sind sie die einzigen noch existierenden Indikatoren dieser Gedanken.58
Im Jahr 1880 stellte Gustav Warneck Überlegungen zum 19. Jahrhundert an, das für ihn das Jahrhundert der Mission war.59 In dieser Erkenntnis lag für ihn eine mächtige Stärkung des Glaubens für alle Christinnen und Christen. Jeden Bericht über erfolgreiche Missionen, jede Information über Bekehrungen, jede Nachricht aus einem Missionsgebiet sah er als Fingerzeig, dass Gott die Missionsarbeit will und folglich die Menschen, die in der Mission arbeiten, auf dem richtigen Weg waren. Hier kommt ein weiterer Punkt zum Ausdruck, der mit der Funktion von Missionszeitschriften als Werbeinstrument zusammenhängt: Die Publikationen berichteten vom Erfolg der Mission, requirierten auf diese Weise Unterstützung in Form von Spenden oder Mitarbeitern, was wiederum zum Erfolg der Mission beitrug, über den dann wieder berichtet werden konnte. Das könnte man als eine Art self-fulfilling prophecy bezeichnen. «Dass einem schwachen Glauben aufgeholfen werden müsse durch vermeintliche empirische, historisch erhärtete ‹Fakten›, ist», so Werner Ustorf, «eine Denkfigur mit Tradition.»60 Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass diese traditionelle Denkfigur sehr bewusst und strategisch eingesetzt wurde. |36|