Читать книгу Eine ehrenwerte Familie - Julie Smith - Страница 7
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ОглавлениеSugar hatte sich geirrt, was das Schlafenkönnen betraf. Sie war zu wütend. Sie war so wütend, daß sie ständig die Fäuste ballte und einen ganz steifen Hals bekam.
Sie hatte versucht, etwas Gutes aus ihrer Ehe zu machen. Über dreißig Jahre lang hatte sie es versucht, aber Arthur war entschlossen gewesen, keine Ehe zu führen, obwohl er es auf dem Papier tat und mit Sugar zusammenlebte.
Sie wollte Nähe, wollte ihn wirklich kennen, aber er wollte sie so weit wie möglich von sich fernhalten. Dies erreichte er auf unterschiedliche Weise – indem er die ganze Zeit im Restaurant blieb, immer kurz angebunden war und sogar ziemlich ekelhaft wurde, wenn ihm nach anderen Frauen zumute war.
Und sich umbringen ließ.
Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden, Arthur. Sie biß die Zähne fest zusammen.
Sie war wütend, weil es jetzt überhaupt nicht mehr funktionieren würde – sie würde nie die Ehe haben, die sie sich wünschte. All die Gebete dieser Jahre für nichts.
Verdammt, ich hab mir die Knie umsonst ruiniert.
Er war ein schlechter Vater gewesen – sie hatte den Kindern immer erklären müssen, wieso er sich so benahm – und ein schlechter Ehemann. Er hatte seit zwanzig Jahren nicht mehr mit ihr geschlafen. Das heißt, sie hatten keinen Sex mehr gehabt; selbstverständlich hatte er jede Nacht im Bett neben ihr gelegen und fromm getan.
Seine Mätressen kamen einfach ins Restaurant spaziert, ganz unverfroren, mit ihren kleinen kichernden Freundinnen, ihren schwulen Freunden und ihren Müttern. Wann immer Arthur eine Frau samt ihrer Mutter anschleimte, wußten alle Bescheid. Einmal hatte sie es sogar selbst miterlebt. Er hatte behauptet, die Mutter arbeite mit ihm zusammen in einem Komitee und er sei es ihr schuldig, weil sie für die richtige Seite stimmte. Er glaubte, dies sei der Lauf der Welt, und erwartete von Sugar, daß sie ihm das abnahm.
Das war vor Jahren gewesen, aber er hatte immer eine gehabt. Sie wußte es, wenn sie ihn telefonieren hörte, flüsternd, immer nur flüsternd.
Gott, wie ich dieses Miststück hasse. Wenn sie zur Beerdigung kommt, kratze ich ihr die Augen aus, das schwöre ich.
Diesen Ausdruck hatte sie zum erstenmal von einem Hausmädchen gehört, dem sie am Schluß auch am liebsten die Augen ausgekratzt hätte. Wütend warf sie sich auf die Seite.
Wahrscheinlich wird sie auch noch Schwarz tragen, und einen Schleier; vielleicht wird sie den Leuten sogar erzählen, sie wäre Mrs. Hebert.
So etwas war schon öfter passiert. Sie kannte jemanden, dem es passiert war. Der Mann war kein Bigamist gewesen, die Geliebte war einfach übergeschnappt, das war alles.
Es ist mir egal.
Es ist mir egal, wenn alle in der Stadt es wissen. Das fällt auf Arthur zurück, nicht auf mich.
Sie weinte.
Überrascht setzte sie sich auf.
Um Gottes willen, was soll ich nur alleine anfangen? Ich bin mein ganzes Leben mit Arthur zusammen gewesen.
Ein Schlüssel klapperte. »Reed? Dennis?«
Sie zog schnell den Morgenmantel über, vergaß die Pantoffeln.
»Ich bin’s, Mutter. Grady. Ich war eine Weile aus.«
Sie hatte nicht gehört, daß er gegangen war. Vielleicht hatte sie doch ein wenig geschlafen.
