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Schamchat

Die Heilige Hure

Für viele Menschen bilden die beiden Worte „heilig” und „Hure” ein Gegensatzpaar, deren Vereinigung sich ausschließt: „entweder - oder”! Entweder jemand tut Gutes, dann ist er heilig, also heil, oder er macht etwas so Unanständiges wie sich zu prostituieren, dann sündigt er, ist damit unheil. Ein „Sowohl - als auch” kommt für die meisten von uns in diesem Kontext nicht infrage. Was aber, wenn es einer sogenannten Dirne nicht ausschließlich um „Sex für Geld” geht, sie sich nicht prostituiert, weil sie in Not ist, gezwungen wird, oder um sich zu bereichern? Gab oder gibt es Frauen, die sich fremden Männern aus Gründen der Barmherzigkeit hingeben und damit ihr Tun zu einem heiligen Ritual erheben? Könnte dann nicht aus einer Hure eine geweihte „Krone der Schöpfung” und aus ihrer profanen Tätigkeit so etwas wie ein Kult werden?

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden bei Ausgrabungen auf dem Gelände der ehemaligen assyrischen Hauptstadt Ninive - im heutigen Nord-Irak - altorientalische Schriften auf antiken Tontafeln gefunden; später auch in anderen Städten des Zweistromlandes, jener Region zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Eine dieser mesopotamischen Dichtungen ist das heute so berühmte Gilgamesch-Epos, das mit knapp 4000 Jahren eine der ältesten Geschichten ist, die wir kennen, und die zu Recht einen festen Platz innerhalb der Weltliteratur innehat. In der Erzählung wird von dem kühnen und schönen König Gilgamesch berichtet, der um 2600 vor Christus in der südmesopotamischen Stadt Uruk lebte, im heutigen Süd-Irak. Weil sein Volk unter seiner vergnügungssüchtigen Herrschaft leidet, beschließen die Götter, für Gilgamesch einen ebenbürtigen Gefährten zu erschaffen, der ihn auf andere Gedanken bringt: Enkidu, einen mit Tieren in der Wildnis lebenden Naturmenschen. Um dieses menschliche Ur-Wesen nach Uruk zu locken, wird die Dirne Schamchat beauftragt, Enkidu zu verführen und aus ihm einen zivilisierten Menschen zu machen. Schamchat läßt sich von einem Fallensteller zu einer Wasserstelle führen, um dort den Wildgeborenen zu treffen. Als Enkidu sich der Tränke nähert, heißt es im Gilgamesch-Epos: Schamchat, entblöße deine Brust! Öffne deine Scham, auf dass er deine Reize nehme! - Sie breitete ihre Kleider aus, und er lag dann auf ihr. Sie wirkte an ihm, dem Ur-Menschen, mit den Künsten des Weibes. Sechs Tage und sieben Nächte stand Enkidu aufrecht und paarte sich mit Schamchat.

Nach diesen erfolgreichen Verführungskünsten bewirtet Schamchat Enkidu und unterhält sich mit ihm, der dadurch langsam seine Urinstinkte verliert und später nicht mehr den Weg zurück in die Natur findet. Als Enkidu auch noch von Gilgamesch und den Freuden des Lebens in der Stadt hört, wird der nun erfolgreich Gezähmte neugierig und lässt sich von der Dirne nach Uruk bringen. Ob Schamchat für ihre Arbeit entlohnt wurde, ist nicht überliefert. Da sie aber als treue Dienerin der babylonischen Liebesgöttin Ischtar bezeichnet wird, kann man annehmen, dass ihre Dienste so etwas wie kultische Handlungen waren und sich somit die Frage nach Bezahlung erübrigt. Schamchat wird auch als eine harimtu-Prostituierte bezeichnet, was soviel wie der Prostituiertenstand der „Abgesonderten” bedeutet und auf ein Leben im Tempelbordell hinweist. Der Name der Schamchat leitet sich ab aus der Wurzel smh - „stattlich sein, gedeihen”.

Schamchat steht hier stellvertretend für alle Heiligen Huren, von denen viele altertümliche Quellen, vorzugsweise aus dem Vorderen Orient, aber auch aus anderen Kulturkreisen wie Griechenland und Indien berichten. Man nimmt an, dass die Tempeldienerinnen Babylons eine lange Ausbildung durchlaufen mussten und als Heilerinnen arbeiteten, deren Tätigkeit die Erotik einschloss. Ihr sozialer Status war allerdings je nach Kultur und Epoche unterschiedlich. Doch im gesamten indoeuropäischen Kulturkreis hatten alle Heiligen Huren ein enges Verhältnis zu den Muttergottheiten, denen sie unterstanden, die der Großen Mutter, die ihren Ursprung in der Zeit des Matriarchats (genauer: matrifokale Gemeinschaften) hatte. Das war die Epoche des Gartenbaus, die etwa um 10.000 vor unserer Zeitrechnung begann und zwischen 4000 und 2000 vor Christus von der Ackerbau-Ära abgelöst wurde. Damit wurde das heute noch dominierende Patriarchat eingeleitet. Aus der Großen Mutter entwickelte sich die Große Göttin. Im sumerischen Reich (um 3500 v. Chr.) war das die Göttin Inanna, in Babylonien (ab 18. Jh. v. Chr.) wurde sie Ischtar (babylonisch: Stern) genannt. Letztere trat sogar selbst als Prostituierte in Erscheinung und war nicht nur die Göttin der Liebe und des Krieges, sie war auch die „Mutter der Huren”.

