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Kapitel 1

Ein flimmriger Spätnachmittag im August lag über der dänischen Insel. Vor mir glitzerte das Meer in der Sonne. Es war drückend heiß, was für die dänische Insel nicht unbedingt typisch war. Ich versuchte mich auf das Buch vor mir zu konzentrieren, aber irgendwie wollte mir das nicht gelingen. Nach einer Weile stand ich frustriert auf und spazierte den Strand entlang. Wir waren erst vorgestern nach Dänemark gefahren, um dort unseren zweiwöchigen Sommerurlaub zu verbringen. Vollkommen in Gedanken vertieft lief ich im seichten Wasser. Nach einiger Zeit wurde es felsig vor mir. Auf einem halbrunden, großen Stein, der von der Sonne aufgewärmt war, machte ich es mir gemütlich. Ich muss eingeschlafen sein, denn als ich wieder erwachte, war es bereits dämmrig. Schnell packte ich mein Buch zusammen und machte mich auf den Heimweg. Der Strand lag verlassen vor mir. Dort auf dem Steg stand ein Pärchen. Er hatte seine Arme um sie gelegt und sah ihr tief in die Augen. Warum hatte ich nicht so jemanden? Der mich liebte, mich in den Arm nahm und küsste. Ich weiß, das klingt etwas komisch, aber ich wollte einen Freund. Viele von meinen Freundinnen hatten einen Freund, aber nicht nur deshalb hatte ich den Wunsch nach einem Jungen in meinem Leben, sondern einfach weil ich es so vermisste, in den Armen eines Jungen einzuschlafen. Eigentlich ist der Wunsch echt eigenartig, denn bisher hatte ich noch nie eine feste Beziehung. Ja, ein kleiner Urlaubsflirt da, eine kleine Knutscherei dort, aber mehr war da noch nie gewesen. Ich wusste also gar nicht, wie es sich anfühlte, von einem Jungen begehrt zu werden. Aber ich wollte es wissen und somit blieb ich stehen und beobachtete das Pärchen. Er hatte ihre Haare auf die Seite gelegt und küsste ihren Hals entlang. In mir kribbelte es, ich wollte das auch. Auch wenn ich vor meinen Freunden immer die Harte spielte und behauptete, dass ich glücklicher Single bin, hatte ich diesen heimlichen Traum von der Liebe, ich sehnte mich nach Geborgenheit und ja, ich hatte auch ein gewisses Verlangen. Versteht mich nicht falsch, ich war glücklich, meistens zumindest. Und ich log meine Freunde auch nicht an, aber was brachte es, seinen Freunden zu erzählen, dass man einen Freund wollte? Eben. Es änderte nichts. Und ja, ich wurde geliebt, von meinen Eltern, von meiner kleinen Schwester, Pia ist erst ganz klein und vergötterte mich nahezu. Aber die Liebe von Eltern und Freunden war eine andere als die von einem Jungen. Einem aufmerksamen Jungen, der mich bewunderte, mit dem ich kuscheln konnte und der mich liebte. Ich sehnte mich nach Berührungen, nach diesen ganz besonderen Berührungen. Aber wenn ich eines gelernt habe, dann, dass die ganzen Romane, alle Filme und alle Geschichten eine einzige Lüge sind. Ich bin jetzt 16 bald 17 Jahre alt, bin noch immer Jungfrau und hatte noch nie eine Beziehung. Noch nie hatte ein Junge mich begehrt. Und das obwohl ich nicht hässlich bin. Ich bin kein Model, dazu war ich viel zu klein und hatte nicht den perfekten Körper, aber ich fand mich auch nicht unansehnlich. Klar, hatte ich ab und zu einen Pickel, oder kleine schwarze Mitesser auf der Nase, aber dennoch fand ich mich hübsch. Und deshalb verstand ich es nicht. Warum wollte mich kein Junge? Ich war nett, witzig und auch nicht auf den Mund gefallen. Zumindest war das meine Meinung, wie ich auf andere wirkte, wusste ich natürlich nicht. Was war falsch mit mir? Woran lag das? Langsam setzte ich mich in Bewegung und lief in Richtung unserer Ferienwohnung. Da die Steine doch ein Stückchen von unserer Ferienwohnung entfernt waren, dauerte der Heimweg länger als gedacht. Als ich die Wohnungstüre öffnete stand meine Mom schon in der Küche am Herd und rührte in einem Topf.

