Читать книгу Sohn des Windes - K. Will - Страница 4

2.

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„Ich habe schon bereits vor drei Tagen einen Späher losgeschickt. Kieran verspätet sich nicht einfach um fast eine Woche, ohne etwas zu sagen!“ Emilys Herz schlug wie wild, als sie Damaso ansah. Sie war mittlerweile mehr als beunruhigt, und er tat immer noch so, als würde sie überzogen reagieren!

Langsam nickte Damaso mit dem Kopf.

„Also schön. Du hast recht. Eine knappe Woche Verspätung sieht ihm wirklich nicht ähnlich. Was hat der Späher denn berichtet?“, wollte Damaso wissen.

„Er ist gar nicht zurückgekommen!“ Sie sah ihn aus Augen an, die jeden Moment vor Verzweiflung weinen wollten.

Damaso sah sie nachdenklich an.

„Oh!“, machte er. Das war keine gute Nachricht! „Aber das heißt nicht, dass etwas passiert sein muss!“

„Damaso!“, herrschte sie ihn an. „Hör endlich auf so zu tun, als wäre noch immer alles in Ordnung! Er ist nicht zurückgekommen, er hat keine Nachricht geschickt, und der Späher ist auch verschwunden! Nichts ist in Ordnung, wenn du mich fragst! Und ich werde nicht weiterhin tatenlos abwarten!“

„Beruhige dich. Dann werden wir eben noch weitere Späher ausschicken.“, entgegnete er ihr.

„Vielleicht sollte sich jemand selber auf den Weg machen?“, fragte Emily lauernd und leicht drohend. Wenn es einer wagen konnte, aus dem Reich der Elben in das Land der Menschen zu reisen, dann er. Er war, neben ihr, der Einzige der nicht auffallen würde, der einzige Nichtalb, der sich unter die Menschen mischen konnte.

Aber Damaso verstand ihre Anspielung entweder nicht oder hatte schlichtweg keine Lust sich selber auf den Weg zu machen.

„Niemand …“, sagte ihr Damaso und sah sie sehr eindringlich an, „… absolut niemand wird ihnen hinterher reiten, um festzustellen, was los ist! Hast du verstanden? Wir werden Späher schicken! Und du wirst dich gedulden müssen!“ Damit drehte sich Damaso von ihr weg und ging davon. Er würde sich erst mit den anderen beraten. „Ich habe deinem Mann versprochen, mich um dich zu kümmern.“, sagte er noch laut im Weggehen. „Und ich werde auf dich aufpassen! Aber ich werde jetzt erst mit Liam und Breando reden, und du wirst hier bleiben!“

Emily schnaubte hinter ihm wütend und verschränkte die Arme vor der Brust. Was fiel ihm ein sie so zu behandeln? Sie hatte allen Grund sich Sorgen zu machen und es war ihr gutes Recht Fragen nach dem Verbleib ihres Mannes zu stellen! Kurz zögerte sie noch selbst, als ihr die Idee in den Sinn kam selber nach ihm zu suchen. Dann aber fragte sie sich, warum sie es sich nicht zutrauen sollte? Sie hatte es nicht einmal gewusst, als sie mit Asrar schwanger war, und hatte eine unheimliche Wanderung mutterseelenallein durch dunkle Tunnel gemacht, sie war fast vergiftet worden, hatte gekämpft und einen Dreiwochenritt hinter sich gebracht. Warum sollte sie sich jetzt nicht zutrauen nach Al-Alef zu reiten? Es war nur ein Ritt von einem einzigen Tag!

Als Damaso wenig später wieder zurückkam, um ihr mitzuteilen, dass die anderen ihrer Meinung waren und entschlossen hatten, dass Damaso sich auf die Suche machen sollten, fand er ihr Haus verlassen vor. Er suchte sie überall und schickte schließlich auch einen der Falken zu Culogh, um sich zu vergewissern, dass sie bei dem Faun wäre. Aber als der Falke nach Stunden zurückkam, konnte er Damaso nichts über Emilys Verbleib berichten. Aufgebracht rannte Damaso zurück ins Tal im Wald und fand die Elben noch immer alle versammelt vor.

„Sie ist weg!“, sagte er atemlos. „Ich habe überall nach ihr gesucht. Und Culogh weiß auch nicht, wo sie steckt!“ Er sah der Reihe nach in die Gesichter der anderen.

„Und dann stehst du hier noch rum?“, fuhr Dakun ihn an. „Du solltest dich dann doch wohl ebenfalls längst auf den Weg gemacht haben!“

„Was?“ Damaso wusste nicht worauf er hinaus wollte. „Auf den Weg wohin? Ich weiß nicht, wo sie steckt!“

„Es gibt nur einen Ort, an dem sie sein wird, nur einen einzigen!“ Dakun sah ihn mit einer Mischung aus … ja, was eigentlich? - an. Wut? Verachtung? Damaso zuckte unmerklich zusammen.

„Sie wird doch nicht mit dem Kind nach Al-Alef aufgebrochen sein! Das glaubst du doch selber nicht!“, entgegnete ihm Damaso halbwegs entsetzt.

Aber Dakuns Blick verriet ihm, dass er genau das glaubte, mehr noch - es wusste!

„Diese Frau hat sehr viel mehr Schneid und Tatendrang als du!“, stellte Dakun grimmig fest. „Breagan?,“ wandte er sich dann übergangslos an seinen Sohn. „Geh zu Silva und sage ihr, was geschehen ist. Und bleibe bei ihr bis ich wiederkomme. Ich werde Emily und Asrar suchen gehen!“

Dakun ging mit schnellen Schritten davon, um sein Pferd zu holen, das Einzige im ganzen Wald, das nicht auf den weiten Grasebenen weidete, so wie all die anderen Pferde. Dakun hielt es stets in seiner Nähe. Jetzt wusste er auch selber warum. Mit gekonnten, schnellen Griffen sattelte er es auf und schwang sich augenblicklich in den Sattel.

„Warte!“, rief Damaso ihn an.

„Worauf? Dass du endlich deinen Hintern hochkriegst und was unternimmst?“ Dakun wandte sein Pferd um und trieb es vorwärts. Liam und Breando waren hinter Damaso her gekommen.

