Читать книгу Sohn des Windes - K. Will - Страница 5
3.
ОглавлениеMühsam schob Markward einige dicke Felsbrocken zur Seite, die in das Verließ hinein gestürzt waren. Die Decke war geradewegs über ihnen herunter gekommen und hatten sie unter einem Berg aus Steinen und Holzbalken begraben. Was immer das auch gerade gewesen war, das sie heimgesucht hatte, es war mächtig gewesen, gewaltig, zerstörend. Als er aufblickte konnte er den Himmel über ihnen erkennen. Das gesamte Gebäude über ihnen war regelrecht weggerissen worden. Überall lagen nur noch Trümmer herum, überdeckt von einer dicken Staub- und Sandschicht.
„Emily?“, fragte er leise und beugte sich hinunter zu der Frau, die zusammengekauert zu seinen Füßen hockte. Er berührte sie sachte an der Schulter. Aber er bekam keine Reaktion. Ein Stein schien sie am Hinterkopf getroffen zu haben. Er sah das Blut aus einer kleinen Wunde an ihrem Kopf sickern und erschrak. „Emily?“, flehte er sie an. „Emily, sprich mit mir!“ Aber er bekam keine Antwort.
Nur ein leises Wimmern war zu hören, und erst jetzt erkannte er mit ungläubigem Erschrecken, dass Emily ihren kleinen Sohn dabei gehabt hatte. Sie hatte ihn schützend fest in seinem Tuch an sich gebunden und ihn zwischen ihrem Körper und ihren aufgestellten Knien vor den umherwirbelnden Trümmern geschützt. Aber nun saß sie leblos, mit dem Kopf vornüber auf ihre Knie gesunken, da und der kleine Asrar weinte verwirrt vor sich hin.
„Bei den Bäumen!“, entfuhr es Markward. Vorsichtig legte er Emily auf den Boden und löste das Tragetuch, um Asrar auf den Arm zu nehmen. Er besah sich den Jungen sehr genau. Aber es schien ihm eigentlich gut zu gehen. Er atmete erleichtert auf. Dann machte er sich daran sich das Tragetuch selber umzubinden, und nahm, nachdem er Asrar wieder sicher auf seinem Rücken verstaut hatte, Emily sehr vorsichtig auf, um sie von hier weg zu bringen. Er hoffte nur darauf, dass die überlebenden Bewohner der Stadt ihm keine große Aufmerksamkeit schenkten und er mit ihr von hier entkommen könnte.
Er wurde nicht enttäuscht. Die Stadt war menschenleer, wenn man von einigen Opfern absah, die unter schweren Trümmern erschlagen lagen. Aber es bereitete ihm die größte Mühe über all diese Trümmer mit Emily auf den Armen hinweg zu klettern. Es gab keine Straßen mehr, keine Wege, keine Gassen. Es gab nur noch Verwüstung, dicke Trümmer und noch dickeren Staub überall. Mehrmals musste er eine Pause einlegen, in der er sich immer wieder suchend umsah. Das war nicht nur ein Sturm gewesen, der hier gewütet hatte! Kein einziges der Häuser stand mehr. Es waren nur Schutt und Asche zurückgeblieben. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich den einfachsten Weg über all diese Trümmern zu suchen, bis er endlich am Rande der Verwüstung angekommen wäre. Aber was dann? Dahinter lag eine unbarmherzige Wüste.
Er schüttelte leicht den Kopf, wie um seine trüben Gedanken zu verscheuchen und nahm Emily dann wieder auf, um seinen Weg fortzusetzen. Erst einmal mussten sie hier heraus. Alles weitere … ergab sich hoffentlich, wenn er dieses Chaos hinter sich hatte.
In der Ferne sah er ein Pferd aufgeregt hin und her laufen, als er nicht mehr weit von der einstigen Stadtmauer entfernt war. Im Sonnenlicht war es kaum zu erkennen. Aber genau das ließ ihn das Pferd erkennen: Es war Emilys Pferd! Wenn er es erreichen konnte, bevor die offensichtlich nervöse und total aufgeregte Stute das Weite suchte, waren sie gerettet!
Aber kurz bevor er zum Ende des Geröllfeldes kam, über das er so mühsam gestolpert war, hob die Stute den Kopf und preschte plötzlich davon.
„Na, toll!“, schimpfte er leise. Damit waren ihre Aussichten hier wegzukommen deutlich geschrumpft. Lange Zeit würde er sich mit Emily und Asrar nicht durch die Wüste schleppen können.
Aber noch während er über die letzten Steine hinweg kletterte, sah er aus der Ferne drei Reiter auf sich zukommen. Und Emilys Pferd galoppierte neben ihnen her. Sollte er sich nun darüber freuen oder nicht? Aber es bleib ihm hier kaum Deckung, und damit nichts anderes übrig, als abzuwarten, wer dort kam.
Umso größer war sein Erstaunen, als er Kieran in Begleitung von Dakun und Damaso erkannte.
„Ich dachte schon wir wären alle verloren!“, rief er ihnen entgegen.
„Markward!“, rief Damaso aufgeregt, als er ihn erkannte. Erleichtert zügelte er sein Pferd.
Kieran sagte nichts, als er im vollen Galopp vom Pferd sprang und die letzten Schritte auf Markward zu gerannt kam. Er konnte nicht wirklich Erleichterung fühlen, darüber, dass er seinen Freund doch nicht getötet hatte. Er sollte es wohl, aber seine Gefühle waren in heller Aufruhr und er konnte gerade mal wieder keinen klaren Gedanken fassen, … noch eine wirkliche Emotion. Sein Blick hing starr auf die Frau in Markwards Armen. Er hatte erkannt, wen sein tot geglaubter Freund da auf den Armen hielt. Kieran hatte nur Augen für Emily, die Markward gerade leblos vor ihm auf den Boden legte. Und konnte nur noch starren.