Fachleute sind sich allerdings nicht einig, ob die Übersetzungen der antiken Schriften beziehungsweise deren Interpretationen den Schluss zulassen, dass es sakrale Prostitution wirklich gab, zumindest wohl nicht in dem Ausmaß, wie deren Befürworter es vermuten. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass einerseits kultische Handlungen für unser heutiges rationales Weltbild nicht mehr wirklich verständlich sind. Andererseits interessieren sich die Forscher fast immer nur für historische Fakten und lassen die psychische Ebene außer Acht. Dabei geht ein wichtiger Aspekt, der des Mythos, verloren, der ja immer Wirklichkeit enthält, egal wie die Faktenlage aussieht. Einer dieser sumerisch-babylonischen Mythen erzählt davon, dass sogar eine profane Hure, die mit ihrem Freier verkehrt, ein Abbild der Götter darstellt. Wie zum Beispiel Inanna, die sumerische Göttin der Liebe, wenn sie sich mit ihrem Geliebten und Gemahl Dumuzi vereinigt und ihm zuruft: Pflüge meine Vulva, mein Geliebter.

In der heutigen Zeit werden sich die Menschen des Unterschiedes zwischen Eros, der begehrlichen Liebe, und Agape, der bedingungslosen Liebe, mehr und mehr bewusst. Einige wenige Frauen (und manchmal auch Männer) versuchen die verloren gegangene Spiritualität durch Tantra- oder Kundalini-Yoga wieder in die Erotik zu integrieren. Auch wenn sich bisher nur wenige Menschen ernsthaft darauf einlassen können, so ist doch nach der westlichen Kulturrevolution, der 1968-er Bewegung, eine langsame, aber stetige und grundlegende Veränderung zu beobachten: weg vom schnellen Sex, hin zur zelebrierenden Erotik. Die japanische Tayu-Prostitution wusste davon schon im 17. Jahrhundert. Die Tayu bot nicht nur ihren Körper an, sie war eine in Kunst, Charme und Kultur ausgebildete Luxus-Prostituierte und genoss gesellschaftliche Anerkennung.

Als Enkidu auf Gilgamesch trifft, raufen sich die beiden im wahrsten Sinne des Wortes zusammen, werden Freunde und bestehen viele Abenteuer. Doch als sie sogar die Göttin Ischtar herausfordern, stoßen sie an ihre Grenzen und Enkidu muss sterben. Wie so oft liegen Segen und Fluch dicht beieinander, auch oder gerade in Mythen. Und Schamchat ist nicht nur Heilige Hure, sondern auch Dienerin: Sie diente als Projektionsfläche für Schuldzuweisung. Kurz vor Enkidus Tod, verflucht dieser Schamchat und macht sie für sein Schicksal verantwortlich: Komm her, Schamchat, ich will dir das Schicksal bestimmen. Ich will dich verfluchen mit einem gewaltigen Fluch! Da greift Schamasch, der Sonnengott ein und spricht: Warum nur Enkidu, verfluchst du Schamchat, die Dirne, die dir Brot zu essen gab, das einem Gott angemessen, die dir Bier zu trinken gab, das einem König angemessen? Als Enkidu die Worte des Sonnengottes vernimmt, beruhigt er sich und ruft: Komm her, Schamchat, ich will dir das Schicksal bestimmen. Mein Mund, der dich verfluchte, soll dich segnen außerdem! Statthalter und Fürsten mögen dich lieben!

Ergänzung:

Gabi Uhlmann erklärt den Unterschied zwischen „Matriarchat” und „matrifokaler Gemeinschaft” auf ihrer Website: http://www.gabriele-uhlmann.de/etana4.htm

Quellen:

Volkert Haas, „Babylonischer Liebesgarten. Erotik und Sexualität im Alten Orient”, München 1999

Wolfram von Soden, Albert Schott, „Das Gilgamesch-Epos”, Stuttgart 1986

Irene Dalichow, „Die heiligen Huren”, Artikel aus der Freiburger Monatszeitschrift „Esotera”, Nr.6/1998

Matthias Schulz, „Rätsel der heiligen Huren”, Artikel aus dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel”, Nr.12/2010

Wolf Krötke, „Eros und Agape”, Internet www.wolf-kroetke.de

Shakti Tjana-Marja, „Die Heilige und die Hure”, Internet http://kirill-tantra.de

Ken Wilber, „Eine kurze Geschichte des Kosmos”, Frankfurt am Main 1997

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