„Hi, ich bin wieder da!“ Ich streifte meine Schuhe von meinen Füßen und ging zu meiner Mom in die Küche.

„Hallo Schatz, könntest du das Gemüse für den Salat waschen und schneiden?“

„Ja klar.“

Schnell schnappte ich mir Brett und Messer und begann das gewaschene Gemüse zu schnippeln.

„Wo warst du denn so lange?“

„Ich war noch am Strand spazieren und bin auf Steinen, die da sind, eingeschlafen. Deshalb hat es so lange gedauert.“

Der Mundwinkel von meiner Mom zuckte verräterisch, als sie versuchte, ihr Grinsen zu verstecken. Ihre Augen sprühten amüsierte Funken.

„Ach so. Und ich dachte schon, du hast dich verlaufen.“

Das hätte durchaus auch passieren können, denn mein Orientierungssinn ist nicht der Beste. Meine Mom ist eine wirklich wunderschöne Frau. Mit ihren etwas längeren, braunblonden Haaren und ihren rehbraunen Augen sah ich ihr unheimlich ähnlich. Es kam nicht selten vor, dass wir für Schwestern gehalten wurden. Sie ist aber nicht nur von außen schön, sondern auch von innen. Sie ist witzig, humorvoll, kann aber auch ernst sein und hat für alle immer ein offenes Ohr.

„Nein das hab ich nicht. Du musst mich leider noch ein bisschen aushalten.“

Auch in mein Gesicht hatte sich ein Grinsen geschlichen. Schnell machte ich einen Satz zur Seite um dem Geschirrtuch auszuweichen mit dem meine Mama spielerisch nach mir schlug. Kichernd rannte ich ins Wohnzimmer, dicht gefolgt von meiner Mom. Ja meine Mom ist echt cool. Was nicht viele von ihrer Mom behaupten können.

„Papa rette mich! Mom will mich fangen!“

Kichernd suchte ich hinter meinem Dad Schutz. Zum Schluss lagen wir alle kichernd auf dem Sofa und jeder kitzelte jeden. Vielleicht hört sich das jetzt kindisch an, aber so waren wir nun mal. Ja wir waren verrückt, vielleicht auch etwas gestört aber wir halten zusammen wenn es hart auf hart kommt.

„Riecht ihr das auch?“ fragte mein Dad auf einmal. Mein Dad war toll, in vielerlei Hinsichten. Mit seinen schwarzen Haaren und seinen smaragdgrünen Augen ist er ein echter Hingucker. Er muss früher der Schwarm der Schule gewesen sein. Zumindest erzählte er das immer und das konnte ich mir gut vorstellen. Ich zog die Luft durch die Nase ein und dann roch ich es auch, in der Luft lag ein angebrannter Geruch.

„Verdammt!“, laut fluchend verließ meine Mom fluchtartig das Wohnzimmer.

„Die gute Soße…“

Auch mein Dad und ich machten uns auf den Weg in die Küche und betrachteten die Bescherung. Zum Glück hatten wir es noch rechtzeitig bemerkt.

„Aber es geht noch. Die Käsesoße kann man noch essen.“, stellte meine Mom erleichtert fest. Ich liebte dieses Essen, Penne mit Käsesoße und einen bunten Salat, in den ich noch schnell ein paar Pilze schnitt.

Kurze Zeit später saßen wir alle essend im Esszimmer. Pia lag babbelnd auf ihrer Decke und spielte mit ihrer Rassel. Viele von euch werden sich jetzt sicher wundern, dass ich noch eine so kleine Schwester hatte, aber Pia war quasi unser Nachzügler. Und dennoch liebte ich sie über alles. Immer wieder quietschte sie verzückt auf, was mir jedes Mal ein Schmunzeln auf die Lippen zauberte.

Irgendwann später saßen wir alle auf dem Sofa und schauten einen Film an. Pia war bereits im Bett und auch mir fielen langsam die Augen zu und immer wieder musste ich ein Gähnen unterdrücken. Irgendwann hatte mein Dad genug von meiner Müdigkeit, denn er sagte seufzend: „Lisa geh doch ins Bett wenn du müde bist.“ Früher hatte ich immer geantwortet, dass ich noch nicht müde sei und kurze Zeit später war ich im Land der Träume abgetaucht, doch heute hörte ich auf meinen Vater und ging ins Bett.

„Gute Nacht und bis Morgen“, fügte ich noch gähnend hinzu bevor ich die Treppe in Richtung Bett hochging.

