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Kapitel 2

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Wünsche an die Zukunft sind erlaubt.

Vorfreude soll die schönste Freude und deshalb lächelte Helena zufrieden, als sie mit einer Tasse Kaffee an ihrem Küchenfester stand und auf das bunte Treiben auf der Straße blickte.

Es waren nur noch wenige Minuten bis zur Abfahrt.

Ihre Nervosität in den letzten Tagen überraschte sie selbst am meisten. Helena dachte seit Wochen an nichts anderes mehr, als an ihren Abenteuertrip: mit dem Motorrad quer durch Europa.

Wahrscheinlich hatten die anderen Recht: sie war eine miserable Wissenschaftlerin. Sie interessierte sich plötzlich viel mehr für grenzenlose Freiheit da draußen auf der Straße, als für starre und festgelegte Experimente im Labor. Helena war schon immer stolz auf ihren kühlen, analytischen Kopf gewesen. Und seit geraumer Zeit sah Helena die Zukunft ihres Kontinentes in Gefahr. Vom Schreibtisch aus konnte sie wenig unternehmen, daher wollte sie auf ihrer Reise die Schönheit und Einzigartigkeit der einzelnen Regionen neu erfahren und entsprechend dokumentieren.

In den letzten Jahren war Helena beinahe ausschließlich mit fernen Galaxien beschäftigt gewesen. Sie hatte gar keine Zeit für die Erde. Das war nicht notwendig, denn die ganze Welt war längst im virtuellen Raum digitalisiert. Alles, was sie über die Geheimnisse der Erde wissen wollte hatten längst andere recherchiert und für jedermann auffindbar dokumentiert.

Ihr Wunsch zu dieser Reise erwachte vor ungefähr einem Jahr. Auf einem Kongress in Italien kamen zwei ihrer Kollegen auf die Idee, im nächsten Jahr mit dem Motorrad anzureisen. Irgendwann waren dann auch noch zwei Kolleginnen und ein weiterer Kollege so begeistert von der Idee, dass auch Helena von dieser Abenteuerlust angesteckt wurde.

Das folgende Jahr war geprägt von Veränderungen und plötzlich war niemand mehr an einer Motorradfahrt interessiert. Doch Helena ließ sich nicht davon abhalten, diese abenteuerliche Reise zu realisieren. Sie hatte dafür bereits viel Zeit und Geld investiert. Akribisch überprüfte Helena ihr altes Motorrad, das in der Garage ihrer Schwester in der hintersten Ecke zwischen Rasenmäher und Unkrautvernichtungsmittel stand. Wenn sie Glück hatte, würde ein Wochenende ausreichen, die Maschine wieder flott zu kriegen. Ihre Ledermontur war im feuchten Keller verschimmelt. Kritisch hielt sie die Lederhose in die Höhe und kniff abschätzend die Augen zusammen.

„Was soll‘s! Die hätte mir sowieso nicht mehr gepasst!“

Auch das alte Zelt stellte sich als unbrauchbar heraus.

Helena hatte vier Wochen Zeit für ihr Projekt veranschlagt. Sie bereitete sich so gut vor, dass sie nachts schon davon träumte, wie sie mit ihrem Motorrad, die Alpen bezwang. Sie hörte den kräftigen Motor, sie konnte den frischen Fahrtwind spüren und das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit hielt auch noch nach dem Aufwachen lange vor.

In einem Internetforum hatte sie sogar schon ein paar Gleichgesinnte gefunden, die tatsächlich wahr machten, wovon andere nur sprachen. Eine Gruppe war in Berlin gestartet, um an der West-Küste Europas entlang zu fahren. Dieser Gruppe wollte Helena sich anschließen. Helena hatte vor, in Amsterdam auf die Berliner treffen und zunächst einmal bis Lissabon mit zu fahren. Unterwegs stießen weitere Globetrotter dazu. Darunter waren Handwerker, Philosophen, Mathematiker, Sportler und Rentner und Helena liebte die allabendlichen Gespräche mit diesen interessanten Menschen über Wichtiges und Unwichtiges, wenn sie abends vor ihren Zelten den nächsten Tag planten.

Schnell hatte Helena sich an die Marienkäferlarven, Spinnen und Ameisen gewöhnt, mit denen sie nachts ihr Zelt teilte. Es war nur noch wichtig, wo sie abends ihre Zelte aufschlagen konnten und wo es etwas zu essen gab. Zu essen gab es im Überfluss und es hatte sich herumgesprochen, dass eine Gruppen von Verrückten unterwegs war. Interessierte Bürger stellten ihre Wiesen zur Verfügung und waren stolz darauf, die „Rocker“, wie sie freundliche genannt wurden, zu beherbergen.

Die „Rocker“ waren wie Helena: Menschen, auf der Suche nach der Zeit, dem einfachen Leben und der Ehrlichkeit.

Sie wollten das Leben wieder mit all ihren Sinnen erleben. Das fiel ihnen von Tag zu Tag leichter und Helena war schockiert darüber, wie stark der Alltag, mit all seinen Pflichten und Verabredungen, sie in einen eiskalten Roboter verwandelt hatte.

Eine kurze Nachricht ihrer Nichte riss Helena aus ihrer neugewonnenen Freiheit und beendete ihre unbeschwerte Motorradfahrer-Idylle äußerst unromantisch.

Der Nashornkäfer

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