»Wie spät ist es?«
»Spät. Kann ich dir noch was bringen?«
Sie tappte nach unten. »Grady. Ich hab nachgedacht. Es ist unerhört, wie dein Vater mich behandelt hat.«
»Was?«
»Hör zu. Was geschehen ist, ist geschehen. Aber jetzt müssen wir Nina loswerden. Ich kann mir das einfach nicht mehr bieten lassen. Diese Frau muß weg. Und wenn sie zur Beerdigung kommt, werde ich sie bitten zu gehen, das tue ich wirklich, Grady, das schwöre ich.« Sie konnte spüren, wie ihre Lippen sich anspannten, und das Gefühl gefiel ihr.
Grady ließ sich in einen von Reeds wasserblauen Sesseln fallen, die Arme schlaff, der Schlüssel glitt ihm aus den Fingern. Er sah müde aus.
»Nina?« fragte er. »Wieso bist du wütend auf Nina?«
»Weil sie die Geliebte deines Vaters war, deshalb. Das weißt du ganz genau.«
»Nina?« fragte er noch einmal. Er war heute abend schwer von Begriff. Sie fragte sich, ob er betrunken war.
»Natürlich Nina. Sie war es seit Jahren.«
»Mutter. Nina ist schwarz. Reed hat sie mitgebracht, und er hat sie nur gewähren lassen, weil Nina so verdammt gut ist; er konnte ohne sie nicht auskommen. Er hat ihr nur halb soviel gezahlt, wie sie wert ist, und Reed konnte nichts dagegen tun.«
»Sie hat bekommen, was sie wollte.«
»Und was soll das sein? Einen fetten alten Rassisten, der im Bett furzt? Reiß dich zusammen, Mutter. Sie hätte Dad nicht mal angesehen, und wenn er der letzte Mann auf der Welt gewesen wäre.«
»Ich kann einfach nicht glauben, daß du so mit mir redest. Dein Vater ist tot, und du sprichst so über ihn.«
»Das ist allerdings ein Argument. Mein Vater ist tot. Meine Schwester ist verschwunden. Meine Nichte ist verschwunden. Mein Schwager ist verschwunden. Meine Mutter kann nicht in ihrem eigenen Haus bleiben, weil überall Blut an den Wänden ist. Guter Gott, wieso mußt du jetzt auch noch Geschichten über Nina erfinden? Hast du nichts Besseres zu tun?«
»Du bist betrunken.«
»Nun, um ehrlich zu sein, halte ich das für angemessener, als mir verrückte Anschuldigungen aus den Fingern zu saugen.«
»An was soll ich denn sonst denken, wenn nicht an die außerehelichen Aktivitäten meines Mannes?«
»Ich weiß nicht. Wie wäre es denn mit der Beerdigung?«
»Oh. Die Beerdigung. Wann soll die stattfinden?«
»Nun, unter den derzeitigen Umständen wohl nicht so bald.«
»Welche Umstände?«
»Dennis und Reed. Sally.« Sie hörte die kalte Wut in seiner Stimme.
»Du brauchst nicht wütend auf mich zu sein.«
»Tut mir leid.«
»Grady, was soll ich bloß machen?«
Er starrte auf seine Armbanduhr. Er blickte auf, überrascht, vielleicht wegen ihres verängstigten Untertons. »Was machen?«
»Den ganzen Tag. Was soll ich den ganzen Tag tun?«
»Du mußt überhaupt nichts tun«, sagte er sanft. »Freunde werden vorbeikommen und Essen mitbringen. Sie werden sich um dich kümmern. Du kannst dich eine Weile ausruhen.«
»So bin ich aber nicht. Das paßt nicht zu mir.«
»Komm, Mutter...«
»Ich bin eine aktive Frau.«
Er stand auf. »Was hältst du davon, wieder ins Bett zu gehen?«
»Geh du. Ich kann nicht schlafen.«
Sie setzte sich auf das seidenbezogene Sofa, das – obwohl ein Kleinkind im Haus war – noch wie neu aussah.
Wer wird sich um das Restaurant kümmern, wenn Reed und Arthur nicht da sind?
Sie spürte eine gewisse Erregung, als ihr die Antwort einfiel.
Miss Nina kann sich auf eine Überraschung gefaßt machen.
Skip schmiegte sich an Steve Steinman und legte ihm den Arm um die Taille. Er regte sich, zog sie noch dichter an sich.