„Dakun!“, rief Liam ihm nach.

„Was? Ich bin der einzige Mensch, der Einzige, der unter den anderen Menschen nicht auffallen wird. Versucht doch mich aufzuhalten!“, rief er ihm verächtlich entgegen. Er trieb sein Pferd noch schneller voran und preschte im Galopp zum Wald hinaus.

„Verflucht!“, wetterte Damaso.

„Es war deine Aufgabe auf sie aufzupassen. Und es war deine Aufgabe Dakun im Auge zu behalten!“, stellte Breando grimmig nickend fest. „Tu was!“

„Sie zu, dass du hinter ihm herkommst!“, sagte auch Liam trocken. „Wir sind Elben. Wir können uns nicht unter das Volk der Menschen mischen. In Al-Alef vielleicht noch, aber nirgends anders wo sonst. Und ich fürchte, dass euch die Suche nach den beiden sonst wo hinführen könnte!“

Einen kurzen Augenblick stand Damaso noch mit gesenktem Blick da und fluchte leise vor sich hin, dann wandte er sich aber endlich um, um seine Sachen zu packen und sein Pferd zu holen.

So ein Irrsinn, dachte Damaso grimmig, als es nach wenigen Stunden bereits stockfinster geworden war. Er hatte es nicht geschafft Dakuns Vorsprung aufzuholen. Er fragte sich wie viel Vorsprung Emily vor ihnen hatte. Er hatte sie verlassen, als es noch früher Vormittag war. Erst am zeitigen Nachmittag war er zurückgekommen, um nach ihr zu sehen. Wenn sie direkt vormittags los geritten war, dann hatte sie einen halben Tag Vorsprung. Einen halben Tag! Er hatte eindeutig zu lange gezögert!

Bestimmt war Dakun auch jetzt in der Nacht einfach weiter geritten. Und auch Emily traute er es zu. Sie hatte Schneid, gar keine Frage! Wenn sie nicht sogar schon in Al-Alef angekommen wäre! Dementsprechend konnte er ja wohl kaum schwächeln und sich eine Pause gönnen! Kieran würde ihm den Kopf abreißen …!

Emily war am späten Abend am Stadttor von Al-Alef angekommen. Statt der erwarteten Erleichterung endlich hier zu sein, wich ihr aufkeimendes Gefühl der Befriedigung darüber den langen Ritt gemeistert zu haben, einem ganz und gar ungutem Gefühl. Was sie sah erschreckte sie zutiefst. Rauch! Überall schwelten Feuer. Dicker Rauch hing in der Luft, der aus den einzelnen Häusern heraus quoll. Offenbar waren die Brände bereits dabei zu ersterben. Etwas Schreckliches war hier geschehen! Sie fasste ihren kleinen Sohn, den sie, fest in einem Tuch eingewickelt, vor sich am Körper trug, noch etwas fester, wie um ihn instinktiv zu schützen, und trieb ihr Pferd weiter durch die totenstillen, verlassenen Gassen der Stadt. Der Rauch begleitete sie, und ein beißender, ekelerregender Gestand. Emily zog instinktiv den Stoff ihres Ärmels über ihre Hand und schützte damit Mund und Nase, und achtete darauf, dass auch Asrar nichts von dieser verseuchten Luft einatmete, indem sie dem Kleinen ihren Seidenschal um den kleinen Kopf wickelte. Erst als sie in eine Gasse abbog, die sie zum Palast ihres Schwiegervaters bringen sollte, sah sie das Grauen sich ausbreiten: Tote! Die Gasse war gesäumt von unzähligen Toten. Ein eisigkalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Sie konnte in dem schwindenden Licht nicht die Gesichter der Toten erkennen, was ihr auch eigentlich ganz lieb so war! Aber sie konnte an ihrer Kleidung erkennen, dass es sich hauptsächlich um Männer der Palast- und der Stadtwache hielt, die in einem brutalen Kampf ihr Leben gelassen hatten. Aber sie sah auch, dass die Türen der einzelnen Häuser, in denen es noch immer schwelte, von außen verbarrikadiert worden waren. Was das bedeutete, wollte sie sich erst gar nicht ausmalen! Eine jähe Furcht überkam sie und ließ ihr Herz noch schneller schlagen, und eine plötzliche, bislang noch nie da gewesene Übelkeit! Sie gab dem Pferd die Sporen und ritt im zügigen Tempo durch das große Tor in den Innenhof des Palastes. Das Bild, was sich ihr hier darbot war das gleiche, wie in den Strassen!

„Nein!“, flehte sie mit leiser, zittriger Stimme, als sie sah, was hier vor sich gegangen war. Auch hier waren die Türen von außen verriegelt worden. Im Inneren suchte sich noch immer dicker, schwarzer, nach Tod und Verderben stinkender Rauch seinen Weg nach draußen. „Nein, bitte nicht!“ Sie war dem Weinen nahe, als sie eilig vom Pferderücken sprang, und auf das große Eingangstor zulief, um die schweren Balken, die gegen die Türflügel gestemmt waren, mit aller Anstrengung, die sie aufzubringen vermochte, zu entfernen. Als sie die Tür mit Wucht aufschlug, ergoss sich der schwere, schwarze Qualm in zäh wallenden Wolken quer über den Innenhof. Abrupt drehte sie sich um und wich über den gesamten Innenhof zurück, um Asrar nicht diesem Rauch auszusetzen, und zog wieder schützend ihren Ärmel über Mund und Nase. Eilig blickte sie sich nach ihrem Pferd um. Die Stute stand noch immer still da, wo Emily sie hatte stehen lassen. Trotzdem führte sie sie am Zügel zur Palastmauer, und band sie dort an. Dann machte sie sich daran Asrar in seinem Tragetuch sicher und fest an dem Sattel zu binden.

