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Chris kam am nächsten Morgen später, gegen zehn, ich hatte gerade Besuch von einem Klienten. Wir waren beide an diesem Morgen sehr beschäftigt und kamen nicht dazu, vor der Auktion miteinander zu reden. Rob tauchte um Viertel vor zwölf auf. Wir gingen zusammen in Chris’ Büro, um ihr beim Aufstellen der Stühle zu helfen und Kaffee zu kochen – Kruzick hatte morgens welchen gemacht, aber den konnte man niemandem anbieten. Um kurz vor zwölf erschien er an der Tür und teilte uns mit, daß Clayton Thompson da sei.

Thompson war ein schmächtiger Typ mit schütterem Haar und einem starken Südstaaten-Akzent. Er kam aus North Carolina. Chris schien ihm zu gefallen, und ihr Akzent kam deutlicher zum Vorschein, wenn sie sich mit ihm unterhielt. Rob und ich hörten nur zu, während sie »sich miteinander bekannt machten«, was in ihrer Sprache bedeutet, daß sie »höflich Konversation betrieben«.

»Wie lange waren Sie in New York, Mr. Thompson?«

»Oh, vielleicht sieben oder acht Jahre. Vorher waren wir in Atlanta, meine Frau und ich. Dann meinte die Firma, wir sollten umziehen, also zogen wir um.«

»Haben Sie Kinder?«

»Zwei Jungs. Ich habe ein paar Fotos dabei, falls Sie sie gerne sehen würden.« Chris meinte, daß wir uns natürlich darüber freuen würden, also zeigte er uns zwei niedliche Flachsköpfe.

Irgend etwas an ihm war seltsam, gut kaschiert durch sein lockeres Auftreten. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, aber ich fragte mich, ob sein Job auf dem Spiel stand, wenn er den Anstellsauer nicht bekam.

»Mr. Robert Tosi wünscht Sie zu sprechen«, annoncierte Kruzick.

Tosi betrat das Zimmer. Er war dunkel, stämmig, und irgend etwas in seinen Augen mochte ich, aber auch das konnte ich nicht genau definieren. Er trug khakifarbene Hosen, ein Sporthemd ohne Krawatte und ein altes Cordjackett. Von dem Outfit war ich nicht begeistert, wegen des schlechten Beispiels für Kruzick, der dazu neigte, Robs Bekleidungsstil zu kopieren. Daß Reporter immer in alten Cordjacketts herumlaufen, mag ja völlig in Ordnung sein, aber ich finde, daß in Anwaltsbüros etwas mehr Würde angebracht ist. Kruzick ist da anderer Ansicht.

Trotz seiner Vorliebe für nachlässige Kleidung hatte Tosi einen festen Händedruck und ein nettes Lächeln. Er setzte sich, schlug die Beine übereinander und begann mit Thompson zu plaudern.

»Sind Sie zum ersten Mal hier?«

»Ja. Die Stadt gefällt mir sehr gut.«

»Sie sollten einen Ausflug in die Weingegend machen – ein bißchen frische Luft schnappen.«

Thompsons Blick erinnerte etwas an ein Schaf. »Ich fürchte, ich habe nicht genug Zeit dazu.«

»Was haben Sie denn bis jetzt gesehen?«

Thompson errötete. »Ach – nicht viel. Nob Hill, das ist eigentlich alles. Ich wohne im Stanford Court.« Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Es war merkwürdig, vor wenigen Minuten war er noch so höflich und ungezwungen aufgetreten.

Ich nahm an, daß Tosis Anwesenheit ihn aus dem Konzept gebracht hatte. Dieser Mensch schien irgendwie den ganzen Raum auszufüllen. Sein überschäumendes Selbstvertrauen wirkte nicht unbedingt einschüchternd – auf mich jedenfalls nicht –, konnte aber einen Mann wohl leicht verunsichern. Jedenfalls dann, wenn dieser Mann vorhatte, in einem dicken Geschäft gegen ihn anzutreten.

Ich fragte mich, wieviel Geld wohl den Besitzer wechseln würde. Chris glaubte, daß eine halbe Million Dollar drin sein könnte.