»Wie spät ist es?«
»Das willst du doch gar nicht wissen.«
»Hm.«
Er war schon fast eine Woche hier, und bald würde er wieder nach Hause fliegen. Sie fing an, seinen Rücken zu streicheln.
Er sagte: »Wie wär’s mit einem Heroindealer?«
»Wie bitte?«
»Für mein Projekt. Das Porträt eines Heroindealers.«
»Bist du wach? Heißt das, ich kann das Licht anmachen?«
»Sieht so aus.«
Sie tastete nach der Tischlampe. »Es gibt hier nicht viel Heroin. Nur hin und wieder. Es geht meist um Kokain. Vor allem Crack.«
»Ein richtig ekliger Crackdealer.«
»Ich weiß nicht, wo du so einen auftreiben könntest. Es sind meistens richtige Sunnyboys.«
»Ich frage lieber nicht, woran du gerade arbeitest.«
Aber er platzte natürlich vor Neugier – er versuchte nur, diskret zu sein.
»Du wirst es in der Zeitung lesen. Kennst du Hebert’s? Jemand ist in das entzückende Heim des Besitzers im Garden District spaziert und hat ihn beim Abendessen erschossen. Drei weitere Familienmitglieder sind verschwunden.«
»Entführt?«
»Ich hoffe nicht. Das wird die Leute nicht gerade beruhigen.«
»Hysterie – wie wäre das als Filmthema? Hysterie unter weißen Großstadtbewohnern.«
»Warum nicht?«
»Nein, hat keinen Zweck. Das ist keine gute Ausrede, wieder hierherzukommen. So was könnte ich überall drehen.«
»Hier ist es schlimmer.«
Sie wollte, daß er wiederkam. Er wohnte in Los Angeles, und er fehlte ihr immer mehr. Vor ein paar Monaten hatte sie zugelassen, daß er sich von ihr trennte, genaugenommen hatte sie es sogar provoziert, aus reiner Unsicherheit.
Und dann war er gegangen.
Ihr war nicht klar gewesen, was für eine Lücke er hinterlassen würde. Und was für eine dumme Kuh sie gewesen war.
Wie konnte ich nur?
Eigentlich wußte sie das immer noch nicht genau. Sie wußte nur, daß sie schreckliche Angst gehabt und in reiner Panik gehandelt hatte.
Schließlich war sie nach Los Angeles geflogen und hatte gebettelt; etwas, was sie sich vorher nie hätte vorstellen können. Sie hatte einfach vor seiner Tür gestanden, ohne die geringste Ahnung, ob sie noch willkommen war.
Er hatte kein Wort gesagt, hatte nur gelächelt, so eindeutig erfreut, daß sie lachen mußte, und dann hatte er sie so fest in den Arm genommen, daß sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben zierlich vorgekommen war.
Er war jetzt Cutter und sehr erfolgreich, aber er vermißte seine erste Liebe, der er lange vor Skip begegnet war – die Dokumentarfilmerei. Daher die Sache mit der Hysterie.
»Wie wäre es mit einen Tag im Leben einer Polizistin?«
»Ich weiß nicht, ob du so viel Leidenschaft einfangen könntest.« Sie fing sich einen Teil von ihm.
»Du hast recht. Polizeiarbeit ist so aufregend.«
»Und schweißtreibend.«
»Ich würde über so was stehen.« Er fing gerade damit an. »Ich weiß nur nicht genug.«
»Vielleicht könntest du eine Polizistin finden und einfach, na ja, ein Geständnis aus ihr rausprügeln.«
»Mit einem stumpfen Gegenstand?«
»Denk mal drüber nach.«
Er schüttelte den Kopf und legte ihr eine Hand auf die Brust.
»Vielleicht quetsche ich die Wahrheit einfach aus ihr heraus.«
»Es könnte sein, daß sie eine Leibesvisitation durchführen muß. Wegen versteckter Waffen.«
»Was würde sie denn tun, wenn sie eine fände?«
»Sie an einem wirklich sicheren Ort deponieren.«
Sie erwachte frisch und munter.
Am Abend zuvor, nach der Befragung der Nachbarn, hatte sie noch alle Krankenhäuser angerufen und sogar im Computer nachgesehen, ob etwas gegen Reed oder Dennis vorlag. Es gab keine Akten über sie außer der von Dennis’ Drogenvorgeschichte.
