Читать книгу Sohn des Windes - K. Will - Страница 6
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Оглавление„Kann mir irgendeiner erklären, was zum Teufel eigentlich schief gelaufen ist?“ Kieran brach das Schweigen, das sie alle während des Abendessens bewahrt hatten. Aber sie hatten sich wieder in Kierans Kabine versammelt, statt jeder in seine eigene zu gehen, um sich hinzulegen und ein wenig auszuruhen. Ruhe würden sie hier auf dem Schiff noch genug haben.
Kieran stand an der Wand gelehnt da und starrte böse nachdenklich ins Leere.
„Eigentlich nur, dass Hakkar nicht in Bahi-Dun war, als du den Sturm losgelassen hast!“, stellte Markward unumstößlich und schlicht fest.
„Aber wo hat er die Streitmacht her, von der Haza gesprochen hat?“, wollte Damaso wissen.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Stadt nur so von Soldaten gewimmelt hat.“, sagte Markward und zuckte kopfschüttelnd die Achseln.
„Er hat einen Begleiter.“, überlegte Kieran sehr nachdenklich und leise.
„Er hat was?“, horchte Markward verwirrt nach. Aber Dakun hatte sich von seinem Platz erhoben und fing an im Zimmer auf und ab zu laufen.
„Er hat einen Begleiter.“, wiederholte er noch einmal an Kierans statt. „Haza sagte genau das.“ Er sah zu Kieran hinüber. Kieran sah auf.
„Und wer ist er?“, fragte er.
Dakun schüttelte aber den Kopf.
„Das habe ich nicht herausfinden können.“
„Dann sind das seine Soldaten, die vor den Toren Sa-Lhams stehen?“, fragte Kieran.
„Gut möglich.“, mutmaßte auch Dakun.
„Habt ihr was über den Angriff auf Al-Alef herausfinden können?“, bohrte Kieran weiter nach.
„Es sollen Reiter aus dem Südwesten gewesen sein!“, erklärte Damaso.
„Aus Bahi-Dun!“, stellte Kieran richtig. Es gab sonst keine andere Stadt im Südwesten Al-Alefs. „Aber warum? Warum haben sie Al-Alef niedergebrannt?“
„Weil es der Hauptsitz deines Vaters war!“, stellte Dakun trocken fest. „Ohne ihn bist du eine leichtere Beute für einen Abtrünnigen, der darauf aus ist die Grenzen seines eigenen Reiches auszuweiten.“
Doch Kieran schüttelte widerwillig den Kopf.
„Ich habe Fürst Hakkar kennen gelernt. Er schien mir nicht unbedingt dermaßen hinterhältig zu sein.“
„Vielleicht solltest du mal endlich aufhören, allen Menschen nur gute Absichten zu unterstellen.“ Dakun sah ihm in die Augen. Er trat näher an ihn heran, um etwas leiser, damit es nicht unbedingt die anderen mitbekamen, weiter zusprechen. „Hör mal, Klei … Kieran, ich will dir ja keine Ratschläge erteilen, wie du dein Reich zu führen hast. Aber du wirst lernen müssen deine eigenen Interessen sehr viel rücksichtsloser durchzusetzen. Du zögerst und überlegst zu lange. Strenge und Disziplin brauchst du, wenn man dich achten soll. Du musst Stärke und Entschlossenheit zeigen, wenn du noch etwas länger Herrscher der südlichen Länder oder auch einfach nur am Leben bleiben willst.“
„Dann sag mir mal, warum wir jetzt auf der Flucht sind!“ Kieran sah ihm ebenfalls in die Augen. Und in ihnen lag eine ungesunde Wut.
Dakun ließ sich von dieser Anspielung gar nicht schrecken.
