Читать книгу Sohn des Windes - K. Will - Страница 7
5.
ОглавлениеYasemin hatte nicht nur ihren Namen vergessen, sondern irgendwann auch die Zeit. Nasim bemühte sich auf so nette Art um sie, dass sie sich irgendwann in ihre neue Rolle als seine Frau schon einzufügen begann. Es machte ihr nicht mal etwas aus. Wer wusste es schon, vielleicht war an der Geschichte ja mehr Wahres dran, als sie glaubte! Haza, der sie täglich heimlich besuchte, wusste es, aber er hatte weder Nasim noch sie selbst über ihre Herkunft aufgeklärt. Nicht einmal ihren wahren Namen hatte er verraten. Und sie war sich sicher, dass er ihn wusste. Das stärkte nicht gerade ihr Vertrauen in den alten Mann. Nein, wenn, dann würde sie lieber Nasim vertrauen wollen, der zwar ebenfalls keine Ahnung von den Dingen hatte, die geschehen waren, aber er machte wenigstens keinen Hehl daraus, sondern war darum bemüht Tag für Tag etwas mehr Licht in das Dunkel, das in ihrem Kopf herrschte, zu bringen.
Nur eines war ihr in der Zwischenzeit klar geworden: Sie hatte keinerlei Mühe damit alle Arbeiten des täglichen Haushaltes zu meistern, also war sie keine hochgestellte Persönlichkeit, die Diener gewohnt war. Die Tatsache ließ sie zwar noch mehr darüber zweifeln, was dann eine so hoch gestellte Persönlichkeit wie Fürst Haza eigentlich mit ihr zu schaffen hatte, aber da sie ansonsten auch nichts mit sich anzufangen wusste, kümmerte sie sich gerne um Nasim und seinen bescheidenen Haushalt. Er tat es ja umgekehrt schließlich auch!
Irgendwann waren die Truppen von Hakkar wieder abgerückt und das Leben in der Stadt ging allmählich wieder seinen gewohnten Gang. Haza kam zu ihrem Haus, um ihnen mitzuteilen, dass nun wohl keine Gefahr mehr bestand.
„Ich möchte Euch unter meiner Obhut in meinem Palast wissen.“, sagte er mit eindringlichem Blick, als er gerade zum Abendessen in das kleine Häuschen des Archivars, das sie mit Nasim bewohnte, hereinschneite.
Nasim zuckte fast unmerklich zusammen, neige aber nur respektvoll sein Haupt.
„Wenn Ihr es so wünscht. Ich werde ihre Sachen holen gehen.“
„Nein.“, sagte Yasemin leise, aber dennoch recht entschieden. „Verzeiht mir, Fürst Haza, aber ich werde nicht mit in Euren Palast kommen. Ich fühle mich hier bei Nasim sicher, ich werde bleiben!“
„Yasemin!“, stieß Nasim erschrocken hervor. Wusste sie denn nicht, wem sie gegenüber stand? Natürlich nicht, schalt er sich selbst. Woher denn auch?
Haza zog die Augenbrauen in die Höhe, blieb aber ruhig.
„Ich fürchte, ich muss darauf bestehen.“, sagte er nur knapp und wartete. Mit einem Wink gab er Nasim zu verstehen, endlich ihre Sachen zu holen.
Nein!“, sagte Yasemin ganz entschieden.
„Yasemin!“ Nasim trat mit einem schnellen Schritt hinter ihr, fasste sie an den Schultern und beugte sich leicht zu ihr hinunter, und sprach dicht an ihrem Ohr. „Du weißt nicht, wen du vor dir hast!“, raunte er ihr eindringlich zu. „Tu, was er sagt.“
„Nein!“ Yasemin blieb stur. Sie verschränkte wenig beeindruckt die Arme vor der Brust und sah von Haza zu Nasim, der weiterhin in ihrem Rücken stand. Was sich für Yasemin ungemein tröstlich und beschützend anfühlte. „Ich weiß nicht wer ich bin und woher ich komme. Aber ich weiß, dass ich dir vertraue, dass du mich während der letzten Tage oder Wochen beschützt hast, obwohl du eigentlich keinerlei Veranlassung dazu hattest. Und ich weiß, dass er die Wahrheit kennt und sie mir vorenthält, und dass ich ihm deswegen misstraue. Nein, ich bleibe bei dir!“
„Die Wahrheit kommt noch früh genug!“, sagte Haza streng. „Alles zu seiner Zeit. Ich fürchte, Euch bleibt keine andere Wahl. Ich werde Nasim zu seinen Truppen zurückschicken! Sie müssen sich bereithalten. Es tut mir leid, aber Ihr werdet mich begleiten!“
„Verzeiht, Sayyid!“ Nasim verbeugte sich höflich vor dem alten Mann. „Gebt uns ein wenig Zeit. Ich werde sie noch im Laufe des Abends zum Palast hinüber bringen! Ihr habt mein Wort darauf!“
Haza zögerte einen Augenblick. Er sah sehr ernst die beiden jungen Leute vor sich an.
„Also schön!“ Er nickte zum Abschied. „Ich habe Euer Leben, nicht nur Euer Wort! Vergesst das nicht!“ Damit drehte er sich um und ließ die beiden alleine.
Nasim stieß die Luft geräuschvoll aus, als Haza die Tür endlich wieder hinter sich zugemacht hatte. Er sah lange und sehr nachdenklich Yasemin an.
