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Samstag, 05. Mai 2012

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„Wen wollen S' sprechen? Konrad? Nicht im Ernst, Bub!“

Tim stutzte. Gestern erst war er mit dem schnuckeligen Cabrio von Franziska nach Stadtbergen gefahren, um Maria Tann alias Konrad zu besuchen. Gestern hatte ihn Konrad ganz aufgeregt für heute zum Geburtstag eingeladen und nicht locker gelassen, bis Tim versprach, zu kommen. Er musste es nicht nur versprechen, er musste einen Eid darauf schwören. Die karottenhaarige Konrad hatte heute viel Makeup aufgelegt und war zur Feier des Tages mit einem schwarz-bunten Blumenkleid gekleidet. Sogar die Fingernägel waren korallenrot lackiert. Und nun konnte sie sich nicht an die Geburtstagseinladung erinnern?

„Ich bin Maria, seine Schwester. Konrad ist schon seit vielen Jahren tot!“ sagte sie.

„Aber den Blumenstrauß können Sie mir schon da lassen. Ich hab nämlich Geburtstag!“

„Ich bin Tim, Tim Fuchs!“ sagte Tim und war ein bisschen unsicher, was er tun sollte. Ob sich Maria Tann überhaupt an ihn erinnerte?

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“ sagte er und hielt ihr den bunten Frühlingsstrauß hin.

„Mei, vielen Dank!“ sagte Maria Tann und freute sich. Sie steckte sogleich ihre Nase in die Tulpen, um daran zu riechen.

„Bleiben Sie doch zum Kaffee! Ich erwarte nämlich noch Besuch!“

Besuch, dachte Tim aufgeregt. Vielleicht kam jemand aus der Familie?

„Leider ist es nicht so warm, sonst hätten wir auf der Terrasse Platz“, erzählte Maria Tann freimütig. „Man wird nicht alle Tage 70. Hätte ich doch nie gedacht, dass ich die 70 einmal erreichen würde. Dachte immer, ich gehe schon mit 50. Und jetzt sind schon wieder 20 Jahre vorbei. Wer weiß, was der Herrgott noch mit mir vorhat?“

„Wenn Sie 1937 geboren wurden, sind Sie jetzt 75 geworden!“ korrigierte Tim, nicht ahnend, welche Lawine er damit los trat.

„Mach mich doch nicht älter, als ich bin, Burschi!“ schimpfte Maria Tann. „Ich hab immer jünger als mein Bruder ausgesehen! Das ändert sich auch nicht, nur weil er tot ist!“

„Ich wollte nicht sagen, dass Sie älter aussehen…“ stammelte Tim unbeholfen. „Ihr Alter hat ja auch nichts mit dem Aussehen zu tun. Sie sehen jedenfalls jünger aus als 75.“

„Kruzifix, wenn ich doch erst 70 werde!“ zeterte die alte Dame. „Kannst gleich wieder gehen, wenn du nur gekommen bist, um mich zu beleidigen!“

Tim schüttelte schnell den Kopf.

„Entschuldigung. Kommen vielleicht Leute aus ihrer Familie zu Besuch?“ fragte Tim hoffnungsvoll.

„Familie? Sind alle schon gestorben. Sogar Konrad, das war mein Zwillingsbruder.“

„Und was ist mit Kindern? Enkelkindern?“

„Nein“, antwortete sie knapp und wandte den Kopf ab.

Er beobachtete ihr Gesicht, ihre Haltung. Sie war wie ein kleines Kind, das Gefühle schlecht verbergen konnte. Tim wusste, dass sie log. Aber er wusste nicht, warum.

„Das ist aber schade“, sagte er schließlich. „Wäre es nicht wunderbar, Kinder zu haben, die dann zu den Geburtstagen zu Besuch kommen?“

Maria schüttelte den Kopf. „Ach, geh mir weg damit. Die können nichts als Ärger machen.“

„Das wissen Sie doch gar nicht! Wenn Sie selbst keine Kinder haben…“

„Freilich weiß ich das. Ich hatte mal eine Tochter. Aber sie ist weg! Mit einem vermaledeiten Kerl, so einem halben Polen nach Berlin abgehauen. Hat sich nie wieder blicken lassen. Die besucht mich nie! Hab seit mehr als 20 Jahren nichts mehr von ihr gehört.“