„Weil wir nicht zu viert gegen eine ganze Armee kämpfen können. Und nicht jeder von uns hat deine kämpferische Ausbildung.“ Dakun begann wieder auf und ab zu gehen. „Hakkar hat mit dir gebrochen, aus welchen Gründen auch immer, die spielen keine Rolle mehr. Er hat Al-Alef angegriffen, und dir damit offen den Krieg erklärt. Es ist jetzt an dir zurückzuschlagen. Die verbliebenen Truppen aus Al-Alef werden sich sammeln, sie werden dich weiterhin in der Stadt erwarten. Wenn sie gewusst haben, dass du dich ebenfalls in Al-Alef befunden hast, werden sie nicht nach Aldomark gehen, um dich aufzusuchen. Wie steht es mit Hal-Abun? Ist Fürst Abahn ein Bündnistreuer?“ Dakun sah in fragend an. Kieran nickte langsam. Ja, er hatte mit Abahn schon lange Gespräche geführt und sie waren einige Male zusammen auf der Jagd gewesen. Was politisch angefangen hatte, war freundschaftlich geendet. Er würde sich auf ihn verlassen können.
„Ja, und Sahir und Rah-Ashid ebenfalls.“
Dakun nickte zufrieden.
„Das wären vier Armeen, die dir in Reichweite zur Verfügung stünden. Wir sollten nicht über die alten Wege nach Meralda zurückkehren, sondern über den Grenzpass nach Hal-Abun!“
„Rah-Ashid braucht bestimmt zwei Monate, um hier zu sein!“, wandte Kieran ein. „Ich denke wir können nur mit Sahir, Abahn und den Truppen aus Al-Alef rechnen, wenn sie überhaupt noch existieren!“
„Aber Haza ist Hakkar auch nicht gerade zugetan. Und wenn ich das hier recht interpretiere, hat er Partei ergriffen – für dich!“, mischte sich Markward ein.
„Bislang war er aber immer neutral und hat sich allein durch sein diplomatisches Geschick aus allem heraushalten können!“, erinnerte Kieran. „Und er sagte selber, dass er keine Streitmacht hat, die es mit Hakkar aufnehmen könnte.“
„Aber er wird doch nicht alleine gegen Hakkar dastehen, wenn du alle Truppen zusammenziehen lässt!“ Markward verstand nicht, warum Kieran zweifelte.
„Ich will aber, dass seine eigenen Truppen ausschließlich Sa-Lham schützen und nicht offen in den Krieg ziehen. Ich will nichts riskieren. Und ich will keine unnötigen Opfer. Wenn, dann brauche ich eine sehr viel überlegenere Streitmacht. Und ich habe keine Ahnung, wie die Truppenstärken in Abu-Ghef und Hal-Abun aussehen. Außerdem ist Sha-Ha-Sin so gut wie führerlos. Und wenn Hakkar sich die Truppen dort zu Eigen gemacht hat, dann sieht das gar nicht gut für uns aus!“, überlegte Kieran grimmig.
„Und wenn es die Truppen aus Sha-Ha-Sin sind, die Hakkar da anführt? Viele eigene Männer dürfte er ja nach dem Sturm wohl nicht mehr haben!“ Damaso mischte sich auch endlich in die Diskussion ein. „Außerdem bist du ein Magier!“
„Du vergisst, wie Kräfte raubend ein solcher Zauber ist!“ Kieran sah ihn wenig begeistert an. „Außerdem ist das kein fairer Kampf!“
Dakun schnaubte verächtlich.
„Du hast einfach zu viel Skrupel!“
„Und du zu wenig!“, gab Kieran gereizt zurück.
„Ich hätte bereits kein eigenes Reich mehr, wenn es nicht so wäre!“, entgegnete Dakun ihm nicht minder gereizt. „Was bist du eigentlich? Ich dachte, du wärst ein Krieger!“
„Ein Kämpfer vielleicht, aber kein Kriegsherr!“, stellte Kieran richtig.
„Dann sollte wohl jemand anderes dein Reich führen!“, schnappte Dakun bissig.
Kieran verzog verächtlich das Gesicht. „Ach ja? Wer denn zum Beispiel?“
„Lass mich mal kurz überlegen, wer dir gerade nach deinem Titel trachtet …!“
„Idiot!“, zischte Kieran ihn sauer an.