Kurz schaute Kieran fragend zu Markward auf, aber Markward nickte mit dem Kopf.
„Sie lebt!“, sagte er knapp, „Sie ist nur bewusstlos!“, und deutete auf die Verletzung am Hinterkopf.
Noch immer stumm ließ Kieran sich neben Emily auf die Knie nieder. Vorsichtig umfasste er ihr Gesicht und küsste sie ebenso vorsichtig auf den Mund. Er musste mehr als nur einmal schlucken, als sich die Erleichterung in ihm breit machte, sie lebend wieder zu haben. „Ich danke dir.“, sagte er mit leiser, zittriger Stimme zu Markward. Und musste ein paar mal tief einatmen, um sich überhaupt wieder gänzlich unter Kontrolle zu kriegen.
„Schon gut.“ Markward nickte ihm zu und wollte gerade aufstehen, um Kieran mit Emily allein zu lassen, ihnen etwas Intimsphäre zugestehen, als ihn Kieran daran hinderte. Er legte seinem Freund seine Hand schwer auf die Schulter und blickte ihm tief in die Augen.
„Es tut mir leid!“, sagte er leise. „Entschuldige. Ich hatte keine andere Wahl.“
Markward sah ihn lange an, nickte dann aber nur. Und grinste irgendwann.
„Hast mal wieder ganze Arbeit geleistet! Jetzt hat Hakkar seine Antwort!“
Dakun hockte sich neben Kieran auf den Boden und besah sich Emily. Sie schien ihm nicht einfach nur bewusstlos von einem Steinschlag zu sein. Er, als ein Magier, der die Gabe besaß anderer Menschen Bewusstsein zu manipulieren, erkannte das sofort.
„Was genau ist passiert?“, wollte er von Markward wissen.
Markward sah Dakun recht ernst an.
„Sie hat mich befreit, sie war plötzlich bei mir unten im Kerker und hat die Schlösser aufgebrochen, als plötzlich alles in Bewegung geriet. Ich glaube sie hat einen Bannzauber um uns herum gewirkt. Aber ich kann dir nicht sagen, wann sie zusammen gebrochen ist, ob es ein Stein war, der sie bewusstlos werden ließ, oder ob der Stein erst hinterher kam. Sie ist einfach in meinen Armen bewusstlos geworden.“
„Dann hat sie sich erschöpft!“, stellte Dakun fest. „Wollen wir hoffen, dass ihre Verletzung nicht so stark ist, um ihr wirklich etwas auszumachen.“
„Wir müssen trotzdem von hier weg. Im Norden gibt es nicht sehr weit von hier direkt an der Küste eine kleine Stadt.“, sagte Kieran und nahm Emily vorsichtig hoch, um sie auf sein Pferd zu setzen. „Ich will nicht länger hier bleiben und feststellen müssen, dass vielleicht doch noch irgendeiner hier ist.“ Er legte Emily vorsichtig vornüber, mit dem Oberkörper auf den Hals des Pferdes. Es war ihm lieber, wenn er sie auf dem Ritt vor sich, in seinen Armen hatte. Markward fing derweil Emilys Stute ein, die wieder aufgeregt herum tänzelte.
„Damaso, nimmst du ihn mir ab, bevor uns dieses Tier noch beide umbringt?“, fragte er an seinen Elbenfreund gerichtet und hielt Damaso ein großes Bündel irgendwas hin. „Damaso?“
Aber Damaso rührte sich nicht. Dafür tat es Kieran, mit einem ungesunden Funkeln in seinen Augen.
„Was?“, fragte er lauernd und sah Markward alarmiert an.
„Deinen Sohn! Ihm geht es gut, keine Angst. Kümmere du dich um deine Frau!“, entgegnete ihm Markward. „Damaso?“ Er wurde langsam ungeduldig.
Kieran nahm ihn das Bündel ab und blickte in die großen Augen seines kleinen Sohnes, der sofort zu lächeln anfing, als er das vertraute Gesicht sah. Kieran glaubte schon wieder keine Luft mehr zu bekommen und schnappte nach Luft, bevor er wieder schlucken musste. Dann drückte er ihn fest an sich. „Asrar!“, flüsterte er ehrfürchtig und erleichtert und gab dem Kleinen einen dicken Kuss auf die Wange.
Dann ging er zu Damaso hinüber. Er stand mit dem Kopf an dem Hals seines Pferdes gelehnt und rührte sich nicht.
„Damaso?“, sprach Kieran ihn an. Er sah ihn von der Seite her an. Als er dichter an seinen Freund heran trat wischte dieser sich schnell mit dem Unterarm über seine Augen. Damaso schüttelte nur leicht den Kopf, ohne aber aufzusehen.
„Ich hätte es mir nie verziehen …“, stammelte er leise mit gebrochener Stimme. Die Art und Weise, wie er tief einatmete verriet Kieran, dass er nicht nur schwer mit den Tränen zu kämpfen hatte, er hatte tatsächlich geweint. Er sah ihn lange an, bevor er seine Hand auf Damasos Schulter legte.
„Ich mir auch nicht, wenn ich dir vorhin wirklich das Genick gebrochen hätte.“ Jetzt erst sah Damaso ihn an … mit tränenfeuchten Augen. Er hatte um seine Frau geweint! Genau wie er auch. Und ihm kamen schon wieder die Tränen hoch. Aber natürlich wollte er sich das nicht vor Dakun anmerken lassen und senkte schnell wieder den Blick, als er en riesigen Kerl bemerkte, der auf sie zukam.
