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Chris Nicholson, meine Partnerin in der Anwaltskanzlei, hatte am Montag um neun Uhr einen Termin bei Gericht. Als sie gegen elf Uhr zerstreut zur Tür hereinkam, begrüßte unser Sekretär sie mit seiner unnachahmlichen Höflichkeit: »Wieder jemanden hinter Gitter gebracht?«

Sekretäre sind heutzutage so ziemlich der Hit. Viele Karrierefrauen sind begeistert von männlichen Sekretären. Sie tragen schicke schmale Krawatten und Button-down-Hemden, tippen hunderttausend Anschläge in der Minute, können Steno, wischen Staub, kochen phantastischen Kaffee, und ihre Vorzimmer laufen wie geschmiert. So habe ich das jedenfalls von einigen Freundinnen gehört.

Unserer zog sich schlampig an, kochte lausigen Kaffee, konnte kein Steno, tippte ungefähr eine Zeile pro Minute und vergaß immer auszurichten, wer angerufen hatte. Er hieß Alan Kruzick und war der Freund meiner Schwester. Außerdem Schauspieler ohne Gage.

Mom hatte uns überredet, ihn einzustellen, nachdem Mickey ihr Studium abgeschlossen und eine Stelle beim Institut für Familienplanung angetreten hatte. Um die viele Fahrerei zu vermeiden, waren Mickey und Kruzick von Berkeley in die Stadt gezogen, und ihre Miete hatte sich verdoppelt. Die ganze Familie Schwartz war dagegen, daß Mickey Alan unterstützte, und Mom hielt ihren Vorschlag für die perfekte Lösung.

Soweit es mich betraf, ich fand nicht, daß er sich bezahlt machte, aber für Chris war seine superschlaue Art noch neu. Im übrigen hatte sie an diesem Montagmorgen besonders gute Laune, also antwortete sie auf seine Frage: »Worauf du wetten kannst, Baby.« Dann huschte sie in mein Büro und setzte sich.

»Äußerst geschäftsfördernd«, meinte ich.

»Was soll’s. Ist doch keiner da.«

»Wie war dein Wochenende?«

»Ich war mit Peter Martinelli zusammen. Ich glaube, ich bin verliebt.«

»Oh, Gott. Wie oft mußtest du dir ›Revanche‹ antun?«

»Ich habe mir während der Vorstellungen die Haare gewaschen.«

»Sehr praktisch. Wann heiratet ihr?«

»Erst kommt die Versteigerung. Dann machen wir uns über die Hochzeit Gedanken.«

»Welche Versteigerung?«

»Wir werden den Anstellsauer versteigern – wie Alan vorgeschlagen hat.«

Am vergangenen Freitag waren Chris und ich zusammen mit Mickey und meinem Freund Rob Burns im Stadttheater gewesen und hatten uns Alan als Milo Tindle in ›Revanche‹ angesehen. Andrew Wyke, den betrogenen Ehemann, der auf Rache sann, spielte der elegante Peter Martinelli, Sproß einer ehemals berühmten Sauerteig-Dynastie. Nach der Vorstellung begleiteten uns Alan und Peter auf ein paar Drinks.

Das Stück inspirierte uns zu S. Holmes, Esq. (besser bekannt unter »The Sherlock Holmes Pub«), einer verschrobenen Kneipe in der obersten Etage des Holiday Inn von Sutter und Stockton. Noch verschrobener als die Kneipe sieht allerdings der Portier des Hotels aus, ein schwerfälliger, älterer Schwarzer in Pelerinenmantel und Jagdmütze.

Die Inneneinrichtung des Pubs besteht aus Plüschsofas und -sesseln, in Vitrinen sind Dutzende von Meerschaumpfeifen ausgestellt, dazu eine sehr gute Reproduktion von der Wohnung des großen Detektivs in der Baker Street. Trotz dieser hinreißenden Ausstattung herrscht dort selten Hochbetrieb. Der Grund dafür ist nicht allzu schwer zu erraten: Die Preise bei S. Holmes, Esq. sind astronomisch. Natürlich war es Kruzicks Idee, und natürlich wußte er, daß wir ihn einladen mußten, um seinen Triumph auf den Brettern zu feiern. So viel zu Kruzick.

Chris und Peter Martinelli saßen nebeneinander, und beide waren offensichtlich recht erfreut darüber. Beide sind groß und schlank, sie ein heller Typ, er dunkel. Ihn kannte ich überhaupt nicht, aber Chris war gerade dabei, sich nach dem Ende einer großen Romanze wieder langsam zu erholen.

Chris und ich nannten ihren ehemaligen Liebhaber immer »den perfekten Mann«. Larry war freundlich, sanft, konnte gut kochen, war ein erfolgreicher Architekt und sah gut aus – was konnte man noch verlangen? »Ein bißchen sehr solide«, sagte Chris nach der Trennung. »Er war so wohlsituiert.«

Larry war etwas älter als wir und wollte heiraten. Chris nicht, und sie dachte, wenn er wirklich perfekt wäre, hätte sie auch gewollt. Also schob sie ihn ab und sah sich nach dem Mann fürs Leben um. Im Moment konzentrierten sich ihre blauen Augen auf Peter Martinelli. Ich beschloß, ihr ein wenig zu helfen.