„Pass gut auf ihn auf, Fesherra!“, flüsterte sie eindringlich ihrem Pferd zu. „Ich bin gleich zurück!“ Das Pferd, mit dem goldfarbenen Fell sah sie kurz mit seinen großen Augen an und schlug einmal mit dem Kopf, so als wollte es ihr zu verstehen geben, dass es durchaus verstanden hatte. Eilig und zittrig ging Emily wieder auf den Eingang des Hauses zu und spähte durch den Rauch hinein. Schon in der Eingangshalle waren deutlich Menschen zu erkennen. … Oder was von ihnen übrig geblieben war. Sie sah sich um und fand ein langes Stück Holz, das ihr noch eine kurze Zeit lang als Fackel dienen konnte, und ging weiter in die Dunkelheit des verkohlten Hauses hinein. Hier hatte ein grausames Feuer gewütet, dem niemand entkommen war. Sie sah zahlreiche Tote, verbrannt bis zur Unkenntlichkeit. Nur an einigen Uniformen und Kleidungsstückresten konnte sie noch erkennen, um wen es sich gehandelt haben musste. Die meisten Leute hier am Hofe hatte sie nur flüchtig gekannt, wenn überhaupt. Diener, die sie bei ihrem letzten Besuch hier kennen gelernt hatte. Und an dessen Kleidung sie sich jetzt erinnern konnte, jetzt, da ihre Gesichter allesamt schwarz verkohlt und leblos waren, entstellt bis zur Unkenntlichkeit. Aber dann blieb ihr Blick auf einem Kleidungsfetzen einer Person am Boden hängen, und eine große, dunkle Leere griff nach ihrem Herzen, als wollte sie Emily in einen finsteren, unendlichen Abgrund stürzen. Es war nicht mehr viel von ihm zu erkennen, aber die Tunika, die er trug, war die, die er auf ihrer Hochzeit getragen hatte. Am unteren Saumende konnte sie noch deutlich die Goldstickereien erkennen: Achaz! Keuchend brach Emily in die Knie. Eine halbe Ewigkeit schien gerade vor ihr abzulaufen. Unfähig irgendetwas zu denken, irgendwie zu reagieren, irgendwie zu handeln, hockte sie da und starrte den Toten an. … Und konnte sich nur noch der dunklen Leere überlassen.

Irgendwann rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie hier nicht so sitzen bleiben konnte. Sie konnte nichts mehr für ihn tun. Und sie war schließlich auch nicht alleine. Asrar war immer noch draußen bei ihrem Pferd, alleine. Eilig wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und stand wieder auf. Schwer atmend und mit wild klopfendem Herzen ging sie suchend durch den gesamten Eingangsbereich. Wenn Achaz hier gewesen war, dann war Kieran mit Sicherheit auch nicht weit weg. Aber so sehr sie sich auch anstrengte jemanden erkennen zu können, sie fand ihn nicht. Sie überlegte kurz, was er angehabt hatte, als er fort geritten war. Aber Kieran bevorzugte stets die Farbe Schwarz. Er hatte schlichte, schwarze Sachen angehabt. Im Grunde konnte es jeder von ihnen hier sein! Unwillig schüttelte sie den Kopf, als ihr die Erkenntnis kam, dass sie unmöglich noch herausfinden würde, wer von all den Toten hier Kieran war! Und diese Unsicherheit nicht herausfinden zu können, wer hier wohl Kieran war, machte sie ganz schwindelig, machte, dass ihr Herz stolperte und raste, machte sie atemlos, bis sie kaum noch Luft bekam, und sich immer weitere, dickere Tränen ihren Weg bahnten.

Erst als sie von draußen das ungeduldige Schnauben ihres Pferdes hörte, löste sie sich aus ihrer erschrocken, verzweifelten Erstarrung. Eilig ging sie wieder zu Achaz hinüber und zog seinen Körper mit sich nach draußen auf den Hof. Sie wollte ihn nicht einfach so liegen lassen. Sie konnte ihn doch nicht einfach so hier lassen! Sie konnte auch Kieran nicht einfach … Emily musste sich zwingen tief Luft zu holen. Sie musste Achaz beerdigen. Wenigstens das wollte sie noch für ihn tun können!

Eine Bewegung auf dem Hof ließ sie zusammenzucken. Blitzschnell griff sie nach ihrem Messer, das sie im Gürtel steckten hatte, und drehte sich mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung um. Männer liefen mit langsamen Schritten über den Hof. Ihre Köpfe wanderten ungläubig und suchend hin und her. Einer von ihnen schaute direkt zu ihr hinüber und sagte etwas zu den anderen. Mit Entsetzen sah Emily, wie sie sich ihr näherten, und sie hob automatisch die Hand, die ihr Messer hielt, ein wenig höher, wie um ihnen zu zeigen, dass sie nicht unbewaffnet und wehrlos war. Aber statt des erwarteten Angriffs verneigte sich einer nach dem anderen unterwürfig vor ihr.

„Sayyidda!“, wurde sie angesprochen. Man hatte sie erkannt. Erleichtert atmete sie auf und musste bitter schlucken. Jetzt erkannte sie auch anhand ihrer Kleidung und an den langen, gebogenen Stäben, die sie bei sich trugen, dass es sich bei den Männern um Hirten handeln musste! Kein Grund also in Panik zu geraten! Aber sie sprach die Männer nicht ihrerseits an. Sie scheute sich noch immer, die Sprach der Südländer zu sprechen. So lange Zeit sie auch hier in diesem Land, und mit Kieran und seinem Vater schon verbracht hatte, so wenig sicher war sie im Sprechen der Sprache. Sie konnte sie mittlerweile verstehen, aber das Sprechen fiel ihr einfach noch immer schwer. Sie starrte nur weiterhin die Männer an, die sich langsam erhoben und sie ihrerseits ansahen. Die Furcht und Verwirrung in Emilys Augen verriet ihnen, dass sie keine Ahnung davon hatte, was sich hier abgespielt haben könnte. Wieder wurde sie angesprochen. Aber der Dialekt, den sie sprachen war ihr nicht unbedingt geläufig. Sie verstand nur ganz vereinzelte Worte. Das Wort Sayyid Az-Hchal war gefallen. Es klang wie eine Frage und sie sah zu dem Leichnam hinter ihr auf dem Boden. Die Bestürzung, die die Männer regelrecht anfiel, sagte ihr, dass sie getreue Diener Achaz waren. Und sie begriffen, was diese Frau vor ihnen gerade getan hatte. Sie traten an Emily vorbei und nahmen den toten Körper vorsichtig auf, um ihn quer über den Hof zu tragen, zu einer Ecke, an dem die Verwüstung, die hier um sich gegriffen hatte, nicht so unmittelbar zu erkennen war.