„Es tut mir wirklich leid.“, sagte er sehr leise. „Aber ich fürchte, ich muss dich zurückbringen. Mir bleibt keine andere Wahl. Obwohl ich deine Anwesenheit hier vermissen werde. Aber ich bin nur ein einfacher Soldat. Wenn mich Haza zurückschickt werde ich gehen müssen. Und du wirst hier bleiben. Ich kann dich unmöglich mitnehmen! Auch wenn ich es am liebsten täte.“ Er hielt ihr seine Hand offen hin und sah sie betreten an. Zögerlich legte Yasemin ihre Hand in die seine. Er ergriff sie und führte sie zu seinen Mund, um sie zu küssen.
„Ich habe keine Ahnung, wer du bist. Aber eines ist klar: Du bist eine wundervolle Frau, eine bezaubernde Gesellschafterin, eine wahre Augenweide und eine ganz hervorragende Köchin! Ich danke dir für die letzten Tage, die ich mit dir verbringen durfte!“ Eine verlegende Pause entstand. Schüchtern zuckte Yasemin mit den Achseln.
„Wer weiß … vielleicht ist das des Rätsels Lösung. Ich bin die Hofköchin von diesem Hakkar und habe ihm die Suppe versalzen, und er will sich jetzt dafür rächen!“ Sie grinste etwas verunglückt. Nasim stieß ein kurzes Lachen aus.
„Wenn es bloß so einfach wäre!“, gab er lachend zurück, schüttelte aber gleichzeitig den Kopf. Dann sah er sie wieder ernst an. „Ich werde das jetzt wahrscheinlich nie wieder tun können oder dürfen …!“ Er zog sie mit einem schnellen Griff an den Hüften fest an sich heran und legte ihren Kopf mit einer Hand auf seine Brust und schloss die Augen. Eine Weile hielt er sie so fest, hielt sie, damit sie ihm nicht entrinnen konnte, hielt sie, weil er sie einfach für alle Zeiten halten wollte. Doch sein Griff wurde lockerer, entspannter, als er feststellte, dass er sie gar nicht festhalten musste, dass sie ihm gar nicht entrinnen wollte, dass sie sich tatsächlich an ihn schmiegte, wenngleich auch etwas schüchtern.
Yasemin konnte deutlich seinen viel zu schnellen Herzschlag hören, fühlte seine kräftigen Hände an ihrer Hüfte und auf ihrem Hinterkopf liegen, fühlte, wie seine Finger mit ihren Haaren spielten. Mochte er sie etwa tatsächlich? So wie sie ihn? Sie wünschte sich, dass alles nicht so verworren wäre, dass sie ihn einfach … lieben könnte. Warum konnte es nicht so einfach sein? Warum musste alles kompliziert sein? Warum konnte sie nicht einfach hier bei ihm bleiben? Warum konnte sie nicht einfach bei dem Mann bleiben, bei dem sie sich sicher und verstanden fühlte, den sie mochte, und der sie mochte, oder vielleicht sogar noch mehr …? Plötzlich zuckte sie zusammen. Irgendwie kam ihr die Situation vertraut vor. Als hätte sie sie schon einmal erlebt ….
Nasim sah sie fragend an, als er spürte, wie sie kurz versteinerte. Er deutete ihren Blick richtig.
„Hast du dich an etwas erinnert?“, fragte er vorsichtig. Yasemin sagte noch nichts, also wartete er geduldig.
Aber dann schüttelte sie langsam den Kopf.
„Ich dachte gerade, dass ich das hier schon einmal erlebt habe …. Irgendwie kommt es mir vertraut vor ….“
„Ein Déjà vu?“ Nasim zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Vielleicht hätte ich dich schon eher mal in den Arm nehmen sollen … vielleicht aber auch besser nicht. Wer weiß, wenn du dich wieder erinnern kannst, wer du bist … wahrscheinlich bin ich dich dann für immer los.“, fügte er leise hinzu. „Und das will ich ehrlich gesagt gar nicht!“
„Vielleicht wärst du ja sogar froh mich wieder los zu sein! Wer weiß schon, wer ich bin?!“ Yasemin lächelte ihn an, aber Nasim schüttelte energisch den Kopf.
„Nein. Ich kenne dich nun gut genug! So Grund auf anders kannst du gar nicht sein, auch wenn du dich wieder erinnern solltest, wer du bist. Ich mag dich!“ Damit drückte er sie wieder fester an sich. „Aber es hilft nichts. Ich muss dich jetzt zum Palast rüber bringen!“
„Und wenn ich nicht will?“, fragte sie widerstrebend. Sie legte den Kopf auf die Seite und sah ihn mit einem dieser gewissen Blicke an: verführerisch, unschuldig, bittend ….
Nasim schloss seufzend die Augen.
„Tu das nicht!“, sagte er.
„Was?“, fragte sie.
„Mich so anzusehen!“
„Warum nicht?“
„Weil ich dann weiche Knie kriege!“
„Und warum ist das schlimm?“
„Weil ich nicht anders kann. Ich muss dich wegbringen! Für einen unbedeutenden Mann meines Standes habe ich mir schon eine ganze Menge Haza gegenüber herausgenommen.“ Nasim sah sie wieder an. „Yasemin, bitte, mach mir keine Schwierigkeiten.“
Yasemin sah betrübt zu Boden. Er hatte recht. Natürlich hatte er recht. Es war dumm anzunehmen, dass sie einfach hier bei ihm bleiben könnte, wenn er nur ein einfacher Soldat war.
„Komm.“ Er hielt ihr die Hand hin. Und sie griff zögerlich danach.
Haza erwartete sie bereits schon. Ungeduldig ging er in seiner Empfangshalle mit auf dem Rücken verschränkten Armen hin und her, bereits jetzt schon vollkommen überdrüssig das grazile Mosaik auf seinem Fußboden zu betrachten. Als er Nasim und Yasemin gewahr wurde, hörte er abrupt damit auf und kam schnurstracks auf sie zu.
