Читать книгу Die Sehnsucht des Prinzen - Junia Swan - Страница 10
4. Kapitel
Оглавление„Der Anwalt ist hier“, sagte Leonard und blieb neben Isabel stehen.
Sie las in einem Buch, allerdings hielt sie es verkehrt herum. Ihr geistiger Zustand bereitete ihm ernsthafte Sorgen. Sie klappte das Buch zu, erhob sich und warf es in den kalten Kamin. Leonard starrte sie perplex an.
„Was will er?“
„Es geht um Ricks Testament.“
Leonard blickte noch immer auf das Buch im Kamin, dann wandte er sich Isabel zu. Ihre linke Augenbraue hatte sie herausfordernd angehoben.
„Nun, ich weiß nicht, was es dazu noch zu sagen gibt.“
Leonard zuckte mit den Achseln.
„Wahrscheinlich nicht viel. Doch wir müssen bei der Verlesung anwesend sein.“
„Ihr auch?“
„Ja, der Anwalt besteht darauf.“
„Dann lassen wir ihn nicht warten“, meinte Isabel fröhlich und rieb sich die Hände. „Denkt Ihr, es wäre eine gute Idee, ihm kalten Fisch anzubieten?“
„Kalten Fisch?“
Irritiert folgte er ihr aus dem Raum.
„Natürlich, was denn sonst? Einer unserer Jäger hat gestern eine Menge davon geschossen. Sie fliegen gerade ziemlich tief.“
Abrupt blieb Leonard stehen, doch sie ging unbeirrt weiter. Nachdem er tief durchgeatmet hatte, setzte er sich wieder in Bewegung.
„Ich denke, er hat sicherlich schon zu Abend gegessen.“
„Jetzt, um diese Zeit? Es ist noch nicht einmal Mittag“, meinte Isabel und warf ihm einen gespielt besorgten Blick zu.
„Ach, tatsächlich?“
Leonard steckte sich einen Finger in den Mund, zog ihn wieder heraus und hielt ihn konzentriert in die Luft.
„Der Wind kommt von Osten. Es muss weit nach Mitternacht sein.“
Isabel blieb stehen und hob ihren Kopf in seine Richtung. Ihre Augen funkelten amüsiert, auch wenn sie darum bemüht war, sich nichts von ihrer Erheiterung anmerken zu lassen.
„Das ist vollkommen irrational“, stellte sie fest und er griff nach ihrem Arm und führte sie weiter.
„Ansichtssache“, erwiderte er, dann öffnete er die Tür zum Arbeitszimmer und ließ ihr den Vortritt.
Als sie den Advokaten ansah, fiel jegliche Fröhlichkeit von ihr ab. Mit ernstem Blick reichte sie ihm ihre Hand.
„Mylady, vielen Dank, dass Ihr mich so schnell empfangt.“
„Das ist selbstverständlich. Darf ich Ihnen Tee anbieten?“
Leonard setzte sich und beobachtete seine Schwägerin. Sie war wie ausgewechselt, die formvollendete Duchess, wenn sie diesen Titel trüge.
„Nein, herzlichen Dank. Es wäre mir recht, wenn wir gleich zur Sache kämen.“
„Natürlich!“
Mit einer Handbewegung bat Isabel den Mann, sich wieder zu setzen und ließ sich ebenfalls auf einen Stuhl sinken. Sie legte die Hände in den Schoß und wartete ruhig ab.
