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Irgendwann – aber wann? – war der Anstellsauer offensichtlich gestohlen worden. Ob vor oder nach dem Mord, konnte man nur raten. Niemand konnte wissen, ob in diesem oder im vergangenen Jahr. Man hatte den Anstell-sauer gefriergetrocknet, in kleine Kügelchen, vakuumverpackt. Die einzige Methode, um beide Mikroorganismen am Leben zu halten. Er wurde in kleinen Glasfläschchen bei extrem niedrigen Temperaturen in einem Gefrierschrank mit flüssigem Stickstoff aufbewahrt. Jeder hätte ihn mitnehmen können, in einer mit Stickstoff gekühlten Vakuumbox, wie man sie für den Transport von Bullensperma verwendet. Die Behälter waren, wie Rob erklärte, aus Aluminium und Edelstahl und sahen ungefähr so wie große Thermosflaschen aus. Man konnte den Anstellsauer darin unbegrenzt aufbewahren, solange die Flasche mit flüssigem Stickstoff gefüllt war. Es war also möglich, daß er schon vor längerer Zeit gestohlen worden war.

Anne war jetzt die Hauptverdächtige. Rob berichtete, daß die Bullen sie verhörten, aber noch nicht verhaftet hätten. Er rechnete mit ihrer Verhaftung im Laufe der Nacht. Dann würde der ›Examiner‹, das Nachmittagsblatt, die Nachricht zuerst bringen können. Darüber war er ziemlich sauer. Eine Schlappe folgte auf die andere, denn für den ›Chronicle‹ war es jetzt bereits zu spät, um die Story über den geklauten Anstellsauer in der Mittwochsausgabe unterzubringen. Damit würde der ›Examiner‹ auf jeden Fall zuerst rauskommen, selbst wenn die Bullen Anne freiließen. Aber das würde nie passieren, erklärte Rob, in hundert Jahren nicht. Eindeutiger Fall, sagte er. Ein Kumpel bei der Polizei hatte ihm das erzählt.

Am nächsten Morgen, gegen halb elf, raste ich los, um die erste Ausgabe vom ›Examiner‹ zu kaufen. Es überraschte mich, die Nachricht von dem geklauten Anstellsauer auf der unteren Hälfte vom Titelblatt zu finden. Ich überflog den Artikel, auf der Suche nach Neuigkeiten über Anne. Aber es gab keine.

Dann rief ich Rob an. Man hatte Anne freigelassen.

Es war so: Die geschiedene Dame hatte die Nacht mit ihrem langjährigen Liebhaber verbracht. Er hatte sie zu ihrem Büro gefahren. Gegen halb zehn, als sie gerade das Haus verlassen wollten, kam eine Nachbarin, um etwas auszuleihen. Der Freund hatte sie um zehn Uhr abgesetzt, da sie zum Unterricht mußte. Sie wohnte in San Anselmo, auf der anderen Seite der Golden Gate Bridge, also konnte sie Peter zwischen halb zehn und zehn nicht umgebracht haben. Selbst wenn ihr Freund für sie gelogen hatte, gab es genügend Zeugen, die ihre Zeitangaben bestätigen konnten.

Obwohl ich es ungern zugab, sprach alles für ihre Unschuld. Chris war bei Gericht, also nahm ich die Dinge selbst in die Hand. Ich rief Anne an, wobei ich mich fragte, ob sie sich wohl an mich erinnern würde.

Sie erinnerte sich. »Rebecca Schwartz. Haben Sie es endlich geschafft?«

»Geschafft – was?«

»Ihre Verzögerungstaktik. Sie schieben doch am liebsten alles vor sich her.«.

»Das ist nicht wahr. Das heißt, ich wollte sagen, ich hab’s wahrscheinlich geschafft.« Ich hatte schon lange nichts mehr vor mir hergeschoben, ich konnte mich kaum noch daran erinnern. Annes Kurs hatte mir sehr geholfen.