Eilig machten sich zwei der Männer daran jedes noch brauchbare Stückchen Holz, das sie finden konnten, zusammenzutragen, während ein anderer all das Holz zu einem Scheiterhaufen aufstapelte und bestürzte Worte murmelte, die für Emily wie ein Gebet klangen. Sie verstand, dass die Männer dabei waren, Achaz die letzten Ehren nach den Gebräuchen ihres Landes zukommen zulassen.

Erst nachdem die Flammen hoch aufloderten, und den ihnen überlassenen, toten Körper vollständig eingehüllt hatten, sprach sie wieder einer der Männer an. Emily verstand nicht, was er sagte. Sie war noch zu sehr benommen von den ganzen Vorkommnissen der letzten, ewig lange dauernden Augenblicke. Sie wischte sich schniefend die heißen Tränen aus den Augen, um den Mann ansehen zu können. Er sprach in einem sehr beruhigenden Ton auf sie ein, doch sie verstand nicht wirklich, was er ihr sagte. Bis sie aus seinen Worten den Namen Kieran heraushörte!

„Kieran?“, fragte sie hellhörig und erneut schossen ihr Tränen über die Wangen. Aber der Mann lächelte sie leicht verunglückt an, schüttelte vorsichtig den Kopf und deutete mit einer ausholenden Armbewegung hinaus aus dem Hof in Richtung Stadt, und sagte immer wieder etwas, in dem immer wieder Kieran zu hören war. Emily verstand ihn noch immer nicht und bedeutete ihm das ihrerseits mit einem Kopfschütteln. Der Mann fasste sie sanft an der Schulter und zog sie hinter sich her zum Palasttor und deutete dann wieder in die zuvor schon angegebene Richtung. Ganz allmählich verstand sie, was er ihr mitteilen wollte. Kieran war nicht hier gewesen! Er war woanders gewesen, als hier alles in Flammen stand. Der Mann sah sie eindringlich an. Und Emily begriff plötzlich. Eilig holte sie ihr Pferd und kam zu ihm zurück. Er schien auf sie zu warten. Der Mann nickte kurz den anderen Männern zu, stimmte sich stumm nickend mit ihnen ab, und führte sie dann durch die endlosen Gassen der Stadt, hinaus durch das kleine Hintertor in der Stadtmauer und deutete dann in die Ferne.

„Bahi-Dun.“, war alles was sie verstand, als er ihr etwas erklären wollte. Dann verneigte er sich höflich, drehte sich wieder um und ging davon.

Emily hatte verstanden! Sie wusste zwar nicht, wie weit weg Bahi-Dun lag, aber sie würde es herausfinden! Kieran hatte damals den weiten Weg von Bahi-Dun nach Gibal hinter sich gebracht, um sie zu retten. Vage konnte sie sich daran erinnern, dass er von einer Ewigkeit als Zeitangabe gesprochen hatte. Aber ihr selber war es eine Ewigkeit lang vorgekommen, als man sie nach Gibal verschleppt hatte. Wenn sie diese Ewigkeit von Kierans Ewigkeit abzog … nun, was würde sich dann für ein Zeitraum ergeben? Müßig darüber nachzudenken! Sie stieg auf ihr Pferd, band sich den kleinen Jungen wieder fest um, der sie artig mit großen Augen anlächelte, und ritt einfach drauflos!

Sehr früh am nächsten Morgen war Dakun in der zerstörten Stadt angekommen. Der Schein eines noch hoch auflodernden Feuers hatte ihn weiter ins Stadtinnere getrieben. Suchend blickte er sich um, fand aber nicht wonach er suchte. Zum Glück! Aber er fragte sich, was hier passiert war. Eine solche Zerstörung war eine offene Kriegserklärung! Und das Feuer sagte ihm, dass noch nicht viel Zeit vergangen war, seit man es angezündet hatte. Aber er hatte keine Truppen erkennen können. Die nächst gelegene Stadt war Hal-Abun im Norden Al-Alefs. Er hätte irgendetwas in der Steppe nördlich der Stadt sehen müssen, bevor er die Stadtmauern Al-Alefs erreicht hatte. Aber er hatte nichts, rein gar nichts erkennen können, was ihm Truppenaktivitäten verraten hätte.

Zügig durchritt er die Stadt. Nur kurz hielt er am Palast an, um sich mit einem schnellen Blick zu vergewissern, dass Emily nicht hier war. Sie war mit ihrem Pferd unterwegs. Das konnte man nicht einfach verstecken! Er hätte es gesehen! Sie besaß genügend gesunden Menschenverstand, um sich hier nicht länger aufzuhalten. Aber wohin war sie geritten? Er trieb sein Pferd immer weiter vorwärts, zum Westende der Stadt und zum Tor hinaus. Aber auch hier war weit und breit nichts zu sehen.

Und dennoch …. Er würde weiter nach Westen reiten. Er gab seinem Pferd die Sporen, aber das Tier kam nach dem langen, schnellen Ritt, den er ihm aufgebürdet hatte, nur noch sehr langsam in die Gänge. Er musste zugeben, dass er schon früher die Pferde aus der Zucht von Az-Hchal bewundert hatte, die Pferde, die Kieran und sein Vater gezüchtet hatten waren sehr viel härter, sehr viel kleiner zwar, weswegen er sie immer belächelt hatte, aber sehr viel ausdauernder. Er würde mit seinem Pferd nicht mehr weit kommen, wenn er ihm nicht eine Ruhepause gönnte. Fluchend saß er ab und führte das Pferd zurück zur Stadtmauer. Er würde sich nach Wasser umsehen müssen, bevor er weiter konnte. Ihm fiel der Stadtbrunnen auf dem Marktplatz ein, und lenkte seine Schritte in diese Richtung.

