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Der Staat, den keiner wollte (1918-1938)

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1918 kommt es mit der Ausrufung der ersten Republik und dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches zum Untergang der Belle Époque mit all ihren Fortschrittsgedanken und Errungenschaften. Durch die Niederlage im ersten Weltkrieg leidet das Volk unter den Kriegstraumata, welche unerwartete Entscheidungen abverlangen und neue Fragen aufwerfen, die durch das darauffolgende Anschlussverbot zu einer tiefgreifenden Identitätskrise führen. Vor allem in Kunst und Literatur versucht man, sich diesen Fragen zu stellen und die Suche nach einer österreichischen Identität wird neu aufgegriffen. Anders, als vor der Jahrhundertwende, erheben nun mehrere Literaten das Wort und beziehen klare Positionen.

Auf der Suche nach dem Österreicher

Die Wiener Literaten nehmen das Thema der Identitätssuche wieder auf und äußern sich in ihren buntesten Facetten. Der amerikanische Kulturhistoriker William M. Johnston versucht diese anhand von fünf Kategorien zu unterteilen.11 Davon bezeichnet er Robert Musil und Robert Müller als die Satiriker, die sich zwar mit der Zwiespältigkeit des Österreichers befassen, ihn aber nicht vergleichend mit den Reichsdeutschen gegenüberstellen. Oskar Benda formuliert als einer der ersten eine analytische Annäherung, welche aber unbeachtet bleibt. Die ausschlaggebendste Rubrik bei Johnston bildet eindeutig die der »Bewunderer Österreichs«.12 Darin gibt es zwei wesentliche Unterschiede in deren Anschauungen: Die Bejaher des Österreichertums stehen den Pessimisten gegenüber: Während Hugo von Hofmannsthal, Hermann Bahr, Anton Wildgans, Paul Graf Thun-Hohenstein, Richard von Kralik und anfangs auch Friedrich Heer die positiven Seiten des Österreichers hervorheben, ihn mit dem Reichsdeutschen gegenüberstellen und den österreichischen Patriotismus aufgrund der langen Dauer verfechten,13 trauern die Pessimisten Hans Prager, Franz Werfel, Richard Schaukal, Leopold von Andrian-Werburg und der spätere Friedrich Heer dem Habsburgerreich und seinem Beamtentum hinterher. Vereinzelt gibt es unter den eben genannten Literaten aber wiederum Unterschiede, welche sich beispielsweise in der Diskussion über den Beamten an sich zeigen: Während Hermann Bahr das Beamtentum als »Wurzel aller Übel im Habsburgerreich«14 stigmatisiert, sprechen Oskar Benda und Hugo Hassinger vom »Bewahrer des Vielvölkerstaats«.15 Johnston verweist auf eine weitere Besonderheit bei Robert Musil, welcher vom sogenannten »Möglichkeitsmenschen«16 spricht. Dieser habe »eine Begabung für das Erfinden von im Alltag nie zur Umsetzung gelangenden Begabungen entwickelt [...] «.17 Mit dieser These wirft Musil den ersten Stein dahingehend, dass sich bei Hofmannsthal, Bahr und Schaukal ähnliche Ansichten herausformen wie die Unmöglichkeit, ein eigenes Ich zu entwickeln oder der Standpunkt Hans Pragers des »gespaltenen Ichs des Österreichers«.18 Dieses gespaltene Ich äußert sich bei vielen Essayisten in der bejahenden Haltung gegenüber dem Anschluss an das deutsche Reich. Sie konzipieren Österreich

»[...] nur innerhalb und keineswegs außerhalb des deutschen Kulturraums. Diesen Autoren zufolge waren die ›Deutschösterreicher‹ die anpassungsfähigsten, die einfühlsamsten und vor allem die interessantesten aller Deutschen, wohl aber nicht die diszipliniertesten oder tüchtigsten.«19

Neuorientierungen in Österreich

Obwohl Hofmannsthal vorerst die Idee eines einheitlichen deutschen Imperiums vertritt, widerlegt er schließlich seine eigene These und bekennt sich für Österreich als Kleinstaat. Er legt alle Hoffnungen in das Künstlertum und sieht bei einem kleinen Land bessere Chancen für das Kunstgewerbe durch Kooperationen mit den restlichen Nachbarstaaten. Als Huldigung gegenüber der langen Dauer Österreichs ruft er 1920 gemeinsam mit Richard Kralik die Salzburger Festspiele ins Leben.20 Diese Errungenschaft sollte nicht die einzige in der österreichischen Kulturlandschaft dieser Zeit bleiben: Arnold Schönberg entwickelt seine Zwölftontechnik, zu deren Entwicklung auch Alban Berg einen wesentlichen Beitrag leistet. Dieses Verfahren revolutioniert die bisherigen Kompositionsmethoden und beeinflusst alle wegbereitenden Entwicklungen der gesamten Musiklandschaft in Österreich. In Architektur wirken besonders Adolf Loos und Otto Wagner und setzen neue Maßstäbe. Zur selben Zeit entsteht 1922 unter dem deutschen Philosophen Moritz Schlick der sogenannte Wiener Kreis, welcher die Philosophie des gesamten 20. Jahrhunderts nachhaltig prägen sollte. Die Gruppe vertritt avantgardistische Standpunkte des logischen Empirismus und vereint Einflüsse von wichtigen Denkern wie Ludwig Wittgenstein, Albert Einstein, Gottlob Frege oder Ernst Mach und wird auch später für die Wiener Aktionisten eine wesentliche Inspirationsquelle darstellen.21

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