„Mylady, Euer Gnaden, Sir Prime bat mich, Euch diese Briefe vor der Testamentseröffnung zu überreichen.“
Er zog zwei Kuverts hervor und reichte einem jeden von ihnen eines. Überrascht starrten sowohl Leonard als auch Isabel auf das rechteckige Schreiben. Dann öffnete ein jeder von ihnen sein Kuvert. Isabel begann zögernd zu lesen:
„Meine geliebte Isabel,
wenn du diese Zeilen liest, werde ich nicht mehr unter den Lebenden weilen und ich hoffe, dass du dich mit meinem Ableben mittlerweile abgefunden hast. Trauere nicht um mich! Es ist besser, dass ich nicht mehr bin. Ich weiß, die letzten Monate waren nicht leicht für dich, für uns, und ich bitte dich, mir zu vergeben, wenn ich dich verletzt habe. Ich möchte, dass du weißt, dass du das Beste bist, was mir in meinem Leben passiert ist und dass ich dich mit jedem Atemzug liebe. Deswegen bitte ich dich, meinen Wunsch, deine Zukunft betreffend, zu akzeptieren. Ich weiß, dass du meinem Bruder Leonard sehr viel bedeutest und dass er gut für dich und die Kinder sorgen wird.
Weil ich dich gut versorgt wissen will, möchte ich, dass du ihn heiratest. Um meinem Wunsch noch den nötigen Ausdruck zu verleihen, vermache ich ihm Old Owl Wood für den Fall, dass du seinen Antrag nicht annimmst. Für dein finanzielles Wohl wird er für den Rest deines Lebens sorgen, doch ich wünsche mir, dass er als dein Ehemann noch mehr für dich tut. Ich weiß, du wirst im Moment nicht verstehen, weshalb ich so handle. Doch ich tue es zu deinem Besten. Es ist mein letzter Wille, dass du Leonards Frau wirst! Ich liebe dich, Isabel, vergiss das nicht! In ewiger Verbundenheit, Rick.“
Mehrmals las Isabel diese Zeilen, dann ließ sie das Blatt sinken und blickte auf. Sah zu Leonard, der ebenfalls wie betäubt auf das Papier in seinen Händen starrte. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Als er nun in ihre Richtung blickte, konnte sie das Entsetzen in seinen Augen deutlich erkennen.
Der Anwalt bemerkte, dass seine Klienten bereit waren, um dem Verlesen des Testaments folgen zu können, deswegen hob er mit sonorer Stimme an, den letzten Willen Hendrick Primes zu verkünden. Er sah, dass auch Lady Isabel an Farbe verlor. Trotzdem war er überrascht, als sie in dem Moment aufsprang, da er geendet hatte. Wie eine Furie stürzte sie aus dem Raum. Nur kurz sah ihr der Prinz entgeistert nach, dann erhob er sich und eilte ihr, eine Entschuldigung in des Anwalts Richtung stammelnd, hinterher.
Als Leonard die Tür des Raumes öffnete, in dem Isabel verschwunden war, hielt er überrascht den Atem an. Es war ein Atelier, gefüllt mit wunderbar skurrilen Gemälden, ähnlich jenem Bild, das in Ricks Zimmer hing. Er sah, wie Isabel ein Messer hob und eine Leinwand nach der anderen aufschlitzte.
„Halt ein, Isabel!“, rief er, doch sie ignorierte seine Bitte.
Voller Inbrunst stach sie erneut zu. Da packte er ihren Arm und hielt sie fest.
„Lasst mich los!“, keuchte sie. „Ich hasse Euch! Ich hasse Euch und ich hasse Rick! Alle beide! Wie konnte er mir so etwas antun? Er hat mich gewissermaßen enterbt!“
Die letzten Worte schrie sie ihm ins Gesicht.
„Beruhige dich, Isabel! Für mich ist die ganze Sache ebenfalls überraschend. Er nahm mir das Versprechen ab, mich um dich zu kümmern. Doch von Hochzeit war nie die Rede gewesen!“
„Das soll ich Euch glauben?“ Ihr Brustkorb hob und senkte sich in schnellem Rhythmus. „Wahrscheinlich habt Ihr ihn erpresst und ermordet. So, wie ich es von Anfang an vermutet habe!“
Mit aller Kraft entwand sie sich seiner Umklammerung, fuhr herum und stürzte sich auf das nächste Gemälde.
