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1b. Die Psychologie der Drachensymbolik

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Während wir heranwachsen, bauen wir eine Persönlichkeit auf, die uns hilft, möglichst problemlos mit anderen zusammenzuleben. Gleichzeitig wirft diese Persönlichkeit einen Schatten und bindet Kraft beim Drachen, die uns dann im bewussten Leben fehlt. Wenn wir uns von 'erwachsen' zu 'weise' entwickeln, vollzieht sich eine Nachreifung und die Spaltung in Persönlichkeit und Schatten wird wieder aufgehoben. Das erkannte man in der Psychologie und setzt in den Therapiegesprächen darauf, den Schatten zu integrieren.

Für die Psychologie habe ich mich schon immer interessiert. Aus den beiden Lehrerstudien, den fünfundzwanzig Jahren Berufspraxis als Lehrerin und den über hundert eigenen, psychoanalytischen Therapiestunden habe ich eine Menge mitgenommen. Später spezialisierte ich mich auf Lebenskraft, Bewusstsein und bewusstes Erschaffen. Mein theoretischer Hintergrund und meine praktischen Erfahrungen ermöglichten es mir, tiefer in mein Unbewusstes vorzudringen und authentischer ich selbst zu werden. Ich hoffe, dass meine Erklärungen auch dir helfen, dich besser zu verstehen und den Schatz in dir zu heben.

Es ist ein natürlicher Vorgang, dass unsere psychische Kraft in unserem Leben immer weiter zunimmt und in der Weisheit des Alters gipfelt. Es gab Kulturen, wo man das wusste, und die Alten dafür geehrt wurden. Unsere Gesellschaft vergleicht die Äußerungen ihrer Senioren lieber mit dem Zeitgeist und betrachtet sie als überholt. Da werden sogar Professoren in ihrem Fach nicht mehr ernst genommen, sobald sie aus dem Berufsleben ausgeschieden sind. Vielleicht ist dir das auch schon aufgefallen.

Verläuft dein Lebens ideal, wirst du allmählich weise. Du hast mit dem Älterwerden das Gefühl, mehr und mehr mit dir ins Reine zu kommen. Du erwirbst Verständnis für deine Eltern, sobald du selbst Kinder hast. Meistens, indem du versuchst, es besser zu machen als deine Eltern und es dann doch nicht gelingt. Sind deine eigenen Kinder groß, merkst du, dass sie genauso über dich denken, obwohl du doch alles anders gemacht hast. Anders ja, aber nicht besser. Und dann beobachtest du, was deine Kinder mit den Enkeln erleben. Hattest du keine eigenen Kinder, beobachtest du andere und kommst zu neuen Einsichten.

Der ideale Lebensverlauf macht dich nicht nur weise, sondern auch psychisch stark, weil Lebensthemen, die schon seit deiner Kindheit beim Drachen lagen, durch neue Erfahrungen getriggert werden und sie beeinflussen. Ähnliche Themen und ähnliche Gefühle sorgen dafür, dass die alten Erfahrungen zusammen mit den neuen bearbeitet und vollendet werden. Bei mir war das zum Beispiel der Blick auf das Erziehungsgeschehen aus Sicht des Kindes, des Schulkindes, der Pubertierenden, der Mutter, dann der Pädagogik-und-Psychologie-Studierenden, der konventionellen Lehrerin, der spirituellen Lehrerin, der Sonderschullehrerin, der Seminarleiterin, der Großmutter und schließlich der abgeklärten Alten, die über Erziehung nicht mehr nachdenkt. Heute interessiere ich mich stattdessen dafür, das echte Selbst in jedem Menschen zu fördern.

Wie genau du Themen vollendest und dabei stark und weise wirst, wird dir im Verlauf des Buches ausführlich erklärt. Du wirst eine Routine erwerben, besser mit einem Thema umzugehen. Deine Lebenskraft verstärkt sich durch die erfolgreiche Bewältigung einer Erfahrung und gleichzeitig durch die Mitbewältigung deines Schattens. Zum Beispiel korrigierst du ein vorschnelles Urteil oder eine Meinung und kannst eine drei auch mal grade sein lassen. In deiner Drachenhöhle wird dadurch aufgeräumt. Du merkst es daran, dass dieses ganze Thema bei dir einfach ‚durch‘ ist. Du hast kein Interesse mehr daran.