Dakun streckte die Hände nach Asrar aus.
„Gib mir deinen kleinen Racker!“, flötete er gutgelaunt, und nahm Kieran ihm ab. Dann ging er Asrar anlächelnd zu seinem Pferd hinüber, und brabbelte dem Kind irgendeinen unverständlichen Kauderwelsch zu. Kieran sah es ehrlich erleichtert und bereits schon wieder leicht amüsiert und zog eine Augenbraue hoch. Damaso wischte sich mit der Hand noch einmal über die Augen. Kieran klopfte ihm auf die Schulter und er erwiderte seine Geste, bevor auch sie sich auf die Rücken ihrer Pferde schwangen.
Gemeinsam kamen sie spät in der Nacht in der kleinen Stadt an der Küste an. Sie fanden schnell eine Herberge, die sie um diese späte Stunde noch einließ. Es kam hier wohl nicht oft vor, dass Reisende nach einer Unterkunft fragten. Der Wirt nahm, was er kriegen konnte. Aber er sah auch mit Besorgnis die offensichtlich schwer kranke Frau in den Armen des einen Mannes und schickte ihn schnell in ein geräumiges und gut ausgestattetes Zimmer.
„Ich werde gleich nach einem Heiler schicken. Und ich vermute, dass ihr ebenfalls eine Amme braucht?“, sagte er eilig mit einem Blick auf den kleinen schlafenden Jungen. Er wartete kaum eine Antwort ab und lief eilig wieder aus dem Zimmer hinaus. Die vier Männer konnten hören, wie er sich aufgeregt, aber sorgenvoll jemanden in der Schankstube zuwandte. Und es dauerte auch gar nicht lange, als Kieran von einem leisen Räuspern vor den Vorhängen zu ihrem Zimmer aus seinen Gedanken gerissen wurde. Er erhob sich schnell vom Bett, auf dem er sich neben Emily niedergelassen hatte und kam, um zu sehen, wer da draußen auf dem Flur stand. Der Wirt war zurück mit einer Frau und sah ihn hoch erfreut an.
„Ich habe Euch so schnell es ging jemanden mitgebracht, der Eurer Frau helfen kann.“ Er machte eine einladende Geste, um der Frau zu signalisieren einzutreten. „Das ist Ofra. Sie kennt sich etwas in der Heilkunst aus und ist obendrein die einzige Amme, die wir zurzeit hier haben.“
„Dann tretet ein und seid mir willkommen.“, sagte Kieran höflich, aber müde und niedergeschlagen. Er führte die Frau zum Bett, damit sie sich zuerst Emily ansehen könnte.
Ofra konnte zwar feststellen, dass die junge Frau auf dem Bett in anderen Umständen war, und dass die Verletzung am Hinterkopf nicht dazu geführt haben konnte, sie ohnmächtig werden zu lassen, aber damit war ihr Repertoire auch schon fast erschöpft. Die Platzwunde am Hinterkopf war schnell gesäubert und verbunden. Dann aber schüttelte sie an Kieran gewandt mit Bedauern den Kopf.
„Es tut mir sehr leid, aber ich kann leider gar nichts weiter für sie tun! Was immer Eure Frau in diesen Schlaf hat sinken lassen, war, wie es mir scheint, nicht einfacher Natur. Es scheint mir … etwas ganz anderes zu sein.“, deutete sie vage an, erklärte sich aber nicht weiter, als Kieran sie mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah, doch wusste er nur zu gut, was sie da mutmaßte. „Ich denke nicht, dass es etwas gibt, dass jetzt noch getan werden könnte. Das wird die Zeit einfach bringen. Sie muss von alleine wieder wach werden.“
Ofra erhob sich vom Bett und schaute fragend Kieran an.
„Oh!“, machte er, als er verstand. Er war so in Gedanken gewesen, dass er nicht wirklich bemerkte, dass er die ganze Zeit über Asrar in seinen Armen geschaukelt hatte. „Er schläft gerade.“, sagte er leise mit wehmütigem Blick auf seinen Sohn.
„Aber er wird wohl zweifelsohne jemanden brauchen, der sich um ihn kümmern kann, wenn er erwacht und Hunger bekommt.“ Die Frau beugte sich vorsichtig zu dem kleinen schlafenden Jungen hinüber, um ihn sich genauer zu besehen. Ein trauriger und leicht verzweifelter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht, und Kieran verstand, dass sie wohl selber gerade erst ein Kind verloren haben musste. „Ich werde mich um ihn kümmern.“, bestätigte sie ihm. „Es wird ihm gut gehen, habt keine Sorge.“
Lange Zeit standen sie voreinander und schauten nur auf den Knaben hinunter. Dann regte sich Asrar irgendwann und blinzelte mit seinen Äuglein in das Gesicht seines Vaters.
„Es wird alles gut, mein kleiner Asrar!“, begrüßte Kieran ihn leise und hob ihn ein wenig höher, fast so, als wollte er ihn fester an sich drücken und nicht hergeben müssen. „Es ist alles in Ordnung.“, sagte er in einem beruhigenden, leisen Ton. Aber das schien eher seinen eigenen Nerven zu gelten. „Das ist Ofra. Sie wird sich um dich kümmern, solange deine Mama krank ist!“ Er wiegte ihn wieder sachte in seinen Armen, bis Asrar aber anfing leise zu weinen.