„Endlich. Dem Himmel sei `s gedankt!“, rief er aus, indem er seine Hände wie um höhere Mächte anflehend oder dankend gen Himmel streckte. Er schien ehrlich erleichtert zu sein.
Etwas unwirsch entließ er Nasim mit einer ungeduldig gewedelten Handbewegung.
„Kehrt nun unverzüglich zu Euren Truppen zurück und haltet Euch bereit.“, sagte er noch streng, als Nasim sich bereits mit einer untertänigen Verneigung verabschiedete.
Yasemin sah ihn mit einem Bedauern nach, das ihm die Kehle zuschnüren ließ. Er sagte nichts, sondern nickte ihr nur kurz zu und ging dann davon. Aber sein Blick hatte Bände gesprochen. Er wollte nicht gehen. Er wollte sie nicht verlassen. Und er machte sich Sorgen. Um sie? Um das, was ihn erwartete? Er sollte seine Truppen bereithalten …. Für eine Schlacht! Er musste in die Schlacht ziehen. Etwas, das auch sie in Sorge versetzte. Und Haza war sehr besorgt um sie, dass ihr etwas zustoßen könnte. Also würde sie der Schlacht nicht so fern sein, wie es Haza lieb war. Was das für sie hieß, wusste sie. Wenn sie auch sonst nichts anderes wusste - aber das!
Ofra nahm sich Yasemin an und führte sie durch den Palast, durch endlos lange Flure, in ein herrschaftliches Gemach. Yasemin schaute sich mit großen Augen um und sah ziemlich erstaunt Ofra an.
Ofra lächelte nur.
„Ein Gemach, wie es Euch zusteht.“, beschied sie ihr nur. Dann aber verließ sie wieder die Räumlichkeit und überließ ihren Gast den Dienerinnen, die sich daran machten ihr ihre sehr einfache und nicht standesgemäße Kleidung abzunehmen, um sie mit einem heißen Bad und anschließend mit neuen Kleidern zu verwöhnen.
Am nächsten Morgen erschien Ofra wieder bei ihr. Sie hielt einen kleinen Jungen auf den Armen und begrüßte sie sehr freundlich.
„Wie habt Ihr geschlafen?“, wollte sie wissen. „Habt Ihr Euch ausruhen können von den Strapazen, die wir alle Euch aussetzen mussten?“
Yasemin wusste ehrlich nicht wovon sie sprach.
„Ich verstehe nicht, was Ihr meint.“, gab sie zu. Nachdenklich betrachtete sie die Frau mit dem Kind vor ihr. Es war ihr plötzlich wieder als wäre da etwas, an das sie sich erinnern sollte. Tatsächlich aber war dieses Gefühl nur so vage, dass sie dann aber doch ebenso vage mit dem Kopf schüttelte. Sie hatte sich wohl geirrt.
Ofra machte große Augen, schüttelte aber dann ebenfalls nur leicht den Kopf.
„Ich meine nach den letzten Tagen, in denen Ihr gewiss anstrengende Arbeiten verrichten musstet.“ Sie wartete auf eine Reaktion, aber das Unverständnis in den Augen der jüngeren Frau wollte nicht weichen. Vielleicht machten ihr Dinge, wie die tägliche Hausarbeit ja auch nichts aus. Sie hatte einfach nur angenommen, dass sie es gewöhnt wäre, ständig von Dienerinnen umsorgt zu sein. „Es spielt ja auch keine Rolle mehr.“, fügte sie dann schnell hinzu. „Könnt Ihr Euch in der Zwischenzeit an etwas erinnern?“ Hoffnungsvoll sah sie sie an.
Aber Yasemin blickte betrübt zu Boden.
„Nein.“, sagte sie nur.
„Nun, das wird schon wieder.“, sagte Ofra ganz zuversichtlich und trat nahe an sie heran, um ihr das Kind zu überreichen. „Vielleicht solltet Ihr Euch einfach einer Aufgabe widmen, statt betrübt darüber nachzudenken, was geschehen ist.“
Yasemin besah sich den kleinen Jungen, den ihr Ofra in die Arme gelegt hatte. Aber auch das freudestrahlende Lächeln des Kleinen weckte keinerlei Erinnerungen in ihr.
Nachdem sie den Grenzpass passiert hatten, änderte sich das Wetter wirklich schlagartig. Es schien wirklich so, als bildete das riesengroße Gebirge nicht nur die Grenze zwischen zwei Ländern, sondern auch zwischen den verschiedenen Klimaten. Mit jedem Schritt, den sie weiter südwärts, und damit weiter nach Hal-Abun kamen, wurde es wärmer.
Aber die Erleichterung Hal-Abun, wenn auch erst nur aus der Ferne zu sehen, wollte sich nicht einstellen. Auch aus der Ferne war eindeutig zu viel Bewegung rund um die Stadt zu sehen. Erst als sie näher heran geritten waren, wussten sie, was sie aus der Ferne gesehen hatten: Truppenaktivitäten.
Kieran sah Dakun alarmiert an, sagte aber nichts. Dakuns grimmigen Gesichtsausdruck zu folgern, hatte auch er zwar nicht damit gerechnet, kämpfende Truppen hier vorzufinden, aber es schien sein Kampfgeist anzustacheln. Er gab seinem Pferd die Sporen und stürmte allen voran geradewegs nach Hal-Abun hinein.
Atemlos mussten sie sich ihren Weg in den Stadtkern freikämpfen, bis sie endlich an der Palastmauer angekommen waren. Ein Soldat der Stadtwache erkannte Kieran auf Anhieb.
