Читать книгу Die knallbunte Couch - Jutta Treiber - Страница 9
ОглавлениеHerr Benno hatte die ganze Welt gesehen. Als Journalist war er immerzu gereist, zuerst auf Kriegsschauplätze, später, als ihm das zu gefährlich wurde, zu großen Sportereignissen. In seiner Jugendzeit, nach dem Studium, hatte er zunächst an verschiedenen Theatern als Regisseur gearbeitet. Und seinen Zivildienst vorher hatte er als Pfleger in einem Krankenhaus abgeleistet. Aber das alles war schon sehr lange her.
Sein ganzes Leben hatte er vor lauter Arbeit keine Zeit gehabt. Keine Zeit, eine Familie zu gründen, keine Zeit, das Leben zu genießen.
Dennoch hatte er immer noch eine Menge Lachfalten. Sie hatten sich so tief in sein Gesicht gegraben, dass Kummer und Stress sie nicht hatten wegwischen können.
Denn er war von jeher ein Optimist gewesen und hatte auch in schlimmen Situationen seinen Humor bewahrt. Er ging auch immer noch sehr aufrecht, das Leben hatte es nicht geschafft, seinen Rücken zu krümmen.
Nun, da Herr Benno älter geworden und in Pension gegangen war, wollte er endlich Ruhe finden und war in seine kleine Heimatstadt zurückgekehrt. Seine Eltern waren inzwischen gestorben und hatten ihm ihr Haus vererbt. Da lebte Herr Benno nun seit einiger Zeit. Ruhe hatte er gefunden. Viel Ruhe. Zu viel Ruhe. So viel Ruhe, dass er davon schon ganz unruhig wurde.
Die Stadt hatte sich im Lauf der Jahre sehr verändert. Herr Benno hatte sie lebendiger in Erinnerung. „Früher gab es mehr Menschen auf der Straße“, dachte er. „Und es gab auch keine leerstehenden Geschäfte.“
Jetzt gab es viele, das war traurig. Am Rande der Kleinstadt waren diese schrecklichen Einkaufszentren entstanden, die Herr Benno nicht ausstehen konnte. Die grünen Wiesen wurden zubetoniert, die Innenstädte verödeten. „Die Einkaufszentren rundherum haben das Leben aus der Stadt gesaugt“, dachte er.
Und dann war da noch ein Problem: Herr Benno kannte fast niemanden mehr. Er war ein Fremder in seiner eigenen Heimatstadt geworden.
In dieser Nacht lag Herr Benno lange wach.
„Das Leben ist so kurz und die Nacht so lang“, dachte er und schlug ein Buch auf. Er wusste, er würde wieder stundenlang nicht einschlafen können.
Nicht, dass ihn seine Sorgen wachgehalten hätten. Denn eigentlich hatte Herr Benno keine Sorgen. Er hatte ein nettes Haus mit einem kleinen Garten, er hatte genügend Geld, schließlich hatte er sein Leben lang kaum Zeit zum Geldausgeben gehabt, er war gesund, immer noch sportlich, und auch sein Kopf funktionierte noch tadellos.
Aber er war einsam. Jetzt, wo es zu spät war, bedauerte er, dass er keine Familie hatte. Keine Frau, keine Kinder, keine Enkelkinder.
„Bin ich eigentlich glücklich?“, dachte Herr Benno. „War ich es jemals? Und wenn ja, wann war ich am glücklichsten?“ Er brauchte nicht lange zu überlegen. Am glücklichsten war er immer gewesen, wenn er mit anderen Menschen zusammen war.
„Ich muss etwas in meinem Leben ändern“, dachte Herr Benno. Er wusste nur nicht, was. Und da er das „Was“ nicht kannte, wusste er auch nicht, wie.