„Dann triff endlich Entscheidungen und handele danach!“, raunte Dakun ihn an. „Es fängt mit Hakkar an. Wenn er Erfolg mit seinem Aufbegehren hat, kommen andere, die es ihm gleichtun. Die Bündnisse werden nach und nach zerfallen, und mit ihnen dein Reich. Mir kann es egal sein, wenn sich die einzelnen Stammesfürsten hier irgendwann wieder gegenseitig bekriegen. Ich werde dann in Gibal sein und mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern! Und jetzt entschuldigt mich, ich werde mich jetzt in meine eigene Kabine zurückziehen.“ Damit drehte sich Dakun um und ging einfach.
Markward tat es ihm mit einem Achselzucken und einem ergebenen Kopfnicken gleich.
Nur Damaso blieb noch eine kleine Weile.
„Du machst dir hauptsächlich wegen ihnen Sorgen.“, behauptete er.
Kieran nickte nur nachdenklich. Ja, es war so. Wenigstens Damaso hatte ihn verstanden.
„Ich will sie keiner Gefahr aussetzen müssen.“, gab Kieran kleinlaut zu.
„Ich kann dich gut verstehen. Es ist bestimmt nicht einfach eine solche Verantwortung tragen zu müssen. Und dabei geht es nicht mal um Emily, sondern um deinen Sohn! Er wird irgendwann an deiner Stelle stehen. Aber du hast bis dahin die Pflicht alles zu tun, damit der Frieden im Lande gewahrt bleibt.“ Damaso setzte sich direkt neben den schweigenden Kieran, der noch immer reglos an der Wand gelehnt, mit verschränkten Armen dastand. „Falls es ein Trost für dich ist: Ich glaube, dass einige Leute auf den Strassen erkannt haben, was ich wirklich bin, aber sie waren trotzdem alle ausnahmslos zuvorkommend und nett. Es wird ihr dort gut gehen.“
„Ich vermisse sie!“, seufzte Kieran und löste sich endlich von der Wand. Er ging träge zum Bett hinüber, um sich hinzulegen und verschränkte die Hände hinterm Kopf, während er weiter einfach nur an die Decke starrte.
„Ich doch auch.“, sagte Damaso leise. Er ging nachdenklich zur Tür hinüber, aber verharrte noch kurz, als Kieran ihn noch mal ansprach.
„Ich möchte, dass du dich um sie kümmerst, sollte mir mal was zustoßen.“ Er sah Damaso lange und fest in die Augen. Die steile Falte zwischen seinen Augenbrauen verriet Damaso, dass er sich ernsthafte Sorgen darum machte, was ihnen wohl bevorstand, und dass es vielleicht nicht gut ausgehen würde.
„Glaubst du ich wäre der richtige Mann dafür?“ Bislang hatte das mit dem Aufpassen wohl eher nicht so gut geklappt. Er konnte sie aufspüren. Er hatte sie aufgespürt. Als sie unbedacht ihre Magie eingesetzt hatte. Ja, das konnte er. Er war ein Sucher. Aber kein Krieger. Und schon gar niemand, der auf Emily aufpassen könnte. Eher könnte Emily auf ihn aufpassen!
Aber Kieran sah das anscheinend anders.
„Das denke ich allerdings!“ Er nickte ihm zu. Und Damaso nickte auch ihm zu, bevor er ging.
Sie erwachte träge aus einem dumpfen Traum. Langsam nur, sehr langsam wurde sie sich ihrer selbst wieder bewusst. Und damit kamen auch die Schmerzen. Ihr ganzer Körper fühlte sich zerschlagen an. Das Schlimme daran aber war, dass sie sich nicht erinnern konnte, warum. Was war passiert? Weswegen tat ihr alles weh? Und weswegen fühlte sie sich noch immer so entsetzlich müde, als hätte sie sich überanstrengt und nicht genug geschlafen? Müde schlug sie die Augen auf und blinzelte in die ungewohnte Helligkeit. Wo war sie? Sie konnte sich nicht erinnern diesen Raum, in dem sie sich befand, schon einmal gesehen zu haben.