»Saubere Arbeit. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich bin die Partnerin von Chris Nicholson.«

»Ach so, diese Miss Schwartz sind Sie.«

»Ich muß mit Ihnen reden.«

»Einen Moment, bitte ...« Ich sah sie vor mir, wie sie ihre Digitaluhr befragte. »Elf Uhr dreißig. Ich hatte vor, mittags Tennis zu spielen – eigentlich wollte ich jemanden abholen, aber mit Ihnen geht’s auch. Das heißt, falls Sie Tennis spielen. Spielen Sie Tennis?«

»Ich bin aus Marin County.«

»Gut. Zwölf Uhr im Golden Gate Tennisclub.«

Sie war so kurz angebunden, daß man sie für unhöflich hätte halten können, aber sie wollte bloß keine Zeit verschwenden. Natürlich spielte Anne in der Mittagspause Tennis. Natürlich war sie Mitglied im Golden Gate Club – der in der Nähe ihres Büros lag – und nicht im südlich von Market gelegenen San Francisco Tennisclub. Und natürlich nutzte sie ihre Mittagspause für ein Tennismatch, Lunch und ein Gespräch mit der Anwältin ihres toten Bruders. Sie wäre nie so weit gekommen, wenn sie Zeit vergeuden würde.

Mir blieb gerade noch soviel Zeit, um nach Hause zu fahren und meine Tennisklamotten anzuziehen, wenn ich pünktlich im Club ankommen wollte. Ich war nicht besonders erfreut über die Aussicht, mit leerem Magen zu spielen, aber schließlich hatte sich Peter Martinelli wohl auch nicht über seinen Tod gefreut.

Anne war schon bei den Lockerungsübungen, als ich ankam. Sie hatte eine gute Figur, für eine Italienerin war sie ziemlich schlank, aber von kräftigerer Statur als Peter, und hatte ein dunkleres, etwas gewöhnliches Gesicht. Aber ihr Dreißig-Dollar-Haarschnitt machte das Beste daraus. Die Frisur verdeckte auch ihr energisches Kinn, das bestimmt nicht sehr sexy, in Geschäftsbeziehungen aber sicher von Vorteil war. Sie wirkte etwas einschüchternd – ganz die flotte, nüchterne Geschäftsfrau.

Sie sah auf ihre Uhr. »Sie sind zwei Minuten zu spät.«

»Mea culpa.«

»Nein, das ist nicht schlecht. Das ist okay. Ich gebe den Leuten immer fünf Minuten. Haben Sie schon mal beobachtet, wie wenige Leute pünktlich sind?«

»Ja, seit ich Ihren Kurs besucht habe, achte ich darauf.«

»Sie sind eine gute Schülerin. Wollen Sie sich warm machen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Spielen wir einfach.«

Sie hatte einen harten Aufschlag und war sehr konzentriert. Ihre kleinen, braunen Augen waren überall gleichzeitig. Seltsamerweise saß ihre Frisur immer perfekt, während sie auf dem Platz hin und her rannte, auch dann noch, als sie vom Schweiß triefte. Was nach zehn Minuten der Fall war. Bei mir auch. Wir waren ungefähr gleich stark – jedenfalls gelang es mir, sie in Bewegung zu halten, was bei meinem knurrenden Magen nicht schlecht war. Gewinnen konnte ich nicht. Jedes Spiel war ein Kampf, nie gab es einen großen Punktunterschied, aber der letzte ging immer an sie. Wir spielten zwei Sätze, und ich gewann keinen von beiden.

Anschließend, in der Sauna, fragte sie wieder, was sie für mich tun könne.