Kruzick brachte Sally Devereaux herein. Sie trug ein beigefarbenes Kostüm und eine helle Bluse mit einer Schleife. Die Absätze ihrer albernen Sandaletten waren zehn Zentimeter hoch. Ihr Gesicht hatte wieder Farbe, die rosa Wangen machten sie ziemlich attraktiv.

Tosi erhob sich und ging auf sie zu, als ob er sie küssen wollte. Sie trat zurück und reichte ihm die Hand.

»Du siehst gut aus, Sally.«

»Bob«, sagte sie und nickte.

Scheinbar verunsicherte er auch sie ein bißchen. Abrupt wandte sie sich Thompson zu und strahlte ihn an.

»Von Ihrer Bäckerei habe ich nur Gutes gehört«, sagte er.

»Ich habe sie erst vor ein paar Jahren eröffnet, möchte mich aber gern vergrößern. Ich glaube, mein Brot ist wirklich gut.«

»Ich werde es bald mal probieren müssen«, sagte Tosi. »Willst du damit sagen, daß du das noch nicht getan hast?« Sally klang empört.

Er sah verwirrt aus, als ob er sich zu erinnern versuchte. »Ich glaube eigentlich nicht ...«

»Du weißt es nicht mehr?«

Er hob seine breiten Schultern. »Sauerteig schmeckt eigentlich immer wie Sauerteig.«

Sally antwortete nicht. Sie kochte.

Tony Tosi trat ein. Er war kräftig, wie sein Bruder, und beide hatten das gleiche, breite Kinn, aber sein Haar lichtete sich bereits. Der Unterschied ließ sich nicht genau beschreiben, aber ich vermutete, daß Bob der erfolgreichere von beiden war. Außerdem kleideten sie sich unterschiedlich. Toni trug einen Anzug mit sämtlichen Gucci-Accessoires, die man kriegen konnte.

»Bob«, sagte Toni, »Sally.«

Er machte keine Anstalten, einem von beiden die Hand zu reichen und setzte sich schnell, um dies auch bei Thompson zu vermeiden.

Chris sah auf ihre Uhr. Es war zehn Minuten nach zwölf. »Ich bin sicher, daß Mr. Martinelli jeden Moment hier sein wird«, sagte sie. »Möchte jemand einen Kaffee?«

Viel mehr als »ja« sagte keiner unserer Besucher. Natürlich waren sie Gegner, aber außerdem erfahrene Geschäftsleute, und taten sehr wenig, um ein Minimum an Umgangsformen aufrechtzuerhalten. Zuerst führte ich es auf die Feindschaft der beiden Brüder zurück, aber das war nicht alles. Sally war schnippisch zu Bob und sowieso nicht ganz auf dem Posten. Thompson fühlte sich aus irgendeinem Grund unwohl. Vielleicht dachten sie alle über die anonymen Anrufe nach. Vielleicht fragte sich jeder, wer von den anderen dreien dahintersteckte.

»Entschuldigen Sie mich bitte.« Chris stand auf und ging in mein Büro. Als sie zurückkam, sagte sie: »Ich habe gerade bei Mr. Martinelli angerufen. Es ist niemand ans Telefon gegangen, deshalb bin ich sicher, daß er hierher unterwegs ist.«

»Es ist zwanzig nach zwölf«, meinte Sally. »Man sollte doch erwarten können, daß er zu seiner eigenen Versteigerung pünktlich erscheint.«

»Miss Nicholson«, sagte Tony, »ich denke, wenn er bis halb eins nicht hier ist, müssen wir davon ausgehen, daß er es mit der Auktion gar nicht ernst meint.«

Chris sah aus, als ob sie gleich anfangen würde zu weinen.

»Mr. Tosi«, antwortete ich, »denken Sie, was Sie wollen. Sobald Mr. Martinelli hier ist, wird die Auktion stattfinden.«

Rob warf mir einen anerkennenden Blick zu. Ich sah, daß Chris ihm leid tat.

Wir versorgten sie weiter mit Kaffee und boten Drinks an, die aber keiner wollte. Rob und Thompson und Bob Tosi und ich schafften es, eine etwas ziellose Unterhaltung in Gang zu bringen, aber Chris bekam kein Wort heraus, und Sally und Tony hatten anscheinend ein Schweigegelübde abgelegt.