Nachdenklich schaute sie sich um. Nein, der Raum hier war ihr nicht bekannt! Sie fuhr etwas verwirrt und leicht erschrocken in die Höhe. Eine Frau saß auf einem Schemel am anderen Ende des Raumes, nahe der Tür. Aber auch sie kam ihr nicht bekannt vor. Doch bevor sie reagieren konnte, tat die Frau es: Sie schnellte plötzlich mit einem erschrockenem „Oh!“ in die Höhe und war auch schon durch die Tür verschwunden!
Wenig später wurde die Tür wieder geöffnet und ein älterer Mann und eine Frau traten ein.
„Ausgerechnet jetzt!“, stöhnte der Mann. „Das hat jetzt noch gefehlt!“
„Vater!“, schalt die Frau ihn, und wandte sich dann der jungen Frau zu, die sie mit großen Augen fragend und ängstlich ansah. „Wie geht es Euch?“
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und zuckte nur mit den Achseln.
„Ich fühle mich müde.“
Die Frau lachte erstaunt auf. „Müde? Ihr habt tagelang geschlafen!“ Ein mehr als erstaunter Ausdruck verriet der etwas älteren Frau, dass die jüngere keine Ahnung hatte, wie viel Zeit vergangen war. „Es ist vier Tage her seit man Euch hergebracht hat. Vier Tage, die Ihr bewusstlos ward.“
„Bewusstlos? Warum?“, fragte sie nur verwirrt. Warum war sie bewusstlos gewesen? Was war passiert?
„Ihr wisst es nicht?“ Die Frau sah sie mitleidig an. Ein Kopfschütteln war alles an Antwort, was sie bekam. „Nun ich hatte gehofft, dass Ihr es wissen würdet. Ich habe nicht gerade viele Informationen über Euch erhalten! Nur, dass ich mich um Euch kümmern soll. Ihr könnt mir nicht sagen, was vorgefallen ist?“
Eine Weile herrschte betretenes, nachdenkliches Schweigen. Aber die jüngere der beiden Frauen schüttelte nur wieder den Kopf. Nein, sie hatte keine Ahnung! Sie hatte nicht mal eine Ahnung davon, wem sie sich eigentlich gegenüber befand, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, dass sie es hätte wissen müssen.
Ein nervöses Unbehagen machte sich plötzlich in ihr breit. Krampfhaft nachdenkend sah sie von der Frau zu dem Mann hinüber, dann wieder zur Frau, und biss sich die ganze Zeit über auf der Unterlippe herum.
„Es scheint Euch noch gar nicht gut zu gehen!“, stellte die Frau fest. „Ihr solltet Euch vielleicht doch noch etwas ausruhen!“
„Sie kann nicht hier bleiben. Hier werden sie ebenfalls einfach hereinfallen und alles durchsuchen!“, sagte der Mann. Eilig kramte er in einer Truhe am Ende des Bettes herum, und beförderte dann ein Tuch hervor, dass er der jungen Frau hastig um den Kopf schlang. „Kommt mit!“, befahl er nur knapp. Aber als die ältere Frau nach ihrem Oberarm griff, um ihr aufzuhelfen, zog die jüngere ihren Arm weg, und sah einigermaßen erschrocken die beiden wieder abwechselnd an.
„Beruhigt Euch, wir werden Euch bestimmt nichts antun!“, versuchte der Mann sie zu beschwichtigen. „Aber wir sollten uns beeilen, bevor Hakkars Soldaten hier sind!“ Eilig zog er sie dann doch am Arm hinter sich her, durch lange Flure hindurch. Irgendwann stießen sie mit einem Mann zusammen.
„Halt!“, gebot er ihnen streng. „Wer ist das?“
Der Mann, der sie bis hierher geführt hatte, erstarrte regelrecht.
„Niemand.“, gab er schnell zurück. „Tretet zur Seite. Diese Frau geht Euch nichts an!“
„Das werde ich selber entscheiden!“, entgegnete der andere Mann barsch und beugte sich drohend vor.