„Er wird Hunger haben!“, stellte Ofra fest. Kieran zögerte noch, übergab ihr dann aber doch endlich seinen Sohn. Er sah ihr zu, wie sie erst lächelnd mit ihm sehr leise sprach und ihn dabei in den Armen wiegte, und sich dann mit dem Rücken zu Kieran hinsetzte, um den kleinen Junge an ihre Brust zu legen. Als Kieran das zufriedene Schmatzen hörte, atmete er erleichtert auf und setzte sich wieder zu Emily auf das Bett.
Er musste eingeschlafen sein. Irgendwann wurde er wach, und sah Markward am Fußende des Bettes auf einem dicken Bodenkissen sitzen und die Frau beobachten, die seinen Sohn in den Armen hielt. Kieran hätte nicht mal sagen können, ob er schon die ganze Zeit über hier bei ihnen gewesen war. Und Markward brauchte eine Weile, um zu bemerken, dass er von Kieran beobachtet wurde.
„Wie geht es euch dreien?“, wollte er dann wissen.
Kieran nickte ihm nur zu. Gut wäre übertrieben, aber es hätte auch noch schlechter kommen können. Aber er machte sich noch immer große Sorgen um Emily. Er ließ es Markward wissen.
„Und dir?“, horchte er nach. „Bist du gut davon gekommen?“ Markward nickte ihm beruhigend entgegen.
„Auch wenn es mich ziemlich erschüttert hat …“, meinte er mit einem tiefgründigen Blick.
Ein wenig später ging Ofra mit den Worten, dass sie gleich zurück wäre.
Markward sah ihr lange nach.
„Wer ist sie?“, fragte er Kieran.
„Eine Amme und Heilkundige. Ihr Name ist Ofra. Sie wird sich um Asrar kümmern, solange Emily nicht in der Lage dazu ist.“, erklärte Kieran ihm schlicht. Markward sah noch eine ganze Weile zu der Tür hin, durch die sie verschwunden war.
„Kann ich irgendetwas für euch tun?“, fragte er dann schließlich. Er sah nachdenklich Emily an, die noch immer reglos auf dem Bett lag. Ihr Atem ging viel zu flach, wie er fand. „Sie konnte ihr nicht helfen?“
Kieran schüttelte nur den Kopf.
„Lass es mich wissen, wenn ich irgendetwas tun kann, Kieran. Sie hat mich befreit und hat mich mit ihrem Leben beschützt. Das hier darf jetzt nicht einfach so enden. Das war es nicht wert. Das war mein Leben nicht wert!“ Markward sah ihn eindringlich an. Eine steile Falte war zwischen seinen Augenbrauen entstanden. Er sah Emily mit einer Mischung aus Traurigkeit und schlechtem Gewissen an.
„Markward, was sie getan hat, war ein Geschenk für dich. Deswegen musst du kein schlechtes Gewissen haben.“ Kieran musste selber bei seinen Worten schlucken. Er ließ den Kopf hängen. Er hätte seinem Freund jetzt nicht mehr in die Augen sehen können. „Wäre sie nicht gewesen … hätte ich damit dich getötet!“
Wenig später kam Ofra wieder zurück. Sie räusperte sich wieder und wartete. Als Kieran ihr den Vorhang zur Seite aufschob, balancierte sie ein großes Tablett mit allerlei Speisen und Tee herein. Hinter ihr erschienen auch Damaso und Dakun im Flur. Auch sie kamen eilig ins Zimmer.
„Ich bringe Euer Frühstück.“, sagte Ofra leise. „Es ist noch ein wenig früh, aber ich denke Ihr werdet gewiss Hunger haben!“ Dann vergewisserte sie sich noch einmal, dass Asrar wieder schlief, und ging wieder hinaus.
„Wie geht es ihr?“ Damaso sah besorgt zu Emily hinüber. Es gefiel ihm gar nicht, dass sie so leichenblass dalag und sich noch immer nicht regte.
„Gar nicht gut.“, antwortete Dakun für Kieran und beugte sich über sie. „Lass mich etwas versuchen.“, bat er Kieran, wartete aber nicht auf seine Antwort. Er legte ihr seine Hand auf die Stirn und schloss die Augen. Sein Gesicht versteinerte und spiegelte nur noch seine Konzentration wieder. Doch nach einer kurzen Zeit öffnete er wieder die Augen.
„Und … was ist mit ihr?“, wollte Damaso wissen. Dakun schüttelte aber nur den Kopf.
„Sie ist nicht einfach nur ohnmächtig. Sie hat sich fast zu Tode erschöpft. Sie wird einfach Zeit brauchen.“
„Kannst du ihr nicht helfen?“ Kieran sah ihn bittend an.
„Nein. Ich besitze genau so wenig wie du die Gabe zu Heilen. Ich kann ihr Bewusstsein ein wenig manipulieren, dass sie sich selber heilen könnte, aber dafür müsste sie bei Bewusstsein sein! Aber da ist im Moment nichts.“ Dakun musste ihn leider enttäuschen. Auch er würde sie sehr viel lieber wieder unter den Lebenden wissen, als so scheinbar an der Schwelle des Todes.