„Stopp! Warum zerstörst du Ricks Werke?“
„Ricks Werke?“, echote sie spöttisch. „Das sind meine eigenen. Einige davon wollten wir Euch schenken. Wir haben uns einen riesigen Spaß daraus gemacht, zu überlegen, welches wohl am Geeignetsten wäre. Apokalypse am Firmament oder doch vom Speer aufgespießt auf der Sommerwiese.“
Leonard blickte sie verständnislos an und sie überreichte ihm eines der Bilder.
„Erfroren im Auge des Orkans“, erklärte sie und deutete darauf, dann verdüsterte sich ihr Gesicht wieder und sie setzte ihr Zerstörungswerk fort.
„Ich hasse ihn! Hätte ich ihn doch nur als Dekoration aufgespießt und zum Umrühren verwendet!“
Immer verwirrter blickte Leonard seine Schwägerin an.
„Wie meinen?“
„Ach nichts“, erwiderte sie und winkte ab, dann schlitzte sie das nächste Gemälde auf.
Doch plötzlich hielt sie inne und starrte auf eines der Bilder. Leonard erkannte den Siegelring des Prinzen of St. Ives. Der Mann, der auf dem Gemälde ein Kind hielt, war allerdings nicht zuzuordnen. Doch zu dem Zeitpunkt, da Hendrick Vater geworden war, hatte er den Siegelring längst abgegeben gehabt. Diese Tatsache bewegte für wenige Sekunden Leonards Gedanken und er sah überrascht, dass sie Tränen in den Augen hatte, während sie danach griff. Dann schmetterte sie es wütend auf den Boden. Nur kurz starrte er darauf, dann machte er einen Schritt in ihre Richtung und umklammerte ihr Handgelenk, wobei er den Druck erhöhte, bis sie das Messer fallen ließ.
„Wieso regst du dich dermaßen auf?“, wollte er mit sanfter Stimme wissen. „Ich werde dir Old Owl Wood nicht wegnehmen. Du kannst hierbleiben. Egal, ob du mich heiratest oder nicht.“
Mit großen Augen sah sie ihn an und das leise Schluchzen, das sich ihrer Brust entrang, schnürte ihm die Kehle zu. Ganz sanft strich er mit seinem Daumen über ihre Wange und sie schloss schniefend die Augen.
„Er kann nichts dagegen tun, wenn wir uns seinem letzten Willen widersetzen“, flüsterte sie.
„Nein. Doch ich denke, er hat recht. Eure Kinder brauchen einen Vater.“
Überrascht riss sie die Augen wieder auf.
„Und Ihr wollt dieser Vater sein?“ Sie lachte ungläubig auf. „Ihr? Der Ihr immer nur auf Euren eigenen Vorteil geschaut habt?“
Unwillig runzelte er die Stirn.
„Ja und ich werde versuchen, Euch ein guter Ehemann zu sein.“
„Ich will aber keinen neuen Ehemann. Ich will Rick!“
Leonard seufzte und löste sich von ihr, während er einen Schritt zurücktrat. Ein leises Knirschen ließ ihn den Fuß schnell anheben und er entdeckte, dass er auf einen Bilderrahmen getreten war.
„Von mir aus kannst du machen, was dir beliebt, wenn wir verheiratet sind. Aber ich werde Ricks letzten Willen erfüllen und für euch sorgen.“
„Woher plötzlich dieser Heldenmut?“
Der Sarkasmus in ihrer Stimme war schneidend und kalt.
„Rick war mein Bruder und am Ende sogar mein Freund. Ich kann ihm diesen Wunsch nicht abschlagen, auch wenn ich mir aus ganzem Herzen wünsche, morgen von hier verschwinden zu können!“
Seine Worte stachen schmerzhaft in ihr Herz. Es entsprach seinem Begehren abzureisen?
Damit er nicht bemerkte, was sein Geständnis in ihr bewirkte, senkte sie den Kopf und wandte sich ab. Rick hatte sie verlassen und Leonard würde am liebsten das Gleiche tun.