Ich sah ihn mir an. »Sagen Sie mal, junger Mann«, fragte ich, »sind Sie verheiratet?«

Er schüttelte den Kopf. »Nie gewesen.« Sein Blick fiel auf Chris. »Dabei bin ich eine gute Partie.«

»Kaum zu glauben!«

Er lachte. »Das war ein Witz. Alles, was Sie kriegen können, sitzt vor Ihnen. Ich besitze keinen Penny.«

»Das kannst du mir nicht erzählen«, meinte Kruzick. »Du mußt doch was geerbt haben?«

»Mit dem Namen Martinelli«, sagte Peter, »kriegt man heute noch nicht mal einen anständigen Tisch im Restaurant.«

Die berühmte Martinelli-Bäckerei, die älteste und bei weitem beste der alten Sauerteig-Bäckereien, hatte vor einigen Jahre schließen müssen. Die alte Geschichte. Ein kleines Familienunternehmen, man hatte zu schnell expandiert, kam in eine Wirtschaftsflaute und verschuldete sich zu hoch. Ein paar Jahre nach dem Bankrott kamen die alten Martinellis, Peters Eltern, bei einem Erdrutsch ums Leben. Ganz San Francisco kannte die Geschichte.

»Ach komm«, sagte Kruzick. »Es muß doch wenigstens ein Haus dagewesen sein. Oder Lagerbestände und Wertpapiere.«

»Keine Bestände, keine Wertpapiere. Das Haus hat meine Schwester geerbt.«

»Und du hast gar nichts bekommen?« Kruzick kann unglaublich penetrant sein, aber irgendwie kommt er damit durch.

»Doch, natürlich. Ich hab den Anstellsauer geerbt.«

»Was?«

»Als meine Familie die Bäckerei schließen mußte, hatten sie immer die Hoffnung, irgendwann wieder neu anfangen zu können. Also ließen sie den Anstellsauer einfrieren. Wißt ihr, was Kryogenik ist?«

»Na klar«, antwortete Kruzick. »Aus dem Film ›Der Schläfer‹, wo Woody Allan stirbt und sich einfrieren läßt. Und irgendwann hundert Jahre später wieder auftaut.«

Peter zuckte mit den Schultern. »Das haben sie auch mit dem Anstellsauer gemacht. Vorsichtshalber haben sie ihn von einer Spezialfirma für Kryogenik einfrieren lassen. Zu der Zeit hatten sie noch Lagerbestände und Wertpapiere. Dad dachte, er könnte sie verkaufen und etwas Geld auftreiben, suchte nach Investoren ...« Er zuckte erneut mit den Schultern. »Aber er hat’s nie geschafft.«

»Also hast du den Anstellsauer geerbt.«

»Ja.«

»Und was ist das?« Kruzick kommt aus New York und hat von nichts eine Ahnung.

»Anstellsauer braucht man für den Sauerteig«, erklärte Rob. »San Franciscos berühmtes Sauerteig-Weizenbrot ist Stoff für Mythen und Legenden. Das Martinelli-Brot, innen weich und aromatisch, mit seiner wohlbekannten dicken, dunklen Kruste, der anerkannte Stolz der Bäckereien von San Francisco, ist nun selbst zur Legende geworden.«

»Hey«, unterbrach Peter, »das kenne ich doch! Das stand im ›Chronicle‹, als die Bäckerei geschlossen wurde.«

»Ich weiß. Den Artikel habe ich geschrieben.«

»Aber was ist das, Anstellsauer?« fragte Kruzick wieder.

Rob zitierte weiter aus seinem Artikel: »Die Geschichte des Sauerteigs beginnt in der Zeit des Goldrausches von achtzehnhundertneunundvierzig. Möglicherweise haben die Neunundvierziger ihn mitgebracht, vielleicht haben sie ihn auch hier erfunden. Niemand weiß das genau. Manche Leute behaupten, durch den weichen Nebel der Stadt bekäme das Brot seinen sauren Geschmack, andere sagen, eine spezielle Hefe sei dafür verantwortlich, die sich nur in San Francisco entwickele. Eines ist allerdings sicher – von nichts kommt nichts. Wenn man einen Sauerteig machen will, braucht man Sauerteig.«

»Ich glaube«, sagte Kruzick, »ich kapier’s langsam.«

Rob nickte. »Eine Mischung aus Mehl und Wasser, genannt Anstellsauer oder Grundsauer, ist die Basis für den Brotteig. Jede Bäckerei ›führt‹ ihren Grundsauer mehrmals am Tag, indem sie zu einem Teil des Teigs Wasser und Mehl hinzufügt, dann muß das Ganze gehen und wieder gehen. Dieser Vorgang dauert jeweils sieben Stunden. Und dann kommen die Laibe in den Ofen.«

»Und was ist an diesem Teigklumpen so Besonderes?«

»Es ist einfach dieses undefinierbare Etwas«, sagte Mickey. So wurde sie normalerweise mit Kruzick fertig, indem sie sich so ausdrückte, daß er nichts kapierte.

