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Warum nur haben sie ausgerechnet ihr Gesicht zerstört? Ihr hübsches Gesicht mit den Sommersprossen. Es war so hübsch und natürlich, daß ich es mir jeden Abend hätte ansehen mögen, und meistens hatte ich das auch getan. Sie hatte zwei Einschüsse in der rechten Wange und einen in der Stirn, außerdem zwei in der Brust und einen am Hals, als ob der Killer durchgedreht wäre.

Seit sechs Monaten erst war sie auf dem Bildschirm zu sehen gewesen, und alle waren von ihr begeistert – es gab niemanden, der Rebecca Thaxton nicht mochte. Aber sie hatte jemandem ihre Tür geöffnet, den sie gekannt haben mußte, jemandem, der ihr offenbar ruhig ins Wohnzimmer gefolgt war, als ob er auf eine Tasse Tee vorbeigekommen wäre, und sie dann wegpustete.

Der Schreck war Sardis offensichtlich in die Glieder gefahren. Sie schaltete die Nachrichten ab und machte noch eine Dose Bier auf. »Es muß ganz plötzlich passiert sein.«

»Vielleicht hat sie etwas Falsches gesagt. Wie zum Beispiel: ›Ich habe einen anderen kennengelernt.‹«

»Was Besseres fällt dir nicht ein, oder?«

»Wie wär’s damit: ›Ich liebe Ihren Ehemann.‹«

Sie rümpfte die Nase. »Spar dir das für deine unglaublich lukrativen Bücher.«

»Laß bitte meine Finanzen aus dem Spiel.«

»Rebecca war nicht der Typ dafür.«

»Woher willst du das wissen?« Wir wußten eigentlich nur, daß sie Fernsehreporterin war, vital und intelligent, und dazu so freundlich und erfrischend, daß die Einschaltquoten in die Höhe gingen. Deshalb weigerte sich Sardis, schlecht über sie zu denken. Aber mich schnauzte sie an, weil sie immer gemein wurde, wenn sie hungrig war. Seit Stunden hatten wir pausenlos Kisten ausgepackt, und langsam wurde es Zeit fürs Abendessen.

Glücklicherweise hätten wir uns keine bessere Gegend für das obligatorische Umzugsessen aussuchen können. »Holen wir uns eine Pizza«, sagte ich. »Von Oliveto, Guglielmo, Zachary oder Buttercup?«

»Wo ist der Unterschied?«

Ich hatte mich bei einem Nachbarn informiert. »Zachary backt Pizzen wie in Chicago, die von Guglielmo sind nichts Besonderes, und Buttercup hat einen Steinofen mit Holzfeuer – das ist hinter der Bahnlinie nach Berkeley. Aber Olivetos Pizza ist angeblich am besten.«

»Dann also Oliveto.«

Ich gab unsere Bestellung mit meinem brandneuen Telefon auf, während Sardis in ihre Wohnung hinaufging, um schnell zu duschen. Wir hatten uns dazu durchgerungen, zusammen ein Haus zu kaufen, waren aber nicht zusammengezogen. Der Schritt zur direkten Nachbarschaft war für uns groß genug. Wir hatten ein Zweifamilienhaus gekauft.

Wir würden einen Teil unserer Unabhängigkeit verlieren, aber wenigstens blieben uns Probleme mit der Abwaschordnung erspart. Und anderer Kleinkram, den ein gemeinsamer Haushalt mit sich bringt.

Ehrlich gesagt hätte ich einen Versuch gewagt, aber Sardis glaubte nicht, daß ich mit einer solchen Situation umgehen könnte. Sie glaubte nicht, daß ich damit umgehen könnte! Ich tobte eine halbe Stunde lang, zog mich dann für eine Woche schmollend zurück, und sie hatte die Frechheit zu sagen, daß der Fall für sie erledigt sei. Oh, diese Arroganz!

Dann war da noch die Sache mit unserer Arbeit. Ich schrieb meine nicht so lukrativen Bücher, wenn ich es mir leisten konnte, meinen Lebensunterhalt verdiente ich mit Auftragsarbeiten. Sardis malte, wenn sie es sich leisten konnte, arbeitete aber auch als freie Graphik-Designerin. Mal abgesehen von den emotionalen Erwägungen waren wir wirklich nicht sicher, ob wir das alles in einem Haus hinkriegen würden.