Also blieben noch die inoffiziellen Quellen: Ein Anruf bei Eileen Moreland, Skips Freundin bei der Times-Picayune, und bei Alison Gaillard, für Skip die Leiterin der hiesigen Tratschzentrale.
Die einzigen Zeitungsausschnitte, die Eileen finden konnte, behandelten so Unspektakuläres wie das Erscheinen der Heberts bei Wohltätigkeitsveranstaltungen und Reeds und Dennis’ Hochzeit. Über Grady gab es nicht einmal so etwas.
»Kein Problem«, sagte sich Skip mit gewisser Vorfreude. »Alison wird die schmutzige Wäsche schon waschen.«
Alison wußte die verblüffendsten Einzelheiten, selbst über ziemlich unbekannte Familien. Die Heberts standen fast so sehr im Licht der Öffentlichkeit wie die Neville Brothers – Alison würde alles wissen, sogar, zu wechem Friseur Sugar und Reed gingen.
»Hier ist Alison«, sagte der Anrufbeantworter. »John und ich nehmen unseren ersten Urlaub, seit das Baby auf der Welt ist. Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß ich verrate, wo wir sind.«
Skip starrte den Hörer an. »Der Teufel soll dich holen, Alison Gaillard.«
Nachdem sie sich von diesem Schock erholt hatte, beschloß sie, Nina Philips aufzusuchen, die sich bereits als gute Quelle erwiesen und wahrscheinlich noch viel mehr zu sagen hatte.
Sie wurde durch mehrere schwere Schwingtüren geführt, um eine Ecke und dann an Büros vorbei. Jeweils eins für Arthur, Sugar, Nina und den Chefkoch.
Nina telefonierte gerade, bestellte die täglichen Lieferungen. Neben ihr saß Sugar und machte ihr, soweit Skip das beurteilen konnte, das Leben zur Hölle.
Nina wies auf einen Stuhl. »Eine Kiste Mandeln«, sagte sie ins Telefon. »Eine Kiste Anchovis, zwei Kanister Rinderbrühe, zwei Kanister Hummerbrühe; vier Dosen kreolischen Senf; zehn Kanister Pflanzenöl; vier Säcke Reis; fünfundzwanzig Säckchen Steinsalz.«
Sie legte auf und wählte, ohne Sugar und Skip auch nur anzusehen, eine andere Nummer. »Hallo, Mr. Daroca; hier Nina von Hebert’s. Ich brauche vier Kisten Garnelen; hundert Pfund Krebse; fünfzehn Pfund Alligator; fünfzehn Pfund Froschschenkel; fünf Gallonen Austern; siebzig Pfund kalifornischen Küstenfisch, und... warten Sie, ich glaube, das war’s.« Sie hörte eine Minute lang zu. »Nein. Nein, keine Krabben heute.«
Sugar schüttelte heftig den Kopf.
»Einen Augenblick, Mr. Daroca.«
Sugar sagte: »Was soll das heißen, keine Krabben? Wir haben neun Krabbengerichte auf der Karte.«
»Riesenkrabben kosten achtzehn fünfzig das Pfund. Wenn ich sie zu diesem Preis kaufe, werden die Menüs so teuer, daß sie kein Mensch bestellen wird.«
»Können Sie denn keinen Krabbenersatz bekommen?«
»Ihr Mann hat immer gesagt: ›Wir sind hier bei Hebert’s, Ms. Philips. Wenn man hier Krabbenremoulade bestellt, sollten auch Krabben drin sein.«
»Wir mischen einfach, halb und halb«, sagte Sugar. »Das wird niemand merken.« Sie war sichtlich stolz auf diesen raffinierten Plan.
