Читать книгу Morgen, Pony, wird's was geben - Karen Christine Angermayer - Страница 7
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ОглавлениеGarNichts Gedanken überschlugen sich in seinem Mäusehirn. Die Vorstellung mochte er GAR NICHT! Er mochte niemanden hier auf dem Hof haben, der mehr wusste als er! Das nannte man Konkurrenz. Bisher war er hier das einzige und unbestrittene Superhirn und auf dem besten Wege, ein Star zu werden. Und jetzt sollte ihm jemand anderes – noch dazu ein Pony – den Platz streitig machen? Nein, das ging gar nicht!!
Noch während er zum Klavier zurückrannte, auf dem ein Mikrofon stand, das zwar auch sehr eingestaubt, aber noch funktionstüchtig war, überlegte er, was er den anderen Tieren sagen sollte. Bauer Holger hatte früher Schlager gesungen. Heute sang er nur noch unter der Dusche, doch das Mikrofon erinnerte an seine musikalischen Glanz-zeiten.
„Alle mal herhören!“, rief GarNicht in das Mikro. Die Tiere im Stall horchten auf. Sie hatten Respekt vor dem Mäuserich, weil er so viele Fremdwörter kannte und ein wandelndes Lexikon war.
„Ruhe, hab ich gesagt!“, rief er lauter, denn bei den Hühnern wurde immer noch gegackert.
„Hört mal zu, Leute, wir haben es doch schön hier, nicht wahr?“, begann er seine Rede.
„Ja, das haben wir“, kam es von hier und da zurück.
„Und bisher hatten wir doch alle immer genug Platz und genug zu fressen, richtig?“
„Richtig!“, tönte es von den Kühen, Schweinen, Hühnern und Enten zurück.
„Heute geschieht etwas auf diesem Hof, womit wir alle nicht gerechnet haben.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Heute kommt ein Pony zu uns auf den Hof, das uns unseren schönen Platz und – davon gehe ich aus – auch unser Futter wegnehmen wird“, sagte GarNicht und schob zur Bekräftigung seine Brille höher auf die Nase. Er hatte sie draußen auf dem Feld gefunden. Sie musste wohl einer Puppe oder dem Teddybären eines Kindes gehört haben, denn sie passte ihm perfekt.
„Wegnehmen … Oh, weh … nein!“, raunte es im ganzen Stall.
„Es kommt aus einem anderen Land und spricht wahrscheinlich auch eine andere Sprache als wir“, fuhr GarNicht fort.
„Man sagt …“, er machte wieder eine Pause, um sicherzugehen, dass ihm auch jeder zuhörte, „dass die, die aus der Fremde kommen, böse sind. Sie machen Ärger. Sie sind aggressiv. Und sie stehlen!“ Sätze wie diese hatte er ebenfalls im Internet gelesen.
„Oh nein! Wie schrecklich!“ Entsetztes Grunzen, Muhen und Gackern war die Antwort.
„Lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir dieses neue Pony, das wir nicht bestellt haben, das aber heute hier ankommen wird, so schnell wie möglich wieder loswerden!“, rief GarNicht.
„Ja, ja, so schnell wie möglich!“, tönten alle Tiere vereint.
Alle, bis auf ein kleines Entenküken, das rief: „Aber wir kennen es doch noch gar nicht. Vielleicht ist das Pony ja sehr nett!“
GarNicht warf ihm einen strafenden Blick zu. Es flüchtete unter den schützenden Flügel seiner Mutter.
„Sie kommen!“, bellte Bollo, der Hofhund, und stupste mit der Nase die Stalltür ein wenig auf. Draußen fuhr Bauer Holger mit seinem Wagen vor, an dem ein Pferdeanhänger hing.