Trotzdem war es wesentlich günstiger, gemeinsam ein Haus zu kaufen. Sardis hatte jahrelange gespart, und ich bekam Geld von der Versicherung. Ich hatte es schon einmal geschafft, ein Miniaturhaus zu erwerben – in der Zeit, als ich für meine Arbeit als Reporter beim ›San Francisco Chronicle‹ nach Tarif bezahlt wurde –, aber es war abgebrannt. Jetzt besaß ich wieder genug für ein ähnliches Haus, aber meine Katze war es leid, ständig über meine Füße zu stolpern.

Wenn wir unser Geld zusammenwarfen, konnten Sardis und ich uns ein richtiges Haus für Erwachsene leisten, anstelle von zwei Puppenhäusern oder, schlimmer, zwei Apartments mit Blümchentapete. Vor allem, wenn wir ein Haus außerhalb von San Francisco kauften. Als wir also endlich auf die Lösung mit dem Zweifamilienhaus gekommen waren, sahen wir uns mit dem Problem konfrontiert, aus der Stadt wegziehen zu müssen.

Die Vororte kamen nicht in Frage – entweder zu teuer, wie Marin County, oder zu mittelamerikanisch, wie Contra Costa. Damit blieb Oakland, das Juwel der geheimnisvollen East Bay. Und für uns eine bittere Pille. Dachten wir jedenfalls.

Wenn man gemütlich die Hauptstraße hinunterfährt, fühlt man sich wie in der tiefsten Provinz, von ein paar Pornopalästen abgesehen. Und das war ungefähr alles, was Sardis und ich von Oakland wußten. Wir waren angenehm überrascht, als wir schöne alte Wohnviertel vorfanden, zwei alternden Künstlern angemessen.

Und natürlich lag das gute alte Berkeley, das sich in knappen zwanzig Jahren vom Zentrum der Revolution zur Brutstätte sozialen Friedens entwickelt hatte, direkt um die Ecke und beherbergte jetzt genügend Steinöfen mit Holzfeuer, um ganz Sizilien und halb Kalabrien mit Pizza zu versorgen. Das heißt, falls die Italiener für Gourmetmahlzeiten zum Mitnehmen zu haben wären. In Berkeley jedenfalls gehörte das zum derzeitigen Lebensstil. Ich hatte die ersten vier Jahre dort studiert und erkannte den Ort kaum wieder. Es würde Spaß machen, ihn neu zu entdecken.

Seltsamerweise war ich in all den Jahren in Berkeley nur gelegentlich nach Oakland gefahren, zum Beispiel um mir bei Capwell ein Hemd zu kaufen oder einen Film im Grand Lake zu sehen. Und jetzt wohnte ich gleich nebenan in Rockridge, und alles kam mir seltsam vertraut und zugleich fremd vor. Vertraut war die College Avenue, die direkt zum Campus führte; fremd war die Langeweile, die ruhige Häuslichkeit mit den sechzig Jahre alten, zweistöckigen Einfamilienbehausungen und den hübschen, gepflegten Gärten. Nichts war hier so wie in San Francisco und an der East Bay, die ich kannte. Sicher ein hervorragender Ort zum Schreiben, falls ich mich an die Ruhe gewöhnen konnte.

Jedenfalls eine hervorragende Gegend für einen Abendspaziergang zur nächsten Pizzeria. Auf dem Weg holten wir bei Eddies Spirituosenladen noch eine Flasche kalifornischen Rotwein, der ebenso gut wie billig war, und einen Film von Arnold Schwarzenegger beim Videoverleih. Die Zukunft sah vielversprechend aus: Wir würden essen, trinken, mit Arnold verblöden, uns lieben und den Schlaf der Gerechten schlafen. In unserem eigenen Haus, in dem wir nicht einmal zusammenleben mußten.

»O nein. Keine Pizza!« Die Stimme kam von unserer brandneuen Veranda, wo niemand das Recht hatte, über unsere Dinnerentscheidung zu urteilen. Und nicht einmal das Recht, sich dort aufzuhalten. Das konnte nur ein Einbrecher sein.