„Sayyid Az-Hchal!“, rief er ihn an, und winkte mit einer ausholenden Bewegung die vier Gefährten in den Palasthof hinein. Die Soldaten der Stadtwache hatten alle Hände voll zu tun, die Angreifer vom Palast fernzuhalten, aber der Innenhof war menschenleer.
„Was geht hier vor?“, fragte Kieran den Soldaten in scharfem Ton.
„Fürst Hakkar ist auf der Suche nach Euch, er hat Hal-Abun angegriffen, weil unser Gebieter, Fürst Abahn, sich ihm widersetzt hat.“, berichtete der Soldat und verneigte sich untertänig.
„Schon gut, schon gut.“, tat Kieran ungeduldig ab und zog den Mann vor sich wieder hoch. „Wo ist Fürst Abahn?“
„Er hat einen Trupp außerhalb Hal-Abuns geführt. Er wollte die Kämpfe vom Stadtkern weglocken.“ Der Soldat zuckte etwas unbehaglich mit den Achseln. Mehr konnte er ihm leider auch nicht sagen. Die letzten Meldungen darüber waren schon einige Stunden alt. Mittlerweile konnte er ganz woanders sein. Oder auch …. Nein, daran durften sie alle nicht denken!
„Wer sind die anderen Männer, die mit euch kämpfen? Ich habe einige ohne Uniformen und Wappen gesehen!“, wollte Kieran wissen.
„Es sind Männer aus Al-Alef. Nasim Abhir hat sie sich hier versammeln lassen.“, erklärte der Soldat.
„Ist er ihr Befehlshaber?“, fragte Kieran nach.
„Nein, Herr, er ist nur ein einfacher Soldat. Die Truppen sind führerlos, allerdings hat dieser Nasim eigenmächtig die Initiative ergriffen!“, fuhr der Mann weiter fort.
„Also schön, bring mich zu ihm!“, forderte Kieran. Der Soldat nickte nur steif und wechselte ein paar Worte mit einem anderen Soldaten der Stadtwache. Dann machten sie sich allesamt auf den Weg durch die Stadt, und wurden immer wieder, wenn sie Straßenecken passierten, von feindlichen Soldaten angegriffen. Es dauerte recht lange, bis sie den gesuchten Mann endlich in einer etwas ruhigeren Seitenstrasse aufgespürt hatten. Das Kämpfen, das hier gerade noch stattgefunden hatte, war nur zu deutlich zu einem jähen, blutigen Ende gekommen.
Am anderen Ende der langen Gasse befand sich ein junger hoch gewachsener Mann, aufgeregt im Gespräch mit einer Frau. Kieran ritt eilig auf ihn zu.
„Yasemin, was machst du hier?“, hörte er den Mann mehr als alarmiert sagen. „Um Himmels Willen, Yasemin, du darfst nicht hier sein! Was hast du nur getan?“
„Mich gefragt, was ich allein ohne dich in Sa-Lham bei all den fremden Menschen mache, die ich nicht mal kenne, und die mir keine Auskunft darüber geben wollen, wer ich bin! Ich war sogar bei dem Schneider mit den ausgetretenen Stufen!“, erklärte die Frau kopfschüttelnd mit tiefster Verzweiflung in der Stimme. Kieran hörte nachdenklich nur von weitem den Klang ihrer Worte. Und ihren Akzent.
„Hier ist es nicht sicher. Du kannst nicht hier bleiben!“, ereiferte sich der Mann wieder.
„Haza ist in größter Sorge. Offensichtlich macht er sich Gedanken darum, wie er mich wohl beschützen kann. Ich habe jedenfalls festgestellt, dass der sicherste Platz für mich direkt hinter dir ist!“, gab sie zurück.
Der junge Mann nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie in stürmischer Verzweiflung auf ihren Mund.
„Oh, Yasemin!“, sagte er atemlos. „Du darfst trotzdem nicht hier bleiben!“ Er umarmte die Frau und drückte sie fest an sich. Er merkte nicht mal, wie jemand hinter ihn trat. Erst als er das Geräusch von Stahl hörte, der aus einer Scheide herausgezogen wurde, drehte er sich blitzschnell mit seinem Schwert in der Hand herum, um den Angriff gerade noch rechtzeitig abzuwehren. Schützend stellte er sich vor die Frau und focht einige grimmige Schwerthiebe mit seinem Widersacher, bis er mit Erschrecken erkannte, wen er da vor sich hatte! Schnell ließ er sein Schwert sinken, und befand sich daraufhin auch schon, mit der Klinge des anderen an der Kehle, an der Hauswand stehend.
„Sayyid Az-Hchal!“, keuchte er überrascht. „Verzeiht mir, ich habe Euch nicht ….“
„Was habt Ihr mit meiner Frau zu schaffen?“, knurrte Kieran ihn wutverzerrt an.
„Mit Eurer … was? … Ich meine … Yasemin ist … wer?“, stammelte er.
„Meine Frau!“, fauchte Kieran ihn böse an.
Der junge Soldat sah verwirrt abwechselnd zu Kieran und Yasemin herüber.
„Rede endlich!“, schnaubte Kieran wütend und drückte ihm die Klinge noch etwas fester an die Kehle. Ein erstes, dünnes Rinnsal roten Blutes suchte sich seinen Weg in die Tiefe.
„--- Nasim! Nicht!“, rief die Frau erschrocken aus und rannte mit aller Kraft gegen Kieran an, und ließ ihn einige Schritte zur Seite taumeln.
Nasim ließ sich ehrfürchtig auf ein Knie fallen.