»Reed hat das vor fünf Jahren mal versucht. Wissen Sie, was passiert ist? Beinahe hätte der Koch gekündigt.«
»Können wir dann nicht einfach einen neuen einstellen?«
Nina schloß die Augen und griff wieder nach dem Telefon. »Mr. Daroca, ich melde mich später noch mal.« Sie warf Skip einen Seitenblick zu, offensichtlich ganz angetan von der Anwesenheit einer Zeugin. »Sugar, Sie haben einen schlimmen Schock hinter sich. Ich weiß, Sie haben das Gefühl, Sie müssen sich um alles kümmern, nachdem Arthur und Reed weg sind, aber Sie sollten sich wirklich ein bißchen Ruhe gönnen. Sie sollten nicht hier sein und sich so anstrengen, in einer solchen Zeit.« Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Gott weiß, ich wäre auch lieber daheim geblieben, aber ich hatte keine Wahl.«
»Nina Philips, kommen Sie mir jetzt bloß nicht auf die gönnerhafte Tour.«
»Das tue ich doch nicht, ich versuche nur, mein Bestes für das Restaurant zu tun.«
»Es ist nicht Ihr Restaurant.«
Skip fragte sich, wie Nina darauf reagieren würde. Sugar gehörte offenbar zu den Leuten, die sich auf Äußerungen spezialisiert hatten, auf die es keine Antwort gab. Skips Mutter besaß ein ähnliches Talent.
Wieder fuhr sich Nina durchs Haar. »Sugar, ich weiß, daß Sie es nur gut meinen, aber vergessen Sie nicht, daß Ihr Mann in dieser Branche aufgewachsen ist. Reed hat es ebenfalls von der Pike auf gelernt; ich habe fünf Jahre Erfahrung hier, und fünf davor bei Dooky Chase. Sie können nicht einfach hier hereinspazieren und einen solchen Betrieb übernehmen.«
Sugar sah aus, als könne sie sich nicht so recht entscheiden, ob sie alles kurz und klein schlagen oder weinen wollte. Es war der Zorn eines kleinen Kindes, und es tat Skip weh, sie anzusehen.
Was die wohl für eine Mutter abgegeben hat, dachte Skip. Eine zu groß geratene Vierjährige.
Nina redete sanft auf sie ein. »Jetzt muß ich ein paar Minuten mit Detective Langdon sprechen, und wenn ich fertig bin, kümmere ich mich um die Bestellungen.«
Sugar warf Skip einen kurzen Blick zu. Sie sah immer noch wütend aus, aber Demütigung und Kränkung erwiesen sich als stärker. Sie drehte sich um und verließ das Büro auf klappernden hohen Absätzen. Skip glaubte, ein Schniefen zu hören, als sie an ihr vorbeikam.
Nina war viel zu verärgert, um sich noch zurückhalten zu können. »Sie ist wie ein Kind. Ganz plötzlich kommt ihr der Gedanke, das Restaurant leiten zu können, und niemand kann sie davon abbringen. Seit sie Künstlerin geworden ist – nicht, daß sie Malunterricht genommen hätte oder so –, war das Leben für uns hier ein bißchen einfacher geworden. Jetzt ist sie plötzlich Expertin für den Krabbenpreis – können Sie sich das vorstellen?«
»Tut mir leid, wenn ich ungelegen komme, aber ich muß Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Nina war plötzlich wieder sehr sachlich. »Selbstverständlich. Entschuldigen Sie das alles.«
»Zunächst einmal: Stört es Sie, wenn ich mich in Mr. Heberts Büro umsehe?«
Nina zögerte. Konnte sie das überhaupt entscheiden? Skip konnte fast hören, wie sie sich das fragte. Schließlich erklärte sie seufzend: »Bitte. Aber ich möchte dabeisein.«
Als Skip die Papiere durchging, griff Nina nach dem Telefon und wählte. »Grady Hebert«, sagte sie. »Deine Mama ist hier und bringt alles durcheinander. Wenn du sie nicht von hier fernhältst, wird es bald kein Hebert’s mehr geben.«
Skip suchte schweigend weiter, fand aber nichts, das ihr etwas gesagt hätte. Schließlich meinte sie: »Ich bin, ehrlich gesagt, ein bißchen erstaunt. Mrs. Hebert scheint nicht sonderlich zu trauern. Wie sind sie und Arthur miteinander ausgekommen?«
Nina dachte nach. »Ich nehme an, sie haßten einander mehr oder weniger. Aber trotzdem wird er ihr fehlen.«
Es sei denn, sie hat seine Ermordung arrangiert. Es wäre nicht das erste Mal, daß so etwas passiert.