Wir erforschen unsere Welt immer in Gegensatzpaaren. Mit Bausteinen wie ‚heiß‘ und ‚kalt‘ bauen wir unsere Begriffswelt auf. Das sind dann die Lego-Bausteine für unser bewusstes Denken. Die Vorschulerziehung ist voll davon. Es wäre jedoch infantil, dabei stehenzubleiben. Wann immer du einen Pol erfahren willst, entsteht gleichzeitig sein Gegenteil im Schatten. Unser Bewusstsein will und unser Unbewusstes schlägt machtvoll zurück. Bestes Beispiel dafür ist der Jo-Jo-Effekt nach einer Diät zur Gewichtsreduktion. Irgendwann setzt sich das Unbewusste wieder stärker durch als das vom Willen gesteuerte Bewusste, es ist derart machtvoll. Auf das Erschaffen ohne Jo-Jo-Effekt kommen wir noch.

Jedes erfolgreich gelöste Problem, jede integrierte Erfahrung, jedes bestandene Abenteuer – in der Kindheit bis ins hohe Alter – vergrößert deine Kraft und deine Durchsetzungsfähigkeit. Oder um im Bild zu bleiben, dein Drache lässt mehr Lebenskraft durch das Tor fließen, er hat jetzt mehr Platz, um vom Tor wegzurutschen. Diese psychische Kraft steht dir dann zur Verfügung, um dir das Leben so zu gestalten, wie du es haben willst. Du wächst an deinen Aufgaben und deine Kraft wächst mit dir. Deine Lebenskraft spürst du als Freude am Dasein, du kannst überzeugen und deine Ideen durchsetzen.

In der Umkehrung gilt: Wenn du dich einer Erfahrung nicht stellst, eine Aussprache oder eine Entscheidung vor dir herschiebst, ein Ereignis verdrängst, jemanden auf später vertröstest, dich selbst belügst, Ausreden erfindest, dich verbiegst, dich aufgibst, dich bedauerst oder dich verurteilst, rutscht dein Drache wieder näher ans Tor und schließt es mit seinem massigen Körper, bis da schließlich nur noch ein Rinnsal an Lebenskraft an seiner äußersten Schwanzspitze vorbei in dein Leben fließt. Dein Drache belohnt dich also, wenn du für dich einstehst, und er entzieht dir seine Unterstützung, wenn das, was du tust, nicht zu dir passt. Er vergisst nie, wie du wirklich bist und was du wirklich brauchst und wohin du dich entwickeln willst. Dein Drache will, dass es dir selbst gut geht und nicht den anderen. Es ist ja dein Drache.

Das ist seine Aufgabe. Er hält in dir die Erinnerung wach, wie du wirklich bist. Er nährt die Sehnsucht nach deinem authentischen Selbst und gibt alles, um die Spaltung aufzuheben, die im Kindesalter mit uns allen geschah. Sie ist für die Erziehung in unserer Gesellschaft typisch: Die Spaltung in Persönlichkeit und Schatten. Der Aufbau einer Persönlichkeit geschieht ganz unmerklich und allmählich und ist immer mit dem gleichzeitigen Aufbau eines Schattens verbunden. Unsere Persönlichkeit setzt sich aus dem zusammen, wer wir glauben zu sein, und aus dem, wer wir sein wollen. Das bedeutet auch, wir wissen genau, was wir nicht sind und wie wir nicht sein wollen. Diese abgelehnten Eigenschaften übergeben wir unserem Drachen zu treuen Händen.