Um Viertel vor eins streckte sich Bob Tosi, sah auf seine Uhr und sagte, er sei zum Lunch verabredet. »Die anderen wahrscheinlich auch«, meinte er. »Ich finde, wir sollten jetzt aufbrechen und einen neuen Termin für die Auktion festlegen. Sicherlich ist Mr. Martinelli aufgehalten worden, sonst wäre er inzwischen hier.«

»Wie Sie meinen«, sagte Thompson, erhob sich und zog seine Krawatte zurecht.

Tony stand wortlos auf.

Nur Sally schien zu zögern. Sie blieb sitzen und dachte vermutlich darüber nach, was sie sagen sollte. Dann stand sie auf und folgte den anderen. Chris wählte Peters Nummer, noch bevor sie gegangen waren. Sie legte den Hörer seufzend auf die Gabel zurück. »Nimmt keiner ab.«

»Weißt du was«, sagte ich, »ich hole uns ein paar Sandwiches.« Sie nickte.

»Ich komme mit«, sagte Rob. Es war nicht zu übersehen, daß Chris jetzt allein sein wollte.

Wir brachten drei Roggensandwiches mit Salami und drei Cola mit. Rob aß seines ganz .auf, ich schaffte die Hälfte und Chris starrte in die Luft. Ab und zu nahm sie eine Hälfte ihres Sandwichs in die Hand und starrte darauf, kam aber nie so weit, hineinzubeißen.

Sie rief wieder bei Peter an. Niemand meldete sich. »Ich fahre hin.«

»Chris, du kannst nicht ...«

»Rebecca, es geht jetzt nicht um Stolz.«

Rob sah verwirrt aus, aber ich mußte Chris Recht geben. Sie hatte genau verstanden, was ich dachte – du darfst deinem Liebhaber nicht nachlaufen. Er könnte sonst glauben, daß du ihn magst. Vielleicht werde ich nie erwachsen.

»Wahrscheinlich nicht«, sagte ich. »Ich finde, wir sollten gemeinsam hinfahren.«

Sie protestierte nicht.

Peter reagierte nicht auf unser Klingeln, die Hausmeisterin auch nicht. Als wir gerade aufgeben wollten, kam eine Frau mit Hund, die uns hineinließ. Wir stiegen die übelriechende Treppe bis zu Peters Apartment hinauf und klopften an die Tür. Er rührte sich nicht. Chris drehte den Türknauf – und sprang zurück, als die Tür nachgab.

Rob stieß die Tür weit auf. Was wir sahen, nennt man bei der Polizei »Zeichen eines Kampfes«. Eine Lampe lag auf dem Boden, und eine von Peters Kohlezeichnungen hing schief, als ob jemand gegen die Wand gestürzt wäre. Mit den Möbeln mußte Ähnliches passiert sein – nichts stand an seinem Platz. Peter saß auf dem Sofa und starrte uns an. Er trug einen weißen Frotteebademantel mit etlichen Einschußlöchern. Peters Blut hatte den Bademantel auf der Brust in ein häßliches Rostrot gefärbt.

Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich die Tür hinter mir zugeschlagen und wäre wie eine Verrückte losgerannt, aber Chris war aus härterem Holz. Sie berührte ihn an beiden Schultern, als ob sie ihn umarmen wollte. Sein Körper fiel nach vorne.

Sie schreckte zurück und schwankte. Rob stürzte vor, fing sie auf und manövrierte sie auf einen Stuhl. Ich trat in das Zimmer, starrte Rob und Chris an, um Peters Leiche nicht zu sehen, und wußte nicht, was ich tun sollte. Ich dachte, ich sollte die Polizei anrufen, wollte aber keine Fingerabdrücke verwischen. In solchen Situationen denkt man an merkwürdige Dinge.

»Bleib bei ihr«, sagte Rob auf dem Weg zum Schlafzimmer. Er kam sofort zurück. »Hier ist niemand. Und keine Kanone. Ich rufe die Bullen an.«

»Nimm dein Taschentuch.«

»Wie?«

»Fingerabdrücke.«

Er sah mich an, als ob ich nicht ganz dicht wäre, nahm mit bloßen Händen den Hörer ab und fragte nach Inspektor Martinez, einem Bullen von der Mordkommission, den wir vor ein paar Jahren kennengelernt hatten.