»Eigentlich wollte ich mit Ihnen über Dennis reden. Sind Sie sicher, daß er wirklich keine Drogen mehr nimmt?«
»Er ist bei den Anonymen Alkoholikern engagiert. Schon seit Jahren.« Sie warf Skip einen Seitenblick zu. »Glauben Sie mir, ich wüßte es, wenn er wieder angefangen hätte. Reed hätte es mir gesagt. Und sie würde ihm das nicht eine Minute lang durchgehen lassen. Das war Teil ihres Abkommens, als sie geheiratet haben.«
»Ein seltsames Paar.«
Nina schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein. Reed hat ihn von den Drogen abgebracht – sagt Ihnen das was?«
»Sollte es?«
»Sie ist die klassische Koabhängige; sie liebt es zu helfen. Und ich weiß, wovon ich rede. So was ist ziemlich weit verbreitet.«
»Was hat er genommen?«
»Heroin.«
»Koks?«
Sie schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich weiß nur von Heroin. Und er hat getrunken; ziemlich viel.«
»Es hört sich an, als wäre Reed eine kompetente Frau. Ich kann mir schwer vorstellen, was sie an ihm anziehend fand.«
Nina seufzte. »Darüber gibt es meterweise Bücher. Oder Sie könnten zu Al-Anon gehen, wenn es Sie wirklich interessiert. Sie ist ein Dynamo, und er braucht sie, um am Laufen zu bleiben.«
»Sie halten ihn für schwach.«
»Wahrscheinlich.« Sie zögerte. »Obwohl ich nicht weiß, ob man das wirklich über jemanden sagen kann, der eine solche Sucht überwunden hat. Aber er ist ganz bestimmt kein Energiebündel.«
»Wissen Sie, wo er sich früher rumgetrieben hat?«
»Danach hab ich nie gefragt.«
»Wer könnte es denn wissen?«
»Sie könnten mit seinen Verwandten reden.«
»Ich möchte auch mit seiner Geschäftspartnerin sprechen.«
»Ah. Die liebe Silky Sullivan.«
»Wie bitte?«
Nina nickte. »Ein Uptown-Mädchen. Die haben’s nun mal mit Spitznamen. Wahrscheinlich heißt sie eigentlich Susan oder so.«
Skip mußte unwillkürlich lächeln. Es war tatsächlich ein typischer New-Orleans-Name – einer ihrer Kollegen war auch so gerufen worden, ein irischer Katholik, der zum Judentum konvertiert war.
Sie ließ sich die Adressen geben und rief in der Gärtnerei an, bekam aber keine Antwort. Das Uptown-Mädchen wohnte jetzt am Faubourg Marigny, in einem hübschen, niedrigen, langgezogenen Gebäude, das frisch blau verputzt war, mit Dekorationen in Braun.
Niemand reagierte auf Skips Klingeln, aber sie ließ sich nicht entmutigen. Es dauerte mehr als fünf Minuten, bis eine Frau in Jeans an die Tür kam, die Arme bis zu den Ellbogen schlammverkrustet.
»Tut mir leid«, sagte sie, nachdem Skip sich vorgestellt hatte. »Ich war hinter dem Haus. Ich bin so durcheinander wegen Dennis, daß ich mir den Tag frei genommen habe. Kommen Sie doch mit.«
Sullivan ging ihr voraus in den Hinterhof, wo sie sich an einem Gartenschlauch den Dreck von den Armen wusch. Sie war fast so groß wie Skip, aber erheblich schlanker, schlaksig und hager. Skip konnte sich dem Eindruck nicht entziehen, ein Vollblut vor sich zu haben – ihr Spitzname, den man ihr wahrscheinlich schon als Kind gegeben hatte, hatte sich als passend erwiesen. Ihr kurzes Haar war braun und glänzend und tatsächlich seidig, ihre Haut wie Porzellan.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Wissen Sie, was gestern abend passiert ist?«
»Ich weiß, daß Arthur umgebracht wurde und alle anderen verschwunden sind, wenn Sie das meinen. Ich habe fast den Verstand verloren.« Skip glaubte zu sehen, daß ihre Augen feucht wurden.