* * * * *

Am nächsten Morgen wachte ich früher als gewöhnlich auf. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es erst halb acht war. Noch war es still im Haus, da meine Eltern und Pia noch schliefen. Also schlich ich leise die Treppe hinunter und trat auf die Terrasse. Auch im Freien war es noch still. Ich streckte mich bevor ich doch wieder ins Haus ging. Im kurzen Schlafanzug war es doch noch recht frisch. In meinem Zimmer angekommen zog ich schnell meine Sportsachen an und streifte eine Sweatshirt Jacke über. So jetzt noch meine Laufschuhe und dann konnte ich los. Leise fluchend suchte ich sie. Ich war mir sicher, dass ich sie gestern neben die Tür gestellt hatte aber sie waren nicht da. Ich fand sie schließlich unter dem Bett. Schnell zog ich sie an und huschte die Treppe wieder runter. Ich schnappte mir Muffel, unsere Bernhardiner Hündin, schrieb in der Küche noch schnell einen Zettel für meine Eltern, dass ich laufen war und dann machte ich mich auf den Weg. Vor dem Haus viel ich in ein lockeres Lauftempo. Mein Weg führte mich an den anderen Ferienwohnungen vorbei, geradewegs Richtung Strand. Leise plätscherten die Wellen ans Ufer. Direkt neben dem Sand war ein kleiner asphaltierter Weg. Alles war still, wie es aussah war ich die einzige weit und breit. Ich liebte es, morgens zu joggen. Vor allem wenn ich den Hund mitnehmen konnte. Tief zog ich die kühle Luft in meinen Körper ein und behielt sie einige Sekunden bevor ich sie wieder ausstieß. Ich ließ meine Gedanken schweifen, bis ich schließlich bei meinem Pferd ankam. Meine Hannoveraner Stute Madame Finesse war mein Ein und Alles. Ein Zitat, das ich mal irgendwo gehört hatte fiel mir ein: Ein Pferd ist dein Spiegelbild. Es schmeichelt dir nie. Es spiegelt dein Temperament. Es spiegelt auch deine Schwankungen. Ärgere dich nie über dein Pferd; du könntest dich genauso gut über dein Spiegelbild ärgern. Ja das stimmte. Wenn ich sauer oder traurig in den Stall kam, wusste Finesse genau, dass etwas nicht stimmte. Sie stellte keine nervigen Fragen, oder wollte wissen was ist. Sie lenkte mich einfach ab. Manchmal waren Tiere einfach die besseren Freunde. Sie stellten keine Forderungen und nahmen dich einfach so wie du bist.