„Also schön… “, begann Dakun nach einer Weile des betretenden Schweigens, „… wir können hier vorerst nicht weg. Soviel ist schon mal klar. Aber wir sollten die Umgebung im Auge behalten, damit wir rechtzeitig gewarnt sind, wenn jemand aus Bahi-Dun hier nach euch fragen sollte.“ Ein zustimmendes Nicken der anderen entschied seinen Vorschlag. „Kieran, du wirst dich ausschließlich um deine Familie kümmern. Dich will ich erst gar nicht auf den Strassen in der Stadt sehen!“, ordnete er streng an. „Das werden Damaso, Markward und ich übernehmen. Allerdings ….“ Dakun brach ab und schaute erst Markward, dann Kieran an, „… habt ihr uns noch gar nicht erzählt, was eigentlich genau passiert ist. Nach wem halten wir ab jetzt Ausschau?“
Markward und Kieran sahen sich an, aber keiner sagte etwas. Erst nach einer Weile brach Markward kopfschüttelnd das Schweigen.
„Um ehrlich zu sein: Ich habe keine Ahnung! Wir waren gerade durch das Stadttor geritten, als wir von hinten angegriffen wurden. Jemand schlug mich nieder, uns beide, glaube ich, aber ich bin erst irgendwann später auf dem Weg nach Bahi-Dun wieder zu Bewusstsein gekommen.“
„Man hielt uns gefesselt und hatte uns die Augen verbunden. Ich habe niemanden erkennen können!“, führte Kieran den Bericht fort. „Erst im Verließ nahm man uns die Augenbinden ab.“
Dakun zog ehrlich erstaunt die Augenbrauen hoch.
„Ihr reitet einfach geradewegs in einen Hinterhalt? Das sieht dir gar nicht ähnlich!“ Er sah Kieran mit offensichtlichem Erstaunen an.
„Hätte ich auch nur den geringsten Grund gehabt an irgendetwas zu zweifeln, dann wären wir garantiert nicht in einen Hinterhalt geraten!“ Kieran hielt den durchdringenden Blick stand, den Dakun ihm zuwarf.
„Dann ist die Stadt erst später angegriffen worden?“, fragte Damaso nachdenklich.
„Was?“ Kieran sah fragend von Dakun zu Damaso hinüber. Und seine Gesichtsfarbe wurde deutlich blasser.
Dakun nickte nur sehr ernst.
„Die ganze Stadt liegt in Schutt und Asche!“
Aus Kierans Gesicht wich nun alle Farbe und er musste wieder nervös schlucken.
„Was ist mit meinem Vater?“, fragte er lauernd. Aber Damaso schüttelte den Kopf.
„Wir hatten nicht genügend Zeit, die Stadt gründlicher zu durchsuchen und uns all die Toten anzusehen.“
„Aber so wie es dort aussieht …. “ Dakun sah zu Boden und sog tief die Luft ein, „… Hat das, was dort passiert ist, keiner überlebt!“ Als er Kierans Gesichtsausdruck sah fügte er noch schnell hinzu: „Es tut mir leid.“
„Also haben wir noch immer keine Ahnung, nach wem wir suchen müssen.“, stellte Damaso fest. „Bleibt zu hoffen, dass derjenige, dem ihr das alles zu verdanken habt, sich in Bahi-Dun aufgehalten hat!“
Dakun nickte wieder nachdenklich mit dem Kopf.
„Trotzdem sollten wir vorsichtig sein und uns nicht zu erkennen geben! Auf so viel Glück will ich irgendwie nicht wirklich vertrauen.“
„Wie steht es eigentlich mit den Bewohnern dieser Stadt? Ist das Oberhaupt hier deinem Vater verpflichtet gewesen?“, fragte Markward und sah Kieran mit einem leicht alarmierten Ausdruck an. Wenn nicht, würden sie sehr schnell in der Klemme sitzen, befürchtete er.
„Ich habe Fürst Haza nie kennen gelernt. Und nie etwas über ihn erfahren!“, gestand Kieran. „Nur soviel, dass er zwar ein friedliebender Mensch sein soll, sich aber seine Unabhängigkeit stets bewahrt hat.“
„Das wird uns nicht wirklich weiterhelfen!“ Dakun verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. „Und ihr habt in Al-Alef oder Bahi-Dun nichts von Hakkar gehört oder ihn gesehen?“, fragte er noch mal an Markward und Kieran gewandt.
„Nein, aber wer sonst sollte es gewesen sein? Dass man uns nach Bahi-Dun verschleppt hat, spricht doch wohl für sich!“, sagte Markward.
„Aber was für einen Grund sollte er haben Al-Alef anzugreifen und es niederzubrennen?“ Dakun sah ihn durchdringend an. Irgendetwas störte ihn an der ganzen Sache, irgendetwas wollte für ihn nicht zusammenpassen, aber er kam nicht darauf, was es sein könnte.
„Also schön, dann werden wir mal in der Stadt Augen und Ohren offen halten. Solche Neuigkeiten verbreiten sich doch immer wie ein Lauffeuer. Damaso, komm mit!“ Dakun erhob sich und wartete bis auch Damaso aufgestanden war, um mit ihm zu gehen. Er nickte nur flüchtig Kieran zum Abschied zu und war auch schon gleich darauf draußen auf dem Flur, und verschwand mit Dakun, raus auf die Strasse dieser Stadt.
Kieran dachte bereits schon nicht mehr über die ganze Sache nach. Er hatte in der letzten Nacht nicht geschlafen, weil er sich auf der Flucht befunden hatte und auch diese Nacht war jetzt mittlerweile um und er war todmüde. Träge erhob er sich, um zu Emily hinüber zu gehen und sich zu ihr auf das Bett zu legen. Lange blickte er sie an. Er schien auf ein Lebenszeichen von ihr zu warten. Irgendwann nahm er sie still in den Arm und schlief einfach ein. Erst als der Tag zu Ende ging erwachte er wieder. Er sah Ofra, wie sie mit Asrar im Arm auf und ab ging und ihn mütterlich anlächelte.