„Sayyid, es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass sie Eure Frau ist!“, sagte er atemlos, aber Kieran schien ihm nicht zuzuhören. Er hielt die sich wehrende Frau grob am Arm gefasst und hinderte sie daran, unter seinem festen Griff immer weiter herumzuzappeln und ihm die Augen auszukratzen.
„Emily, verdammt, was ist in dich gefahren!“, fuhr er sie lautstark an. „Komm zur Vernunft.“ Er schüttelte sie grob am Arm.
„Sayyid, nicht!“ Nasim fuhr wieder auf und drängte sich zwischen seinem Gebieter und seiner Frau, verstellte ihm mutig den Weg und den Blick auf Yasemin, und hielt ihn auf Abstand, indem er Kieran mit einer Hand auf seiner Brust abwehrte. „Tut ihr nicht weh! Sie weiß nicht, wer sie ist! Sie hat ihr Gedächtnis verloren!“, keuchte Nasim atemlos und senkte gleich darauf auch schon wieder ein wenig seinen Kopf, wohl wissend, dass ihm das jetzt seinen Kopf kosten könnte.
Kieran hielt aber tatsächlich abrupt inne und schaute ihn nur fast ungläubig an.
„Was?“, fragte er noch immer aufgebracht.
Nasim verbeugte sich noch einmal unterwürfig, bevor er ihn wieder ansprach.
„Sie kann sich an nichts erinnern, nicht mal an ihren Namen!“
Kieran war ehrlich verdutzt.
„Emily, sieh mich an.“, forderte er sie auf und sah ihr fest in die Augen. Aber außer einem ängstlichen Erschrecken konnte er nichts anderes darin lesen. Jetzt war es Kieran, der aufkeuchte. „Emily?“, fragte er leicht unsicher. Aber die Frau sah ihn nur verständnislos an.
„Was ist in Sa-Lham vorgefallen? Weswegen ist sie nicht unter der Obhut Fürst Hazas, sondern ausgerechnet hier?“, fragte Kieran streng an Nasim gewandt.
„Fürst Hakkar hat überall in Sa-Lham herumgeschnüffelt. Er hat Fürst Haza zur Rede gestellt, als er sie verstecken wollte. Ich habe sie kurzerhand als meine Frau ausgegeben, um sie vor Hakkars Zugriff zu schützen. Als mich Fürst Haza wieder zu meinen Truppen zurückgesandt hat, brachte ich sie zum Palast zurück. Sie hat sich in Sicherheit befunden! Aber was dann passiert ist, weiß ich nicht. Sayyid, verzeiht mir, aber ich wusste nicht wer sie ist!“ Nasim wagte nicht mal Kieran anzusehen. Verstohlen warf er Yasemin einen Blick zu, der etwas von Mitleid, Sehnsucht und noch etwas anderem widerspiegelte. Kieran sah es aus den Augenwinkeln heraus und trat wieder direkt vor den Soldaten hin, der wieder schnell seinen Kopf ein wenig tiefer neigte. Aber er sagte nichts. Er dachte angestrengt nach. Erst nachdem er Emily mit einem langen Blick gemessen hatte, fragte er Nasim: „Liebst du sie?“
„Sayyid?“
„Du hast mich schon verstanden!“, behauptete Kieran streng.
„Wie könnte mir das zustehen!“, gab Nasim unsicher zurück.
„Ich will wissen, ob du sie geliebt hast, als du nicht wusstest, wer sie ist!“
Aber auf die Frage bekam Kieran nur ein vorsichtiges Kopfnicken.
„Gut.“, sagte er. „Dann wirst du mir für ihre Sicherheit garantieren, wenn ich dich damit beauftrage sie zurück zum Hofe Hazas zu bringen, um dort auf sie aufzupassen!“
„Dann seht Ihr mir mein Fehlverhalten also nach?“, fragte Nasim gleichwohl hoffnungsvoll, als auch erstaunt. Er hatte schon fast damit gerechnet, gleich hier und jetzt von ihm enthauptet zu werden, weil er es gewagt hatte, seiner Frau zu nahe zu treten und auch noch zu küssen.
„Wenn du es mir nachsiehst, dass ich dir alle Knochen brechen werde, solltest du ihr noch einmal zu nahe kommen!“, gab Kieran zurück und nickte dem Soldaten zu.
„Kieran?“, fragte eine dünne, zittrige Stimme plötzlich verwirrt. Emily sah mit großen Augen von einem zum anderen, und schien gleichzeitig durch die Männer hindurch zu blicken.
„Emily?“ Kieran drehte sich zu ihr zu.
„Yasemin?“, fragte auch Nasim vorsichtig.
„Déjà vu.“, hauchte sie nur nachdenklich.
Damaso trat mit leisen, schnellen Schritten vor und schob sich ihr in ihr Blickfeld, um sie lange anzusehen. Ja, er wusste, was sie meinte. Ein Teil dieser Situation kam auch ihm durchaus bekannt vor. Langsam nickte Emily. Sie sah ihn lange an.
„Damaso …“, sagte sie dann endlich und ließ sich in seine Arme fallen, die ihr Damaso weit geöffnet entgegen hielt.
„Kleine Emily, was machst du nur für Sachen?“, fragte er leise die plötzlich heftig schluchzende Frau in seinen Armen, und wuschelte ihr durch das Haar.
„Ich weiß es nicht!“, gestand sie. „Ich wollte …“ Sie brach ab, um zu überlegen. Dann sah sie zu Markward hinüber. „… euch beiden suchen.“, fuhr sie langsam fort.
Markward nickte sie nur an.
„Und du hast mich gefunden.“, bestätigte er ihr.
