Читать книгу Mutterherz Teil 3 - Julie Starke - Страница 8
Dienstag, 01. Mai 2012 auf Mittwoch, 02. Mai 2012
ОглавлениеNein, nicht gehen!
Das schmerzende Gefühl der Sehnsucht überrollte ihn mit der Wucht einer Dampfwalze. Die Frau war vollkommen verhüllt – und doch wusste er, spürte er, dass sie seine Mutter war. Sie blieb stehen, direkt vor ihm. Dieses Mal war er ihr so nahe, dass er sie berühren konnte. Er berührte ihr Gesicht durch den gelben, verhüllenden Schleier und wickelte den seidigen Stoff um seinen Zeigefinger.
„Nicht!“ Ihre Stimme war nur ein Hauch. Leise, als käme sie von weit, weit her. Doch Tim ließ sich dieses Mal nicht aufhalten. Mit einem Ruck zog er ihr die Verhüllung herunter und ihr Schrei schrillte in seinen Ohren. Er hätte auch geschrien, aber brachte vor Entsetzen kein einziges Wort heraus. Ihr Gesicht hing in fleischigen Fetzen von den Knochen. Maden krochen ihr durch die Augenhöhle und er konnte durch die offene Wange gelbliche Backenzähne sehen.
Eins. Zwei. Drei. Vier.
Er kontrollierte seine Atemzüge, um wieder die Oberhand über sich selbst zu erhalten.
Fünf. Sechs. Sieben. Acht. Neun. Zehn.
Das Herz pochte schmerzhaft gegen den Brustkorb.
Ruhig, dachte er. Ganz ruhig, Tim.
An den Traum, der ihm diesen Zustand beschert hatte, konnte er sich bald nicht mehr erinnern, nur an das beklemmende, furchtbare Gefühl. Er war nicht imstande zu entscheiden, sich einfach wieder hinzulegen und an etwas anderes zu denken. Sein Körper schickte ein hämmerndes Alarmsignal durch alle Zellen und bevor er diesen Alarm nicht deaktivierte, würde er nichts entscheiden können. Dann hörte er in der Ferne eine Glocke. Er zählte mit. Die Glocken von St. Michael läuteten 4:00 Uhr, während er vor dem geöffneten Zimmerfenster stand und die frühlingswarme Nachtluft einatmete. Die schwach einfallende Beleuchtung des Lichts der Straßenlaterne half ihm, sich zu orientieren. Er angelte nach seiner Brille und schob sie sich auf die Nase.
Am meisten fürchtete er den Kontrollverlust. Mit dem geringen Schlaf hätte er sich schon irgendwie arrangiert. Doch das plötzliche enge Gefühl in der Brust, die schweißnassen Hände und das abgrundtiefe Gefühl des Verlusts erfassten sämtliche Handlungsmöglichkeiten. In ein paar Stunden sollte er als Inkognito-Ermittler in der Agentur Bayerisch Media anfangen - der Agentur von Dr. Heldmann, der immer noch in Untersuchungshaft saß. Er würde sich krankmelden. In dieser Verfassung konnte er weder irgendwo neu beginnen noch irgendetwas ermitteln. Nach dem 20. Atemzug hörte er zu zählen auf und griff nach dem gelben Schal. Er fühlte sich seidig und wunderbar an. Tim hielt ihn sich vor die Nase gepresst und atmete Silvias Duft wie ein Süchtiger ein. Sein Herzschlag beruhigte sich. „Ich tu es für dich“, dachte er. „Nur für dich.“
***
„Ich kenne zwei Arten von Praktikanten: Diejenigen, die mir auf die Nerven gehen und mir nur mehr Arbeit machen, als ich vorher hatte und die Praktikanten, die ihre Arbeit ernst nehmen und mich von der Arbeit entlasten. Wenn Sie keinen Ärger wollen, gehören Sie besser zur zweiten Sorte.“
Tim nickte gehorsam und sah in die blauen Augen des grauhaarigen Mannes mit dem Ziegenbart. Ed Poulsen hatte die Leitung der Kreativabteilung der Bayerisch Media. Sie war in einem mehrstöckigen Gebäude untergebracht und vereinte neben der Verwaltung mit Buchhaltung, Sekretariat und Rechtsabteilung verschiedene Sparten wie Print-, Audio- und Video-Abteilung, in der zahlreiche Mitarbeiter beschäftigt wurden. Die Grafikabteilung wirkte mit den bunten Handzeichnungen an der Wand wie ein fröhlicher Kindergarten. Der Chef der Kreativabteilung war dagegen der reinste Griesgram. Tim sollte sein Augenmerk auf ihn richten. Poulsen sah nicht so aus, als wäre er über die Zuteilung des Praktikanten glücklich. Tim war es auch nicht.