Und dann war da Caro, meine beste Freundin. Caro war super nett und mega hübsch. Ja, mit Caro konnte man Pferde stehlen. Sie war im gleichen Stall wie ich und wir waren regelmäßig zusammen auf Turnieren unterwegs. Sie mit ihrem Wallach Star Light, der zwar schon 15 war aber sich oft genug wie ein vierjähriger Hengst benahm, und ich mit meiner Madame Finesse. Mittlerweile starteten wir in Springprüfungen bis Klasse M. Das Springen war mein Leben. Schon als kleines Mädchen hatten mich Pferde fasziniert. Diese großen und edlen Tiere, die aber sanft wie ein Lämmchen sein konnten. Mein Herz schlug schon seit einer ganzen Weile für den Turniersport. Turniere waren für mich ein Ort der Begegnung. Du triffst Menschen, die du meistens nur auf dem Turnier siehst und dennoch sind diese Menschen wie eine Familie für dich. Unser Hobby verbindet uns und es ist wundervoll. Mit Caro war ich genau auf einer Wellenlänge. Auch wenn wir auf den Turnieren nicht selten als Konkurrenten antreten, verbindet uns etwas ganz Großes. Wir gönnen uns gegenseitig den Erfolg. Bei uns gibt es kein, du bist besser oder ich bin schlechter. Wir helfen uns gegenseitig und spornen uns an. Inzwischen war ich schon ziemlich weit gelaufen und legte einen kurzen Stopp ein um mich zu dehnen und mir meine Weste um die Hüfte zu binden. Verträumt ließ ich den Blick über das Meer schweifen. Einige Enten und Möwen waren auch schon wach und schwammen genüsslich über das Wasser. Ein Lächeln schlich sich in mein Gesicht, als ich eine Entenfamilie entdeckte. Die Baby Enten schwammen ihrer wild schnatternden Mutter hinterher. Total süß. Nachdem ich meine Dehnsession abgeschlossen hatte, machte ich mich auf den Heimweg. Ich warf einen Blick auf mein Handy und stellte fest, dass es schon nach neun war. Wie schnell die Zeit verging. Normalerweise war ich morgens immer eine Stunde unterwegs und jetzt musste ich ja auch noch den ganzen Weg zurück joggen. Plötzlich erfasste mich eine Welle des Glücks. Woher die gekommen ist, wusste ich auch nicht so genau. Das hatte ich immer wieder. Von jetzt auf gleich war ich super happy. Auf den ersten Blick sah das nach Stimmungsschwankungen aus, aber das war es nicht. Denn bei solchen hatte man ja auch plötzliche Downs, aber die blieben bei mir, Gott sei Dank aus. Allgemein spürte ich die „Nebenwirkungen“ der Pubertät nicht besonders. Ich fand weder meine Eltern besonders unerträglich noch litt ich unter Stimmungsschwankungen. Es wäre allerdings mal interessant, ob das auf die andern auch so wirkt, oder ob ich mir das nur selber einbilde. Wenn ich diese glücklichen Phasen hatte, hatte ich das dringende Bedürfnis zu rennen. Und das tat ich dann auch. Ich legte einen kurzen Sprint hin bevor ich wieder langsamer wurde, aber dennoch in einem zackigen Tempo weiter joggte. Dieses Tempo hielt ich bis ich die Ferienwohnungen sehen konnte. Erst dann drosselte ich mein Tempo bis ich schließlich ging. Mein Herz schlug schnell und ich brauchte einige Minuten bis ich meine Atmung wieder unter Kontrolle hatte. Auch Muffel hechelte wild neben mir. Als ich bei unserer Ferienwohnung ankam, hatte sich mein Atem wieder völlig beruhigt. Schweißperlen glänzten auf meinen Armen und liefen mein Gesicht hinunter. Auch mein Rücken war komplett nass. Im Haus war Pias Quasseln schon zu hören. Obwohl ich verschwitzt war und schnellstmöglich unter die Dusche wollte, ließ ich es mir nicht nehmen noch schnell zu Pia zu gehen und mir ihr zu kuscheln.

„Ja meine Süße, ich spiel gleich mit dir aber erst muss ich unter die Dusche, ich stinke.“ Wie um mir zuzustimmen quiekte Pia kurz auf. Ich schenkte ihr noch ein letztes Lächeln bevor ich mich umdrehte und die Treppe ins Bad hoch sprintete.

„Ich dusche noch schnell, dann können wir essen!“, rief ich meinen Eltern noch über die Schulter zu. Schnell holte ich aus meinem Zimmer noch frische Unterwäsche und ein luftiges Kleid bevor ich im Bad verschwand. Ich konnte stundenlang duschen. Lange und heiß. Schnell steifte ich meine verschwitzten Sportsachen aus und schlüpfte unter die Dusche. Nach zehn Minuten, was für meine Verhältnisse sehr schnell war, trat ich wieder aus der Dusche. Die Spiegel waren beschlagen und auf den Fliesen kondensierte bereits das Wasser. Als ich das sah musste ich schmunzeln, mein Dad beschwerte sich in regelmäßigen Abständen darüber, dass ich so viel Wasser verbrauchte wie zwei. Aber im Moment war mir das sowas von egal. Vielleicht änderte sich das, wenn ich irgendwann meine Wasserkosten selber bezahlen musste, aber im Moment genoss ich es einfach solange so heiß zu duschen. Schnell öffnete ich das Fenster damit der Dampf ins Freie entweichen konnte. Weitere zehn Minuten später war ich fertig angezogen, geschminkt und auf dem Weg nach unten zum Frühstücken. Mein Dad konnte sich – wie sollte es auch anders sein – einen Kommentar nicht verkneifen.

„Da bist du ja endlich, ich dachte schon du bist zum Fisch geworden und schwimmst jetzt in der Kanalisation.“

Das war so typisch für ihn. Aber ich wusste ja, dass er es nicht ernst meinte. Und antwortete nur mit einem frechen Grinsen im Gesicht: „Nein, ich hatte meine Tauchsachen nicht dabei.“

Darauf lachte mein Dad nur. Schmunzelnd setzten wir uns an den Tisch und ließen es uns schmecken. Zum Frühstück gab es Müsli mit Joghurt, Früchten und Toast. Ich schlug ordentlich zu, denn der Lauf am Morgen hatte stark an meinen Kräften gezehrt. Ich schlurfte gerade meinen Kakao – ja ich trank trotz meiner 16 Jahren jeden Morgen noch Kakao – als mein Handy klingelte. Als ich einen Blick auf das Display warf, strahlte mir ein Bild von Caro entgegen.