»Hintergrundinformationen«, sagte ich. »Vermutlich. Meine Anwaltspartnerin hatte eine Affäre mit Ihrem Bruder.«

»Das habe ich vermutet, aber ich war mir nicht sicher. Insbesondere, nachdem ich erfahren habe, daß es sich bei dem Anwalt um eine Frau handelt.«

»Peter war homosexuell?«

Sie hob die nackten Schultern. »Eigentlich weiß ich es nicht genau. Vermutlich nicht, wenn er mit Ihrer Partnerin zusammen war.«

»Noch einmal. Sie wissen nicht, ob Ihr Bruder homosexuell war oder nicht?«

»Wir hatten nicht viel miteinander zu tun.« Sie schwieg. »Ja, er hatte Freundinnen. Nur hatte ich manchmal das Gefühl ... vielleicht war er bi? Haben Sie nie daran gedacht?«

»Doch, eigentlich schon.«

»Wenn Sie es genau wissen wollen, kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.«

»Sein Tod scheint Ihnen nicht sehr viel auszumachen.«

Sie ging unter die Dusche, machte ihre phantastische Frisur naß und griff zum Haarshampoo. »Ich habe ihn gehaßt. Soweit ich zurückdenken kann, habe ich ihn gehaßt. Ganz gleich, wer ihn getötet hat, mir hat er einen Gefallen getan.«

»Warum haben Sie ihn so sehr gehaßt?«

»Rebecca, hat Ihre Familie Sie dazu ermutigt, Anwältin zu werden?«

»Nicht ganz. Ich sollte Ärztin werden.«

Sie lachte. Ihr Lachen klang ziemlich gehässig. »Sie können sich überhaupt nicht in mich hineinversetzen, nicht wahr? Sie haben keine Vorstellung von dem, was ich durchgesetzt habe.«

»Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit sagen wollen.«

»Ich habe es ja auch noch nicht gesagt.« Sie spülte das Shampoo aus den Haaren. »Finden Sie, daß ich geschäftstüchtig bin?«

»Nicht geschäftstüchtiger als der Präsident von IBM, nehme ich an. Wie viele Millionen haben Sie eigentlich?«

Sie sah mir direkt ins Gesicht, und mir fiel auf, wie klein ihre Augen waren – der Haarschnitt vollbrachte tatsächlich Wunder. »Einige«, antwortete sie. »Und ich habe mir wirklich jeden Penny erarbeitet, ohne die geringste Unterstützung meiner warmherzigen, liebevollen italienischen Verwandten.«

»Aber Peter besaß nichts – wie hätte er Ihnen helfen können?«

»Einfach, indem es ihn nicht gab!« Ihre Stimme klang bissig. »Was er diesem Reporter erzählt hat, ist absolut richtig. Er hat nicht mehr Geschäftssinn als ...«, sie sah sich um, »als dieses Stück Seife.« Sie gab ihm einen Tritt, es rutschte über den gekachelten Boden. »Nur weil er dieses Dingsda hatte, und ich nicht, bekam er den Anstellsauer.«

»Dingsda?« Ich verstand immer noch nicht, was sie meinte, außerdem war ich dem Hungertod nahe.

»Verdammt, weil er ein Junge war! Gehen wir.«

Ich folgte ihr in den Vorraum und legte mich auf eine der Bänke. Sie ließ sich einen Fön bringen, um ihren kunstvollen Haarschnitt wieder in Form zu bringen. Heftig bearbeitete sie ihre Haare mit dem Kamm, als ob sie an allem schuld wären. »Sie haben keine Ahnung von italienischen Familien, oder?«

»Vielleicht sind jüdische Familien ziemlich ähnlich. Aber ich habe keinen Bruder.«

»Seien Sie froh darüber – ich wette, Sie wären bei der Fürsorge gelandet, wenn Sie einen hätten.«

»Meine Schwester ...« Sie unterbrach mich.

