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Ambapali

Buddhas Mango - Eine freie Unternehmerin

Es war so etwa im Jahre 495 vor unserer Zeitrechnung in der Stadt Vesali in einem Land im Nordosten Indiens, dem heutigen Bihar, das von der Adelsfamilie namens Licchavi beherrscht wurde, als ein Gärtner sein Tagewerk im königlichen Park beendet und seinen Heimweg über eine schmale Brücke nimmt, an einem Mangobaum vorbei. Sein Herz ist schwer, gerade ist ihm und seiner Frau ein spät geborener Sohn gestorben. Da hört er ein Wimmern, und ja, da liegt doch etwas unter dem Mangobaum, es bewegt sich. Es ist ein Neugeborenes in ein Tuch gehüllt. Sollten die Götter ihm ...? Er lupft das Tuch – ein Mädchen. Mädchen wirft man in den Fluss. Die Kleine öffnet die Augen, sie quietscht. Er nimmt sie mit nach Hause und legt sie der Frau in den Arm. “Ein Mädchen – auch das noch, wo hast du sie gefunden?“ „Unterm Mangobaum.“ Da lächelt der Winzling. Sie seufzt und legt das Baby an die Brust, sie hat noch keine Tochter aufgezogen. „Wir werden sie Ambapali (das heißt Mangoblatt) nennen.“

Es war schon über 1000 Jahre her, dass die Arier von Norden in die Indusgegend eingedrungen waren, sich dann weiter östlich und südlich ausgebreitet und die alten Kulturen verdrängt hatten, die womöglich eine Göttin verehrt und vielleicht auch Frauen einen würdigen Platz in der Gesellschaft zugestanden hatten. Sollte das je der Fall gewesen sein, so wusste das nun niemand mehr. Zur Zeit der Licchavi hatte die Aufteilung der Menschen in hierarchisch gegliederte Kasten schon lange Einzug gehalten, und wenngleich dieses System noch nicht derart verfestigt war wie heute, so machte es doch die Gesellschaft undurchlässig und wertete Frauen ab. Mädchen waren eine Last. Es ist dieselbe Zeit, in der ein alter Mann mit einer Schar von Mönchen durch die Lande zieht, der einst als Prinz Siddharta Gautama gelebt hatte und zurzeit von Ambapalis Geburt schon weithin bekannt ist als der Erwachte, der Buddha.

Die Findeltochter wird dem Gärtnerehepaar viel Freude machen. Sie ist früh aufgeweckt und bewegt sich graziös, sie ist gehorsam und doch eigenwillig, dabei immer freundlich und gutherzig. Ein hübsches Kind ist sie und nach ein paar Jahren geht ein wunderschönes junges Mädchen mit dem Vater durch die königlichen Anlagen und wird gesehen. Die Eltern halten die wissbegierige Tochter nahe am Haus. Sie spürt, dass sie besonders ist, nicht nur ihre Anmut zeichnet sie aus, sie weiß auch, sie ist klüger als ihre Eltern und Brüder und als jeder Mann, dem sie begegnet ist. Die jungen Prinzen stellen ihr nach, Höflinge versuchen, sie zu verlocken. Es wird geredet. Die Eltern hören mit Schrecken von Krach und Streit im Palast. Es geht um ihr Mangomädchen, jeder will sie haben – aber nicht als Ehefrau, versteht sich. Müssen sie schon einen Ehemann für sie suchen, um sie in Sicherheit zu bringen? Sie ist doch erst zwölf oder 13 Jahre alt und sie möchten sie gern noch um sich haben. Da kommt aus dem Palast ein hoher Beamter zum Haus des Gärtners und macht einen Vorschlag: Ambapali solle Ganika werden – ob dieser Name für eine geachtete Edelkurtisane bei Hofe schon gebräuchlich war, lassen wir offen; Überlieferungen über die 64 Künste, die eine Ganika beherrschen musste, stammen aus späterer Zeit. Für ihre Ausbildung werde gesorgt, sie werde gut bezahlt, ein eigenes Haus werde für sie eingerichtet.