„Hey, was gibt´s?“

„Hey Lisa, ich bin gerade im Stall und Finni hat einen Abszess im Huf. Direkt neben dem Strahl. Ich hab jetzt schon Rivanol angemacht und wollte bevor ich ihr den Verband hinmache noch mit dir reden.“ Caro nannte meine Stute immer Finni, am Anfang um mich zu ärgern und mittlerweile einfach weil sie es sich so angewöhnt hatte.

„Oh shit. Das hatte sie schon einmal. Aber Rivanol ist gut, das hab ich letztes Mal auch gemacht. Nimm am besten diese Windelrolle für den Verband. Die müsste in meinem Spint sein. Und das Klebeband ist auch da.“

„Okay, dann mach ich das gleich.“

„Perfekt. Danke du bist echt ein Schatz, ich danke dir.“

„Kein Problem. Warte ich stell dich auf Lautsprecher, dann kann ich gleich den Verband hin machen. Erzähl, wie ist es in Dänemark?“

„Hier ist es echt super. Total schön und echt entspannend.“

„Und wie sieht´s mit heißen Jungs aus?“

„Man Caro, du bist unmöglich! Die lasse ich schön in Ruhe. Aber ich hab noch niemanden gesehen der meinen Anforderungen standhalten würde.“

Jetzt musste ich wirklich lachen. Meine Eltern warfen mir einen seltsamen Blick zu.

„Jetzt komm schon Lisa, du bist am Meer da müssen doch ein paar heiße, wohlgemerkt halbnackte, Typen rumlaufen.“

„Nein im Ernst. Da ist niemand“, erwiderte ich todernst. Zumindest versuchte ich das.

„Ja wie dem auch sei, ich muss los. Mach nichts was ich nicht auch tun würde.“ Jetzt war Caro es, die lachen musste.

„Natürlich nicht. Mach´s gut.“

„Ja du auch. Ich hab dich lieb.“

„Ich dich auch.“ Mit diesen Worten legte ich auf.

„War das Caro?“, fragte mein Dad auch gleich.

„Nein das war Georg mein Freund. Er ist 26 und veganer. Außerdem arbeitet er als Callboy in Hamburg“, antwortete ich ironisch und verdeutlichte diese Aussage mit einem Augenrollen. Daraufhin lachte mein Dad nur.

Den restlichen Vormittag verbrachte ich am Strand und las. Bücher waren neben meinem Pferd meine Leidenschaft. Man konnte schon fast sagen, ich war ein richtiger Bücherwurm. Manchmal war es echt nervig weil es einfach zu viele gute Bücher gibt. Vor allem beim Lernen war die Versuchung oft groß, statt zu Lernen zu Lesen. Aber lieber süchtig nach Büchern als nach irgendwelchen sinnlosen Videospielen. Virtuellen Spielen konnte ich überhaupt nichts abgewinnen. Ich meine was hatte das für einen Sinn? Du baust Häuser oder bekämpfst irgendwelche anderen Spieler, aber mit welchem Ziel? Ich konnte nicht verstehen wie sich manche stundenlang mit so etwas beschäftigen konnten. Aber jedem das Seine. Ich war lieber draußen, bei den Pferden. Und dann konnte es schon mal vorkommen, dass ich im Stroh neben Finesse´ las.