Wie funktioniert das? Du entdeckst vielleicht in der ersten Klasse, dass dir das Rechnen nicht liegt. Ab sofort definierst du dich als ‚Mathe ist nicht mein Ding‘, und das denkst du, obwohl du noch gar nicht wissen kannst, ob ein ganz anderer Teil der Mathematik dir Spaß machen würde. Wenn du das erst einmal entschieden hast, wirst du dich auch in Zukunft weniger für Mathematik interessieren und weniger aufmerksam dem Unterricht folgen und natürlich auch weiter schlecht in Mathe bleiben. Du wirst dir beweisen, dass du recht hast. Deinen anderen Pol (ich bin gut in Mathe) hast du auf dem Haufen beim Drachen abgelegt und fortan ahnst du nicht einmal, dass du für die Zinsrechnung ein echtes Talent entwickeln könntest oder für die Buchhaltung. Nein, du hast dich schon im Alter von sechs Jahren gegen die Zahlen entschieden.

Das ist nur ein Beispiel, doch so baust du aus all deinen Kindheitserfahrungen Standpunkte zu dir selbst und zu deinen Eigenschaften auf oder du übernimmst sie sogar direkt von anderen. Du definierst deine Persönlichkeit. Hat dein Vater dich einen Versager geschimpft, machst du auch das zu deiner Persönlichkeit und lebst fortan gekränkt weiter. War deine Reaktion auf die Bemerkung deines Vaters jedoch Protest, dann hat sich dein Drache schon damals gut um dich gekümmert. Und du hast vielleicht gedacht: „Dem werd ich's zeigen!“ und du wirst mit diesem Standpunkt ehrgeizig und erfolgshungrig. Aber auch das bist nicht du, diese Eigenschaft von dir ist reaktiv auf einen dummen Spruch deines Vaters entstanden und hat mit dir selbst nichts zu tun. Wir alle entwickeln im Laufe unserer Sozialisierung Meinungen über uns, die wir mit uns selbst verwechseln, die jedoch Standpunkte sind und nur wenig mit uns zu tun haben. Wir bestätigen sie aber gewohnheitsmäßig durch ein Verhalten wie im Beispiel mit den Zahlen beschrieben. Wir bilden soziale, schulische, wissenschaftliche und religiöse Standpunkte. Wann immer wir eine Erfahrung beurteilen und auswerten, erschaffen wir ein Stück Persönlichkeit und gleichzeitig ein Stück Schatten.

Du fragst dich jetzt sicher, was ist an einem Standpunkt denn so verkehrt? Nun: Er schränkt deine Fähigkeit ein, dein volles Potential zu entfalten. Er spaltet dich in bewusst und unbewusst, in Persönlichkeit und Schatten. Im Unbewussten eines Ehrgeizigen und Erfolgshungrigen liegt die Angst zu versagen, spürst du das? Und das Unbewusste ist stärker als das Bewusste. Die Chancen stehen also gut, dass er genau das auch erfährt: Sein Versagen. Schon eine einzige flapsige Bemerkung kann dein Leben sabotieren und dich in deinen Handlungen beeinflussen oder sogar lähmen. Doch nur, wenn du sie als relevant für deine Persönlichkeit anerkannt hast, weil ein für dich wichtiger Mensch so geurteilt hat. Es war deine Entscheidung, die das verursachte. Damit trennst du dich von deinem echten Selbst und damit auch von der ganzen Schöpfung und von den anderen Menschen, denn Nähe erfährst du nur über das Selbst. Das kannst du korrigieren und ich will dir dabei helfen.

Wie hat das mit der Persönlichkeit angefangen? Vielleicht warst du für deine Eltern als Kind oft zu laut und zu lebhaft. Also haben sie dich immer wieder kritisiert und angehalten, endlich Ruhe zu geben. So hast du dir angewöhnt, viel ruhiger zu sein, als es deinem Wesen entsprach. Dies ist eine Begrenzung, die dich auch jetzt als Erwachsener noch behindert. Natürlich geht es heute nicht mehr darum, zu toben oder zu johlen, aber in der einen oder anderen Situation würde dir etwas mehr Lebendigkeit schon guttun, oder? Alle Standpunkte werfen also einen Schatten, deine ganze Persönlichkeit tut das: In dir existiert so etwas wie eine Anti-Persönlichkeit, dein Gegenteil, das alles beinhaltet, was und wie du nicht sein willst. Das ist genau der Berg an Sachen, auf dem dein Drache liegt und schläft.