„In Bahi-Dun.“, überlegte sie leise. „Aber Kieran war nicht da!“
„Nein.“ Markward sah sie eindringlich an und wartete. Langsam kamen die Erinnerungen wieder.
„Er war geflohen, nicht wahr?“, fragte sie an Markward gewandt. „Aber was ist dann passiert? Wir waren unten im Verlies, aber was war dann?“
„Dann hast du mir das Leben gerettet!“, stellte Markward unumstößlich fest und hielt ihr ebenfalls seine Arme geöffnet entgegen. Emily machte sich von Damaso los und ließ sich von Markward umarmen. „Und dafür konnte ich dir bislang noch gar nicht danken!“ Er drückte sie fest an sich. „Danke! Danke dafür, dass du da warst, um uns zu befreien, und dafür, dass du mich gerettet hast.“
„Aber was ist passiert?“, wollte sie noch immer wissen. Sie konnte sich noch keinen Reim darauf machen. Etwas fehlte noch. Sie konnte sich an das Verließ erinnern, aber dann erst wieder, wie sie von Haza eilig durch lange Flure gezogen wurde, bis sie auf diesen Hakkar stießen. Aber dazwischen fehlte doch noch etwas!
„Ich habe einen Sturm losgeschickt.“, sagte Kieran sehr leise und kam zu ihnen hinüber. „Ich hätte euch beide damit getötet, wenn du nicht einen Bannzauber um euch herum gewirkt hättest.“
Emily sah ihn entsetzt an. Jetzt erinnerte sie sich plötzlich wieder.
„Du warst das?“, fragte sie ungläubig. Kieran nickte nur traurig. „Ja.“
Eine Zeit lang sagte niemand mehr etwas. Erst als Dakun ebenfalls vom Pferd abgesessen war und auf Emily zukam, um sie zu umarmen, löste Kieran sich aus seiner Erstarrung.
„Kriege ich jetzt vielleicht mal meine Frau wieder zurück?“, fragte er in einem komischen Ton.
Emily trat auf ihn zu und wollte ihn gerade umarmen, aber er zog nur schnell den Kopf weg.
„Nein.“, sagte er zu ihr und zog sie am Handgelenk mit sich. Er bog eilig in eine kleine, ruhige Seitengasse ein und tauchte mit ihr in den Schutz eines Schattens ein, den ein buntes Sonnensegel an einer Hausecke ihnen dort bot.
Lange sah Kieran Emily an, ohne etwas zu sagen, hielt einfach nur ihr Gesicht in seinen Händen und konnte sie nur anstarren. Dann schlang er plötzlich seine Arme um sie und drückte sie fest an sich. Nur ein leises Schlucken und halb unterdrücktes Schluchzen verrieten ihr, dass er tatsächlich weinte!
Sie wussten beide nicht, wie lange sie dort so gestanden hatten, aber irgendwann kam Damaso langsam um die Ecke gebogen und blieb in einigem Abstand zu ihnen stehen.
„Emily“, begann Kieran langsam, „war da irgendetwas zwischen Nasim und dir?“ Er nahm ihr Gesicht wieder in seine Hände und sah sie aus tränenfeuchten Augen eindringlich an. „Ich könnte es sogar verstehen. Er ist um einiges jünger als ich und … war einfach für dich da.“
Aber Emily schüttelte nur leicht den Kopf.
„Nein.“, sagte sie und sah ihm dabei fest in die Augen. „Nein, er war tatsächlich einfach nur da, als ich jemanden brauchte. Er hatte zwar genauso wenig Ahnung, wie ich gehabt, aber er hat es wenigstens zugegeben und sich darum bemüht, dass ich mich wieder erinnern könnte. Nein, da war nichts! Und bis vorhin war er stets einfach nur sehr höflich und zurückhaltend mir gegenüber!“ Sie lächelte ihn aufmunternd an. „Er ist nett. Aber das sind Damaso und Markward auch!“
Ein wenig erleichtert atmete Kieran auf.
„Ich liebe dich!“, sagte er nur leise und drückte sie noch einmal ganz fest.
„Ich dich doch auch!“, gestand sie ihm und küsste ihn. „Warum zweifelst du nur immer so viel?“
„Na, du hast mich vorhin ganz schön erschreckt!“, sagte er lächelnd zu ihr. „Erst küsst du Markward zum Abschied in Aldomark, und jetzt finde ich dich hier in Hal-Abun in den Armen eines anderen Mannes wieder!“, erinnerte er sie.
„Kieran!“, schalt sie ihn lachend, aber erwiderte nur zu gerne seinen Kuss, den er ihr mit Leidenschaft gab.
Damaso räusperte sich ungeduldig am Ende der kleinen Gasse.
„Ich will ja nicht stören, aber wir befinden uns noch immer mitten im Krieg gegen Hakkar! Vielleicht sollten wir mal langsam von hier weg?“
„Hast ja recht!“, sagte Kieran zu ihn, und führte Emily an der Hand die Gasse hinunter auf ihn zu, während er noch darum bemüht war, die Tränen in seinen Augen wegzublinzeln.
„Kieran!?“, fragte Damaso, als er sich seinen Freund besah. Kieran wischte sich noch einmal mit der Hand über sein Gesicht.
„Kein Wort!“, warnte er ihn, bevor er um die Ecke bog und zu den anderen zurückkehrte. „Nasim!“, sprach Kieran den Soldaten dann übergangslos an. „Du wirst sie unverzüglich nach Sa-Lham zurückbringen und mir für ihre Sicherheit garantieren. Damaso, du begleitest sie! Ich werde Hakkar aufsuchen!“
„Kieran, nein!“, flehte Emily plötzlich überaus nervös aufgebracht, begegnete aber nur seinen entschlossenen Blick, und brach ab.