Er hatte sich im Schatten des Brunnens nieder gelassen und hatte noch gar nicht so lange dort verweilt, als er in der aufgehenden Sonne im Osten eine Bewegung gewahr wurde, die auf ihn zuhielt. Kampfbereit griff er nach seinem Messer an seiner linken Seite und nach dem Dolch zu seiner Rechten, und hockte sich unauffällig hin, um dem Ankommenden nicht zu verraten, dass er ihn gesehen hatte, und mit einer Bewegung auf den Füßen wäre, um ihn seinerseits anzugreifen, wenn es von Nöten wäre.

Aber der Ankömmling sprach ihn erleichtert an.

„Dakun! Endlich!“ Damaso ritt in einem Bogen aus dem Sonnenlicht heraus, damit Dakun ihn erkennen konnte.

„Damaso?“ Dakun schien fast überrascht ihn hier zu sehen. Er nickte dem Halbelben zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich tatsächlich auf den Weg machen würdest. Aber trotzdem: Schön dich zu sehen!“

„Hast du schon was entdecken können?“, fragte Damaso ohne Umschweife.

„Sie ist nicht hier.“, entgegnete er ihm knapp.

„Was ist mit Kieran und Markward? Hast du einen von ihnen gefunden?“, bohrte Damaso weiter.

„Nein.“ Dakun erhob sich und sah sich um. „Bei all dieser Zerstörung hier … glaubst du wirklich, dass hier noch jemand lebt? In suche sie, sonst keinen mehr!“

Damaso sah Dakun an, aber erwiderte nichts darauf. Er schluckte nur schwer. Dakun hatte recht! Es würde vielleicht Tage dauern, bis sie unter all den Toten Kieran und Markward herausgefunden hätten. Aber was hätte es ihnen genutzt? Nein, sie mussten Emily finden. Das war jetzt wohl wichtiger.

„Aber wo könnte sie sein, wenn sie nicht hier ist?“, fragte Damaso nach einer Weile.

Dakun sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Wer von uns kennt sie wohl besser? Du oder ich?“, fragte er.

„Ich denke: Du!“ Damaso sah in fest an. Er musste sich eingestehen, dass er zwar viel Zeit mit ihr verbracht hatte, aber eigentlich nicht viel über das Mädchen aus dem Norden wusste. Nicht genug, um zu wissen, was in ihr vorgehen mochte, nachdem sie all das hier gesehen hatte. Er schüttelte betreten den Kopf und sah sich ebenfalls um.

„Sie wird weiter geritten sein. Da sie uns nicht entgegen gekommen ist, wird sie nach Norden, oder was ich für wahrscheinlicher halte, nach Westen unterwegs sein.“, erklärte ihm Dakun.

„Was für einen Grund sollte sie haben, einfach weiter zureiten?“ Damaso schüttelte schon wieder den Kopf. Nein, das machte für ihn keinen Sinn!

„Vielleicht hat sie hier nicht gefunden, wonach sie gesucht hat?“, gab Dakun gereizt zurück.

„Und woher willst du wissen, dass sie überhaupt weiter geritten ist? Vielleicht ist sie noch hier irgendwo und braucht unsere Hilfe, vielleicht ist sie verletzt …!“, begann Damaso und wurde von Dakun rüde unterbrochen.

„Oder vielleicht tot!“, schnaubte er. „Nein“, sagte er dann aber sofort und sah Damaso an. „Nein, sie ist nicht hier! Sie ist stark und sie ist eine Magierin. Sie wird sich nicht so leicht töten lassen! Und sie hat die Gabe zu Heilen!“

„Dann sollten wir uns sofort auf den Weg machen!“ Damaso sah ihn auffordernd an.

Dakun verstand die Anspielung, schüttelte aber leicht den Kopf.

„Mein Pferd braucht eine Pause!“, gab er zu. „Aber während du die Pferde tränkst, werde ich mich draußen vor der Stadt umsehen. Vielleicht kann ich irgendetwas erkennen!“, sagte Dakun und wandte sich zum Gehen um.

Er erreichte das westliche Stadttor und spähte hinaus in die dahinter liegende Steppe, die sich am fernen Horizont langsam, aber stetig zur Wüste wandelte. Aber nichts Außergewöhnliches war zu sehen. Keine Spur, die ihm etwas verraten hätte. Er ging mit langen Schritten Richtung Nordosten um die Stadt herum. Dass sie in Richtung Süden unterwegs war, war mehr als unwahrscheinlich. Im Süden gab es monatelang gar nichts! Nein, sie war bestimmt auf den Weg in einer der umliegenden Städte, um irgendetwas herauszufinden. Lange Zeit blickte er nach Norden, in Richtung der Stadt Hal-Abun. Es wäre die nahe liegendste Stadt. Aber er wusste auch, was ihr damals in Hal-Abun auf dem Sklavenmarkt widerfahren war. Nein, freiwillig würde sie nicht dorthin zurückkehren. Sie hatte noch immer Angst vor den Bewohnern dieser Stadt.

„Nichts.“, sagte er auf Damasos fragenden Blick hin, als Dakun wieder zu ihm zurückkam. „Wir brechen trotzdem Richtung Westen auf.“, entschied er.

Irgendwann verlor die Zeit an Bedeutung. Nicht, dass sie es nicht eilig gehabt hätte, aber Emily wusste irgendwann nicht mehr, wie lange sie schon unterwegs war, als sie an diesem Mittag Rast machte, um Asrar zu versorgen. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, seit sie aus Al-Alef fort geritten war. Vielleicht war es ein Fehler gewesen alleine zu reiten. Aber Damaso hätte es ihr niemals erlaubt, dass wusste sie. Und sie hätte es sich niemals verziehen, sich nicht auf die Suche nach Kieran gemacht zu haben. Es half nichts. Sie konnte nur hoffen, dass die nächste Oase nicht mehr weit entfernt war. Sie hatte aus der letzten Oase mitgenommen, was immer sie an Proviant, und vor allem an Wasser mit sich nehmen konnte, aber diese Vorräte waren fast aufgebraucht. Sie würden vielleicht noch zwei oder drei Tage halten. Nicht mehr! Sie fragte sich wie lange sie Asrar noch stillen konnte. Sie fühlte sich total ausgemergelt, einfach schrecklich!