Du willst vielleicht ein guter und kein böser Mensch sein. Wer wollte das nicht? Damit sagst du dem Drachen im Schatten ‚es gibt das Gute und das Böse‘ mit einer klaren Anweisung: Das Böse soll als Erfahrung in deiner Realität existieren und du musst Angst davor haben. Du hast Angst vor dem Bösen, aber auch Angst davor, selbst für böse gehalten zu werden und darunter zu leiden. Noch mehr Angst hast du sogar davor zu entdecken, dass du selbst unwissentlich böse geworden bist, ohne dass du es gemerkt hast. Du hast in diesem Moment deine Unschuld verloren. Merkst du, dass dieses Konzept ‚nicht böse sein wollen‘ einen riesigen Schatten wirft, sobald du ‚Gutsein‘ als dessen Gegenteil anstrebst?

Und weil du dich nun für dieses Gegensatzpaar von Gut und Böse besonders interessierst, siehst du es fortan überall. Du verurteilst Menschen und Situationen und teilst sie ein in Gut und Böse. Es gibt keine Nuancen und Graustufen mehr, du entwickelst den Tunnelblick für Gut und Böse. Und dein Drache träumt dir weiter ganz brav böse Situationen in dein Leben, weil er annimmt, das ist, wie du die Welt sehen willst. Er glaubt dir sogar, dass die ganze Welt böse ist und macht sie für dich noch böser. Du siehst es nun überall. Du wirst auch tatsächlich mit viel größerer Wahrscheinlichkeit solchen Situationen begegnen, dein Drache zieht sie dir an. Und du wirst unweigerlich erfahren, dass auch du böse verurteilt wirst. Wie lange? Bis du dazu alles verstanden und durchfühlt hast. Irgendwann kennst du dich aus und das Thema wird dir langweilig und du interessiert dich nicht mehr dafür. Denn kein Mensch ist absolut gut oder böse. Er tut nur vielleicht Dinge oder denkt Sachen, die du nicht gut findest, aber er wird seine Gründe und unbewussten Impulse dafür haben. Solange du an einem Gegensatzpaar forschst, siehst du es überall: So ein guter Mensch! Und bei einem anderen zeigt dann das Böse seine Fratze.

Jeder braucht eine Persönlichkeit in dieser Welt, es geht nicht ohne. Du versuchst mit ihr so zu sein und dich so zu benehmen, dass du in die Gesellschaft hineinpasst und nicht zu oft Ärger bekommst. Oder du machst gerade damit sogar Karriere. Du versuchst dabei aber auch jemand zu sein, der du gar nicht bist. Diese Persönlichkeit musst du dann verteidigen und das kostet Kraft. So kommt der erste Kampf in dein Leben und du kämpfst aus Gewohnheit weiter. Du nutzt deine Lebenskraft ab sofort zur aktiven Verteidigung deiner Charaktereigenschaften, zum Beispiel, dass du ‚gut‘ bist. Mit der Zeit glaubst du sogar, das ganze Leben sei ein Kampf und siehst den brutalen Wettbewerb überall.

Beim Erwachsenwerden bringst du normalerweise innen und außen wieder bewusst zusammen und löst die Gegensatzpaare auf. Ja, du warst schon mal gut. Aber du warst auch schon mal böse. Ja, und man muss das auch nicht so eng sehen und werten, und es kommt auf die Situation an. Dein Schwarzweißdenken löst sich schließlich in jeder Menge bunter Zwischenfarben auf. Wer im Tunnelblick stecken bleibt, hat diesen Schritt noch nicht vollzogen. Er weigert sich, die Pubertät zu verlassen. Die Nachreifung und Vollendung erfolgt, wenn du bewusst deine Unschuld wiederherstellst, die du mit der Persönlichkeitsbildung verloren hast. Damals zog sich dein kleines, inneres Kind von deinem äußeren Ego zurück, und mit ihm dein Drache. Es merkte, es darf sich nicht frei bewegen und frei äußern, und dein Drache war noch viel weniger willkommen.