Mir war es sogar schon passiert, in Finesse´ Box einzuschlafen. Mit einem Schmunzeln dachte ich daran zurück. Ich war damals fix und fertig. Michelle, meine Springtrainerin und gute Freundin, hatte mich an diesem Tag wieder besonders leiden lassen und nicht Schluss gemacht, bevor nicht alles wirklich perfekt war. Deshalb war ich nach der Springstunde auch fertig wie ein Brot. Ich bin damals also zu Finesse in die Box gegangen und hab mich verkehrt herum auf sie gesetzt, so konnte ich mich hinlegen und meinen Kopf auf ihren hinteren Rücken legen. Eigentlich wollte ich nur ein bisschen entspannen und nicht einschlafen, aber wie sollte es anders sein? Ich bin eingeschlafen und erst wieder aufgewacht, als meine Mom mich anrief und fragte wo ich solange blieb. Damals bin ich fast von Finesse gerutscht weil auch sie sich erschrocken hatte. Ja wir haben schon echt viele witzige Dinge im Stall gemacht, aber es war immer lustig. Gegen Mittag machten sich meine Eltern mit der kleinen Pia auf den Weg wieder nach Hause, denn Pia war müde und musste ins Bett zu ihrem Mittag schlaf. Diese Zeit nutzte mein Dad auch immer um sich aufs Sofa zu legen und einige Stunden zu schlafen. Meine Mom machte in der Zeit meist etwas fürs Büro. Meistens arbeitete sie von daheim aus. Das war ziemlich praktisch, da sie immer zuhause war wenn irgendetwas war. Und selbst im Urlaub konnte sie es nicht lassen wenigstens ein bisschen zu arbeiten.

Ja und so zog der Tag ins Land. Normalerweise konnte ich das nicht so, einfach rumliegen und nichts tun, ich war eher der Typ der immer etwas zu tun haben musste. Wobei das stimmte nicht ganz, wenn ich ein gutes Buch hatte, konnte ich stundenlang nichts tun und lesen. Aber ansonsten musste ich immer was zu tun haben. Ich war eine richtige „Working Person“. Heute war nicht so schönes Wetter wie gestern, weshalb fast niemand im Wasser war. Allgemein waren nicht viele Urlauber am Meer. Entspannt ließ ich meinen Blick über den Sand und das Meer schweifen. Hier war es wirklich schön, wenn es etwas wärmer wäre, könnte man im Meer schwimmen und sich dann von der Sonne trocknen lassen. Vielleicht wird es ja die Tage noch wärmer. Ich vertiefte mich wieder in mein Buch und vergaß alles um mich herum. Irgendwann beschloss ich, nochmal zu den Steinen zu gehen auf denen ich gestern eingeschlafen war. Die Aussicht war grandios. Die Weite des Ozeans lag vor mir und wenn man genau hinschaute, sah man am Horizont ein Schiff. Wie gestern setzte ich mich auf einen der Steine und genoss die Wärme, die der Stein gespeichert hatte. So saß ich noch einige Zeit und beobachtete das Schiff auf dem Wasser. Irgendwann warf ich einen Blick auf mein Handy und stellte entsetzt fest, dass es bereits 17 Uhr war. Puh, wo ist die Zeit hin? Schnell rappelte ich mich auf und wollte mich gerade umdrehen, als sich hinter mir jemand räusperte. Auf einem der Steine stand ein Junge und musterte mich interessiert. Er war etwas älter als ich. Ich schätzte ihn so auf 18. Ganz lässig fragte er: „Na, was machst du denn hier?“

Ich konnte nicht sofort antworten. Es war Wind aufgekommen, mein Haar, flog mir ins Gesicht. Bevor ich dann doch antwortete, musste ich mir meine Haare aus dem Gesicht streichen und es ärgerte mich, dass ich sie nicht zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte. Der Junge schaute mich immer noch an. Noch immer ganz geblendet von seinem Aussehen antwortete ich endlich, genauso lässig, zumindest versuchte ich es: „Ähm ich hab mich hier hingesetzt und die Aussicht genossen. Warum, sind das etwa deine Steine hier?“

„Na ja, meine nicht, aber die meines Vaters und der mag´s nicht besonders wenn Fremde auf ihnen herum turnen“ sagte er doch eiskalt. Ich glaubte mich verhört zu haben. Was dachte sich dieser Typ überhaupt? Das konnte doch echt nicht wahr sein.

„Ich hab nicht auf den Steinen deines Vaters herum geturnt!“, sagte ich gereizt.

„Hey, hey, was bist du denn jetzt so zickig?“, fragte er besänftigend.

„Ich bin gar nicht zickig. Und außerdem wüsste ich nicht warum ich mich überhaupt mit dir unterhalte!“ Ohne mich nochmal umzudrehen stapfte ich davon.