„Um 9:00 Uhr haben wir die erste Teamsitzung. Ich habe noch nicht gefrühstückt. Nicht weit von hier ist eine Bäckerei. Ich nehme etwas mit Kürbiskernen drauf.“
Er hielt dem verdutzten Tim fünf Euro hin. Nach dem dieser nicht binnen drei Sekunden reagierte, wurde Ed Poulsens Ton schärfer.
„Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“
Tim steckte die 5,00 € ein und zog los. Eine gute Viertelstunde später brachte er ihm eine Tüte mit dreierlei Backwaren mit Kürbiskernen: Eine Semmel, eine Laugenstange und ein belegtes Kürbiskernbrötchen.
„Ich wollte was mit Sonnenblumenkernen drauf!“ fuhr Ed Poulsen ihn an.
„Sie sagten Kürbiskerne!“ widersprach Tim.
„Halten Sie die Klappe!“ fuhr Ed ihn an. Ed Poulsen nahm die Bäckertüte an sich. Tim blieb vor ihm stehen. Spätestens ab diesem Moment war Tim klar, dass sie keine Freunde werden würden – und noch schlimmer: Dass er hier einen Feind hatte.
„Was wollen Sie hier noch?“ fuhr Ed ihn an.
„Was soll ich als nächstes tun?“ fragte Tim.
„Hören Sie auf, mich zu nerven!“ sagte er gereizt. Doch dann fiel ihm noch etwas ein. „In einer halben Stunde ist Meeting. Haben Sie die Unterlagen schon kopiert?“
„Welche Unterlagen?“
„Die Unterlagen fürs Meeting, Sie Hohlkopf!“
Tim schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung, was das für Unterlagen sein sollten und erst recht hatte er keine Ahnung, für welches Meeting diese Unterlagen sein sollten.
„Wo sind die Unterlagen und wie viele Kopien brauchen Sie?“ fragte er, bemüht, die ihm übertragenen Aufgaben unbedingt richtig zu machen.
„Sie haben wohl überhaupt keine Ahnung!“ fuhr Poulsen wütend fort. „Jetzt nehmen Sie diese Dinger und verschwinden!“
Er wies auf einen Stapel Papier auf seinem Schreibtisch. „Besprechung 2. Mai 2012“ stand darauf. Tim nahm den Stapel an sich und verließ das Zimmer.
Im gläsernen Gang standen die Kopierer. Es waren beeindruckende Maschinen, größer und breiter als Kopierer, die er von seinem Vater und von der Detektei kannte - und er hatte keine Ahnung wie man sie bediente. Ob es zwischen den Geräten Unterschiede gab? Er beugte sich über die einzelnen Kopierer und versuchte herauszufinden, welcher wofür stand. Nachdem er sich schon zwei Minuten eindringlich mit den Maschinen beschäftigt hatte, ohne dass er auch nur eine Kopie gefertigt hatte, vernahm er eine leicht schnarrende Stimme hinter sich.
„Suchen Sie was?“ fragte sie und Tim hob den Kopf. Er sah in die blitzenden Augen einer rundlichen Sekretariatskraft.
„Ich bin Kevin Tann, der neue Praktikant und soll hier was kopieren.“
„Lassen S‘ mal sehen!“
Die kritischen Augen der Dame flogen über die Unterlagen. Sie nickte dann. „Sind schwarzweiß Kopien für die 9:00 Uhr Besprechung. Da reicht der Kleine! Zwölf Stück!“
Sie zeigte Tim, wie man die Vorlagen in den Kopierer legte und wo man drücken musste. Mit gleichmäßigem Surren wurden die Blätter eingezogen.
„Ich bin Marita Bayerl und sitz‘ in dem Büro hier vorn!“ sie zeigte auf die Tür. Wunderbar, dachte Tim, der mit ihr die zweite Person von der Liste kennenlernte.