„Wie steht es nun, Isabel? Wirst du meine Frau werden?“
Mit Tränen in den Augen starrte sie auf die Verwüstung zu ihren Füßen.
„Nein“, wimmerte sie, „ich kann nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil es Eure Schuld ist, dass er nun tot ist. Wie soll ich den Mörder meines Mannes heiraten können?“
Leonard biss die Zähne zusammen.
„Verdammt! Es ist nicht meine Schuld! Es war ein Unfall!“
Er griff nach ihrer Schulter und drehte sie in seine Richtung.
„Ob du willst oder nicht: Wir werden heiraten! Zwinge mich nicht dazu, dich zu erpressen!“
Verzweifelt schluckte sie und suchte hektisch nach einem Ausweg.
„Nur, wenn Ihr mir versprecht, dass Ihr Euer Leben weiterführt, sobald das Kind geboren ist.“
Lange sah er ihr forschend in die Augen. Isabel wusste nicht, was sie von dieser Musterung halten sollte, doch sie wich ihm nicht aus.
„In Ordnung“, gab er nach.
Es kam ihm überaus gelegen, sich auf diese Weise aus der Verantwortung stehlen zu können! Wie sehr sehnte er sich nach einer weniger komplizierten Frau! Wieder wunderte er sich darüber, jemals angenommen zu haben, Isabel zu lieben.
„Wollt Ihr es Euch nicht noch einmal überlegen? Rick wird es nie erfahren!“
„Aber mich würde dieses Wissen mein Leben lang plagen. Nein, wir werden machen, worum Rick uns bittet.“
Zögernd nickte sie und er atmete erleichtert ein.
„Dann wäre es also beschlossene Sache.“
Er führte sie aus dem Atelier und zurück zum Anwalt, wo sie die weiteren Schritte einleiteten und unterschrieben, was signiert werden musste.
Als der Anwalt das Haus verlassen hatte, drehte sich Leonard zu Isabel, die am Fenster stand und ins Freie blickte.
„Wir sollten bald heiraten“, meinte er.
Ohne sich in seine Richtung zu drehen, erwiderte sie: „Natürlich. Die Vorhänge müssen dringend gewechselt werden.“
Lange musterte er die zarte Gestalt, die sich noch immer von ihm abgewandt hatte und ihm kam der Gedanke, dass sie ihm nur etwas vorspielte. Vor wenigen Minuten war sie viel zu überlegt gewesen, um als Verrückte durchzugehen.
„Das ist wohl wahr“, stimmte er zu. „Meinst du nicht, der Stoff würde sich hervorragend dazu eignen, Schlafmützen für die Pferde zu nähen?“
Plötzlich hatte er ihre volle Aufmerksamkeit, denn sie wirbelte irritiert zu ihm herum.
„Schlafmützen für die Pferde?“
Nun lächelte er freundlich.
„Sicherlich! Oder meinst du nicht, dass ihnen des Nachts zu kalt wird, wenn sie zum Schlafen auf die Bäume klettern?“
„Nein, das denke ich nicht! Sie können sich immerhin mit den Wolken zudecken.“
Mit einem „Pah!“ winkte er ab.
„Das ist vollkommen unmöglich. Die schmecken nach Pfeffer. Das kann nicht gut gehen!“
Etwas in ihren Augen blitzte auf und sie trat auf ihn zu.
„Warum nicht? Sie lieben Pfefferbonbons! Gerade neulich hat mir wieder ein Tier eines aus meinem Schuhschrank gestohlen!“
„War das bevor du den Teppich als Nachtlicht verwenden wolltest oder danach?“
Ihre Mundwinkel zuckten.