»Rebecca«, sagte Chris, »ich glaube, ich muß mich hinlegen.«

Sie war kreidebleich. »Leg deinen Kopf in den Schoß.« Sie saß eine Weile nach vorne gebeugt, dann hörte ich, wie sie anfing zu schluchzen. Ich nahm an, daß sie nicht in Ohnmacht fiel, solange sie die Kraft hatte zu weinen, also holte ich ein Kissen und legte es auf den Boden. Sie legte sich hin, während ich nach Peters Brandy suchte. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie es schaffte, daran zu nippen.

Peters Leiche lag jetzt seitwärts auf dem Sofa. Wir versuchten alle, nicht hinzusehen, fürchteten uns aber auch davor, sie zuzudecken.

Rob warf mir einen hilflosen Blick zu. »Ich muß die Lokalredaktion anrufen.«

»Nein. Dann schicken sie einen Fotografen.«

Er nickte, ließ sich leicht überreden. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, was er im Sinn hatte. Eigentlich war es sein Job, nach einem Fotografen zu fragen. Aber er wollte am nächsten Morgen nicht in seiner Zeitung sehen, wie man Peters zugedeckten Leichnam zum Wagen des Leichenbeschauers trug. Und ich noch viel weniger. Und beide wollten wir nicht, daß Chris es sah.

Wir hörten Sirenen, dann Trampeln auf der Treppe, und dann kamen Bullen in Uniform. Einer nahm uns mit nach unten, wo wir auf die Mordkommission warteten.

Martinez kam ziemlich bald. Wie üblich begleitete ihn sein Partner Curry, der immer sehr ruhig war, während Martinez polterte. Wie üblich trugen beide ramponierte braune Anzüge, Martinez mit einer blauen Krawatte mit lauter kleinen Schweinchen. Wahrscheinlich fand er das komisch, aber es paßte zu ihm. Er hatte strähniges, dunkles Haar und ein blasses, verlebtes Gesicht. Sein ungeduldiger Blick schien ständig zu sagen, daß man besser den Mund hielt. Trotzdem stellte er dauernd neue Fragen und beschwerte sich, daß man ihm nicht genug erzählte. Curry besaß keine erkennbaren Leberflecke, Narben oder sonstige besonderen Merkmale, und ist deshalb schwer zu beschreiben. Ein unscheinbares Gesicht, bräunliches Haar und gewöhnliche Augen. Als Spitzel war er sicher hervorragend – kein menschliches Wesen konnte sich jemals an so ein Gesicht erinnern.

Mich mochten sie beide auch nicht besonders.

Rob schilderte die Situation, dann gingen sie nach oben und kamen wieder herunter. Martinez wandte sich an Chris: »Was ist passiert, Miss Nicholson?«

»Hat Rob Ihnen das nicht erzählt?«

»Er hat uns gesagt, daß Sie gestern abend bei Martinelli geblieben sind, als er ging. Haben Sie die letzte Nacht mit dem Opfer verbracht?«

»Ich glaube nicht, daß Sie das etwas angeht.«

»Dann will ich es anders ausdrücken. Haben Sie ihn umgebracht?«

»Wie können Sie es wagen!« Sie war größer als er und hielt sich sehr gerade.

Er machte eine besänftigende Handbewegung. »Es geht mich was an, wann Sie ihn zuletzt lebend gesehen haben.«

»Ich bin heute morgen um neun Uhr gegangen. Er sagte, er habe um zehn Uhr eine Verabredung.«

»Mit wem?«

»Das ging mich nichts an.«

»Und wer war es?«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich es nicht weiß.«

»Dann sagen Sie es beim nächsten Mal etwas deutlicher.«

»Ich bin nicht dazu verpflichtet, mit Ihnen zu reden.«

»Wo war er verabredet – hier oder woanders?«

»Hat er nicht gesagt.«

»Also gut. Wissen Sie, wer seine nächsten Verwandten sind?«

»Seine Eltern sind tot. Er hat eine Schwester – Anne Ashton.«

Sie redeten noch ein paar Minuten, aber ich hörte nicht zu. Ich dachte an Anne Ashton – ich kannte sie schon ziemlich lange.

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