„Ich werde Hakkar suchen und ihm das alles hier vergelten!“ Kieran nickte sehr entschieden. „Ich werde ihm das nicht ungestraft durchgehen lassen. Er ist auf der Suche nach mir? Bitte sehr, dann soll er mich auch kriegen! Aber wenn er denkt, dass er damit alle seine Probleme aus der Welt schafft, hat er noch nicht erlebt welche Probleme ich ihm tatsächlich machen kann!“ Dann aber sagte er fast schon sanft zu Emily: „Mach dir keine Sorgen. Es wird mir nichts passieren! Aber ich kann dich hier nicht beschützen. Außerdem musst du zurück, du musst dich um Asrar kümmern!“ Er gab ihr zum Abschied noch einen langen Kuss, bevor er sie auf ihr Pferd setzte und Nasim die Zügel seines eigenen Pferdes in die Hand drückte. „Los jetzt!“, befahl er. „Wir treffen uns alle in Sa-Lham wieder!“ Damit drehte er sich um und ging mit Markward um die Straßenecke herum, und war im Getümmel verschwunden.
Nasim bewegte sich noch immer sehr langsam und steif.
„Komm schon, Kleiner!“, rief Damaso ihm zu. Er wartete aber geduldig, bis Nasim aufgestiegen war. Emily lenkte ihr Pferd direkt neben seines. Aufmunternd streckte sie ihm ihre Hand entgegen, um ihm zu signalisieren, ihr zu folgen, und lächelte ihn dabei an.
Damaso besah sich den jungen Soldaten.
„Ja, aufgepasst! Unsere Emily ist eine richtige Herzensbrecherin!“
„Das habe ich jetzt nicht gehört, Damaso!“, schalt sie ihn lächelnd.
„Du weißt aber, dass es wahr ist!“, neckte Damaso sie. „Deswegen lieben wir dich alle so sehr!“
„Damaso!“
„---Was?“
„Hör jetzt endlich auf! Ich frage mich manchmal, ob du wirklich Kierans Freund bist, oder ob du nur auf eine günstige Gelegenheit wartest!“
Damaso lachte auf.
„Alles nur Spaß, kleine Emily! Ich würde mich niemals zwischen Kieran und dir stellen, es sei denn, du würdest es so wollen!“
„Damaso! Jetzt reicht `s!“
Damaso lehnte sich lachend im Sattel zu ihr hinüber und küsste sie auf ihre Wange. Ja, er hatte sie vermisst. Und er war überglücklich sie wohlbehalten wieder zu haben. Auch wenn er das so niemals offen sagen würde. Zumindest nicht in Kierans Gegenwart.
„Hey!“, wandte er sich dann Nasim zu. „Das darf übrigens nur ich ungestraft!“
Emily knuffte ihn kräftig in die Seite.
„Schluss jetzt!“, schalt sie ihn und trieb ihr Pferd vorwärts.
Sie erreichten die Stadtmauer ohne weitere Probleme und kamen auch ohne Zwischenfälle zügig durch die Steppe in Richtung Westen voran.
Die Kämpfe in der Stadt kamen schnell zum Erliegen, allerdings ohne, dass Kieran den Fürsten von Bahi-Dun hätte ausfindig machen und stellen können. Aber die Überlegenheit der Männer aus Hal-Abun, die von den Truppen aus Al-Alef unterstützt wurden, war einfach zu übermächtig. Die Soldaten, die nicht gefallen oder gefangen genommen worden waren, suchten ihr Heil in der Flucht. Sie schienen ihren Befehlshaber verloren zu haben, und so stürmten einige recht kopflos davon in die Wüste hinein. Es war offensichtlich, dass sie nicht mit einer derartigen Gegenwehr gerechnet hatten.
Kieran verfluchte zwar den Umstand Hakkar nicht gefunden zu haben, aber war insgeheim dem jungen Soldaten Nasim dafür dankbar, seine Männer aus Al-Alef hier in Hal-Abun zusammengezogen zu haben.
„Verdammt!“, schimpfte er. „Und ihr habt wirklich jeden einzelnen Winkel und jeden einzelnen verbliebenen Soldaten genauer ins Visier genommen? Aber er muss doch irgendwo sein! Hakkar wird doch nicht so feige sein, seine Männer in den Kampf zu schicken und sich selber aus dem Staub zu machen!“ Er mochte nicht so recht glauben, was ihm der Befehlshaber der Truppen aus Hal-Abun da erzählte, mit dem er sich gerade im Palasthof getroffen hatte.
„Zumindest bringt uns das erst einmal eine Pause!“, versuchte Dakun ihn zu beschwichtigen.
„Ich will keine Pause, ich will, dass es ein für alle Male ein Ende hat! Ich werde mir das nicht gefallen lassen. Hakkar kann nicht einfach ungestraft in andere Städte einfallen! Er hat Al-Alef niedergebrannt! Allein das reichte ja wohl schon. Er hat gewusst, dass ich hier bin! Warum ist er nicht auch hier, wenn er doch auf der Suche nach mir ist?“ Kieran fuhr sich wütend mit den Fingern durch die Haare. Rastlos lief er auf und ab. Er musste überlegen.
Irgendetwas stimmte doch an der ganzen Geschichte nicht. Hakkar hatte ihn in Sa-Lham gesucht. Und er hatte gewusst, dass sie alle nach Hal-Abun gekommen waren. Er musste es gewusst haben! Sonst wären seine Truppen ja nicht hier gewesen! Warum war er nicht hier, um sich ihm zu stellen?