„Ihr scheint viel Erfahrung mit Kindern zu haben.“, sagte Kieran und stand auf, um zu ihr hinüberzugehen.
„Nun, ich habe bereits drei eigene Kinder großgezogen.“, erklärte ihm Ofra.
„Ich bin froh Euch hier zu haben!“ Kieran sah sie dankbar an. Er hätte nicht gewusst, was er ohne eine Amme hätte machen sollen. Im Moment war er mit der ganzen Situation überfordert. Außerdem schien Ofra ganz offensichtlich nicht zu den Klatschbasen der Stadt zu gehören. Sie war recht still, wobei aber auch offen und freundlich. Und da Kieran im Moment nicht unbedingt nach Konversation zumute war, beließ er es auf einige wenige Worte. Außerdem merkte er, dass da noch etwas anderes war, er merkte es an der Art, wie sie Asrar ansah! Aber er würde sie nicht direkt danach fragen.
Ofra reichte ihm Asrar an und Kieran nahm seinen Sohn auf die Arme.
„Ich werde mir jetzt die Verletzung Eurer Frau noch einmal ansehen!“, entschied sie. Vorsichtig machte sie sich daran den Verband um Emilys Kopf zuwechseln und schüttelte nachdenklich ihren eigenen Kopf. „Ich verstehe nicht wirklich, was ihr fehlt!“, zweifelte sie. „Die Wunde beginnt bereits zu verheilen. Sie sollte ihr tatsächlich nicht solche Probleme bereitet haben!“
Kieran sah sie lange an, bevor er dann mit einem kurzen Blick zu Markward hinüber sagte:
„Sie hatte einen Dreiwochenritt durch die Wüste hinter sich, als das passiert ist. Und sie erwartet wieder ein Kind!“
„Nun, das mag vielleicht ausreichend sein, um sie nachhaltig zu schwächen. Aber ich kann das trotzdem nicht glauben!“ Ofra sah sie weiterhin nachdenklich an.
„Woher stammt Ihr? Und warum habt Ihr diesen langen Ritt auf Euch genommen, mit einer schwangeren Frau und einem Säugling?“, wollte Ofra wissen.
Kieran biss sich nervös auf die Lippen, ohne dass er es sie merken ließ. Was sollte er ihr sagen? Was konnte er ihr sagen?
„Wir kommen aus Bahi-Dun.“, sagte er nur knapp und beobachtete ihre und Markwards Reaktion sehr genau. Aber mehr als ein undeutbarer Ausdruck, der nur knapp über ihr Gesicht huschte, wurde er nicht gewahr.
„Ah!“, machte sie nur, nickte und schwieg. Dann aber sah sie ihn noch einmal an. „Eure Begleiter sehen aber nicht sehr südländisch aus!“, stellte sie fest.
„Nein.“, begann Kieran vorsichtig. Wollte sie ihn nun etwa aushorchen? „Nein, eigentlich stammen sie auch aus dem Osten.“
„Der Osten ist groß. Es gibt viele Städte im Osten.“ Ofra sah ihn wieder an. Da Kieran aber nichts darauf erwiderte, sagte sie nur: „Es geht mich nichts an, verzeiht. Aber wenn ich Euch einen Rat geben darf: Erzählt draußen auf den Strassen nicht zu laut herum, dass Ihr aus Bahi-Dun kommt. Man schätzt die Gesellschaft der Bewohner von Bahi-Dun hier nicht unbedingt.“
Damit stand sie auf, verabschiedete sich vorerst noch einmal von Asrar und ging hinaus. Kieran und Markward sahen sich schweigend eine ganze Weile an.
Am nächsten Morgen wurde Kieran von einem Geräusch wach.
Markward unterhielt sich sehr leise. Kieran schreckte auf. Er hatte tief und fest geschlafen und nicht mitbekommen, dass noch jemand anderes ins Zimmer gekommen war. Aber als er sich zu Markward umdrehte, sah er mit Erleichterung, dass es nur Ofra war, mit der sein Freund da sprach. Er konnte nicht verstehen, was sie redeten, aber er lächelte der Frau zu. Und sie ihm ebenfalls. Sie schienen sich blendend zu verstehen. Kieran ließ sich zurück in die Kissen sinken und wartete einfach. Irgendwann ging Ofra wieder sehr leise aus dem Zimmer hinaus. Markward sah ihr noch lange versonnen hinterher. Kieran beobachtete es mit einer hochgezogenem Augenbraue.
„Was?“, fragte Markward ihn, als er sich umgedrehte und den Blick seines Freundes sah.
Kieran verzog nur amüsiert den Mund.
„Sie ist nett.“, entschuldigte sich Markward. „Was hast du denn? Sei froh, dass sie sich um Asrar kümmert!“
„Ich habe doch gar nichts gesagt!“, stellte Kieran richtig und beobachtete ihn weiterhin. Markward wand sich regelrecht unter seinem Blick. Und es amüsierte Kieran.
„Ich mag sie halt.“, gab Markward kleinlaut zu.
„Ja, das ist nicht zu übersehen.“ Kieran nickte und stand auf, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.
„Hör mal, Kleiner, ich …!“, begann Markward und wurde gleich von Kieran unterbrochen.
„Vorsicht!“, warnte er ihn, aber Markward ließ sich nicht einschüchtern,
„… brauche dir darüber keine Rechenschaft abzulegen!“
Kieran grinste ihn breit an.