Deine Reise von unbewusst nach bewusst bringt im Idealfall alle Anteile wieder zusammen. Das innere Kind kann nachreifen und erwachsen werden und dein Drache wird mit seinem Erträumen von Erfahrungen dafür sorgen. Er liebt die Jungfrau, das Mädchen, den kleinen Jungen, das Kind in dir. Er schützt und behütet beide. Das innere Kind muss in allen Themen irgendwann erwachsen werden. Du musst ihm das erlauben, was es als Kind nicht durfte: Im Tagesbewusstsein da sein. Du gibst ihm dafür bewusst Spielräume, sich auszuprobieren und nachzureifen. Dir wird schon was einfallen, was deinem inneren Kind Spaß macht. Wenn alles in dir da sein darf und du ganz unverbogen und ohne Abspaltungen lebst, dann ruhst du in dir und folgst kraftvoll deiner eigenen Spur. Das Sammelsurium beim Drachen ist dann längst verschwunden, du hast aufgeräumt. Das innere Kind ist nachgereift und hat sich mit deinem Drachen und deinem Tagesbewusstsein vereint. Dann ist nicht mehr unterscheidbar, was in deinem Denken, Fühlen, Reden und Handeln gerade von deinem Tagesbewusstsein, deinem inneren Kind, deinem Drachen oder von einer übergeordneten Macht kommt. Du bist bewusst alles. Das Ego wird dabei immer kleiner, aber es verschwindet nie ganz. Es wird nur zum Diener, zum Assistenten. Dein Verstand muss die unbewussten Anteile bewusst in der Geschäftsleitung aufnehmen und Weisheit zulassen.

Diese Nachreifung kann schnell gehen und in diesem Buch zeige ich dir, wie du das machst. Ich möchte dich fördern, ganz du selbst zu sein. Und das ist mehr, als du dir jetzt überhaupt vorstellen kannst. Der Begriff ‚Selbstbewusstsein‘, wie wir ihn benutzen, ist irreführend. Es ist nicht das Bewusstsein deines Selbst, das aufgebaut wird. Du stärkst in der Regel nur eine künstliche Persönlichkeit und mit der definierst du dich im Vergleich zu anderen. Was wir umgangssprachlich ‚Selbstbewusstsein‘ nennen, ist pures Ego-Bewusstsein und damit das genaue Gegenteil. Ein Ego erzeugt im Inneren einen riesigen Schatten als Nicht-Ego. Es ist ein selbst gebautes Gefängnis, denn nun träumt der Drache abgeschottet von der Welt immer wilder. Es sind dann die anderen da draußen, die keinen Charakter haben. „Wie kann man sich so benehmen?“ sagt dann die Ego-Persönlichkeit. "“Wie kann der so etwas tun?“ wird dann geurteilt. Und dann will man selbst mit einem solchen Menschen nichts mehr zu tun haben. Schnell ist eine Schublade gefunden (links, rechts, Antifa, Aluhut, AFD, Nazi, dumm, verrückt), um ihn abzuwerten und zu bekämpfen. Doch dann machen sie Erfahrungen. Ein Schicksalsschlag oder zwei, oder drei und aus den Trümmern der alten Persönlichkeit entsteht Demut.