„Was fällt Euch ein? Es ist eine Ungeheuerlichkeit, wie Ihr Euch hier aufführt! Ich werde das nicht mehr länger dulden, Hakkar!“, beschwerte sich der ältere Mann in lautem, vorwurfsvollen Ton.
„Wollt Ihr mir etwa drohen?“, lachte der angesprochene Hakkar gehässig. „Ich will wissen, wer sie ist!“ Damit riss er ihr das Kopftuch herunter und besah sich die junge Frau, die darunter verborgen war.
„Sieh mich gefälligst an!“, schnaubte Hakkar, als die Frau ihren Blick nervös senkte.
„Was fällt Euch ein, meiner Frau zu Nahe treten zu wollen?“, fragte plötzlich ein anderer Mann scharf, der eiligen Schrittes auf die kleine Versammlung zukam. Trotzdem deutete er eine höfliche Verbeugung an, als er direkt vor ihnen stehen blieb.
„Eure Frau? Und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?“
„Nasim Abhir.“, gab der Mann nur kurz zurück. „Aus Hal-Abun.“, fügte er hinzu, als er noch immer durchdringend angesehen wurde.
„Und Eure Frau …?“
„Yasemin. Wir sind auf Verwandtschaftsbesuch hier!“
„So, so.“, machte Hakkar und ging noch einen Schritt weiter auf Yasemin zu. „Und woher stammt wohl diese Verletzung am Kopf?“, fragte er lauernd und wollte gerade nach der Frau greifen. Sie machte sich schnell von dem alten Mann los und trat hinter den anderen Mann, der sie soeben als seine Frau in Schutz genommen hatte.
„Fragt mal den Schneider mit den ausgetretenen Stufen vor seiner Tür!“, gab Nasim bissig zurück.
Hakkar reckte nur sein Kinn in die Luft und straffte seine Schultern, bevor er sich umdrehte, um davon zu gehen.
Eine ganze Weile noch standen sie alle wie versteinert da. Nur Nasim schien angestrengt zu lauschen. Als er sich sicher war, dass er wirklich weg war, ließ er sich schnell auf ein Knie hinunter und verbeugte sich höflich vor dem älteren Mann.
„Fürst Haza!“, grüßte er ihn demütig. „Entschuldigt mein forsches Auftreten!“
„Gut reagiert, Nasim, gut reagiert!“, lobte Haza ihn leise. „Kommt.“ Er zog den jungen Mann an den Schultern wieder hoch und mit sich fort, führte die kleine Gruppe eilig wieder an. Sie gingen weiter die Flure entlang, hinaus auf die Strasse, die nur so vor aufgebrachten Menschen der Stadt und Soldaten wimmelte, und weiter zu einem Palast, durch dessen hinteres Eingangstor sie alle unauffällig verschwanden.
Erst als sie in einem kleineren Saal waren, den Haza nur für solche inoffiziellen Angelegenheiten nutzte, atmete der Fürst auf.
„Es ist eine Unverschämtheit, was sich dieser Hakkar hier herausnimmt!“, wetterte er. „Ihr habt wirklich gut reagiert!“
„Ich sah Euch in offensichtlichen Erklärungsnöten.“, erklärte Nasim leicht achselzuckend, verneigte sich aber wieder knapp und demütig.
Haza nickte erleichtert und sah dann die beiden Frauen an. Die ältere von beiden wandte sich mit den Worten: „Ich bin sofort zurück.“, zum Gehen um.
Haza sah weiterhin zu der jungen Frau hinüber.
„Und wer seid Ihr?“, fragte Nasim an sie gewandt. Haza holte gerade tief Luft, um ihm zu antworten, hielt aber inne, als er das Kopfschütteln und den verwirrten Ausdruck in den Augen der Frau gewahr wurde. Nachdenklich sah er sie eine kurze Weile an und runzelte die Stirn.
„Vielleicht sollte ein Geheimnis besser eines bleiben. Entschuldigt.“, sagte Haza zu Nasim.