Der Hinduismus war wohl schon damals dem diesseitigen Leben und der Sexualität zugewandt und nicht erst zur Zeit des Kamasutra, dem heiligen Buch der Liebe, das etwa 1000 Jahre später verfasst wurde. Doch wir liegen sicher nicht falsch mit der Annahme, dass dies eher für das höfische Leben galt und weniger für das der einfachen Leute. Das Gärtnerpaar steht stumm vor Schreck und Ratlosigkeit, als ihre Tochter hinzutritt. Sie hat zugehört, sie weiß, dass sie hier und jetzt ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen kann. Sie erlebt einen Moment der Hellsicht: Da ist ihr Leben als gute Tochter braver Eltern, bald wird sie verheiratet werden. Weil sie schön ist, wird ein wohlhabender Mann sie nehmen, doch als Ehefrau ist ihr Platz im Haus. Sie wird der Willkür und Missgunst einer Schwiegerfamilie ausgeliefert und fortwährend schwanger sein. Dabei sehnt sie sich nach Bildung, nach Wissen, nach Poesie, Musik und schönen Dingen. Sie sieht in diesem Moment der Erleuchtung, was Liebreiz und Klugheit ihr eröffnen: die einzige Selbstständigkeit, die in ihrer Welt für eine Frau denkbar und akzeptabel ist. Sie wird unabhängig sein von Familienbanden. Gebildet und wohlhabend wird sie für die Eltern sorgen und den Armen helfen, sie wird die Herrin ihres Lebens sein.

Ja, spricht sie, meine Eltern nehmen das Angebot an. Und ich gehorche ihnen.

Doch eine Bedingung stelle ich: Meinen Preis bestimme ich selbst.

Ihre Ausbildung wird von kundigen Frauen und Männern geleitet. Sie lernt mehr als Schminken und Körperbemalung, bald kann sie lesen und schreiben, sie studiert Tanz und Gesang und die Musikinstrumente der Zeit. Ambapali spielt die Bogenharfe, die Flöte und Trommel mit Freude und Hingabe. Sie wird Poesie verfassen und für ihr tänzerisches Können gepriesen werden. Wir können wohl sicher sein, dass eine Ganika auch die Kunst lernte, nicht schwanger zu werden. Und dennoch bekommt sie später einen Sohn, dessen Vater der König des Nachbarstaates gewesen sein soll. Ambapalis Ruf war weit über die Grenzen der Adelsrepublik der Licchavi hinaus gedrungen und hatte auch zum Ruhm und Reichtum des Landes beigetragen, denn selbstverständlich nahm der Staat von ihr Steuern ein. König Bimbisara von Rajagaha, der eigentlich im Krieg mit den Licchavi lag, war neugierig auf diese nützliche Einrichtung der Ganika und besuchte Ambapali. Er sei, heißt es, in Liebe zu ihr entbrannt. Hat sie ihn wohl auch geliebt oder begehrt, hat sie sich ein Kind gewünscht? Vielleicht gehen all diese romantischen Vorstellungen fehl. Vielleicht ist es eine Legende, dass Ambapali ihren Geliebten zum Friedensschluss mit ihren Herren bewegt habe.

Doch die Geschichte geht weiter. Ambapali nennt ein großes Haus mit Dienerschaft und viel Land ihr eigen und hat, um ihre Herkunft zu ehren, einen großen Mangogarten anlegen lassen, ein teures Unterfangen, aber Geld hat sie genug und als Gärtnerstochter glaubt sie an Investitionen in die Landwirtschaft.

Sie sitzt eines Mittags in ihrem schattigen Salon und übt sich im Flötenspiel, als ein Diener angerannt kommt und atemlos stammelt, im entfernten Ende des Gartens habe sich eine Gruppe Mönche im Schatten der Mangobäume niedergelassen, unter ihnen sei ihr Meister, der Erhabene, der Erleuchtete – der Buddha.

Ambapali schaut hinaus über ihr Land. Und wieder weiß sie, dass der Moment da ist, in dem sie ihrem Schicksal eine Wende geben kann. Sie schickt den Diener fort, um den Wagen anzuspannen, legt ihr kostbar besticktes Gewand und den Goldschmuck ab, zieht ein schlichtes Kleid und solide Schuhe an. Mit Pferd und Wagen lässt sie sich durch den Garten fahren, doch weiß sie auch, wo sie anhalten und zu Fuß weitergehen muss. Sie betritt die Lichtung – und da ist er, der alte Buddha umgeben von seinen Mönchen. Ambapali weiß um ihre Wirkung. Wenn sie auch keine Zeichen des Reichtums an sich trägt, so verrät doch ihr Gang sie als die Herrin des Ortes. Und das soll auch so sein. Sie verbeugt sich bescheiden und respektvoll und setzt sich ein wenig abseits nieder, um der Lehrrede zu lauschen, die als Ambapali Sutta in die Lehrbücher eingehen wird. Der Buddha spricht über die vier Wege der Achtsamkeit, die sich auf den Körper, die Sinne, den Geist und das Dharma richten solle.