„Hast du bereits getan!“ Aber als er Markwards Gesichtsausdruck sah, der sich langsam verfinsterte, fügte er noch schnell hinzu: „Aber du hast recht. Sie ist nett. Und ich bin heilfroh, dass sie hier ist. Was habt ihr beiden denn beredet, wenn man fragen darf?“
Markward zuckte mit den Achseln.
„Dies und das.“, sagte er und überlegte kurz. „Wusstest du, dass ihr Mann in Bahi-Dun war?“ Markward sah ihn fest an. Als er Kierans entgeisterten Gesichtsausdruck bemerkte sprach er weiter. „Sie scheint noch nicht zu wissen, was passiert ist, allerdings redet sie über ihn nicht gerade in den besten Tönen.“
„Ich dachte, dass die Bahi-Duner nicht gerade beliebt sind! Sagte sie nicht selber so etwas?“, wollte Kieran wissen.
Markward nickte langsam überlegend mit dem Kopf. „Richtig. Wenn ich sie recht verstanden habe, ist er als Soldat nach Bahi-Dun gegangen, ohne ihr davon etwas großartig zu sagen. Er scheint sie verlassen zu haben, nachdem sie letzte Woche erst eine Totgeburt hatte!“
Kieran sog pfeifend die Luft ein. „Oh!“ Aber er hatte schon fast so etwas erwartet.
Nachdem sie beide ein wenig ihren eigenen Gedanken nachgegangen waren, stellte Kieran plötzlich fest: „Aber ihr seid schon recht vertraut, hm?“ Markward legte seinen Kopf auf die Seite und sah ihn nur schweigend an. Das ging seinen Freund ja nun gar nichts an!
Aber natürlich bemerkte er die Blicke der beiden während des gesamten Tages, wann immer Ofra sich um Asrar kümmerte, und auch Ofra war sich Markwards Blicke bewusst, schien diese Beachtung aber zu genießen, was Markward seinerseits nicht verborgen blieb. Er war es von nun an, der ihr höflich den Vorhang aufhielt, wenn sie hereinkam oder ging.
Damaso beobachtete es irgendwann als er zu Kieran ins Zimmer kam mit einem verwundertem Ausdruck.
„Frag nicht.“, sagte Kieran leise zu ihm, und verzog den Mund zu einem Lächeln. „Habt ihr mittlerweile etwas herausgefunden oder beobachten können?“
Damaso nickte träge und sah noch immer verstohlen zu Markward und Ofra hinüber.
„Wie es scheint, wird Sa-Lham sehr bald Besuch bekommen!“
Kieran sah ihn alarmiert an.
„Von wem?“, fragte er.
„Aus dem Süden! Mehr kann ich dir leider auch nicht dazu sagen.“ Damaso sah ihn ebenfalls mit einem beunruhigten Gesichtsausdruck an. „Wir müssen verschwinden!“, sagte er sehr eindringlich.
Kieran drehte sich mit einem Ruck zu Emily auf dem Bett um und sah sie besorgt an.
„Wir können nicht einfach verschwinden!“, sagte er aufgebracht.
„Noch weniger können wir einfach hier bleiben und abwarten!“ Damaso sah ihm eindringlich in die Augen.
Plötzlich wurde der Vorhang zur Seite gerissen und der Wirt trat ungestüm herein.
„Sayyid Kieran …“, begann er, aber er wurde im gleichen Moment, in dem Kieran ihn aus großen Augen überrascht anstarrte einfach zur Seite geschoben. Ein weiterer, älterer Mann betrat hinter ihm den Raum. Er deutete nur eine sehr kurze Verbeugung an und sprach Kieran dann direkt an.
„Kieran Ibn-Az-Hchal, Ihr müsst umgehend fliehen! Euer Geheimnis ist keines mehr. Und die Reiter, die aus dem Süden anrücken gehören zur Streitmacht von Fürst Hakkar!“
Markward, Damaso und Kieran sahen sich gleichermaßen erschrocken und erstarrt an. Dann sprach der Mann weiter.
„Ich habe vergessen mich vorzustellen … Haza Lham!“ Er machte eine kleine Verbeugung und sah Kieran direkt in die Augen. „Ich weiß er Ihr seid, Sayyid Kieran. Und ich habe Bericht darüber erhalten, was vor einigen Wochen in Al-Alef und auch vor ein paar Tagen in Bahi-Dun geschehen ist. Meine Tochter wird sich weiterhin um Euren Sohn kümmern, Ihr könnt unmöglich mit ihm zusammen fliehen. Für Eure Frau wird ebenfalls gesorgt werden. Macht Euch darum keine Gedanken, sie werden hier in Sicherheit sein. Aber Ihr müsst umgehend die Stadt verlassen. Wir haben keine Streitmacht hier in Sa-Lham, die es mit dem Fürsten Hakkar oder seinem Begleiter aufnehmen könnte. Ich habe bereits alles veranlasst. Ihr werdet zu einem Schiff im Hafen gebracht, dass Euch unverzüglich nach Norden bringen wird. Kehrt von dort aus über die alten Wege in Eure Heimat zurück und wartet auf Nachricht von mir.“ Fürst Haza klatschte in die Hände, woraufhin einige Diener und Dienerinnen erschienen, die sich sofort daran machten sich um Emily zu kümmern. Sie wurde in Windeseile in ein anderes, sehr schlichtes Kleid gesteckt und eine der Frauen begann damit, ihre Haare mit einer Paste Dunkel zu färben.
„Ofra ist Eure …?“ Markward war einen Schritt weit an Haza herangetreten und sah ihn mit einem mehr als erstaunten Gesichtsausdruck an.