„Ist ihr Name eines?“, wollte Nasim wissen. „Aber reden kann sie doch?“
„Ja, natürlich.“, sagte sie leise und recht scheu.
„Das ist doch schon mal was!“, stellte Nasim fest. „Darf ich fragen woher Ihr kommt? Eurem Akzent nach stammt Ihr ganz und gar nicht von hier.“
Sie sah Haza lange fragend an, bevor sie schließlich zögerlich antwortete.
„Ich … ich … weiß es nicht!“
„Ihr wisst nicht ...?“ Nasim war verblüfft. „Aber Ihr werdet doch wissen, woher Ihr stammt, wo Ihr Zuhause seid!“
Eine nachdenkliche Pause entstand. Als Nasim sah, dass sich die Augen der Frau mit Tränen füllten, sah er fragend Haza an.
„Habt Ihr wirklich so viel zu verbergen?“
Die Tür wurde wieder geöffnet und die andere Frau trat mit einem Tablett mit Teegläsern wieder herein, die sie den Männern anbot.
„Ich danke Euch, Ofra.“, sagte Nasim höflich und griff mit einer tiefen Verneigung nach einem Glas.
„Offen gestanden: Ja! Und ebenso offen gestanden wissen wir leider auch nicht, was genau passiert ist.“ Auch Haza nahm sich einen Tee und hielt auch der jungen Frau ein Glas hin.
„Danke.“, sagte sie nur sehr unsicher.
„Ich denke wir haben ein Problem, Ofra.“, stellte Haza fest und beobachtete die junge Frau eindringlich. „Oder aber vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es auch eine günstige Fügung des Schicksals.“
„Vater?“, fragte Ofra. Sie verstand nicht, worauf er hinaus wollte.
„Ich glaube sie kann sich tatsächlich nicht mehr erinnern!“
„Sie war bewusstlos. Und sie kennt uns nicht. Woher auch? Was hast du erwartet?“ Ofra zeigte vollstes Verständnis für die Situation der jungen Frau. „Wir sollten uns erst einmal alle vorstellen: das ist mein Vater, Fürst Haza von Sa-Lham. Ihr habt bestimmt schon von uns gehört, auch wenn wir uns vorher noch nie begegnet sind! Und das ist Nasim Abhir, aber nicht aus Hal-Abun, sondern Al-Alef, wenn ich richtig informiert bin. Er war dabei, als es passiert ist.“
„Als … was passiert ist?“, fragte die junge Frau vorsichtig.
„Ihr wisst es nicht?“ Ofra war ehrlich erstaunt. „Aber Ihr wisst doch über Al-Alef Bescheid?!“
„Was ist Al-Alef?“, fragte die Frau wieder, ebenso vorsichtig.
Haza, Ofra und Nasim sahen sich verblüfft an.
„Ihr wisst es wirklich nicht?“, fragte Haza ebenso vorsichtig.
Die Frau schüttelte den Kopf.
„Dann sagt uns Euren Namen.“, forderte Haza sie auf. Aber er bekam nach einer Weile wieder nur ein Kopfschütteln zur Antwort. „Euren Namen! Ihr werdet doch wissen, wie Ihr heißt?“
„Nicht … Yasemin …?“ Die junge Frau war schon wieder den Tränen nahe. Sie konnte sich tatsächlich einfach nicht erinnern! Aber Yasemin war anscheinend nicht ihr richtiger Name. Aber warum nur nicht? Warum konnte sie nicht mal eine solch lächerlich einfache Frage beantworten?
Nasim zog mit einem leisen Pfiff die Luft ein und nickte.
„Ihr habt wirklich ein Problem!“ Er sah erst Haza an, dann aber wieder die namenlose Frau. „Allerdings ein hübsches!“
„Nun, ich denke wir sollten es vorerst auf sich beruhen lassen. Ofra, bring sie in ein angemessenes Gemach. Sie sollte sich ausruhen!“, sagte Haza.
Noch bevor Ofra mit ihr hinaus war, hatte Nasim aber Einwände.