Ich hatte Booker Kessler kennengelernt, als ich noch für den ›Chronicle‹ arbeitete – bei einer Story über jemanden, der vom Pfad der Tugend abgekommen war und zum Einbrecher wurde. Booker war in therapeutischer Behandlung, um herauszufinden, warum er tat, was er tat, aber er war sich ziemlich sicher, daß es etwas mit seiner Mutter zu tun hatte, die seinen Vater wegen einer Frau verlassen hatte, als er in der Junior High School war. Booker und ich, wir hatten einige Gemeinsamkeiten: Er hatte wie ich an der California State University Englische Literaturwissenschaften studiert und gehörte zu den wenigen Leuten, die sich mit mir auf stundenlange Gespräche über Bücher einließen. Aber das fand ich erst heraus, nachdem ich ihn schon eine Zeitlang kannte. Ich glaube, wir waren Freunde geworden, weil ich von seiner Berufswahl fasziniert war und dies offen zum Ausdruck brachte; er fühlte sich geschmeichelt. Außerdem gehörte ich zu den wenigen Leuten, bei denen er sich nicht verstellen mußte. Den meisten erzählte er, er sei im Immobiliengeschäft, und sie nahmen dann natürlich automatisch an, er würde mit Drogen dealen.

»Warum so förmlich?« fragte ich. »Du hättest doch einfach das Türschloß knacken können.«

»Das würde ich nie tun.« Er machte ein gekränktes Gesicht. »Ich habe Geschenke mitgebracht, zum Einzug.«

»Dann trink ein Glas Wein mit uns – Pizza ist ja nicht gut genug für dich.«

»Darum geht es nicht. Ich wollte bloß keine Pizzaflecken auf dem, was ich mitgebracht habe.«

»Auf deinen Geschenken?«

»Nein, die meine ich nicht. Ich zeig’s dir nach dem Essen.«

Wir erklärten uns einverstanden, aber nur, weil wir am Verhungern waren. Bookers Körper war ständig in Bewegung. Er wiegte sich hin und her, trommelte mit dem Fuß und wackelte mit dem Kopf, als ob er total zugekokst wäre. Irgend etwas hatte ihn in Erregung versetzt, und unsere neue Behausung war es bestimmt nicht.

Er holte seine Geschenke aus dem Wagen, während Sadis und ich den Tisch deckten. Ich packte Teller aus und deckte meinen runden Eichentisch – das einzige Möbelstück, das ich seit dem Brand gekauft hatte. Sardis klebte mit Wachs Kerzen auf Unterteller.

»Vielleicht überlegst du dir das noch einmal«, sagte Booker, der gerade zurückkam. Er redete mit Sardis, aber mir überreichte er ein Päckchen. Ich packte zwei antike Zinnleuchter aus, die perfekt auf meinen Tisch paßten. Für einen Einbrecher ein erstaunlich einfühlsames Geschenk an einen Kriminalschriftsteller. Er hatte einen Blick für so was, dieser Booker, zweifellos ein Ergebnis seiner Arbeit und der vielen hübschen Wohnungen, die er dabei kennenlernte. »Für ein romantisches Dinner mit Sardis«, sagte er. »Übrigens habe ich sie richtig gekauft.«

Sardis beugte sich vor, um ihm für sein Feingefühl einen Kuß zu geben, aber er winkte ab. »Nach dem Essen. Wenn du dein Geschenk bekommst.«

Wie ein Abrißunternehmen fielen wir über die Pizza her. Nach einigen Gläsern Wein begannen sich die Umzugsverspannungen in meinem Rücken und in den Beinen zu lösen. Wenn es mir anfangs widerstrebt hatte, daß Booker an diesem Abend bei uns eingedrungen war, so traf das jetzt nicht mehr zu. Jetzt war mir fast alles recht.

Booker sagte: »Zeit für Vorführung und Bericht. Los, wir räumen ab und stellen den Wein weg.«

Damit hatte er so ziemlich die beiden einzigen Dinge getroffen, die mir nicht recht waren. »Sonst hast du keine Sorgen?«

»Schon gut, schon gut. Wir müssen nicht abräumen. Lassen wir die Gläser hier und gehen kurz ins Wohnzimmer.«

»Was in aller Welt ist so empfindlich, daß es keinen Wein im Zimmer verträgt?«

»Verlaß dich nur auf mich.«

Er holte zwei gewöhnliche Schuhkartons aus einer Papiertüte und hob mit großer Geste den Deckel von der oberen Schachtel. Ich rechnete damit, daß uns eine Spielzeugschlange oder ein lebendiger Frosch entgegenspringen würde. Aber nichts dergleichen geschah. In der Schachtel lag nur ein Stapel Papier, der nach alten Briefen aussah. Die Blätter waren halb so groß wie normale Bögen, bedeckt mit einer klaren, großzügigen Schrift, einer schönen Handschrift. Sardis sah mir über die Schulter und las die ersten Zeilen: »Ihr wißt noch nichts von mir, wenn ihr nicht ein Buch gelesen habt, das sich ›Tom Sawyers Abenteuer‹ nennt, aber das macht nichts. Das Buch hat Mr. Mark Twain geschrieben, und im großen und ganzen hat er dadrin die Wahrheit gesagt ...«