Manche Menschen bauen einen Panzer aus Standpunkten um sich herum auf. Ihre Persönlichkeit steht dann so fest wie eine Burg und sie selbst sind immer bereit für Krieg (Angriff und Verteidigung bzw. Urteil und Verletzung). Die wehrhafte Burg schützt vor Veränderung und soll diesem bedauernswerten Menschen wenigstens ein winziges Gefühl von sich selbst vermitteln. Diese Persönlichkeiten wirken meist psychisch sehr stabil und verteidigen ihre Grundansichten erfolgreich. Man nennt sie dann einen starken Charakter. Ich nenne sie Charakterpanzer und wie dieses militärische Gerät sind sie auch unterwegs, sie bedrohen ihre Mitmenschen mit abfälligen und wenig empathischen Äußerungen und fühlen sich selbst schnell bedroht und verletzt. Dabei haben sie nur eine dicke Schicht Meinungen um sich herum gebaut und ziehen ihr Verhalten durch, komme was wolle. Bewusst ist das nicht. Die Befreiung ihres Selbst gestaltet sich wegen der dicken Mauern viel schwieriger als bei Menschen ohne Panzer, da muss dann schon mal eine Abrissbirne bestellt werden (staatliche Grenzen gesetzt). Sie können durch Argumente nicht mehr geöffnet werden. Leider erreicht sie in ihrem Persönlichkeitswahn nur noch ein charismatischer Führer. Der kann mit ihnen eine sehr stabile Gruppe loyaler und treuer Mitläufer aufbauen, die ihm bedingungslos folgen, oft sogar kampfbereit bis in den Tod.

Andere Menschen halten sich für gescheitert, wenn sie so eine stabile Persönlichkeit nicht aufbauen konnten. Sie schwächeln. Wenn sie sich nur selten durchsetzen konnten, verschwinden sie kraftlos in einem halbbewussten Dämmer. Solche fragil wirkenden Persönlichkeiten sind das genaue Gegenteil eines starken Charakters. Sie konnten einfach keine stabile Persönlichkeit aufbauen, egal, wie sie es anstellten. Sie halten sich selbst für Versager. Sie wirken in dieser Gesellschaft der Bilderbuch-Lebensläufe wie maximal gescheiterte Existenzen. Sie haben sich nie mit Statussymbolen umgeben und gehörten auch nie zu den VIPs.

Ich selbst besaß dank einem Missbrauch in meiner Kindheit eine dieser brüchigen Persönlichkeiten und ich bin absolut dankbar dafür. Denn so war ich gezwungen, auf die Suche nach mir selbst zu gehen und nicht eher zu ruhen, bis ich mein inneres Kind, meinen Drachen und die Quelle selbst gefunden hatte. Fragilen Persönlichkeiten fehlt der schützende Charakterpanzer. Erst konnten sie ihn nicht aufbauen und später wollen sie es nicht mehr, weil sie durchschauen, dass es eine Fassade ist. Sie suchen in allem den Kern, das Selbst. Das sind vermutlich diejenigen, die ihren Drachen schon ganz bald wecken werden, für sie schreibe ich dieses Buch. Der wälzt sich bei ihnen schon unruhig im Schlaf.

Dann gibt es noch die bewusst falsche Persönlichkeit, sie verbraucht und bindet die meiste Lebenskraft. Um eine falsche Fassade aufrechtzuhalten muss Lebenskraft permanent bei anderen gestohlen werden. Eine Fassaden-Persönlichkeit wird immer begleitet von einem riesigen Berg an Zeugs beim Drachen. Dort steckt ihre Kraft fest und fehlt, um den Drachen zu wecken. Das Auftreten solcher Menschen überzeugt nicht einmal sie selbst, sie bleiben innen hohl. Es fehlt ihnen die Integrität und die anderen Menschen durchschauen das. Es sei denn, sie sind von der gleichen Art und spielen mit, weil sie erkennen, wie sie den Hohlkörper des anderen mit Ideen füllen und ausnutzen können.

Weil eine falsche Persönlichkeit aus sich selbst heraus nur wenig Kraft hat, bleibt sie darauf angewiesen, anderen Menschen deren Kraft abzujagen. Sie entwickelt dabei ein Geschick für Rollen, Beziehungen, Seilschaften und Taktiken, mit denen sie sich zu Bedeutung aufblasen kann. Sie will und muss überzeugen und strebt Posten an, um der Macht willen und nicht zum Wohle aller. Falsche Persönlichkeiten werden gerne instrumentalisiert, um im Ressourcenkampf gegeneinander ins politische Schlachtfeld zu ziehen. Sie sind die typischen Bauernopfer. Ein solcher Mensch ist manipulierbar und erpressbar. Mit allem, was man von ihm nicht wissen darf, also mit diesem ganzen Haufen Zeugs. Er muss einen großen Teil seiner Lebenskraft darauf verwenden, den Drachen in Schach zu halten, damit der sich nicht in seine Erfahrungen einmischt. Es gibt Zeitgenossen, die ganze Armeen im Innern dafür unterhalten, Kraft, die ihnen draußen fehlt. Die Bildung einer Ego-Persönlichkeit wirft also einen unbewussten Schatten, den ich mit dem Haufen gleichsetze, auf dem dein Drache schläft. So ist dieser Berg Verdrängungen entstanden.