„Nein.“, sagte sie sehr leise, aber entschieden, und sah Asrar in ihren Armen an. „Wir müssen weiter, mein Kleiner. Wir werden deinen Vater finden und ihn zurückholen!“

Als die Sonne sich langsam senkte, begann sie das improvisierte Zelt wieder abzubauen und ihr Pferd zu bepacken. Sie würde, wie die letzten Nächte auch, bis zum Morgengrauen und weiter, bis zum nächsten Mittag, einfach weiter reiten. Irgendwann würde sie schon irgendwo ankommen. Hoffentlich!

Tatsächlich kam sie zwei Tage später an eine weitere Oase an. Emily konnte ihr Glück kaum fassen und weinte in ihrer Verzweiflung leise Tränen der Erleichterung. Sie machte an diesem Tag lange Rast, bevor sie spät abends mit neuem Proviant wieder weiter ritt. Sie war erschöpft!

Nach ewigen Tagen gelangten Dakun und Damaso mürrisch, und von der unbarmherzigen Sonne gepeinigt, an einer Oase an. Schnell stellten sie fest, dass kurz zuvor schon jemand hier gewesen sein musste. Deutlich konnten sie an den Palmen abgerissene Blätter erkennen, die daraufhin schließen ließen, dass hier jemand Datteln gepflückt hatte. Damaso grinste, als ihm die Erinnerung an ihren ersten gemeinsamen Wüstenritt kam.

„Sie war hier.“, nickte er hoch zufrieden und besah sich die kleine Frucht in seinen Händen, die er von einem der Bäume gepflückt hatte. „Sie war hier! Wir sind auf dem richtigen Weg!“

„Deine Zuversicht beruhigt mich!“, knurrte Dakun, aber eigentlich wusste er nicht, warum sich Damaso da so sicher war. Er ließ es auf sich beruhen. Damasos Gesichtsausdruck verriet mehr, als Dakun im Moment verstand. Aber das wollte er jetzt nicht zugeben.

„Aber sie weiß, was gut ist.“, stellte Damaso skeptisch fest und spuckte die Dattel wieder aus, die er gerade probiert hatte, und sah nach oben in die Bäume. „Sie hat uns nur die unreifen da gelassen.“

„Dann wird es ja wohl Zeit, dass du endlich das Jagen lernst!“, spottete Dakun und hielt ihm ein echsenähnliches Tier unter. Damaso rümpfte angewidert die Nase. „Brauchst es ja nicht zu essen. Aber ich werde heute satt werden!“, stellte Dakun fest und machte sich bereits daran ein Feuer zu entzünden.

Nach dem Essen gönnten sie sich und den Pferde eine etwas längere Pause, als an den Tagen zuvor, bevor sie abends wieder aufsaßen und ihren Weg fortsetzten.

Die zweite Oase, die sie erreichten bot ihnen das gleiche Bild. Dakun nickte besorgt.

„Wenn sie nicht mehr hier ist“, stellte er fest, „dann ist sie bereits in Bahi-Dun. Es ist nur ein knapper Tagesritt von hier aus.“ Alarmiert sah er Damaso an. Auch er wusste, was das bedeutete! „Wir können nicht lange hier bleiben. Wir sollten zusehen, dass wir noch etwas an Proviant zusammensuchen und sofort wieder aufbrechen!“ Damaso war schon dabei die Dattelpalmen zu untersuchen. Dakun stand unbewegt da und schaute Richtung Norden. Etwas schien ihn zu beunruhigen. „Scheiße!“, fluchte er vor sich hin. „Wir können nicht weiter!“, sagte er in einem fast schon zu ruhigem Ton zu Damaso. Er sah ihn an.

„Was? Warum nicht?“, wollte Damaso wissen. Dakun wandte sich um und deutete knapp mit dem Kopf hinter sich. „Es kommt ein Sandsturm auf uns zu!“

Emily war dankbar für ihr beigefarbenes, golddurchwirktes Kleid, was sie von ihrem Schwiegervater bekommen hatte. Damit war sie in der Wüste so gut wie unsichtbar. Auch ihr Pferd tat sein übriges mit seiner außergewöhnlichen Fellfarbe wie Wüstensand dazu, damit sie unbemerkt, aber trotzdem schnell am Tage vorankam. So war sie in Bahi-Dun angekommen, ohne dass irgendjemand auf sie aufmerksam geworden war. Sie hatte Fesherra in der Wüste vor der Stadt laufen gelassen. Sie vertraute dem klugen Tier, dass es zu ihr zurückkommen würde, wenn sie nach ihrer Stute rief. Trotzdem vermied sie es allzu öffentlich durch die Stadt zu laufen. Sie nutzte jede Gelegenheit zur Deckung aus, ohne dass man es ihr als eben solche anmerken konnte, und sie sich allein dadurch verdächtig gemacht hätte. Ihr Seidenschal, den sie wieder als Schleier um den Kopf trug, verhinderte neugierige Blick der Passanten. Sie war eine Bewohnerin der Stadt. Nicht unbedingt eine, die sich oft sehen ließ, aber das störte niemanden. Sie fiel einfach nicht auf! Gründlich sah sie sich in der Stadt um und versuchte sich die einzelnen Gassen und Häuser zu merken. Zwar hatte sie den Hirten nicht verstanden; sie wusste nicht, ob Kieran sich hier in Gefangenschaft befand oder nicht. Aber da sie hier in Bahi-Dun war, war eben genau das für sie am wahrscheinlichsten. Also suchte sie in den Gassen weiter nach einem großen Palast und nach Gebäuden, die ihr verrieten, wo man hier Gauner und Diebe und sonstige Verbrecher gefangen hielt. Kieran würde mit Sicherheit dort sein!

Sie musste nicht allzu lange suchen. Sie betrat durch einen schmalen Seiteneingang unbemerkt einen großen Innenhof und sah sofort mit einem Blick die Treppe, die nach unten, unterhalb eines Gebäudes führte. Dort würde sie ihre Suche anfangen.