„Verzeiht bitte, Fürst Haza. Aber solange die Truppen aus Bahi-Dun hier herumschnüffeln, wäre es da nicht besser, wenn wir nach der Geschichte handeln, die wir ihnen aufgebunden haben? Wenn es wirklich etwas zu verbergen gibt, sollten wir Hakkar nicht misstrauischer machen, als er ohnehin schon ist. Was wird er davon halten, wenn er erfahren sollte, dass Ihr die Frau eines unbedeutenden Mannes bei euch beherbergt?“
Ofra hielt noch in der Tür inne und schaute ihren Vater an. Der junge Mann hatte durchaus recht!
Auch Haza nickte langsam, während er nachdachte.
„Warte Ofra. Er hat recht. Schick jemanden los, Nasim wird mit ihr zusammen in das Haus neben dem Archivar einquartiert. Dort habe ich Euch im Blick und kann jederzeit eingreifen, wenn es nötig werden sollte. Und Ihr, Nasim, werdet jemanden nach Al-Alef schicken. Eure verbliebenen Truppen sollen sich im Verborgenen sammeln und bereithalten. Es kann sein, dass sie irgendwann sehr schnell gebraucht werden, wenn Sayyid Az-Hchal wieder zurück ist.“ Haza sah zu der Frau hinüber. Aber da war nichts in ihrem Gesichtsausdruck, was ihm verraten hätte, dass sie sich gerade an irgendetwas erinnert hatte. Nein, sie wusste tatsächlich nicht, wer sie war!
Haza deutete ihr wieder mit einer Handbewegung Platz zu nehmen und gab dem jungen Mann mit einem Zeig seines Kopfes zu verstehen, dass er sich schnell um diese Angelegenheit kümmern sollte.
Nach einer kurzen Weile kam er auch eilig wieder zurück.
„Fürst Haza! Es ist ein Bote unterwegs!“
„Gut, sehr gut, Nasim. Bleibt! Kommt her, setzt Euch!“ Haza bot ihm einen Platz an und klatschte in die Hände. Ein Diener kam gleich darauf und brachte ihnen wieder Tee und Gebäck auf einem großen Tablett herein.
Sie unterhielten sich noch lange, besser gesagt, Haza und Nasim unterhielten sich noch sehr lange, die junge Frau hörte nur zu und versuchte irgendetwas zu verstehen, bevor der Abend dann dämmerte und ein Diener ihnen mitteilte, dass alles für die Nacht nun vorbereitet wäre. Nasim sah sich die junge Frau mit einem nachdenklichen Lächeln an und hielt ihr seine Hand hin, damit er sie zu dem ihnen zugeteilten Haus führen könnte.
„Yasemin?“, fragte er dann auffordernd, als sie noch zögerte seine Hand anzunehmen.
„Aber damit Ihr wisst, auf was Ihr Euch da einlasst, und um meinen Ruf als netter, alter Zausel abzutun: Ihr werdet mir persönlich mit Eurem Leben für ihr Wohlergehen haften!“, warnte Haza ihn eindringlich.
Nie zuvor hatte der Kapitän erlebt, dass der Wind so kontinuierlich und stark sein Schiff vorwärts getrieben hatte. Er war mehr als erstaunt, als der Mann im Ausguck viel zu früh Bescheid gab, dass der Zielhafen am Horizont zu sehen war.
Kieran hatte es eilig gehabt. Aber er hatte es niemanden gesagt, und niemand hatte jemals danach gefragt, was er ständig auf Deck machte. Es hatte für alle einfach so ausgesehen, als würde er ständig und stundenlang nachdenklich auf das Meer hinausschauen. Dabei mochte er das Meer nicht sonderlich. Er hatte zu viel Respekt davor. Was daran lag, dass er nicht schwimmen konnte. Und sich über einem Element zu bewegen, das einem nicht geheuer war und einen jederzeit absaufen lassen konnte, war nichts was ihn mit der gleichen stoischen Ruhe erfüllte, wie die anderen hier. Nein, wenn er an Deck war, betrachtete er nicht einfach das Meer. Was er in Wirklichkeit tat, hatte er sich nicht anmerken lassen … er, als Magier, der Macht über den Wind hatte!