Ich bekam auf der Stelle eine Gänsehaut. Mir fiel auf, daß die Blätter für Briefe alle ungewöhnlich gleich aussahen und es viel zu viele waren; außerdem gab es keine Anrede. Und dazu kam, daß es verdammt komisch war, einen Brief mit den ersten Zeilen von ›Huckleberry Finn‹ anzufangen. Eigentlich fiel mir nur eine Stelle ein, wo sie hingehörten. Und Booker war ein absoluter Mark-Twain-Fan und obendrein ein Einbrecher. Bei der Vorstellung, was er getan haben könnte, packte mich blankes Entsetzen. »Was zum Teufel ist das?« Ich platzte in einem Ton heraus, der Anklage, Verhandlung und Schuldspruch enthielt.

»Moment mal«, sagte er, »ich habe es nicht gestohlen. Das heißt, eigentlich doch, aber mehr aus Versehen. Ich weiß nicht, was es ist. Wonach sieht es deiner Meinung nach aus?«

Vorsichtig sagte ich: »Nach einer alten handschriftlichen Kopie von ›Huckleberry Finn‹.«

»Es ist nicht das ganze Buch – weniger als die Hälfte, um genau zu sein. Aber wie kommst du darauf, daß es eine Kopie ist?«

»Das Original kann es doch nicht sein, oder?« Die Worte kamen irgendwie krächzend heraus. War es möglich, daß ich Mark Twains Originalmanuskript in meinem Haus hatte?

»Wenn ich es nur wüßte.« Es klang niedergeschlagen. »Ich war die halbe Nacht wach und habe es angestarrt – nur die erste Seite. Ich habe nicht gewagt, das Ding anzufassen.« Aus seiner Stimme klang Ehrerbietung, dann Bedauern: »Obwohl ich es gern getan hätte. Schließlich bist du mir eingefallen.«

Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, aber immer schön der Reihe nach. »Wo hast du das Ding her?«

»Ihr wißt doch, daß ich eine Therapie mache.«

Wir nickten.

»Ich gebe mir wirklich Mühe, aber ein paar kindische Sachen kann ich immer noch nicht lassen.«

Da keiner von uns sagte, was uns auf der Zunge lag, fuhr er fort: »Nachdem Mom uns verlassen hatte, trauerte Dad ihr ein paar Jahre nach. Dann, als ich im College war, lebte er eine Zeitlang mit einer netten Frau zusammen. Aber in letzter Zeit hat er es auf junge Dinger abgesehen. Frauen in meinem Alter. Manchmal sind sie sogar jünger. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich dabei fühle?«

»Ich finde, du solltest dich mit ihm freuen.«

»Es gibt vielleicht Leute, die so etwas können. Aber ihr dürft nicht vergessen, wie verkorkst ich bin.«

Sardis startete einen Versuch: »Du fühlst dich wahrscheinlich übergangen. Und traurig.«

Ich hatte eine bessere Idee: »Und bereit für den nächsten Einbruch, stimmt’s?«

Er machte ein unschuldiges Gesicht. »In letzter Zeit ist er mit einer japanischen Stewardeß zusammen, sie heißt ...«

»Sukiyaki?«

»... eine Stewardeß japanischer Abstammung – Isami Nakamura. Nettes Mädchen, etwa dreiundzwanzig, hat vielleicht zwei Jahre College hinter sich, ohne intellektuelle Ansprüche. Aber nett, wie gesagt.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht, es ist einfach irgendwie über mich gekommen. Gestern habe ich zugeschlagen.«

»Du meinst, du bist bei ihr eingebrochen – und hast das hier gefunden?«

»Ja. Aber ich glaube nicht, daß es ihr gehört. Es war im Schrank ihrer Mitbewohnerin – sie ist auch Stewardeß und heißt Beverley Alexander.«

Sardis sagte: »Fliegen ist ein guter Job für Schmuggel. Wie heißt die Fluglinie?«

»Trans-Amerika. Eine von den neuen Billiglinien, die nur New York anfliegen.«

»Aha.«

Ich konnte es nicht fassen. Das Original von Huckleberry Finn im Schrank einer Stewardeß? Ich sagte: »Es ist bestimmt eine Fälschung. Oder vielleicht einfach eine Abschrift.«

»Wer sollte so was abschreiben? Nein. Es könnte natürlich eine Fälschung sein ... aber wißt ihr was? Ich kriege von dem Ding eine Gänsehaut.«

Ich wußte, was er meinte.