„Lass sie von alleine aus dem Hänger kommen! Sie soll sich ruhig Zeit nehmen.“
Das musste die Stimme von Gerda sein, dachte Holly. Sie klang genauso liebenswert wie Linda sie beschrieben hatte. Die Bäuerin und ihr Mann Holger, der die hintere Ladeklappe des Anhängers geöffnet hatte, warteten in einiger Entfernung, bis Holly sich umdrehte und zum ersten Mal den Boden ihres neuen Zuhauses betrat.
Noch bevor Holly einen Huf auf die Erde setzte, hob sie die Nüstern in die Luft und sog den Duft ihrer neuen Heimat ein. Es roch gut, dieses Deutschland! Anders als Kanada, aber sehr fein.
Holly war so müde von der langen Reise, dass ihr fast die Augen zufielen, doch ihre Neugier hielt sie wach. Sie sah sich um. Sehr ordentlich sah es aus auf diesem Hof. An der Außenwand des Stalls hingen sauber aufgereiht mehrere Besen, Rechen und Sicheln. Die hatte es auch auf Lindas Farm gegeben. Unter einem überdachten Anbau standen drei Traktoren, ebenfalls ordentlich nebeneinander geparkt. Im Vergleich zu den riesigen Traktoren in ihrer früheren Heimat sahen diese drei nahezu winzig aus. Am Stall und auch am Wohnhaus hingen Tannenzweige und Lichterketten mit unzähligen kleinen Glühbirnen, und in der Mitte des Hofs stand ein mächtiger Tannenbaum, der mit wunderschönen roten Kugeln verziert war. Das gefiel Holly. Bei Linda hatte es auch immer einen großen Weihnachtsbaum gegeben.
Aus der Stalltür lugte die Nase eines Hundes, der sich schnell zurückzog, als sich Hollys und sein Blick trafen.
„Na, gefällt es dir? So ordentlich ist es hier nicht immer!“, lachte Gerda und stupste ihren Mann neckisch in die Seite. Der grinste. Die beiden gefielen Holly. Sie mochte sie sofort. Voller Vertrauen ging sie auf die beiden zu und ließ sich von ihnen streicheln.
„Du bist wirklich wunderschön“, sagte Gerda.
Holger nickte zustimmend. „Der liebe Gott konnte sich wohl nicht entscheiden, in welcher Farbe er sie anmalen sollte!“ Er meinte ihre Schecken.
Die beiden lachten erneut.
„Na, dann will ich mal Hollys Gepäck holen. Hoffentlich hat sie nicht so viele Koffer dabei wie du, wenn wir auf Reisen gehen!“ Er zwinkerte seiner Frau zu.
„He, ich sag nur: fünf Kilo Bücher!“, rief Gerda zurück. Beim letzten Mal, als sie zusammen übers Wochenende nach Italien gefahren waren, hatte Holger fünf Kilogramm Bücher dabeigehabt. Er las sehr gerne, doch im normalen Hofalltag war er abends oft zu müde.
„1:1 für dich!“, rief er, hob den Daumen und stieg in den Wagen, um den Anhänger unter den Anbau zu fahren. Als er dicht an ihnen vorbeifuhr, reichte er Gerda noch einen Briefumschlag aus dem Fenster. „Für meine liebe Gerda“, stand darauf. Es war der Brief von Linda. Gerda steckte ihn in ihre Jacke.
„Du bist wirklich sehr besonders“, sagte sie und strich über Hollys Flanke. „Ein richtiges Indianerpony … und das bist du ja auch. Ich bin so froh, dass du den Flug gut überstanden hast. Weißt du, mich bekommen keine zehn Pferde in ein Flugzeug!“ Sie kicherte über ihren eigenen Witz. „Darum habe ich Linda nie besucht, seit sie nach Kanada ausgewandert ist. Schade. Manche Dinge sollte man wirklich tun, auch wenn man Angst davor hat.“ Sie wirkte traurig.
Holly nickte zustimmend, was die Bäuerin natürlich nicht verstand.
„Komm, ich stelle dich den anderen vor“, sagte sie, nahm Holly am Halfter und führte sie zum Stall.