„Danke!“ sagte Tim und nahm schließlich den fertig kopierten Stapel an sich, um ihn zu Ed Poulsen zu bringen. Er ging davon aus, alles richtig gemacht zu haben.
„Was wollen Sie hier?“ fuhr Ed Poulsen ihn an und kaute an seiner Kürbiskernsemmel.
„Die Unterlagen für die 9:00 Uhr Besprechung“, Tim legte ihm den Stapel auf den Tisch.
„Und was soll ich damit? Die gehören in den Besprechungsraum! Können Sie nicht mal für 10 Cent mitdenken?“
In diesem Augenblick bereute Tim zum ersten Mal an diesem Tag, sich nicht krank gemeldet zu haben. Das zweite Mal war, als Ed Poulsen ihn aus der 9:00 Uhr Besprechung warf. Das dritte Mal, als er wieder kopieren sollte und vergaß, die „Sortieren“-Taste am Gerät zu drücken und ihm der Kopierer 20 Mal die erste Seite, dann 20 Mal die zweite Seite, 20 Mal die dritte Seite u.s.w. ausspuckte und er schließlich 20 Kopiersätze à 15 Seiten von Hand sortieren musste. Was zur Hölle hatte er hier verloren? Wenn es so weiterlief, würde er nichts, rein gar nichts über Christine Deubachers Arbeitskollegen herausfinden. Er dachte an Silvias milchkaffeebraunen Augen und ihren betörenden Duft und erinnerte sich daran, warum er das alles tat.
***
„Sie sehen schlecht aus!“
Die Stimme hinter ihr hatte ihr gerade noch gefehlt. Die Nacht war anstrengend gewesen, wie schon die letzten zwei zuvor. Slavica war viermal schreiend aufgewacht. Die Unruhe der Mutter übertrug sich auf das Kind. Wie immer, wenn es Probleme gab. Und Probleme, die gab es jetzt reichlich. Der Arzt wollte die nächste Rate für Slavicas Therapie, die so gut anschlug. Sie musste eine neue Wohnung finden. Barrierefrei. Behindertengerecht. Bezahlbar. Bald. Und jetzt kam Lothar Appelt. Er wohnte einen Stockwerk über ihr und hielt Slavica und ihr die Tür auf, als beide das Haus Richtung Bushaltestelle verlassen wollten. Herr Appelt war 52, entweder schon sehr lange geschieden oder noch nie liiert gewesen. Jedenfalls hatte ihn Milka noch nie mit einer Frau gesehen. Meistens beschäftigte er sich mit seinem Auto. Seit ihrem Einzug machte er ihr Komplimente, war nett zu Slavica und schien sich nichts daraus zu machen, dass Milka Krasnick seinen Annäherungsversuchen beständig widerstand.
„Ich muss los!“ sagte sie eisig und fühlte ihren Rosenkranz in der Jackentasche. Sie musste den Bus erreichen. Slavica hatte sich geweigert, die Winterjacke anzuziehen. Nach einigen Versuchen gab Milka auf und tröstete sich, dass der Bus geheizt sein würde. Die Tagesstätte sowieso. Aber in der Strickjacke konnte das Mädchen nicht lange draußen bleiben. Bei ihrem schwächelnden Immunsystem war die nächste Lungenentzündung vorprogrammiert.
„Ich kann Sie fahren!“ sagte Lothar freundlich. „Slavica ist ja auch zu dünn angezogen für dieses Wetter.“
„Danke, wir kommen schon zurecht!“ lehnte Milka ab und schob Slavicas Rollstuhl über die Türschwelle. Es erstaunte sie, dass Lothar Appelt auf Slavicas Kleidung achtete. Die meisten sahen nur ihre Behinderung. Manchmal schwamm ein verstohlener Gedanke an die Oberfläche ihrer durchorganisierten Welt: dass es nett wäre, noch jemanden zu haben, der sich kümmerte. Jemand, der auch für Slavica da wäre. Aber Milka hatte nicht die Kraft für Experimente, die schief gehen konnten. Sie erinnerte sich an die Schwierigkeit, Slavica an einen neuen Betreuer in der Tagesstätte zu gewöhnen. Ein neuer Mann in ihrer Familie – das erschien Milka völlig unmöglich.