„… Tochter!“, führte Fürst Haza den Satz zu Ende. „Ja. Und um es vorwegzunehmen, und da interpretiere ich jetzt etwas in Euren Blick hinein, sie ist von ihrem Mann einfach in Schande verlassen worden. Niemand hier in diesem Raum wird Euch also die Ereignisse in Bahi-Dun anlasten!“
„Moment mal!“ Kieran erwachte aus seiner Erstarrung. „Ich werde sie nicht einfach hier lassen! Nein!“, protestierte er. Aber Haza gab bereits wieder mit einigen deutlichen Handbewegungen Befehle an seine Dienerschaft. Kieran versuchte sich zwischen die geschäftigen Diener und seine Frau zu stellen, wurde aber von Dakun grob daran gehindert.
„Kieran! Er hat recht!“, fuhr er ihn laut an.
„Nein!“ Kieran riss sich von ihm los. „Ich werde sie nicht verlassen!“
„Kieran!“ Haza fasste ihn an beide Schultern und sah ihn mit einem väterlich strengen Blick an. „Ich habe bereits vor einigen Jahren meinen eigenen Sohn verloren. Ich werde nun nicht noch einmal tatenlos zusehen, wie sich ein anderer junger Mann in sein Unglück stürzt, noch dazu einer, der eine solche Verantwortung zu tragen hat! Es scheint Euch nicht bewusst zu sein, dass es hier um noch wesentlich mehr geht, als nur um Euch und Eure Frau.“ Haza schüttelte ihn leicht, damit er wieder zu Verstand kommen würde.
„Doch.“, stammelte Kieran mit einem schmerzerfüllten Blick zu Emily.
„Denkt in größeren Maßstäben!“, forderte ihn Haza kopfschüttelnd auf. „Es geht hier um die gesamte Euch bekannte Welt!“
„Für mich ist sie meine ganze Welt!“, sagte Kieran belegt und merkte plötzlich, dass ihm die Augen feucht wurden.
„Dann müsst Ihr gerade deshalb jetzt fliehen.“, sagte Haza fast schon wieder sanft und ließ seine Arme sinken.
Dakun fasste ihn am Oberarm und zog den sich widerstrebenden Kieran hinter sich her, aus dem Zimmer hinaus. Aber auch Markward tat sich schwer mit Abschied nehmen. Damaso musste ihn schon fast aus dem Raum heraus schubsen.
„Komm schon.“, sagte er leise. „Wenn sie wirklich seine Tochter ist, kannst du sie dir ohnehin wieder aus dem Kopf schlagen.“
Einige bewaffnete Männer aus Hazas Leibgarde brachten die vier Gefährten durch schmale Gassen schnell und unauffällig zum Hafen. Sie hielten geradewegs auf ein größeres Schiff zu, das gerade dabei war seine Segel zu setzen. Es war bereit auszulaufen, und zerrte schon mit Macht an den Tauen, mit denen es noch am Kai lag. Auf Deck herrschte ungeduldiges Treiben. Es wartete nur noch auf sie. Haza hatte wirklich schon Vorkehrungen getroffen. Die Soldaten brachten sie noch bis auf das Schiffsdeck, der Anführer von ihnen unterhielt sich noch sehr knapp mit dem Kapitän, als die anderen bereits zum Abschied ihren Kopf neigten und sich wieder auf den Rückweg machten. Dann wurden die Taue einfach gekappt und das Schiff legte langsam ab. Der Steuermann brachte das Schiff in den Wind und mit einem heftigen Ruck nahm es seine Fahrt so plötzlich auf, dass sie alle um ein Haar gestürzt wären. Dann kam der Kapitän mit einem amüsierten Ausdruck in seinen Augen auf sie zu.
„Willkommen an Bord, Sayyid.“, sagte er und verbeugte sich respektvoll vor Kieran. Er erwiderte seinen Gruß höflich, sagte aber kein Wort. Sein Blick war auf das Festland gerichtet, das bereits immer mehr aus seinem Blick entschwand. Das war jetzt eindeutig zu schnell gegangen! Kieran konnte noch nicht fassen, was gerade passiert war. Vor allem konnte er nicht fassen, wo er sich jetzt befand. Der schwindende Ausblick auf den Hafen der Stadt machte das Gefühl in seinen Eingeweiden nur noch kribbeliger. Erst als er Dakuns schwere Hand auf seine Schulter spürte, erwachte er wieder aus seinen leeren Träumen.
„Er wartet auf eine Antwort.“, erinnerte ihn Dakun gerade leise.
„Was?“ Kieran hatte nicht zugehört.
„Er fragte, ob du dich erst in deine Kabine zurückziehen möchtest, oder ob er dir das Schiff zeigen soll!“, flüsterte Dakun und sah ihn eindringlich an.
„Oh. Meine Kabine, bitte.“ Kieran hatte keine Lust auf eine Schiffsbegehung. Er hatte keine Lust auf Smalltalk. Er hatte keine Lust sich jetzt mit irgendwas zu befassen. Er musste jetzt erst einmal in Ruhe nachdenken. Der Kapitän schien es ihm nachzusehen und begleitete ihn persönlich unter Deck und verabschiedete sich dann mit dem Hinweis, dass man sie zu gegebener Stunde zum Essen kommen lassen würde.
Kieran ließ sich träge auf das Bett sinken und fuhr sich schwer atmend mit den Händen durchs Haar. Damaso, Markward und Dakun verteilten sich im Raum, und nahmen jeder für sich Platz. Sie mussten alle erst einmal ihre Gedanken sortieren. Die Stille, die sich unter ihnen ausbreitete, war fast nicht zu ertragen.