Читать книгу Dezemberkids - Kaouther Adimi - Страница 14

3

Оглавление

Wie ist es passiert? So sollten die Jugendlichen im Viertel fragen, die nicht dabei waren, als es geschah. Jussef, Anfang zwanzig, würde dann bis ins Detail den Vormittag des 3. Februar 2016 beschreiben, der ein Mittwoch war.

Es war wieder ein Regentag und vielleicht 10 Uhr morgens. Eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben fuhr vor, hielt am Rand des Bolzplatzes der Cité du 11-Décembre in Dely Brahim. Schon seit Tagesanbruch regnete es, in dichten Schnüren. Der Chauffeur stieg eilig aus, mit zwei geöffneten Regenschirmen bewaffnet, die er den beiden Insassen hinhielt, die aus dem Wagen kletterten.

Der Erste, General Saïd, war ein Mann von kleinem Wuchs mit klar konturiertem Schnauzbart, er trug eine kantige Brille mit getönten Gläsern. Er hatte glattes schwarzes Haar, ansatzweise grau meliert und straff nach hinten gebürstet, mit Seitenscheitel.

Jussef würde hinzufügen, dass etwas Eisiges von ihm ausging, das sich kaum beschreiben liesse. Er würde stammeln: »Wisst ihr, wie wenn man eine Schlange sieht, keine fette Schlange, keine Boa oder so, aber eine ganz kleine, die dich auf eine Art ansieht, dass du vor Angst wie gelähmt bist und Gänsehaut bekommst.«

Die anderen Jugendlichen, die an jenem Morgen dabei waren, nicken lebhaft.

»Ein Typ, der einem nicht geheuer ist«, würde einer von ihnen ergänzen.

Der Zweite, General Athman, war ein glatzköpfiger Riese mit buschigen Augenbrauen. Er war ganz glatt rasiert, der erste Armeeangehörige ohne Schnauzbart, den Jussef in seinem Leben sah. Er hatte ein feines, maliziöses Lächeln, das ihn selbst auf dem Höhepunkt der Schlägerei nicht verliess. Knapp siebzig dürften die Generäle sein, würde Jussef abschliessend noch bemerken, und in einer trotz ihres Alters phantastischen Verfassung, und beide hatten sie dunkle Anzüge und schwarze Wollmäntel an.

Nachdem er ihnen die Schirme gereicht hatte, zog der Chauffeur sich wieder hinter sein Steuer zurück, wo er reglos verharrte. Die beiden Männer betraten den Bolzplatz. In aller Ruhe setzten sie ihre Schritte, wie beim Spaziergang. Nach ein paar Metern blieben sie stehen und zogen Pläne aus ihren Taschen.

»Wir sassen nicht weit weg und rauchten. Wir haben zu ihnen hinübergeschaut, weil es so seltsam war, wie sie da standen, mitten im Schlamm, im strömenden Regen«, fuhr Jussef fort.

Keiner der beiden Generäle achtete auf Adila, die ehemalige Mudschahida, die sie vom Fenster ihres Hauses aus beobachtete. Rasch warf sie einen Mantel über ihr Kleid, schlüpfte barfuss in ihre Schuhe, ohne nach Strümpfen oder Socken zu suchen, griff nach ihrem Gehstock und war husch, husch die paar Treppenstufen in ihrem alten Haus hinunter, öffnete die Tür, noch ein paar Stufen, und schon stiess sie das schmiedeeiserne Gartentor, das sie nie abschloss, auf und humpelte auf die beiden Generäle zu, wobei ihre Füsse tief in die feuchte Erde einsanken. Ihr rechtes Bein tat ihr höllisch weh, seit sie vor ihrem Haus so gestürzt war.

Adila war klein und brünett und hatte einen Kurzhaarschnitt. Im Algerienkrieg hatte sie mit der Waffe in der Hand gegen die Franzosen gekämpft, und während der Jahre des Terrorismus hat sie weitergekämpft. Die Kids vom Bolzplatz kennen sie gut, sie feuert sie oft von ihrem Fenster aus an und wirft ihnen immer gern die Bälle zurück, wenn sie wieder einmal hinter ihrer Gartenmauer landen.

»Guten Morgen, meine Herren.«

Die Generäle erwidern ihren Gruss mit breitem Lächeln und einem warmherzigen »salam«.

»Ich bin General Athman, und das hier ist mein guter Freund, General Saïd.«

»Ich bin Adila.«

General Athman hält ihr seinen Schirm hin: »Nehmen Sie ihn, Madame, Sie werden sich noch erkälten.«

»Nein, danke, vor ein bisschen Wasser ist mir nicht bange, aber Sie machen sich Ihre schönen Schuhe schmutzig. Was führt Sie denn hierher?«

General Saïd lächelt ihr zu. Er ist so klein, dass er sie kaum um ein paar Zentimeter überragt. Adila hat schon von ihm gehört. Die Hälfte der Geschichten, die über ihn in Umlauf sind, fangen mit diesem eiskalten Lächeln an.

»Wir wollten unser Grundstück in Augenschein nehmen. In ein paar Monaten gehen die Bauarbeiten los. Deshalb sind wir hier, und wir haben unsere Baupläne dabei. Ich freue mich, Sie bald als Nachbarin zu haben, Madame Adila. Ich bin einer Ihrer grossen Bewunderer. Sie haben so viel geleistet für unser Land.«

Ein höhnisches Kichern lässt sie alle drei herumfahren. Lautlos hat sich die alte rothaarige Nachbarin genähert. Ihr gelbes Kleid klebt nass an ihrem Körper, modelliert deutlich Brüste und Po. Sie zeigt mit dem Finger auf die Generäle und kreischt: »Man will euch hier nicht! Man will euch hier nicht!«

Adila versucht, sie schnell vom Bolzplatz wegzuziehen. Jussef und seine beiden Freunde sehen, wie sie näher kommt. Rasch werfen sie ihre Zigaretten weg, drücken sie mit dem Fuss aus.

Die verrückte Alte in Adilas Schlepptau kichert noch immer: »Sie nehmen ihn euch weg, alles nehmen sie euch weg! Dann gibt es hier gar nichts mehr! Alles werden sie euch wegnehmen, alles! Ihr werdet schon sehen, die werden uns verschlingen mit Haut und Haar!«

»Und was ist dann passiert?«, bestürmen die Jugendlichen ungeduldig Jussef.

»Na, dann haben wir losgelegt! Alle drei. Und dann ist es schnell aus dem Ruder gelaufen.«

Der eine der beiden, die dabei waren, als es hoch herging, bestätigt: »Wir mussten uns doch wehren. Sie haben uns provoziert.«

Und der andere ergänzt: »Und dieser Angsthase von Chauffeur hat die Gendarmen zu Hilfe gerufen. Da meinte Jussef, es wäre besser, wenn wir uns vom Acker machten, während er und die Mudschahida Adila weiter auf die Generäle eindroschen.«

»Ich wollte nicht, dass die Gendarmen euch verhaften! Ihr seid nicht aus der Siedlung. Ich hatte Angst, dass ihr am Ende wegen unserem Bolzplatz Probleme bekommt. Und eure Eltern hätten sie auch mit hineinziehen können.«

»Dir können sie aber auch Schwierigkeiten machen.«

Jussef zuckt nur mit den Achseln.

Dezemberkids

Подняться наверх