„Auto, Auto!“ jauchzte das Mädchen im Rollstuhl und klatschte die spastischen Hände zusammen.
„Sehen Sie, Ihre Tochter habe ich schon überzeugt! Kommen Sie, Frau Krasnick! Es geht auch viel schneller!“
„Auto!“ kreischte Slavica. Die Mutter sah auf ihr Kind. Dann auf die Uhr.
„Gut“, sagte sie.
Im Auto kamen sie ins Gespräch und Milka erzählte mehr, als sie wollte. Lothar Appelt wusste bereits von dem Verlust einer Kundin, die gestorben war und von dem Geld, das ihr jetzt fehlte und dringend gebraucht wurde. Jetzt erzählte sie auch von einer anderen Auftraggeberin, die ihr immer noch Geld schuldete, aber ständig nur leere Versprechungen machte. „Ich hätte auf Sofortkasse bestehen müssen. Mein Fehler.“
„Ich kann mich darum kümmern“, bot Lothar Appelt an. „Wir gehen vor das Arbeitsgericht und klagen das Geld ein.“
Milka schüttelte den Kopf. „Das geht nicht.“
„Natürlich geht das! Es kann ja nicht sein, dass Sie dauernd auf Ihr Geld warten müssen!“
„Ich will das nicht!“ lehnte Milka ab. „In dieser Sache bin ich nicht angemeldet beschäftigt!“
„Das ist doch nicht Ihr Problem, sondern das der Auftraggeberin!“ beharrte Lothar Appelt und bog an der Kreuzung links ab.
„Bus!“ kreischte Slavica. „Schau!“
„Ja, mein Schätzchen, das ist ein Bus!“ bestätigte Milka mit Blick auf ihre enthusiastische Tochter. Sie hoffte, dass Lothar Appelt das Thema bleiben ließ. Doch dieser ließ nicht locker. Er schimpfte über die Rücksichtslosigkeit der Auftraggeberin und bot an, sich mit der Dame zu treffen. Milka musste etwas antworten. Etwas glaubwürdiges, sonst würde Lothar möglicherweise so lange im Trüben herumstochern, bis er auf etwas stieß. Sie wandte sich wieder ihrem Nachbarn zu.
„Ich darf keine zwei Minijobs neben dem Hauptberuf haben“, sagte Milka ernst. „Ich kann mir nicht erlauben, auch noch meinen Teil der Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Frau Rosner-Neidhart wird zahlen, ich bin mir sicher. Ich will sie bloß nicht verärgern.“
Im gleichen Augenblick erschrak sie. Sie hätte den Namen nicht verraten dürfen. Lothar Appelt hakte nicht nach, sondern nickte verständnisvoll. „Wenn Sie meine Hilfe brauchen, fragen Sie mich! Ich weiß, wie man Druck aufbaut! Warten Sie ab, ruck zuck haben Sie das Geld!“ Er legte seine rechte Hand auf ihren linken Oberschenkel. Milkas Augen weiteten sich vor Schreck. Auf keinen Fall, wollte sie, dass sich ihr Nachbar hier einmischte und die Decke anhob, die ihr Schutz bot. Niemand durfte erfahren, dass es unter dieser Decke erschreckend schwarz war.
„Danke“, sagte sie leise und ignorierte seine Hand. Sie musste vorsichtig sein, was sie ihrem eifrigen Nachbarn verriet.
***
Auf die quälende Lektion bezüglich subjektiver zeitlicher Wahrnehmung hätte Tim gern verzichtet: Je mehr er sich danach sehnte, die Uhrzeiger mögen auf 15:00 Uhr rücken, desto langsamer schienen die Minuten zu vergehen. Die Kopierarbeiten langweilten ihn. Er brannte darauf, in die Detektei zu fahren, um seine dortigen Aufgaben zu erledigen. Um viertel vor drei war er endlich fertig und sah sich unsicher um. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ed Poulsen ihn vor Ablauf der verabredeten Zeit gehen ließ, erschien ihm sehr gering. Eher würde er ihn mit weiterer Arbeit versorgen, die ihn noch länger beschäftigte. Tim wog die Möglichkeiten ab. Um drei vor drei brachte er den Stapel mit den Kopien ins Büro und verabschiedete sich so schnell, dass keine Zeit blieb, auf eine Antwort von dem schikanösen Poulsen zu warten.