Es gibt da jedoch noch einen zweiten Mechanismus, der zum unbewussten Schatten beiträgt. Du beginnst dein Leben. Dann kommt irgendwann ein Problem, das du nicht lösen kannst. Es ist dunkel im Zimmer, du kannst nicht schlafen, du hast Angst und weinst und rufst aus dem Gitterbett und keiner kommt, um dich zu beruhigen. Sie hören dich nicht, der Fernseher ist zu laut. Um als dieser kleine Knirps von knapp zwei Jahren nicht verrückt zu werden, spaltest du etwas von deiner Kraft ab und übergibst sie deinem Drachen. Der baut sich gleich brav vor dieser bedrohlichen Angst auf, hält sie in Schach, packt sie am Wickel und legt sie auf seinen Schatzhaufen ab. Dann legt er sich wieder darauf schlafen. Deine Angst ist weg.

Psychologen nennen diesen Vorgang ‚Verdrängen‘. Das kleine Kind spürt keine Angst mehr, vergisst sie und kann endlich einschlafen. Wenn das gut funktioniert, macht es das öfter. Wir alle haben das so gemacht. Du auch. Deine Psyche schützt dich so davor, dass du dich mit Problemen beschäftigst, die du noch nicht lösen kannst. Ist die Bedrängnis zu groß, flüchtest du auch mal ganz aus deinem Körper. Aber dein Körper speichert das Drama dennoch. In deinem Unbewussten ist alles noch da und wirkt sich auch weiter auf dein Leben aus. Ein großes Trauma ist fast nicht aufzulösen, sagen die Psychologen. Doch, aber eher mit energetischen Heilmethoden, die gleichzeitig so selbstverständlich mit dem Ausstieg aus dem Körper umgehen können wie mit Karma und mit anderen Inkarnationen. Denn oft liegt die Ursache nicht in diesem Leben.

Wenn du Probleme aus deiner Psyche abspaltest und sie dem Drachen zuschiebst, braucht dein Drache entsprechend mehr Kraft, und er kommt zuerst, er liegt ja näher zum Tor. Dann fließt nur noch ein kleiner Rest an Lebenskraft an ihm vorbei in dein Leben. Einmal gelernt, verdrängst du immer öfter, denn es hat ja gut funktioniert. Jedes ungelöste Problem legst du beim Drachen ab, so dass du davon nicht mehr weiter behelligt wirst und dich um anderes kümmern kannst. Dein Drache passt auf, dass du im Tagesbewusstsein nicht von grausamen, unschönen oder peinlichen Erinnerungen oder von diffusen, unangenehmen Gefühlen heimgesucht wirst. Die verdrängten Erfahrungen sind dir bewusst nicht mehr zugänglich, aber dein Drache kennt sie alle. Das machst du automatisch, damit du psychisch überlebst. Als Kind bist du auf die Versorgung durch Eltern und Umgebung angewiesen und ihrer Willkür noch lange hilflos ausgeliefert. Doch irgendwann sollte jeder Mensch erwachsen werden!