Erst als der Kapitän, als sie alle von Bord gingen, vom Hafenmeister darauf angesprochen wurde, wie er es geschafft hätte die Reisezeit von gut drei auf knapp zwei Wochen zu verkürzen, lächelte Kieran Damaso wissend an.
Aber auch Dakun schien es eilig zu haben. Kaum, dass die Pferde aus dem Laderaum des Schiffes nach draußen geführt wurden, saß er auch schon im Sattel und sah Damaso und Markward auffordernd an.
Sie hatten sich fast zwei Wochen lang zur Genüge ausruhen können. Es bestand keine Notwendigkeit, jetzt auch noch weitere Zeit in der Hafenstadt zu vertrödeln. Außerdem war es kalt, zu kalt, fand Kieran. Auch er wollte lieber in Bewegung bleiben und so schnell wie möglich hier weg. Außerdem wollte er so schnell wie möglich einen Weg zurück finden, zurück zu Emily. Zwei Wochen waren bereits vergangen, zwei Wochen, in denen er nichts tun konnte, zwei Wochen, in denen er nichts anderes gehört hatte, außer den knarrenden Masten und Takellagen des Schiffes, wenn der Wind in die Segel griff. Er brauchte Nachrichten, Neuigkeiten, Informationen darüber, was in Sa-Lham geschehen war seit ihrer unfreiwilligen Flucht, was mit Emily und Asrar geschehen war.
Sie ritten zügig voran, und schon nach einem vollen Tag kam das Grenzgebirge am Horizont in Sichtweite. Nach zwei weiteren Tagen befanden sie sich am Fuße des Gebirges und ritten durch die karge und steinige Heidelandschaft am Gebirge entlang, immer weiter Richtung Osten, bis sie irgendwann auf den Grenzpass stoßen würden. Aber bis dahin war es noch ein langer Weg.
Kieran fluchte leise vor sich hin. Nie zuvor war er im Norden gewesen. Aber er wusste jetzt wenigstens warum Emily damals auf dem Weg in den Süden gewesen war. Dabei waren sie hier nicht mal wirklich im Norden, sondern mehr im Westen. Aber bereits hier schien ihm das Wetter tatsächlich zu unwirklich, als dass ein Mensch es auf Dauer ertragen könnte. Würde der ständige Regen denn nie aufhören? Das, was es in diesem Land zuviel gab, war in den südlichen Landen ein kostbares und seltenes Gut. Es schien fast so, als würde das Gebirge alle Wolken abfangen, die vom Meer her angetrieben wurden und eigentlich weiter ins Innere der Länder ziehen wollten.
Einzig Dakun schien das Wetter nichts auszumachen, obwohl sich Kieran sicher war, dass es in seinem Land nicht so kalt und nass war, wie hier. Allerdings war Dakun ebenfalls ein Magier, einer der über das Wasser gebieten konnte. Er fragte sich, ob Dakun das Wetter tatsächlich nichts ausmachte, oder ob er es einfach nicht mitbekam, dass alle anderen damit allmählich zu kämpfen hatten. Er hätte doch etwas dagegen tun können! Immer wieder sah er ihn verstohlen von der Seite her an, aber Dakun schien nichts davon mitzubekommen. Nichts von dem Wetter, nichts von Kierans Blicken, nichts von Kierans Flüchen gegen das Wetter. Er ritt einfach immer nur nach vorne, den Blick auf den Horizont gerichtet. Er schien nachzudenken.
Vielleicht hätte Kieran das auch besser tun sollen, statt immer nur Zweifel an allem zu hegen. Aber er hatte bereits ständig über sein Schicksal nachgedacht und war der Lösung seiner Probleme keinen Deut näher gekommen.
Ach, verflucht! Er wünschte sich nur, dass sie endlich am Grenzpass ankommen würden!