Tim war offenkundig nicht der einzige, der sich wünschte, in der Detektei allein zu sein, um in Ruhe arbeiten zu können. Er hatte über alle Personen, die er getroffen hatte, geschrieben und war gerade dabei zu formulieren, was er über sie herausgefunden hatte, als er ein Geräusch vernahm. Und das missfiel ihm. Der Klang der sich öffnenden Eingangstür war unverwechselbar. Wenn er schon nicht alleine sein konnte, so hoffte er auf Keller. Oder Zinsmeister. Sogar Nuray wäre ihm recht gewesen, obwohl sie seit Ende ihres Praktikums nicht mehr gekommen war.
Er sah ihre apfelgrüne Regenjacke als erstes. Natürlich, bei seinem Glück an diesem Tag konnte es nicht anders sein.
Die mangelnde Begeisterung war gegenseitig. Doch dazu kam noch etwas anderes. Sie wirkte ertappt.
„Ich dachte, es sei niemand mehr da!“, begrüßte Franziska ihn kühl.
Heute trug sie keinen Pferdeschwanz, sie hatte die Haare dicht ins Gesicht frisiert. Sie hatte so viel Lidschatten aufgetragen, dass es an ein Wunder grenzte, dass sie die Augen damit überhaupt noch öffnen konnte. Auf den zweiten Blick erkannte er, warum sie das getan hatte. Die Schwellung an ihrem Auge fiel wirklich nur bei genauerem Hinsehen auf.
„Doch. Ich nehme meinen Job ernst und mache meinen Bericht fertig!“ sagte Tim. „Und was wollen Sie heute hier? Müssen Sie nicht bei Ihrem Kind sein?“
„Jolina ist bei meiner Mutter.“
Das beantwortete nur die zweite Frage. Tim sah sie auffordernd an.
„Ich bin auch gleich wieder weg“, sagte sie und ging zielgerichtet auf ihren Schreibtisch zu und zog eine Schublade auf.
„Was denn? Wollen Sie mir jetzt zu schauen, was ich hier mache?“ fragte sie provokant. Tim schüttelte den Kopf.
„Es ist gut, wenn Jolina in Sicherheit ist“, sagte er.
„Was soll das?“ fragte Franziska.
„Wie viele Schläge brauchen Sie noch, um heraus zu finden, dass Ihr Leben ohne ihn besser läuft?“
Er rechnete mit einem Wutausbruch. Aber ihre Stimme wurde überraschend weich.
„Er war nicht immer so. Und uns verbindet so viel. Wir haben Jolina!“
„Und wie viele Kinder brauchen Sie noch, um festzustellen, dass er nicht der Richtige ist?“
„Hören Sie auf! Ich will mich nicht für meine Liebe rechtfertigen müssen.“
„Nicht für Ihre Liebe. Aber für die Verletzungen! Was ist heute mit Ihrem Auge? Und überhaupt? Die merkwürdigen Telefongespräche? Das ganze Makeup in letzter Zeit? Das soll die Wunden doch kaschieren! Was der Kerl macht heißt Körperverletzung und ist eine Straftat! Und dafür gibt es keine Rechtfertigungen, Kind hin oder her! Kapieren Sie das doch endlich!“
Seine Worte hatten nicht die erwartete, die erhoffte Wirkung. Später musste sich Tim eingestehen, dass er mit dieser direkten Art und Weise und seiner unverhohlenen Aggression in der Stimme die sture Franziska in eine Einbahnstraße schickte. Von der Weichheit in ihrer Stimme war nichts mehr übrig. Sie klang nur noch gehässig. Gehässig und verletzend.
„Und Sie glauben, das beurteilen zu können? Ein dicklicher Praktikant, der durch die Polizeiaufnahmeprüfung rasselte und dessen einzige Qualität ist, für nahezu jedes Fahrzeug einen Führerschein zu haben? Was macht Sie zum Beziehungsexperten? Dass Sie eine reiche Schweizerin anhimmeln?“
Feuer flammte in jeder Hautzelle seines Gesichtes auf. Der Puls wummerte gegen sämtliche Aderwände. Er konnte Franziska nicht mehr in die Augen sehen und wandte sich ab.
„Fahren Sie doch zur Hölle“, zischte er.