Читать книгу Aufregung im Advent - Wo ist Herr Polymorf? - Kaja Paulan - Страница 9
ОглавлениеFrüh am Morgen wurden die Geschwister von einem Trippeln und Scharren in der Truhe geweckt. Es war der 2. Dezember. Plötzlich erklang ein Schrei, der Truhendeckel flog auf und es sprang ein empörter Herr Polymorf heraus .
„Eine Maus“, keuchte er erbost, „in der Truhe war eine Maus. Ich will sofort ein anderes Bett.“
„Schon gut, schon gut“, beschwichtigte Paul, „beruhige dich, sonst werden Mama und Papa noch wach. Sie haben gestern lange gearbeitet und müssen jetzt bestimmt noch eine Stunde schlafen.“
„Mich beruhigen? Mich beruhigen?“, Herr Polymorf schnaubte entrüstet. „Beinahe hätte die Maus mich angeknabbert. Mir reicht’s. Ich will das alles nicht mehr.“
„Wir auch nicht!“, rief Anja. „Du kannst zum Weihnachtsmann zurückgehen und ihm einen schönen Gruß von uns bestellen. Auf so einen Griesgram können wir hier wirklich verzichten.“
„Tut mir leid!“, entschuldigte sich Herr Polymorf und senkte den Kopf. „Ich bin etwas ungeübt im Umgang mit Kindern. Wenn ihr mich wegschickt, werde ich großen Ärger bekommen. Ich verspreche also, mir Mühe zu geben. Könnt ihr mir verzeihen?“
„Gut. Wir finden einen anderen Platz für dich“, lenkte Anja ein. „In der Puppenstube vielleicht?“
„Hm, ja … wenn nichts anderes da ist. Ist das Bett schön weich?“
„Ich überprüfe das sofort“, bot Anja an.
„Mach schnell, ich bin hundemüde“, knurrte Herr Polymorf.
„Geht das bitte etwas freundlicher?“, erinnerte ihn Anja an sein Versprechen.
„Danke für die Mühe!“, verbesserte sich Herr Polymorf kleinlaut.
Paul lief inzwischen in die Küche und holte ein paar Chips. Gierig griff der kleine Mann danach und schaute nun schon etwas friedlicher drein.
„Wo kommst du eigentlich her?“, fragte Paul, nachdem Herr Polymorf es sich in seiner neuen Behausung gemütlich gemacht hatte.
„Ich wohne in einem fernen Land, wo es Dinge gibt, die ihr euch kaum vorstellen könnt“, sagte Herr Polymorf.
„Erzählst du uns davon?“
„Ganz bestimmt! Wenn ich ausgeschlafen habe.“
Auch Anja und Paul schliefen noch einmal ein, es war ja wirklich noch sehr früh am Morgen. Am Nachmittag erinnerten sie Herrn Polymorf an sein Versprechen.
„Bis vor kurzem wohnte ich im Land Tamtaram“, antwortete er.
Anja schüttelte ungläubig den Kopf. „Tamtaram? Davon habe ich noch nie etwas gehört.“
Herr Polymorf sprang eingeschnappt hoch und breitete seine Flügel aus. „Entweder ihr glaubt mir oder ihr hört kein Sterbenswörtchen mehr von mir.“
Anja und Paul schwiegen.
„Tschuldigung!“, Herr Polymorf hustete verlegen. Dann setzte er sich hin und fuhr fort, als wäre nichts geschehen. „In Tamtaram sehen die Menschen anders aus als hier. Manche haben blaue Haut, andere laufen nicht auf ihren Füßen, sondern auf den Händen. Es gibt Leute, die sind so groß wie ein Haus oder aber so winzig wie ich. Das hat viele Vorteile. Wenn meine Katze zum Beispiel auf einen hohen Baum klettert und sich nicht heruntertraut, brauche ich nie die Feuerwehr zu rufen. Ich sage einfach meinem Nachbarn Großgewachsen und seiner Frau Bohnenstange Bescheid, und die holen sie wieder runter. Und wenn Großgewachsen mal eine Rohrverstopfung hat, dann holt er mich.“ Herr Polymorf machte eine kurze Pause. „Das ist sehr unappetitlich. Manchmal.“
„Was gibt es noch im Land Tamtaram?“, fragte Paul.
„Es gibt Fischmenschen, die im Tamtaramer See wohnen, Schlaumeier und Telepathen, Schleuderer, die sich überall Abschussrampen bauen, von denen aus sie sich kilometerweit durch die Luft schleudern lassen und viele andere seltsame Geschöpfe. Wenn ich sie alle aufzählen wollte, würde ich Monate brauchen. Das Eigentümlichste an Tamtaram aber ist, dass es sich ständig verändert. Daran sind die Wandelkobolde schuld, kleine, boshafte Wichtel, die von Ort zu Ort ziehen, an allem und jedem etwas auszusetzen haben und es klammheimlich verwandeln. Transformieren nennen sie das. Ich bin schon mal abends in meinem Haus eingeschlafen, da stand es noch ganz normal an seinem Platz. Das weiß ich genau, denn ich laufe abends immer zwei Runden um mein Haus herum und vergewissere mich, dass alles seine Ordnung hat. Man weiß ja nie. Und, was soll ich sagen, als ich aufwachte, rollte mein Haus als Kugel durch die ganze Stadt. Und eigentlich ist es mir nur aufgefallen, weil ich aus dem Bett gefallen und durch die ganze Wohnung gerollt bin.“
Anja und Paul lachten.
„Amüsiert euch nur weiter“, schimpfte Herr Polymorf. „Das war vielleicht ein verdrehter Tag. Die Wandelkobolde hatten alle Gebäude in der Stadt transformiert. Ich war ja schon angeschmiert, aber andere Bewohner hatte es noch viel schlimmer getroffen. Einige Häuser hatten sie in Springbälle verwandelt, die hopsten nun den ganzen Tag munter durch die Gegend und verursachten Brechreiz bei ihren Eigentümern, andere hatten Wände wie Wackelpudding bekommen und schwankten hin und her. Wieder andere veränderten alle fünf Minuten die Form, ihre Besitzer mussten um ihr Leben fürchten. Zum Glück zogen die Kobolde am nächsten Tag weiter und alles war wieder beim Alten. Doch die Beulen und blauen Flecke der Stadtbewohner waren noch tagelang zu sehen. Manchmal verändern wir unsere Stadt aber auch selbst. Dann kommen die Farbenkleckser und spritzen alle Häuser bunt an. Wir müssen nur die Fensterläden dicht machen, sonst können wir am nächsten Tag nicht mehr hinausschauen.“
„Wie heißt eure Stadt?“, fragte Anja.
Doch da erklang aus der Puppenstube ein lautes Schnarchen. Herr Polymorf war eingeschlafen. Die Kinder weckten ihn nicht. Sie fanden, er hatte sich heute Mühe gegeben.