„Ich heiß übrigens Lucas.“ rief er mir noch hinterher, doch ich tat, als hörte ich es gar nicht mehr. Als ich mir sicher war, dass er mich nicht mehr sah, verlangsamte ich mein Tempo. Lucas war also sein Name. Heilige Scheiße. Er sah unverschämt gut aus, die Haare blond und verstrubbelt nach allen Seiten abstehend. Es sah fast so aus, als wäre er gerade erst aufgestanden. Aber ich kannte Jungs wie ihn, sie standen morgens ewig im Bad um seinen Haaren diesen out of bed Look zu verpassen. Aber dann, redete ich mir ein, dass er sich wie ein Arsch benommen hatte, was so zwar nicht ganz stimmte aber das war egal. Doch es war ja klar, dass es nicht funktionierte. Ob er noch an mich dachte? Ach was, ein Junge wie er, konnte jede haben. Was sollte er dann mit einer wie mir wollen? Momentmal, mit einer wie mir? Ich bin nicht hässlich! Oder? Plötzlich kamen Zweifel auf. War ich wirklich nicht hässlich? Es gab Tage, da versteckte ich mich hinter meinem Make-up. Vielleicht war ich ja doch nicht so hübsch. Wie ich wohl auf ihn gewirkt hatte? Was dachte er über mich? Oder dachte er überhaupt an mich? Vielleicht hatte war er nur genervt gewesen, weil jemand auf diesen Steinen war. Seine Stimme, obwohl sie so kalt klang, war sie wunderschön. Man konnte fast sagen, dass ich noch nie eine solche Stimme gehört hatte. Sie war sanft aber dennoch tief und männlich. Ich könnte mich selbst ohrfeigen, da sah ich einen gut aussehenden Typen und schon fing ich an zu sabbern. Das war echt dumm und naiv. Ich mein, schwärmen konnte man ja, aber es brachte einfach nichts. Genervt kam ich an unserem Ferienhaus an. Meine Mom kam schon auf mich zu als ich gerade durch die Haustür gekommen war. Mit meiner kleinen Schwester Pia auf dem Arm. Pia war erst 8 Monate alt und einfach zu süß.

„Hey wo warst du denn so lange? Würdest du bitte noch mit Muffel eine Runde laufen bis ich das Abendessen vorbereitet habe?“

„Ja klar. Wie lange dauert es denn noch?“

„Das kommt darauf an, ob dein Dad mir hilft. Wenn nicht dauert es noch eine dreiviertel Stunde. Wenn er mir hilft mindestens doppelt so lange.“

Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, denn es stimmte. Mein Dad war der ungeschickteste Mann in einer Küche.

Schnell ging ich zu Muffel, die wie so oft in ihrem Körbchen lag.

„Muffel, komm wir gehen noch eine Runde spazieren“, sagte ich, nahm sie an die Leine und ging los. Ich schlug den Weg zum Strand ein, dieser war wie leer gefegt. Ein paar einzelne Handtücher lagen noch verstreut herum. Eine Weile ließ ich Muffel neben mir herlaufen, als ich den Sand unter meinen Füßen spürte, machte ich Muffel von der Leine los. Vor Freude bellend düste sie davon. Unwillkürlich musste ich lachen. Ich zog meine Schuhe aus und lief Muffel langsam hinterher.

„Warum lachst du?“, fragte eine dunkle Stimme, die ich unter hunderten wiedererkannt hätte. Obwohl ich diese Stimme noch erst ein einziges Mal gehört hatte, war sie beängstigend vertraut. Ich zuckte zusammen und drehte mich langsam um. Bissig antwortete ich: „Was willst du denn schon wieder?“

„Ist das dein Sand?“, gab er mit den gleichen Worten wie ich vorhin grinsend zurück. Ich musste schmunzeln und er erwiderte mein Schmunzeln. Lucas wiederholte seine Frage von eben:

„Und, warum hast du eben gelacht?“

„Weil mein Hund so wild davon gerannt ist, darum. Und was machst du hier?“

„Ich gehe abends oft hier am Strand entlang, weil da wo ich herkomme gibt es keine so tollen Strände nur Häuser, Straßen und Autos.“

Jetzt hatte er mich am Haken, ich würde nur zu gerne wissen wo er herkommt. Und bevor ich mich versah, fragte ich auch schon:

„Warum, wo wohnst du denn?“ Verdammt das wollte ich mir doch verkneifen! Beinahe beschämt sah ich ihn an.