Hast du eine förderliche Kindheit erlebt, in der es wenig Anlass zu Verdrängung gab, konntest du ein gesundes, echtes Selbstbewusstsein aufbauen. Dann gehst du aus deiner Pubertät mit viel mehr Lebenskraft-Durchfluss hervor und das Tor öffnet sich weit (der Drache rutscht mit seinem dicken Schwanz weiter hinein). Doch vermutlich wirst du aus Gewohnheit verdrängen, weil alle es so machen. Du hast keine Zeit, dich um dieses Problem zu kümmern... oder ... „So schlimm ist es ja nicht...“ denkst du dann. Das kann dazu führen, dass du auch einen Teil der neu gewonnenen psychischen Stärke wieder bei deinem Drachen abgibst, damit er sich darum kümmert. Du merkst es daran, dass du kraftloser wirst.

Erst wenn du alles, was du verdrängt hast, wieder in dein Bewusstsein gehoben hast, steht dir deine volle psychische Power zur Verfügung. Und ich spreche hier von deiner ganzen Lebenskraft, deiner kraftvollsten Psyche, deiner Durchsetzungsfähigkeit, und nicht von deiner körperlichen Muskelkraft, auch wenn du durch ein gutes Bodytraining eine starke Psyche entwickelst, weil du Aufgaben erfolgreich bewältigst. Deshalb tut es so gut, den eigenen Schatten zu bearbeiten und schließlich ganz aufzulösen, nicht währenddessen natürlich, das kann schmerzhaft sein, aber danach: Du gehst viel stärker daraus hervor. Denn deine psychische Kraft ist auch deine Lebenskraft, deine Kraft, dich durchzusetzen, oder wie ich es mittlerweile sehe: Das bist du. Der Anteil in dir, den ich deine Drachenkraft nenne, das bist du selbst viel mehr als alles andere.

Dein Drache hat nur ein Ziel: Dein wahres Selbst zum Ausdruck zu bringen. Die Mauer zwischen unbewusst und bewusst muss weg. Er will die Wiedervereinigung. Und er wird dir keine Ruhe lassen, bevor du dich nicht kümmerst, vor allem, wenn du schon groß bist und dazu in der Lage wärst, es dann aber doch lieber bequem vermeidest. Dein Drache will in deinem Leben bewusst mitmischen, er will dein Leben nicht auf einem unbequemen Sammelsurium verschlafen. Deine Lebenskraft will wirken, denn dafür ist sie da. Deine Psyche möchte Heilung und Ganzwerdung, keine Fragmentierung und Problembewachung. Sie strebt danach, deine ganze Kraft wieder in dir zu vereinen und dein Bewusstsein zu entwickeln. Sie will, dass du glücklich lebst und alles bekommst, was du brauchst. Doch wie könnte sie auf sich aufmerksam machen?

Nun, ganz einfach: Du triffst scheinbar da draußen so lange auf Situationen, die ähnliche Gefühle in dir erzeugen und dich in ähnliche Probleme verwickeln, die du dann auch noch zusätzlich lösen musst, bis du von dem ganzen Problemkomplex von innen und außen regelrecht gargekocht bist. Du hast genug von dem Problem und seinem Gegenteil, du hast eine Lösung gefunden. Deine Psyche sieht in einem aktuellen Problem oft eine Chance, dein Verdrängtes draufzupacken und stellvertretend zu lösen. Ähnliche Probleme klumpen sich zusammen, wenn sie die gleichen Gefühle in dir auslösen. Die alten und neuen Probleme mischen sich und können zusammen geklärt werden.

Du kannst bewusst nach Ähnlichkeiten zwischen dem aktuellen Problem und deinen früheren Erfahrungen suchen: Wo hast du dich schon einmal so gefühlt? Dann können deine Erfahrungen nachreifen, indem du sie bewusst verstehst und durchfühlst. Mit einem "Aha" erkennst du ein Muster. Ab sofort steht es dir frei, es weiter zu aktivieren oder bewusst darauf zu verzichten.

Weiterführendes Werkzeug: Wer bist du und was willst du bewusst sein? Achte einmal darauf, dass du dieses Bild von dir dann auch verteidigen musst. Wenn du dich ärgerst, hat vielleicht nur jemand an diesem falschen Selbstbild gekratzt, um dir zu helfen, dich besser zu verstehen und dich großzügiger zu definieren.


Der Prozess - die Menschheit wird erwachsen

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