Er steht im Ruf, Frauen nicht gemocht zu haben. Doch immerhin hatte er die Gründung eines Nonnenordens zugelassen, in dem auch seine Stiefmutter, die Königin Mahapajapati, seine Halbschwester und seine frühere Ehefrau der Erleuchtung zustrebten. Und kann man sich einen Erwachten vorstellen, der sich misogynen Animositäten hingibt? Der Buddha wendet sich ihr zu, sieht sie, erkennt ihre Absichten und spricht auch zu ihr über die Überwindung von Schmerzen und Anhaften.

Wir wollen hier gern annehmen, dass der alte Weise schon lange jenseits moralischer Werturteile gegenüber Frauen war, die für das Geld bekommen, was andere für Schläge tun müssen, und weiterhin wollen wir annehmen, dass es nur die kleinlich denkenden unter seinen Nachfahren sind, die darüber spekulieren, welche böse Tat diese Frau in ihrem früheren Leben wohl begangen haben mag, um mit dem Beruf der Kurtisane bestraft zu werden. Es mag auch sein, dass er sich in dem Moment, da er ihrer gewahr wurde, sehr wohl bewusst war, was ein Religionsstifter zu tun hat, wenn er einer Prostituierten begegnet.

Als er endet, nutzt sie die Gelegenheit, die ganze Gruppe zum nächsten Tag zum Essen in ihr Haus einzuladen. Es heißt, der Buddha habe durch Schweigen zugestimmt, wie es seine Art war. Sie eilt davon. Als sie auf dem Rückweg im Wagen sitzt, kommt eine prächtige Kutsche angebraust mit aufgeputzten Prinzen darin, auch sie wollen den großen Lehrer zum Essen laden. Das aber hat Ambapali ihren Kunden weggeschnappt. Sie bieten ihr Gold, damit sie ihnen den berühmten Gast abtritt, doch sie lacht nur, nein, das verkaufe sie nicht. Sie hat andere Pläne. Und der Alte hält sein schweigendes Wort und schlägt die Einladung in den Palast aus. Etliche Mönche mögen gegrummelt haben, denn sie hätten gern bei Fürsten und lieber dort als bei einer Kurtisane gespeist. Aber er war der Meister und so mussten sie sich schicken. In Ambapalis Haus wird gekocht und gebacken, und als am nächsten Tag die Schar der Mönche mit ihren Bettelschalen im Hof steht, trägt sie ihnen selbst ein gutes Essen auf. Und wieder hält der Buddha eine Lehrrede, er spricht zu seiner Schar und zu ihr über die Vergänglichkeit. Ambapali betrachtet derweil ihren jungen Sohn, der auf einer Treppe sitzend aufmerksam lauscht. Was soll aus ihm werden, diesem Sohn eines Königs und einer Ganika? Sie ist jetzt eine geachtete wohlhabende Frau auf der Höhe ihrer Anziehungskraft. Ihr Charme und ihr funkelnder Geist werden noch eine Weile die schlaffer werdende Haut wettmachen. Doch ihr muss niemand erzählen, dass Schönheit vergeht, und damit auch Ruhm und Einfluss schwinden. Sie weiß, dass der geistige Weg ihrem Sohn mehr Freiheit und Achtung eintragen wird als die Beamtenlaufbahn bei Hofe und sie ist entschlossen, ihm diesen Weg vorzubereiten. Als der Buddha schweigt, erhebt sie sich und bietet ihm und dem Orden ihre Mangoplantage als Geschenk an.

Die Geschichte geht gut aus, der Sohn tritt wirklich dem Orden bei und erlangt alsbald Vollkommenheit. Es heißt, er habe dann seine Mutter unterrichtet, sodass sie Nonne werden konnte, um ihrerseits die Leiden des irdischen Daseins zu überwinden und Heiligkeit zu erreichen, indem sie sich in die Vergänglichkeit des Körpers als Objekt ihrer Meditation vertiefte. Mit ihrem Lied zeigt sie allen Frauen nach ihr den Weg zum würdigen Altern. So beginnt die zweite Strophe:

... Mit Blumen bedeckt, verströmte mein Haupt.

Einen würzigen zarten Duft.

Wegen meines hohen Alters riecht es heute.

Wie das Fell eines Hundes ...

von Marie Sichtermann

Quellen:

Nils Johan Ringdal, „Die neue Weltgeschichte der Prostitution”, München 2006

Lothar Nestler, Rösrath, Internet, www.der-erwachte.de/frauen.htm

Horst Gunkel, „Ambapali – Kurtisane und Heilige”, www.kommundsieh.de/Ambapali.html

Wilfried Westphal, „Königinnen der Nacht”, Essen 2004

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