Aber als sich die aufgeregte Hektik ringsum langsam legte, und stattdessen aus allen Strassen und Ecken ein Freudenjubel laut wurde, fasste auch Kieran sich wieder.
Schnell kehrte in der Stadt wieder Ruhe und Ordnung ein. Schon am nächsten Tag hatten alle Soldaten die Toten aus den Strassen geschafft, und es wurde sich in den größeren Häusern um die Verwundeten gekümmert. Alles in allem waren die Leute in Hal-Abun sehr tüchtig gewesen, um so schnell wie möglich wieder eine Normalität herzustellen.
„Wir werden Späher aussenden. Außerdem werden wir alle Hirten in der Umgebung befragen lassen, ob sie irgendetwas beobachtet haben. Hakkar kann sich nicht einfach so davon gestohlen haben!“ Auch Fürst Abahn stimmte Kieran zu, als er abends zum Essen geladen hatte. „Wir müssen herausfinden, wohin Hakkar unterwegs ist und was er vorhat.“
„Wenn es sein Ziel ist, den nächsten Bündnispartner anzugreifen, um die gesamten Truppen der verbündeten südlichen Länder zu schwächen, müssten wir vor ihm da sein, um ihn daran zu hindern. Ich nehme mal stark an, dass er sich erst einmal nach Bahi-Dun zurückzieht, um von dort aus weiter nach Süden zu gehen, nach Abu-Ghef vielleicht, das liegt am nächsten von Bahi-Dun aus.“, überlegte Dakun.
„Er hat ziemliche Verluste hinnehmen müssen. Wie viele Männer mag er wohl in Bahi-Dun mobilisieren können, um weiter in die nächste Schlacht zu ziehen?“, fragte Markward.
„Ich weiß einfach nicht, was er damit bezwecken will!“, überlegte Kieran grimmig. „Will er einfach nur, dass sich meine Truppen aufreiben, während ich ihn verfolge?“
„So einfach könnte es tatsächlich sein!“, nickte Dakun. „Mit nur wenigen, geschwächten Männern an deiner Seite bist du leichte Beute!“
„Dann hätte er bei dem feigen Überfall in Al-Alef kurzen Prozess machen sollen! Wofür hat er uns gefangen genommen?“, entgegnete ihm Kieran.
Aber Dakun zuckte nur mit den Achseln. Irgendetwas wolle einfach nicht so recht ins Bild passen, dass sie zu zeichnen versuchten. Irgendetwas war da, dass sie alle daran hinderte in ihren Überlegungen einen Schritt weiter zu kommen.
Kieran war mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders. Er wollte eigentlich nichts lieber, als nach Sa-Lham, zurück zu Emily, die er lange genug vermisst hatte. Er wollte eigentlich nicht auf die Jagd gehen müssen nach einem Abtrünnigen, einem Verräter, der nicht mal den Mut hatte ihm gegenüber zu treten. Außerdem bedeutete der Ritt nach Bahi-Dun, und womöglich noch weiter südwärts, dass er seine Frau für die nächsten Monaten nicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Und dass, wo sie schwanger war. Nein, er hatte es schon einmal versäumt bei ihr zu sein, als sie ihn brauchte, noch einmal würde er sich das nicht verzeihen.
Bahi-Dun – sie brauchten mindestens drei Wochen nach Bahi-Dun, von dort aus drei weitere Wochen nach Abu-Ghef, wenn Hakkar überhaupt diese Richtung einschlagen würde.
Er hoffte, dass die Kundschafter morgen Neuigkeiten bringen würden, eine Spur vielleicht, oder ihnen sagen würden, dass sich Hakkar mit dem Rest der Truppen in der Nähe von Al-Alef aufhielte. Irgendetwas Brauchbares! Geduld war nie unbedingt seine Stärke gewesen. Kieran ging bereits schon wieder auf und ab, während alle anderen noch zu Tische saßen, und er beteiligte sich an den Gesprächen mit nur wenigen, abwesend wirkenden Worten.
Irgendwann legte ihm Dakun die Hand auf die Schulter.
„Kieran!“, ermahnte er ihn.
„Was?“ Kieran hatte nichts mitbekommen. Hatte er etwas gesagt?
„Zermartere dir nicht den Kopf! Warte ab, ob die Späher etwas herausbekommen haben!“, sagte Dakun. „Komm mit.“ Er verabschiedete sich von den noch Anwesenden, und Kieran tat es ihm gleich, und Dakun zog ihn mit sich durch die Flure in einen Flügel des Palastes, den Fürst Abahn für sie alle für die Dauer ihres Aufenthaltes hier in der Stadt angedacht hatte.
„Wenn du meinen Rat hören willst“, begann Dakun und wartete erst gar nicht Kierans Antwort ab, „dann entscheide morgen ganz spontan, was du weiterhin unternehmen willst. Sollten die Kundschafter berichten, dass sich Hakkar auf den Weg nach Bahi-Dun befindet, sollten wir hinter ihm her. Von dort aus kommst du sehr viel schneller wieder nach Sa-Lham zurück.“ Er hielt an einer der Türen auf dem langen Gang an. „Mach dir nicht immer so viele Gedanken, es wird sich schon alles finden!“ Er klopfte ihm noch einmal zum Abschied auf die Schulter und ließ ihn vor der Türe stehen, um den Gang noch ein Stück weiter hinunter zu laufen. Dann verschwand er dort durch eine andere Tür, und Kieran war allein mit seinen trüben Gedanken.
Er betrat sein Gemach und legte sich auf das Bett. Aber der wohlverdiente Schlaf wollte in dieser Nacht einfach nicht kommen!