„Ihr verwechselt etwas, Euer Gnaden, ich wollte den Teppich als Nachthemd verwenden, nicht als Nachtlicht! So ein Teppich leuchtet viel zu hell und im Bett kann ich ihn immerhin mit der Decke abdunkeln!“
„Tut mir leid, das habe ich vergessen.“
Er umfasste ihre Taille und zog sie näher zu sich heran. Dabei konnte er genau fühlen, wie sie erstarrte und er beobachtete, wie sich ihr Gesicht verschloss. Doch er behielt sie bei sich und sie wehrte sich nicht gegen ihn. Als sie so schutzlos vor ihm stand, mit gesenktem Blick und angespannten Körper, überkam ihn wieder ein Gefühl der Zärtlichkeit für sie.
„Kreszenia“, sagte er sanft und sie hob den Kopf.
„Ja, Euer Gnaden?“
In ihren Augen schimmerte eine Verzweiflung, die er sich nicht erklären konnte.
„Wirst du mich jemals lieben können?“
Überrascht runzelte sie die Stirn.
„Nein, niemals! Wie kommt Ihr nur darauf?“
Er hob einen Finger und strich damit ihre Nase entlang.
„Weshalb weißt du das so sicher?“
„Nun, mir ist heute ein Ei auf den Boden gefallen und die zerbrochene Schale hat mir die Zukunft vorhergesagt.“
„Die Schale?“
Er bemühte sich, ernst zu bleiben. Sie war wirklich gut! Spielte ihre Rolle überzeugend, wenn sie nur dazwischen nicht immer bei so klarem Verstand wäre!
„Ja“, betonte sie vollkommen ernst. „Ich musste zweimal darauf steigen, bevor sie endlich etwas von sich gab.“
Plötzlich war er dieses unsinnige Getue leid und die Erschöpfung der letzten Tage machte sich breit. Ihr dummes Spiel raubte ihm den letzten Nerv. Deswegen beugte er sich etwas in ihre Richtung und fing ihren Blick ein. Fest sah er sie an.
„Deine Schale hat sich geirrt. Irgendwann, Isabel, wirst du mich lieben und dann werde ich darüber lachen und dich an den heutigen Tag erinnern. Du wirst mich anflehen, bei dir zu bleiben, doch ich werde gehen und dich mit deiner Verrücktheit zurücklassen. Aber die Kinder werde ich mitnehmen.“
Isabel erblasste und wich erschrocken vor ihm zurück. Ihre bleichen Lippen bebten und Angst ließ sie zittern. Wieso war er plötzlich so grausam zu ihr?
„Das würdet Ihr nicht machen!“
Zornig zog er die Augenbrauen zusammen.
„Zähle nicht darauf, dass ich es nicht tun werde. Es liegt an dir.“
Mit diesen Worten fuhr er herum und ließ sie allein zurück. Entsetzt blickte sie ihm nach und Tränen rannen über ihre Wangen. Niemals, das schwor sie sich in diesem Moment, würde sie Leonard lieben!
Ihre älteren Töchter sahen ihre Mutter verwundert an, als sie ihnen erklärte, dass sie bald den Prinzen heiraten würde. Sie konnten nicht verstehen, dass sie einen zweiten Ehemann benötigte. Schweren Herzens gestand Isabel ihnen, dass ihr Vater niemals mehr zurückkommen würde. Woraufhin Annabelle in Tränen ausbrach und sich nur schwer beruhigen ließ. Solidarisch weinte Victoria ein wenig mit ihrer Schwester, dann kehrte sie zu ihrem Spiel zurück. Sie konnte nicht begreifen, was es bedeutete, dass ihr Vater für immer fort war. Die Zeitspanne eines 'Für-Immers' war für sie noch unfassbar.