»Stehen Sie der Familie sehr nahe?«
»Dennis. Und Sally ist natürlich reizend, aber Reed kenne ich kaum. Ich meine, sie ist immer sehr nett, ich kenne sie schon seit der Tanzstunde, aber wir hatten nie viel gemeinsam.«
»Und Dennis? Wie haben Sie Dennis kennengelernt?«
Sie wurde ein wenig rot. »Das sollte ich lieber nicht sagen.«
Skip meinte: »In einer Zwölf-Schritte-Gruppe. Darüber weiß ich Bescheid.«
»Er hat mich hingebracht. Er hat mir sehr geholfen – ich meine wirklich sehr.« Sie zuckte die Achseln. »Wir interessierten uns beide für Pflanzen, also haben wir schließlich zusammen die Gärtnerei eröffnet. O Gott, was wird jetzt aus mir?«
Skip fragte sich, wie die finanzielle Grundlage des Unternehmens aussah. »Hat Dennis das Geld aufgebracht?«
»Nein. Ich. Aber er ist unersetzlich – ich kann ohne ihn nicht weitermachen. Ich habe den ganzen Tag über telefoniert – haben Sie die geringste Ahnung, was da drüben passiert ist? Bei Arthur und Sugar?«
Das war genau die Frage, die Skip am wenigsten hören wollte. »Tut mir leid, die Ermittlungen laufen noch. Ich darf nicht darüber sprechen. Sagen Sie – wie hat es funktioniert? Geschäftlich, meine ich?«
»Na ja, wir arbeiten ja erst seit ein paar Monaten zusammen. Aber bis jetzt ging es phantastisch. Nur in Dennis’ Nähe zu sein ist... Ich weiß nicht... als wäre man neu geboren.«
»Das ist eine ziemlich starke Formulierung.«
Sullivan hatte eine ihrer Pflanzen betrachtet. Jetzt starrte sie Skip an. »Ich klinge wohl völlig verrückt. Lassen Sie mich noch mal anfangen. Ich stamme aus einer Familie, in der alle Männer Machos sind... alle müssen ununterbrochen beweisen, wie groß und böse sie sind. Dennis hat so etwas Liebenswertes, Ruhiges, Sanftes; ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der so beruhigend gewesen wäre.«
Sie ist in ihn verliebt.
Skip sagte: »Das würde man aus seinem Foto nie schließen können.«
Sullivan lachte. »Ich weiß. Sie sollten ihn mal sehen: durchdringender, furchteinflößender Blick; und diese mürrische Miene. Unter seinen Vorfahren muß ein Ire gewesen sein. Ich weiß es, weil die Hälfte der Sullivans es auch haben. Aber die sehen nicht nur gewalttätig aus – sie sind es auch.«
»Haben Sie von ihm gehört, Silky?«
Sullivan starrte sie fragend an. »Das hätte ich Ihnen doch gesagt.«
»Dennis kannte vielleicht aus seiner Drogenzeit ein paar ziemlich fragwürdige Typen. Vielleicht kennen Sie sie auch.«
»Soll das ein Witz sein? Ich bin an der First Street aufgewachsen. Ich hab an Orten getrunken, wo es allgemein akzeptiert wurde.«
»Hat er Ihnen viel von seinem Vorleben erzählt? Von seiner Drogenzeit?«
»Nicht viel.« Ihre Miene wurde verschlossener.
»Hören Sie, ich muß ihn finden.«
»Detective, ich kann Ihnen nicht helfen. Ich würde nur zu gern, aber ich kann es nicht. Leute, die trocken sind, reden für gewöhnlich nicht viel über diese Zeit ihres Lebens ... die Zeit, die sie hinter sich gelassen haben.«
»Ich dachte, in den Zwölf-Schritte-Gruppen ginge es um nichts anderes.«
»Ich könnte Ihnen erzählen, was Dennis emotional durchgemacht hat ... wenn Sie das wissen wollen. Aber das werde ich nicht. Wir haben eine Regel: ›Was wir in der Gruppe hören, bleibt in der Gruppe.«‹
»Mich interessieren auch mehr die Leute, die er früher kannte. Mit wem er sich rumgetrieben hat und wo.«
»Tut mir leid, ich habe nicht die geringste Ahnung.«
Skip reichte ihr ihre Karte. »Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt.«