„In Hamburg, und du?“ Ganz verblüfft antworte ich:

„Hey, ist ja witzig, ich wohne auch in Hamburg! Wo genau?“ „Francop, und du?“

„Krass, das ist fast unmöglich.“

„Ist ja Hammer. Und noch eins, hast du nicht gesagt du bist mit deinem Hund da?“

Ganz verblüfft über die Frage schaute ich ihn an und antwortete: „Ja, warum?“

„Wo ist der dann, ich sehe keinen Hund!“

Ich schaute mich um und tatsächlich, sie war weg!

„Scheiße! Muffel? Muffel!“

Jetzt war es Lucas der verblüfft drein schaute:

„Muffel?“ Fragte er auch schon prompt.

„Ja Muffel, warum, hast du was gegen den Namen?“

„Nein, aber ich habe noch keinen Hund getroffen, der Muffel heißt!“

Zu zweit machten wir uns auf die Suche nach Muffel. Als wir sie nach einer halben Stunde endlich gefunden hatten, hatten wir uns schon näher kennengelernt. Zum Beispiel wusste ich jetzt dass er Lucas Carter hieß und 18 Jahre alt war, dass er eine Katze und eine kleine Schwester hatte. Ich fühlte mich in Lucas´ Gegenwart wohl. Er war ein aufmerksamer Zuhörer und schien ernsthaftes Interesse an meinen Antworten zu haben. Leicht beschämt musste ich feststellen, dass Lucas ganz und gar nicht arrogant oder abgehoben war. Er war bodenständig und locker.

„Ich weiß jetzt schon eine ganze Menge über dich, aber eines weiß ich noch nicht, und das ist ziemlich wichtig, oder soll ich immer mit - DU DA!- ansprechen?“

„Oh, ja, äh ich heiße Lisa.“ Als mich Lucas erwartungsvoll ansah, fügte ich hinzu:

„Lisa Breitner.“

Als wir dann in wildes Gelächter ausbrachen bellte sogar Muffel wie wild.

„So, jetzt muss ich aber wirklich nach Hause, sonst gibt es Ärger.“, sagte ich zu Lucas.

„Okay dann geh ich auch mal, wollen wir uns morgen wieder treffen?“

„Fände ich schön. 10 Uhr an den Felsen deines Vaters?“ „Okay dann bis morgen.“ Stimmte Lucas mit einem verschmitzten Grinsen zu.

Mit einem Kribbeln im Bauch verabschiedete ich mich von Lucas. Und obwohl ich ihn erst seit ein paar Stunden kannte, fand ich nun nicht mehr, dass er ein Arschloch war. Meine Gedanken kreisten unaufhörlich um ihn. Er war extrem heiß. Seine blonde Haare, seine klare Augen, sein Körper. Halleluja sein Körper ist der Hammer. Einfach alles. Hatte ich überhaupt eine Chance bei ihm? Obwohl ich normalerweise eine sehr selbstbewusste Person bin, war ich mir nicht sicher, ob ich nicht lieber in meiner Liga spielen sollte. Denn Lucas spielte zweifelslos in einer anderen Liga. Wenn ich nur an ihn dachte lächelte ich. Als ich zu Hause ankam, duftete das ganze Haus schon nach Spagetti Bolognese. Ich hoffte, dass niemand fragte, warum ich so lange weg war, und ich hatte Glück. Als ich am späten Abend ins Bett ging, dachte ich noch mal an Lucas. Und ich stellte mir vor, dass ich in seinen Armen einschlafen würde. Es war verrückt sich das vorzustellen, aber alleine die Vorstellung ließ mich erschaudern.

* * * * *

Wir schwammen im eiskalten Meer. Aber keinen von uns störte es, dass das Wasser so kalt war. Wir schwammen nicht mehr sondern schauten uns tief in die Augen. Und erst jetzt fiel mir auf was für schöne Augen er hatte. Sie waren blau wie das Meer, und so klar, dass sich die Sonne darin spiegelte. Ich versank förmlich in seinen Augen. Um uns herum waren spielende Kinder. Doch mir kam es vor als wären die Kinder hinter einem tiefen Schleier, nein die ganze Außenwelt war hinter einem Schleier. Es war als gäbe es nur uns zwei. Nur ihn und mich.

„Hier ist es wunderschön.“, sagte er, nein er flüsterte es eher, so dass nur ich es hören konnte. Er schaute auf meine Lippen, dann in meine Augen und schließlich setzte er zum Kuss an. Es war ein wundervolles Gefühl seine weichen, warmen Lippen auf meinen zu spüren. Der Kuss war leidenschaftlich aber nicht grob.

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