»Ich habe meine Eltern nie dazu bringen können, mich so zu sehen, wie ich bin, verstehen Sie das? Peter hatte wahrscheinlich das gleiche Problem, nur umgekehrt. Aber was hatte ich damit zu tun? Ich mußte mit meinen eigenen Schwierigkeiten fertig werden. Ich wollte für das geliebt werden, was ich bin, die schlaue Anne, aber sie wollten mich niedlich und kokett. Das war falsch. Es war unfair.«

»Ich verstehe, das hat Sie geärgert.«

»Geärgert! Ich hätte ihn ...« Sie brach mitten im Satz ab. Seltsamerweise ließ sie den Fön sinken, ihre Stimme zitterte. »Aber ich habe ihn nicht getötet. Ich dachte, mir wäre nichts wichtiger, als den Anstellsauer zu bekommen und die Bäckerei wieder zu eröffnen.« Sie schien ihre eigenen Worte nicht zu glauben, sondern sie auszuprobieren, um herauszufinden, ob sie paßten. »Aber jetzt, jetzt weiß ich nicht ...«

»Was wissen Sie nicht?«

»Ich glaube, Peter fehlt mir. Ich glaube, es tut mir leid, daß er tot ist.«

»Ich dachte, Sie freuen sich darüber?«

»Ja und nein – verstehen Sie das?«

»Es klingt etwas verwirrend.« Ich zog mich an.

»Ich habe ihn wirklich gehaßt. Ich wollte ihn genauso demütigen, wie meine Eltern mich immer gedemütigt haben. Ich wollte seine Inkompetenz beweisen. Wollen Sie wissen, was ich getan habe? Ich ließ ihn auf meine Weise abblitzen. Hätte ich ihm ein anständiges Angebot für den Anstellsauer gemacht, hätte er ihn mir verkauft, und wir wären beide zufrieden gewesen, aber dann hätte ich auch noch auf ihn aufpassen müssen.«

»Peter hat die Geschichte erwähnt.«

»Rebecca, ich habe ihn gehaßt. Aber jetzt fühle ich mich so seltsam, irgendwie leer, als ob ich etwas Wichtiges verloren hätte.«

»Nun ja, Sie haben den Anstellsauer verloren.«

Sie lächelte, offensichtlich erleichtert, daß es außer Peter noch etwas gab, womit sie sich beschäftigen konnte. »Vielleicht ist es das. Nebenbei bemerkt, warum wollen Sie das alles wissen?«

»Ich suche nach irgendwelchen Hinweisen auf Peters Mörder. Und ich frage mich, warum Sie überhaupt so offen mit mir reden. Ich bin schließlich nur eine ehemalige Schülerin.«

»Ja, aber eine sehr vielversprechende. Außerdem brauchte ich einen Tennispartner.«

»Den hätten Sie hier auch finden können.«

»Okay. Vermutlich brauchte ich jemanden zum Reden. Es ging mir nicht gut, und ich wußte nicht genau, warum. Ich wollte mit jemandem reden, mit jemandem, der mir ziemlich fremd ist. Jedem anderen würde ich mich zu sehr ausliefern.«

»Auch Ihrem Liebhaber?«

Sie nickte. »Ich bin ein sehr verschlossener Mensch. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken.«

Sie schüttelte mir tatsächlich die Hand, zum Dank für einen Haufen impertinenter Fragen.

Ich fuhr nach Hause, zog mir mein graues Kostüm und die Seidenbluse wieder an und versuchte, mir in der Zwischenzeit Klarheit über Anne zu verschaffen. In einem Punkt hatte sie Recht – sie war ein sehr verschlossener Mensch. Vielleicht zu verschlossen, um eine plötzliche Veränderung ihrer Gefühle für einen Bruder zuzulassen, den sie mehr als dreißig Jahre lang gehaßt hatte.

Andererseits ist es absolut menschlich, wenn man seine Meinung über jemanden ändert, der tot ist. Sie könnte ihn getötet und dann erkannt haben, daß er ihr fehlt. Wenn sie kein wasserdichtes Alibi hätte.

Die Sauerteigmafia

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