In sicherem Abstand zu den vereinzelten Wachen, die aufgrund der heißen Mittagssonne nicht unbedingt sehr wachsam waren, gelangte sie zu der Treppe und huschte sie leise hinunter. Glücklicherweise ließ sich die schwere Eingangstür leicht, und ohne Geräusche zu verursachen, öffnen. Lautlos schob sie sich in den dahinter liegenden Gang und hielt die Luft an, um besser in die dunkle Stille hinein zu horchen, die sie hier unten umfing. Als sie sicher war, dass sie hier nichts ungewöhnlicheres, als das schwere Atmen einzelner Menschen in ihren Zellen hören konnte, begann sie ihre Suche. Zelle für Zelle schritt sie im Gang ab, immer vorwärts und sich auch umblickend, dass sie ja nicht von plötzlich auftauchenden Wachen überrascht wurde, bis sie schließlich an einer Zelle ankam, in der sie ein vertrautes Gesicht wahrnahm. Aber der Mann schien sie gar nicht bemerkt zu haben. Erst als sie das Schloss an der Zellentür mithilfe ihres Messers mit einem leisen Knacken aufgebrochen hatte, und mit zwei schnellen Schritten bei ihm war, sah er auf und ihr direkt mit großem Erstaunen in die Augen.

„Emily!“, flüsterte er aufgeregt, und sah sich nervös um. „Was tust du hier?“

Emily war gerade dabei seine Handschellen aufzubrechen.

„Euch retten!“, flüsterte sie ebenso leise nur knapp zurück und lächelte ihn an. Ein leises Geräusch verriet ihm, dass sie es geschafft hatte ihn von den Handschellen zu befreien. Schnell griff er ihr mit beiden Händen in den Nacken und zog sie stürmisch zu sich heran, um ihr einen dicken Kuss auf den Mund zu drücken.

„Oh, Emily! Dafür liebe ich dich! Aber dein Mann ist nicht hier. Kieran konnte fliehen!“, zischte Markward ihr atemlos leise zu. Noch während Emily Markward mit großen Augen ansah und gerade wieder nicht klar denken konnte, konnten sie immer deutlicher ein dunkles Grollen hören, das geradewegs aus den Tiefen der Erde zu kommen schien. Ein heftiges Rauschen und das Brechen erster einzelner Steine wurden laut. Dann toste plötzlich ein gewaltiger Sturm über der Festung, der alles nieder walzte, die Grundfeste des Palastes erschütterte und ihnen den Boden unter den Füßen weg riss. Markward stürzte zu Boden. Emily kauerte sich schnell schützend über ihn und versuchte mit all ihrer Magie sie beide vor der beginnenden Zerstörung zu schützen.

Kieran war sich nicht sicher gewesen, ob er es riskieren konnte, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Der Trupp Reiter, der hinter ihm her war, würde ihn bald eingeholt haben. Und sie würden ihn jagen, egal wie lange und egal wohin. Er konnte entweder auf sein Glück und Geschick in der Nacht vertrauen, wenn er sich unbemerkt an den einen oder anderen anschleichen konnte, oder gleich hier und gleich jetzt dafür sorgen, dass gar niemand mehr in Bahi-Dun auf die Idee kam sich mit ihm anzulegen. Allerdings befand sich Markward noch immer in Gefangenschaft. Er hatte es nicht geschafft. Und er hatte ihm nicht unmittelbar helfen können.

Er wusste, dass er wahrscheinlich auch seinen Freund nun töten würde, aber er vertraute darauf, dass er sich irgendwie zu schützen wissen würde.

„Verzeih mir, mein Freund!“, sagte er dennoch traurig in die Wüste hinein. Er verharrte kurz und ließ seinen Blick sinken. Genauso gut konnte es sein, dass er nun Markward opfern würde. Aber sein Opfer würde nicht umsonst gewesen sein. Das was Kieran jetzt vorhatte, würde dafür sorgen, dass der Krieg, der vor so vielen Monaten angefangen hatte, jetzt einen endgültigen Abschluss fand, dass es niemand mehr wagen würde, sich mit ihm anzulegen. Trotzdem schluckte er schwer, als er noch einmal an seinen Freund zurückdachte. Dann schloss er die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Seine Hände, die er locker an seinen Seiten herunterhängen ließ, versuchten immer wieder etwas zu greifen, was nicht da war. Erst als sich ein leichter Wind rings um ihn erhob, ballte er seine Fäuste fest zusammen, wie um den Wind in eine feste Form zu pressen und stieß dann mit einem Aufschrei seine Hände geöffnet nach vorn. Der Wind verwandelte sich in einen Sturm, der die Wüste vor ihm aufpeitschte und dann als ein Tornado tosend auf die Stadt zu hielt. Kieran versuchte den Sturm lange aufrecht zu erhalten, aber er merkte bereits, dass er schwächer wurde. Sein Atem ging viel schneller, als ihm lieb war.

Reiß dich zusammen, schalt er sich selber, als schon wieder Zweifel in ihm hochkamen. Nur noch einen Augenblick, einen Augenblick. Einen Augenblick lang noch wollte er aushalten. Aber seine Beine wurden gefährlich schwach und trugen ihn schließlich nicht mehr. Er musste sich hinknien. Aber er gestattete sich nicht einfach zusammenzubrechen. Auch wenn es noch so Kräfte raubend war, was er tat.

Dann endlich nahm er seine Arme wieder runter und atmete schwerfällig tief durch, während er sich in den Sand setzte. Er schloss wieder die Augen und konnte den Wind noch immer spüren. Und was er in der Ferne, in Bahi-Dun anrichtete. Eine Zerstörung nie gekannten Ausmaßes. Zufrieden nickte er, obwohl er gleichzeitig mit Wehmut an Markward denken musste.

Nach einer ganzen Weile pfiff er nach seinem Pferd. Es dauerte lange bis er den schwarzen Umriss seiner Stute am Horizont sah. Aber er sah auch noch zwei weitere Umrisse, die ebenfalls näher kamen. Kieran straffte sich automatisch. Er wünschte, er hätte seine Waffen gehabt, aber natürlich hatte man sie ihm abgenommen, als er und Markward in die Falle getappt und gefangen genommen worden waren.

„Also schön!“, sagte er leise und konzentrierte sich bereits wieder, obwohl sein Atem noch immer raste, dass er fast keine Luft bekam. Ganz ruhig, reiß dich zusammen!, sagte er sich wieder. Wer immer dort kam, er würde nicht vollkommen unbewaffnet dastehen! Immerhin war er ein Magier. Jawohl, einer der wenigen, die es überhaupt noch gab. Und er würde sich nicht einfach so töten lassen. Von nichts und niemanden!

