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Prolog

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Mit hoch erhobenem Kopf stand Isabel einige Meter von ihnen entfernt inmitten eines Menschenspaliers. Leonard Prime, Prinz of St. Ives, entdeckte sie noch vor seinem Bruder Hendrick, der neben ihm stand und ihr den Rücken kehrte. Unwillkürlich beschleunigte sich Leonards Herzschlag bei ihrem Anblick. Nicht nur, weil er sie seit langem das erste Mal wiedersah – seit dem Tag, da er erkannt hatte, dass er sie liebte – sondern auch wegen des zerschnittenen Kleides, das sie an diesem Abend trug. In Fetzen hing es an ihrem Körper herab und erlaubte geradezu skandalöse Einblicke auf die Haut ihrer wohlgeformten Beine. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, derart gekleidet auf diesem Ball zu erscheinen? Leonards Lächeln erlosch. Nur kurz verweilte ihr Blick bei ihm, dann ließ sie ihn weiter zu Hendrick gleiten, ihrem Mann, seinem Bruder. Rick musste Leonards Entsetzen gespürt haben, denn er drehte sich in Isabels Richtung und erstarrte im nächsten Augenblick. Leonard konnte es deutlich fühlen. Er spürte geradezu, wie Rick sich in sich selbst zurückzog und als er ihm einen schnellen Seitenblick zuwarf, sah er, dass sich sein Bruder von seiner Frau abwandte.

„Hör zu“, flüsterte Leonard und rempelte Rick an. „Geh zu ihr! Tue so, als wäre alles in Ordnung! Zeige ihr unter keinen Umständen, was du empfindest!“

„Sie demütigt mich schlimmer vor diesen schrecklichen Menschen, als es jemand jemals zuvor getan hat!“

Wie oft hatte er Rick während des letzten Jahres gesagt, dass er nicht so schnell aufgeben sollte? Würde er es denn nie lernen? Leonard lüpfte spöttisch eine Augenbraue.

„Schlimmer? Es ist nur ein Kleid, keine sexuelle Verirrung, über die man sich nun das Maul zerreißt.“

Rick atmete tief durch. Leonard hatte recht. Es war nur ein Kleid, kein gehässiges Gerücht über seine angeblichen perversen Vorlieben.

„Los! Geh!“, forderte Leonard erneut.

Mit einem Ruck drehte sich Rick um und setzte ein höfliches Lächeln auf, während er seiner Frau entgegenging. Leonard blickte ihm sehnsüchtig nach. Er hatte alles versucht, um Isabels Herz zu gewinnen, doch sie hatte sich für Hendrick entschieden. Oder besser gesagt, sie war vor ihm und ihrem Mann geflohen, doch es war offensichtlich, dass sie diesen noch immer liebte. Trotz all der Fehler, die sein Bruder in der Vergangenheit gemacht hatte. Leonard wusste, dass die einzige Möglichkeit, Isabel glücklich zu machen, darin bestand, sie wieder mit Rick zu vereinen. Trotzdem zerriss es ihn innerlich, den beiden dabei zu helfen, wieder zueinander zu finden. Aber für Isabels Glück würde er alles tun. Davon war er überzeugt.

Es war vollkommen still im Saal, keiner wollte auch nur ein Wort von dem verpassen, was nun gesagt wurde.

„Mylady, wie überaus bezaubernd! Euer neuer Stil? Amerikanisch?“, drang Ricks Stimme an seine Ohren.

Wie es schien, kam Rick nun bestens mit der Situation zurecht und Leonards Mundwinkel zuckten amüsiert. Er konnte aus der Ferne beobachten, wie Isabels herausfordernder Blick innerer Verunsicherung wich und das würdevoll gereckte Kinn ein wenig nach unten sank. Als Rick sie erreichte, verbeugte er sich galant und bot ihr seinen Arm.

„Ich nehme an, Ihr wollt tanzen. Genug Beinfreiheit habt Ihr immerhin.“

Als die gaffende Menge erkennen musste, dass es zu keinem Eklat zwischen dem unkonventionellsten Ehepaar Englands kam, wandte man sich wieder anderen Dingen zu und die Musik setzte ein.

Leonard richtete unnötigerweise seine Manschetten und straffte die Schultern, dann wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu. Trotzdem verfolgte er die beiden aus dem Augenwinkel, bis sie schließlich ins Freie verschwanden.

Während des ganzen Abends sah er sie nicht wieder und Leonard war sicher, dass das Paar seine Probleme würde klären können und einer gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Wege stand. Hätte ihm vor etwas mehr als einem Jahr jemand gesagt, dass er sich in die Frau seines Bruders verlieben würde, hätte er denjenigen für verrückt erklärt. Doch die Reinheit ihres Herzens sowie Isabels Mut hatten ihn tief beeindruckt und ihn das erste Mal seit langer Zeit etwas fühlen lassen. In all den Jahren hatte er nicht eine der vielen Frauen geliebt, die seinen Weg kreuzten. Ausgerechnet an die Frau, die für ihn unerreichbar war und ihn verabscheute, hatte er sein Herz verloren. Ironie des Lebens, dachte Leonard und schüttelte den Kopf. Selbstlose Liebe. Das erste Mal handelte er ohne Hintergedanken für das Glück eines anderen Menschen. Nicht nur das, seine Bemühungen trieben die Frau seiner Sehnsucht sogar noch fort von ihm und in Ricks Arme zurück. Über den neuen Leonard konnte er nur staunen. Er hatte sich verändert, davon war er überzeugt. Doch es gab niemanden, mit dem er diese Veränderung teilen konnte, denn der einzige Mensch, den er an seinem neuen Wesen Anteil nehmen lassen wollte, gehörte zu einem anderen.

Die Sehnsucht des Prinzen

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