Pater Paul traute sie in einem ihrer Salons. Luca Romano war sowohl einziger Gast als auch Trauzeuge in einer Person. Annabelle und Victoria verfolgten das Geschehen verstört und mit kreisrunden Augen. Keiner der Anwesenden verspürte das Bedürfnis nach einer Feier, weshalb die Stimmung mehr bedrückt als heiter war. Isabel konnte Leonards harte Worte nicht vergessen – er hatte sie bis zu diesem Tag nicht zurückgenommen. Wenn sein Blick auf ihr ruhte, war er distanziert und abweisend. Die Wärme, die sie einst darin gefunden hatte, war verschwunden. Als sie ihm zum Segen die Hand reichte, schlug Hass auf Rick über ihr zusammen. Wie hatte er es wagen können, sie zu dieser Eheschließung zu drängen?
In diesem Moment stieg in ihr die Frage auf, woher er außerdem hatte wissen können, dass er so bald sterben würde? Oder hatte er vorgehabt, das Testament zu ändern, sollte Leonard in der Zwischenzeit heiraten? Nachdenklich runzelte sie die Stirn, fühlte im gleichen Moment die Lippen ihres neuen Mannes auf ihrem Mund. Es war nur ein Hauch, der sie streifte, doch er holte sie in die Gegenwart zurück und sie starrte ihm in die Augen. Sein Gesicht war ausdruckslos, als er sie betrachtete, dann wandte er sich ab und zog ihren Arm in seinen. Gemeinsam drehten sie sich zu Luca um, der ein Lächeln versuchte, das jedoch erstarb, als er die beiden Frischvermählten vor sich sah. Isabel löste sich von Leonard und ging vor ihren Töchtern in die Knie.
„Begrüßt euren neuen Vater“, sagte sie mit leiser Stimme.
Annabelle schluckte und streckte Leonard ihre Hand entgegen, doch der bückte sich und hob sie auf seine Arme. Verwirrt blickte sie in sein Gesicht.
„Onkel Leonard ...“, flüsterte sie mit traurigen Augen.
„Vater“, verbesserte Isabel, die sich wieder aufgerichtet hatte.
„Vater“, hauchte Annabelle und biss sich auf die Lippen.
„Schon gut“, lächelte Leonard freundlich und drückte einen Kuss auf ihre Stirn. „Ich verspreche, mich um dich zu kümmern, kleine Annabelle. Auch werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um dir ein guter Vater zu sein.“
Ernst sah sie ihm in die Augen, dann nickte sie zögernd und schlang einen Arm um seinen Hals. Gerührt drückte er sie an sich und Isabel wandte sich ab, griff nach Victoria und zog sie ebenfalls in seine Richtung. Leonard setzte Annabelle ab und hob Victoria in die Höhe.
„Wirst du auch so laut schreien wie unser alter Vater?“, fragte diese mit piepsender Stimme.
Überrascht hob Leonard die Augenbrauen und warf Isabel einen fragenden Blick zu, doch diese sah in eine andere Richtung, tat, als hätte sie nicht gehört, was ihre Tochter gesagt hatte.
„Keine Angst, ich schreie eigentlich nicht“, meinte er nach einer Weile beruhigend und seine Gedanken begannen zu rasen.
Wieder erinnerte er sich an Ricks Zorn, als dieser den Fasan verfehlt hatte.
„Lass mich nachdenken … das letzte Mal, als ich laut geschrien habe, war, als mir mein Kindermädchen ein Stück Kuchen weggenommen hatte.“
„Sie hat dir einen Kuchen weggenommen?“
Leonard nickte ernst.
„Aber ich habe es verdient. Ich habe mit Schlagobers um mich geschossen und dabei ihre Nase getroffen.“
Victoria kicherte bei der Vorstellung und lächelte ihn dann offen an.
„Das machst du jetzt aber nicht mehr, oder?“
Leonard lächelte und schüttelte den Kopf.
„Gott bewahre! Deine Mutter hätte mich nicht geheiratet, wenn ich es noch täte!“
Wieder sah er in Isabels Richtung, doch sie ignorierte ihn und schien den Worten nicht zu lauschen, die er mit ihrer Tochter austauschte. Victoria drückte ihm einen Kuss auf die Wange und Leonard stellte sie zurück auf den Boden. Das Kindermädchen kümmerte sich sofort um ihre Schützlinge und führte sie mit sich aus dem Raum hinaus. Leonard blickte ihnen nachdenklich nach, dann wandte er sich an Isabel.