Nach einer Weile waren die beiden Reiter näher gekommen. Auch sein eigenes Pferd schien sich nicht an die Reiter zu stören, sondern galoppierte im lockeren Tempo einfach weiter. Kieran zog verwundert die Stirn in Falten. Jetzt war er gespannt, wer da ankam!

Er stand noch immer mit dem Ausdruck von Erstaunen da, als die Reiter längst heran gekommen waren und ihre Pferde direkt vor ihm anhielten.

„Kieran!“, begrüßte Damaso seinen Freund stürmisch und ließ sich regelrecht vom Pferd fallen, um ihn zu umarmen. „Ich habe gewusst, dass du das warst und nicht ein gewöhnlicher Sandsturm! Schön dich zu sehen!“ Damaso war wirklich erleichtert. Kieran rührte sich nicht. Er konnte es gar nicht. Er war viel zu erstaunt darüber, ausgerechnet Damaso und Dakun hier vorzufinden.

Kieran sah lange von einem zum anderen, bevor er dann endlich lauernd fragen konnte:

„Wo ist Emily?“, und dabei seinen besten Freund mehr als durchdringend ansah. „Wo ist Emily?“, fragte er dann direkt noch einmal, sehr langsam und betont, als er nicht direkt eine Antwort bekam. „Damaso, du solltest …!“

„Sie ist ihm ausgerissen!“, mischte sich Dakun ein, der Kierans Blick, den er Damaso zuwarf, sah.

„Sie ist … was?“, fragte Kieran ungläubig.

„Auf der Suche nach dir!“, bestätigte Dakun ihm seine Worte.

„Wo ist sie?“ Kieran schrie Damaso fast an.

„In Bahi-Dun.“, sagte Damaso fast schon schüchtern. Kierans Blick drückte plötzlich mehr als nur schiere Wut aus, als Damaso ihn entschuldigend ansah. „Kieran, es tut mir …!“ Er kam gar nicht mehr dazu seinen Satz zu vervollständigen. Mordlüstern stürzte sich Kieran auf ihn und hatte ihn mit wenigen schnellen Griffen kampfunfähig gepackt und drehte ihm gerade das Genick unmöglich weit herum, als sich endlich Dakun in die Rauferei einmischte und Kieran davon abhielt seinem Freund einfach das Genick zu brechen.

„Beruhige dich, Kleiner!“, herrschte er ihn an und riss ihn an den Schultern herum, womit sich auch sein Griff an Damasos Genick lockerte, so dass der sich schnell wieder befreien konnte.

Mit einem wütenden Aufschrei fuhr Kieran herum und verpasste dem um einiges größeren Dakun mit unglaublich schnellen, wirbelnden Bewegungen einige Schläge, so dass er fast sofort zu Boden ging, und auch er sich in Kierans Schwitzkasten wieder fand. Ein Knirschen in seinem Genick sagte ihm, dass er diesen kleinen Südländer bislang immer tüchtig unterschätzt hatte.

„Kieran!“, keuchte er mühsam. „Verdammt … Kieran!“

Kieran sah ihn nur mit einem eiskalten Blick an, der verriet, dass er ihm jetzt ohne weiteres das Genick brechen könnte. Aber er ließ Dakun abrupt los. Kieran wandte sich wütend von den beiden ab und fuhr sich verzweifelt mit den Händen durch die Haare.

„VEFLUCHT!“, brüllte er lautstark gen Himmel, als er sich wieder zu Damaso und Dakun umdrehte. „Nenn mich nie wieder Kleiner!“, herrschte er Dakun an. „Und du, überlege dir jetzt sehr genau, was du sagst!“ Damit zeigte er auf Damaso. „Weißt du eigentlich was gerade passiert ist?“ Kieran sah Damaso sehr eindringlich an. Er brauchte eine Weile, um klar denken zu können. Nie zuvor hatte er seinen Freund dermaßen mordlüstern erlebt!

Aber Kieran wartete seine Antwort erst gar nicht ab.

„Es gibt kein Bahi-Dun mehr!“, schrie ihn Kieran aufgebracht entgegen. „Ich habe es gerade vernichtet! Du verfluchter Idiot! Du solltest auf sie aufpassen. Das hätte niemals passieren dürfen!“ Kierans Stimme überschlug sich fast, bevor sie drohte ihm ihren Dienst zu verweigern. Er kniff die Augen zusammen, um gegen Tränen anzukämpfen, und musste schwer schlucken. Wieder fuhr er sich verzweifelt mit den Händen durch die Haare und sackte plötzlich kraftlos in die Knie. „Ich habe gerade meine Frau umgebracht!“, klagte er laut verzweifelt, aber es war schon mehr an sich selbst gerichtet, als gegen seinen Freund.

Eine ganze Weile verging, in der mehr als nur betretenes Schweigen herrschte. Ungläubigkeit und Verzweiflung standen allen drei Männern nur zu deutlich ins Gesicht geschrieben. Dakun war der Erste, der sich dann irgendwann wieder gefangen hatte.

„Wir sollten nach ihr suchen!“, sagte er leise und sammelte noch immer träge benommen die Pferde wieder ein. Er übergab Damaso die Zügel ihrer beider Pferde und ging mit Kierans Stute am Zügel zu ihm hinüber. Schwer legte er eine Hand auf Kierans Schulter und hielt ihm mit der anderen die Zügel hin. „Komm schon.“, forderte er ihn leise mitfühlend auf und sah auf ihn nieder. Kieran schluckte, als er schwerfällig wieder aufstand, und vermied es seinem Blick zu begegnen. Er fühlte sich so sterbenselend - er hätte am liebsten laut losgeheult, geschrieen, getobt, gewütet! Aber bestimmt nicht hier! Nicht vor Dakun!

Noch immer mordlüstern entriss er unwirsch Dakun die Zügel und saß auf. Er wartete nicht auf die beiden, bis sie soweit waren, sondern trieb sein Pferd im schnellen Galopp in Richtung Bahi-Dun voran.

Sohn des Windes

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