Читать книгу Soziale Angststörung im Kindes- und Jugendalter - Julian Schmitz - Страница 42
Merke: Unterschiede Affektive Störungen und Soziale Angststörung
ОглавлениеDer soziale Rückzug tritt bei der depressiven Episode nicht aus Angst vor Abweisung durch andere, sondern aus Antriebslosigkeit oder Interessenlosigkeit auf. Rumination (Gedankenkreisen) ist bei beiden Störungsbildern beobachtbar, unterscheidet sich jedoch teilweise bzgl. der Inhalte und des Auftrittszeitpunkts (Soziale Angststörung: primär nach der Situation, Depression: primär vor der Situation).
In der Regel liegt zunächst die Soziale Angststörung vor (Essau, Conradt & Petermann, 2000). Einem früheren Beginn der Sozialen Angststörung (Kindheit vs. Jugend) folgt oft ein schnellerer Beginn einer depressiven Episode sowie ein schwerwiegender Verlauf dieser (Cummings, Caporino & Kendall, 2014). Tatsächlich gilt die Soziale Angststörung als Risikofaktor für die Entwicklung einer depressiven Störung (Stein et al., 2001), wenngleich einer Sozialen Angststörung nicht immer eine depressive Episode folgt und einer depressiven Episode nicht unbedingt eine Soziale Angststörung vorausgeht (Epkins & Heckler, 2011). Es ist davon auszugehen, dass (soziale) Angst und Depression gemeinsame Grundlagen aufweisen. So zeigt sich bei beiden Störungsbildern erhöhter Neurotizismus bzw. negative Affektivität, verminderte Extraversion bzw. positive Affektivität, teilweise gepaart mit geringerer Kontrolle über die eigene Emotionalität als prädiktiv für die Entwicklung einer Störung (Epkins & Heckler, 2011). Das Zusammenspiel dieser Temperamentsfaktoren mit bestimmten Umweltfaktoren wie z. B. als gering wahrgenommene elterliche Unterstützung oder elterliche Psychopathologie trägt zusätzlich zum Entstehen depressiver und sozial ängstlicher Symptomatik bei. Darüber hinaus scheinen bestimmte genetische Grundlagen für die Entstehung von Angst und Depression übereinzustimmen (Epkins & Heckler, 2011). Neben den Überlegungen gemeinsamer Entwicklungsfaktoren für Angst und Depression ist aufgrund der aufeinanderfolgenden Entstehung von zunächst Sozialer Angststörung und im Anschluss Depression eine generelle Vulnerabilität für Angst aus Temperaments-, biologischen und Umweltfaktoren denkbar, aus welcher sich bei fehlender Behandlung schließlich eine depressive Episode entwickelt (Cummings et al., 2014). Ein kognitiver Erklärungsversuch beschreibt die Rumination als ausschlaggebenden Faktor: Aufgrund der Sozialen Angststörung tendieren Patient*innen zu einem negativen Fokus in ihren Gedanken an die soziale Situation. Die Rumination wiederum ist ein Risikofaktor für die Entwicklung einer depressiven Störung (Nolen-Hoeksema, 2000). Ein weiteres Modell beschreibt die Entwicklung der depressiven Symptomatik, indem aufgrund des starken Rückzugverhaltens keine positiven sozialen Verstärker mehr vorliegen und sich somit eine depressive Symptomatik entwickelt (Cummings et al., 2014). Je länger eine Angststörung im Allgemeinen anhält, desto wahrscheinlicher wird insbesondere die Komorbidität mit einer depressiven Erkrankung (In-Albon, 2011). Bei Vorliegen von beiden Erkrankungen verstärkt die depressive Symptomatik kognitive Verzerrungen, die der Sozialen Angststörung angehören, wie z. B. negative Grundannahmen über die eigene Person aufgrund von als negativ wahrgenommenen sozialen Ereignissen (Cummings et al., 2014). Neben vorliegenden Risikofaktoren wie z. B. einer negativen Affektivität wird der Umgang mit ambivalenten oder negativen Situationen als relevant für eine Störung betrachtet. Dieses sogenannte Coping stellt oft einen moderierenden Faktor dar (Epkins & Heckler, 2011), d. h. ein hoher negativer Affekt kann durch funktionale Copingstrategien ausgeglichen werden und somit keine ängstlichen oder depressiven Symptome mit sich bringen, während dysfunktionale Copingstrategien das Risiko für die Entwicklung einer Depression oder Sozialen Angststörung erhöhen. Bei der Betrachtung von Copingstrategien zeigen sich Unterschiede zwischen primär ängstlichen und primär depressiven Kindern (siehe Forschung; Wright, Banerjee, Hoek, Rieffe & Novin, 2010).