„Veranlasse deine Zofe und die Kindermädchen dazu, die Koffer zu packen. Wir werden morgen abreisen.“
Augenblicklich drehte sie sich zu ihm. Er konnte das Entsetzen in ihren Augen deutlich erkennen.
„Nein! Ich möchte hierbleiben.“
„Es wird Zeit, dass du diesen Ort für eine Weile verlässt.“
Sein Blick war entschlossen, als er den ihren erwiderte.
„Bitte! Ich kann unmöglich jetzt abreisen! Es ist noch zu früh!“
„Es ist der perfekte Zeitpunkt. Ich bestehe darauf! Es wird keine weitere Diskussion darüber geben.“
Verzweifelt biss Isabel die Zähne zusammen. Sie waren noch nicht einmal eine Stunde verheiratet und schon sagte er ihr, was sie zu tun hatte! Sie hasste es! Rick hatte ihr niemals gesagt, was sie machen musste! Er war so außergewöhnlich gewesen! Der beste Mann, den sich eine Frau wünschen konnte! Und dann das … Wie hatte er ihr diese Ehe nur antun können?
„Gestattet mir, ein Hochzeitsbild von Euch anzufertigen“, holte sie Lucas Stimme in die Gegenwart zurück.
„Nein!“, stieß Isabel hervor, während der Prinz gleichzeitig „Sehr gerne“, sagte.
Luca sah von einem zum anderen, dann hielt er seine Augen jedoch auf Leonard gerichtet.
„Ich werde ein paar Skizzen machen und das Gemälde dann in meinem Atelier in London malen.“
Leonard nickte und Isabel drehte ihr Antlitz von ihm fort. Sie fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Weshalb demütigte er sie so? Wieso zwang er ihr seinen Willen derart rücksichtslos auf?
„Lasst uns zum Essen schreiten“, erscholl nun seine Stimme und die kleine Hochzeitsgesellschaft begab sich in den Speisesaal, in dem schon festlich gedeckt worden war.
Pater Paul beugte sich zu Isabel – er saß ihr gegenüber – und sah ihr ernst in die Augen.
„Macht Euren Frieden mit dieser Situation“, riet er leise und Tränen stiegen in Isabel auf.
Unmerklich schüttelte sie den Kopf, doch der Pater bemerkte es.
„Ihr schadet Euch nur selbst! Sir Prime wollte es so.“
Verzweifelt senkte sie den Kopf und verschlang ihre Finger unter dem Tisch miteinander. Niemals würde sie sich mit dieser Situation abfinden! Sie hasste Leonard mehr noch als jemals zuvor. Er schien die Macht, die er nun über sie hatte, regelrecht zu genießen.
Das Essen wurde aufgetragen und während die Männer angestrengt Konversation betrieben, schwieg Isabel. Sie dachte an die unzähligen Male, da sie mit Rick gespeist hatte. An sein Lachen, die Art, wie seine Wärme sie verändert hatte. Die Anspielungen auf lustige Situationen, die im Laufe der Jahre immer zahlreicher geworden waren. Sein Zwinkern, wenn er „Pralinen“ sagte und ihr unweigerliches Erröten daraufhin, seine Anspielung auf ihre Hochzeitsnacht. Alles war vergangen.
Ohne es zu bemerken, rannen Tränen über ihre Wangen. Als Leonard es entdeckte, zog er ein Taschentuch hervor, beugte sich zu ihr und tupfte ihr die Nässe von der Haut. Sie zuckte zurück, als sie ihn so nah vor sich erkannte. Sein Blick war besorgt, doch sie entzog ihm das Taschentuch und erhob sich von der Tafel.