»Das stimmt tatsächlich«, bestätigte Rob. »Das Brot kann nur so gut werden wie der Anstellsauer.«

»Also gibt es eine spezielle Hefe?« fragte Mickey. »Oder was ist es?«

»Die Legende berichtet, daß die Bäcker die Laibe früher in ihrer Achselhöhle geformt haben«, erzählte Rob. »Dadurch entstand das spezielle Aroma.«

»Hör auf, Märchen zu erzählen.«

»Na ja, es gibt eine spezielle Hefe.« Er wurde wieder ernsthaft. »Man nennt sie Saccharomyces minor, aber die findet man häufig. Die Italiener zum Beispiel verwenden sie für ihre Panettone. Wegen dieser Hefe muß das Brot so lange gehen. Die Wissenschaftler nennen das eine langsame Gärung.«

»Wenn es das auch in Italien gibt«, fragte Chris, »warum bekommt man den Sauerteig dann nur in San Francisco?«

»Weil man außerdem bestimmte Bakterien braucht, die man wirklich nur hier findet. Das ist der Lactobacillus sanfrancisco. Während der langen Gärung bildet sich Zucker, sogenannte Maltose. Durch das Zusammenwirken des Bazillus mit der Maltose entstehen zwei Säuren, siebzig Prozent Milchsäure und dreißig Prozent Essigsäure, und deshalb schmeckt das Brot sauer. Andere Bakterien produzieren nicht soviel Säure, andere Hefearten würden nicht soviel Säure vertragen. Also braucht man beides für den Sauerteig.«

»Also willst du eine Bäckerei aufmachen, Peter?« folgerte Kruzick.

Peter schüttelte den Kopf. »Ich bin ein miserabler Geschäftsmann und bettelarmer Schauspieler, der von den Einkünften aus Werbespots lebt.«

»Wie wäre es, wenn das Theater dir eine Gage zahlte?«

»Seit sie die Subventionen gekürzt haben, kann das Theater noch nicht mal die Parkgebühren erstatten.«

»Wenn jetzt aber jemand eine Stiftung für das Theater gründen würde, aus der die Gagen bezahlt werden könnten? Ich denke da an jemanden, der die Misere des Theaters kennt und es retten will. Sagen wir, einer, der einen hervorragenden Intendanten abgeben würde. Wenn Anton geht, werden wir einen brauchen. Du wärst prima.«

»Ich habe mich schon beworben. Das Problem ist nur, möglicherweise wird es den Job gar nicht geben. Das Theater wird nicht mehr lange durchhalten. An den Gedanken solltest du dich langsam gewöhnen, Alan.«

»Und warum rettest du es dann nicht?«

»Ich habe kein Geld.« Peter zeigte seine leeren Taschen vor. »Wann wirst du mir endlich glauben?«

»Ich dachte daran, daß du den Anstellsauer versteigern könntest.«

Wir waren mittlerweile beim zweiten Drink, und keiner konnte mehr allzu schnell denken. Niemand reagierte.

Endlich brach Peter das Schweigen. »Außer meiner Schwester hat ihn nie jemand haben wollen, und da würde ich ihn schon lieber an die Russen verkaufen.«

»Niemand weiß, wie wertvoll er ist, also müssen wir das deutlich machen. Ich stelle mir das so vor: Wir machen es zum Medienereignis. Rob liefert eine Story über dich und deine Pläne, das Theater zu retten. Du verkündest offiziell, daß du den Anstellsauer versteigern willst, Rob schreibt einen Aufmacher über das berühmte Brot der Martinellis. Und du forderst die Leute auf, mitzubieten.«

Wir starrten ihn an.

»Sie werden scharenweise gerannt kommen.«

»Ich finde die Idee großartig«, meinte Rob. »Ich liebe dieses Sauerteig-Zeug. Ich könnte Tag und Nacht darüber schreiben.«

»Wenn wir dann das Geld haben«, sagte Kruzick, »bauen wir so ein großes neues Theater, und wir werden Gaststars engagieren, zu unserem eigenen Ensemble dazu, für Erstaufführungen von hiesigen Dramatikern.«

»Du kriegst in jedem Stück die Hauptrolle«, ergänzte Mickey. »Weil es deine Idee war.«

Wie ich schon gesagt habe, wir waren beim zweiten Drink. Es ging noch eine Weile so weiter. Wir unterhielten uns großartig und weissagten rosige Zeiten für Alan und Peter. Chris und Peter hörten kaum zu. Sie waren hauptsächlich damit beschäftigt, ihre Redebeiträge durch gegenseitige Berührungen zu betonen. Falls man meine Meinung dazu hören will: Sie hatten nur eines im Sinn.

Die Sauerteigmafia

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