„Und wenn sie jetzt käme? Würden Sie mit ihr reden?“

„Ich weiß nicht, worüber wir noch reden sollten.“

„Vermissen Sie sie nicht?“

„Wieso sollte ich? Sie war ihr Leben lang kompliziert. Kein einfaches Kind. Der Grund, weshalb wir nicht mehr Kinder bekamen, denn weitere von ihrer Sorte hätten wir nicht verkraftet. Wir haben alles versucht! Mit 16 bekam sie Platz in einem Heim. Dort sollte sie ihren Schulabschluss machen. Katholisch. St. Martini. Ein guter Ort. Von dort ist sie mit 18 abgehauen.“

„Das tut mir Leid“, sagte Tim.

„Das war unser Glück“, entgegnete die alte Dame.

Tim rechnete nach. Sie war längst in dem Heim gewesen, als sie ihn geboren hatte. Sie war 17, als er zur Welt kam. Also war sie dort schwanger gewesen. Und nach der Geburt hatte man sie wieder hingeschickt. Und bevor sie 18 wurde, musste Dennis geboren worden sein. Konnte das möglich sein?

„Mit wem ist sie abgehauen?“

„Furchtbarer Kerl!“ Ihre Stimme bebte vorwurfsvoll. „Thomas Kazmarek. Sie hat ihn geheiratet. Irgendwann schickte sie eine Postkarte mit der Nachricht. Nichts als Vorwürfe hat sie uns gemacht. Mit Iris Kazmarek hat sie unterschrieben. Nur um uns noch einmal richtig zu ärgern, weil sie wusste, dass wir den nicht leiden mochten. Sie war wirklich ein schwieriges Kind.“

Thomas Kazmarek. Tim jubelte innerlich. Ein Name. Eine Spur. Vielleicht sogar sein Vater! Wunderbar, dass Maria heute klar erschien und sich erinnerte. Er musste behutsam vorgehen, denn offenbar war die Tochter niemand, an den sie sich gerne erinnerte. Er wollte Maria gerade fragen, warum Thomas Kazmarek sie so verärgert hatte, als ihm Bojan, der Pfleger einen Strich durch die Rechnung machte.

„So, Frau Tann, Sie müssen jetzt mitkommen! Ihnen zu Ehren feiern wir heute eine Italienparty und haben im Gemeinschaftsraum gedeckt! Das haben Sie sich doch gewünscht!“

„Oh, ja, Italien!“ schwärmerisch blickte Maria Tann zur Decke, als würden dort gleich Konfetti und Ballons hinab fallen. „Ich war früher oft in Italien!“

„Und jetzt wollen Sie Ihre Gäste doch nicht warten lassen, oder?“

Im Gemeinschaftsraum saßen zahlreiche Gestalten, die in schaurig schiefen Tönen ein „Zum Geburtstag viel Glück“ trällerten. Es gab sogar zwei Geschenke, die Maria auspacken durfte. Es waren Duschgel und Haarspray darin. Damit sie wieder etwas zum Verkleben ihres Sessels hatte. Tim versuchte vergeblich, den Altersdurchschnitt der Anwesenden zu drücken, der bei ungefähr 82 lag und kam sich fehl am Platze vor. Er hätte brennend gern noch mehr über seine Mutter erfahren. Warum war sie schwierig? Maria Tann hatte zu seiner Adoption einwilligen müssen, das wusste er aus der Adoptionsakte, also musste sie von seiner Existenz wissen. Doch er saß direkt neben seiner Großmutter und wusste nicht, was er tun konnte, um wieder ins Gespräch zu kommen. Er griff nach der Thermoskanne, um Kaffee in ihre Tasse einzuschenken.

„Maria?“ fragte er höflich. Doch was dann kam, war überraschend.

„Maria? Nein, Maria ist nicht hier. Was willst Du denn von Maria?“

Sein Herz plumpste zwei Etagen tiefer. Das Fenster, durch das er noch eben mit ihr sprechen konnte, hatte sich geschlossen.

„Sie hat mich eingeladen“, sagte Tim nur. In ihm wuchs der Respekt gegenüber den Altenheimpflegern, die nie wissen konnten, wen sie gerade in diesem Zimmer antreffen würden.

„Bleibst halt bei mir noch ein wenig“, sagte Konrad versöhnlich. „Ich werd´ nämlich heute 75!“

Mutterherz Teil 3

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