»Mal angenommen, es ist echt – was hatte Beverly Alexander dann damit vor? Eins kann ich euch sagen: mit Sicherheit etwas Kriminelles. Vielleicht hat sie es einem Sammler gestohlen, jemandem, dem es wirklich viel bedeutet. Oder vielleicht gehört es einer Universität. Vielleicht sogar der California State University. Die haben eine riesige Mark-Twain-Sammlung.«

»Aber wenn ein so wertvolles Manuskript gestohlen worden wäre, hätte man doch von dem Diebstahl gehört.«

»Möglicherweise nicht. Wenn die Diebe ein Lösegeld fordern, zahlt die Versicherung oft stillschweigend – eine niedrigere Summe als beim tatsächlichen Verlust –, ohne daß die Polizei etwas davon erfährt.«

»Moment mal, Booker – denkst du vielleicht selbst daran, Lösegeld zu kassieren? Oder es zu verkaufen?«

»Wie kannst du so etwas sagen!«

»Wie kann ich was sagen?«

»Daß du mich so wenig kennst, um an so etwas überhaupt nur zu denken! Wenn ich ein Mark-Twain-Originalmanuskript besäße – irgendeines, es muß gar nicht ›Huckleberry Finn‹ sein, der bestimmt Hunderttausende wert ist –, dann würde ich es nie im Leben verkaufen. Nie, nie, nie. Ich würde es behalten und wie meinen Augapfel hüten ...«

»Bis daß der Tod euch scheidet.«

»Ach, hör auf, McDonald. Du weißt doch, wie ich an meinen Bildern hänge? Ich würde sie alle für dieses Manuskript hergeben. Wenn es echt ist.«

Booker hatte eine beachtliche Gemäldesammlung. Vielleicht war sie keine Hunderttausende wert, aber er hing an den Bildern.

»Es ist einfach nicht okay, verstehst du das nicht? Meinst du, als Einbrecher habe ich kein moralisches Empfinden? Wenn es das echte Mark-Twain-Manuskript ist, dann gehört es in eine Universitätsbibliothek, wo es jeder sehen kann. Wenn es aber aus einer Privatsammlung stammt, wird der Besitzer es vermissen. Und ich will, daß es zurückgegeben wird.«

»Du willst, daß es zurückgegeben wird.« Es dauerte eine Weile, bis ich begriffen hatte, aber schließlich kann man die persönlichen Moralbegriffe anderer Menschen nicht vorhersehen. Ich konnte ja zum Beispiel auch nicht verstehen, warum Sam Spade seinen Partner rächen mußte, obwohl er lustig mit dessen Frau vögelte. Da war Bookers Einstellung sehr viel logischer, ich hatte das bloß nicht erwartet.

»Jawohl«, sagte Booker. »Und du sollst das für mich tun. Ich werde dich dafür bezahlen.«

»Warum erledigst du das nicht selbst?«

»Ich will mit der Sache nicht in Verbindung gebracht werden – bei meinem Beruf.«

»Was soll ich tun, wenn das Manuskript echt und Beverly die rechtmäßige Eigentümerin ist?«

»Dann gibst du es ihr zurück. Was weiß denn ich, ob sie nicht vielleicht eine Mark-Twain-Expertin ist, die sich das Manuskript mit ihrer Arbeit als Küchenmamsell hoch in den Lüften zusammengespart hat? Ich will ihr nichts wegnehmen.«

»Und warum nicht?«

»Du weißt doch, warum. Du bist, Reporter und stellst Nachforschungen an – jedenfalls manchmal, wenn du deinen Arsch hochkriegst. Und du hast Zeit. Und brauchst das Geld.«

»Wieviel?«

»Was verlangst du, wenn du als freier Mitarbeiter eine Reportage machst?«

»Fünfundvierzig Dollar die Stunde.«

»Ich gebe dir fünfundfünfzig, fünfhundert Minimum. Das heißt, wenn du in einer halben Stunde rauskriegst, daß das Ding wertlos ist, dann schickst du es an Beverly. Und bekommst immer noch die fünfhundert. Aber wenn du einen Monat brauchst, ist das auch okay.«

»Abgemacht.«

Sardis sagte: »So. Und wo ist jetzt mein Geschenk?«

»Schon an seinem Platz«, erklärte Booker. »Aber keine Angst, dein Türschloß ist noch ganz.« Er hielt eine Handvoll Schlüssel und Dietriche hoch.

Huckleberry kehrt zurück

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