„Bitte entschuldigt mich!“
Ohne auf eine Antwort zu warten, stürzte sie aus dem Raum und die Männer sahen einander betreten an.
„Sie hat ihn sehr geliebt“, stellte Romano fest. „Das wird keine leichte Aufgabe für Euch, Euer Gnaden.“
Leonard ballte eine Hand zur Faust.
„Früher oder später wird sie sich damit abfinden“, versprach er mit einer harten Linie um die Mundwinkel.
„Ja, das wird sie“, stimmte Pater Paul zu. „Doch, Euer Gnaden, mit Verlaub, sie ist eine sehr verwundete Seele.“
Überrascht drehte sich Leonard zu dem Priester.
„Was meinen Sie damit?“
Pater Paul zuckte mit den Achseln und tauschte einen schnellen Blick mit Romano.
„Ich meinte es so, wie ich es sagte. Irgendetwas bedrückt ihre Seele. Ich bin sicher, dass mehr dahintersteckt als Sir Primes Tod.“
Interessiert löste Leonard seine Faust wieder und fixierte den Geistlichen.
„Haben Sie eine Idee, worum es sich handeln könnte?“
„Nur vage. Doch ich darf darüber nicht sprechen. Ihr solltet Eure Frau selbst fragen.“
„Sie wird nicht antworten.“
Pater Paul nickte nachdenklich.
„Irgendwann wird sie es tun. Ihr müsst ihr Vertrauen gewinnen!“
„Ha!“, lachte Leonard bitter auf. „Nichts leichter als das! Wie sollte ich jemals neben Rick den Hauch einer Chance bekommen?“
Der Ausdruck, mit dem der Pfarrer ihn nun musterte, ging Leonard durch und durch. Es schien, als würde der Priester bis in die verborgensten Tiefen seiner Seele schauen.
„Ihr habt diese Chance erhalten. Vorausgesetzt Ihr nutzt sie! Ihr müsst der Mann für sie werden, den sie an ihrer Seite braucht, dem sie vertrauen kann. Wenn Ihr das sein wollt, werdet Ihr hart an Euch arbeiten müssen. Doch dann werdet Ihr Euch beweisen können.“
Leonard schluckte unbehaglich. Wollte er das überhaupt? Wollte er Isabels Liebe gewinnen?
Noch vor wenigen Wochen hätte er sofort mit Ja geantwortet. Doch die letzte Zeit hatte ihn diesbezüglich unsicher gemacht. Isabel war viel mehr als diese eine Begegnung vor vielen Jahren, bei der er sich unsterblich in sie verliebt hatte. Sie hatte ihre Fehler. Offensichtlich. Diese Tatsache war sehr ernüchternd und die Gefühle für sie waren so schnell, wie sie gekommen waren, davongeflattert. Es war mehr als Ironie, dass er nun an sie gebunden war, jetzt, da sie ihm nicht mehr bedeutete als der kleine Welpe seiner Jagdhündin. Doch die Frage stand noch immer da, klar und deutlich: Wollte er sie zu seiner Frau haben? Wollte er der Mann werden, den sie brauchte? Konnte er es überhaupt?
Der Pfarrer sah ihn immer noch unverwandt an.
„Ich glaube nicht, dafür bereit zu sein.“
Pater Paul senkte den Kopf und begann wieder zu essen, während Leonard eine Übelkeit in sich aufsteigen fühlte. Diese ganze Verantwortung drückte ihm schwer auf den Magen. Es wurde wirklich Zeit, dass sie morgen abreisten und er sich wieder ins Nachtleben stürzen konnte! Menschen um sich haben. Karten spielen, trinken und lachen können. Flirten und das eine oder andere Mädchen mit sich in ein Zimmer nehmen. Das Verlangen, das in diesem Moment in ihm aufstieg, war überaus unangebracht. Leonard räusperte sich und lenkte seine Gedanken in eine andere Richtung.