Читать книгу Morgen, Pony, wird's was geben - Karen Christine Angermayer - Страница 8
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Оглавление„Hallo, Ihr Lieben, schaut mal her, das ist Holly, eure neue Mitbewohnerin!“, rief Gerda den anderen Tieren zu. Noch vor wenigen Sekunden hatte es im Stall lautstark gegrunzt, geschnattert und gemuht. Jetzt war es schlagartig still.
„Hallo“, sagte Holly freundlich in die Stille hinein und lächelte die anderen Tiere an. Viele große und kleine Augenpaare starrten sie an. Niemand lächelte zurück.
„Nun seid doch nicht so schüchtern, ihr rennt doch sonst jeden Besucher fast über den Haufen!“, ermunterte die Bäuerin ihre Tiere. „Vor allem du, Rufus.“ Das Schwein senkte seinen Kopf und tat so, als würde es den Stallboden intensiv nach etwas Fressbarem absuchen.
„Und du auch, Bollo. Komm, sag ‚Hallo‘ zu Holly!“ Doch Bollo verzog sich in sein Hundehäuschen.
„So was …“ Die Bäuerin schüttelte den Kopf. „Na, komm.“ Sie führte Holly ins Hintere des Stalls. „Hier habe ich dir ein schönes Lager –“ Sie hielt inne. „Nanu! Wo ist denn das ganze Stroh hin?“ Sie sah sich um. „Das gibt’s doch nicht. Ich hatte dir doch einen wunderbaren Platz vorbereitet … Holger soll noch mal neues bringen. Warte kurz.“ Verwundert ging Gerda aus dem Stall.
Holly sah sich um. Immer noch starrten sie viele Augenpaare an. Sie konnte Kühe darunter ausmachen, Schweine, viele Hühner und Enten … und ein winziges Augenpaar unter dem linken Pedal des alten Klaviers, das an der Wand stand. Das Augenpaar steckte hinter Glas. War es eine … Maus? Mit Brille?
Holly nahm noch einmal all ihre Vorfreude auf ihr neues Zuhause zusammen und sagte: „Hallo, ich bin Holly, und wer seid ihr?“ Doch sie bekam keine Antwort. Konnten die Tiere in Deutschland nicht sprechen?
Sie überlegte und versuchte es auf andere Weise. „Ich – Holly. Und du?“, fragte sie eine Ente, die ihr am nächsten stand. Die Ente sah sich ängstlich um, sagte aber nichts. Holly gab nicht auf: „Ich – Holly. Und du?“, fragte sie stattdessen das Entenküken, das neben ihr stand.
„Sissy!“, rief das Kleine erfreut, weil es sonst von den großen Tieren nie angesprochen wurde. „Du sprichst aber komisch!“
Aha, sie konnten also doch sprechen, dachte Holly. Was war denn dann bloß hier los?
Die Entenmutter pickte mit ihrem Schnabel nach dem Küken, und es suchte schnell das Weite. Die Stalltür ging wieder auf, und Bauer Holger fuhr mit einem Gabelstapler herein, auf dem er mehrere Strohballen platziert hatte.
„Macht Platz!“, rief Gerda. Die Tiere, die im Weg standen, gehorchten ihr sofort und stoben auseinander, damit Holger durch den Stall fahren konnte.
„Ja, genau hierhin. Hier ist der schönste Platz für unsere Holly“, sagte Gerda.
Sie zeigte auf einen großen, hellen freien Platz zwischen den anderen Tieren. Der Bauer lud die Strohballen dort ab. Gerda zog das fest zusammengepresste Stroh mit einer Mistgabel auseinander und verteilte es so, wie sie es haben wollte. In einem Eimer hatte sie frischen Hafer für Holly geschrotet.
„Jetzt hast du wieder ein schönes Lager. Ich habe allerdings immer noch keine Ahnung, wo das andere Stroh hin ist …“ Sie sah sich suchend im Raum um, fand aber keine Antwort. „Seltsam. Na, dann mach es dir schön gemütlich.“ Sie ging, um die Mistgabel wieder nach draußen zu bringen.
Da die anderen Tiere sie weiterhin nur stumm anstarrten, machte sich Holly alleine auf Entdeckungstour im Stall. Auch hier drinnen war alles sehr ordentlich und aufgeräumt. Die Bereiche, in denen die Kühe und Schweine lebten, waren randvoll gefüllt mit frischem Stroh und duftendem Heu, und auch bei den Hühnern und Enten sah es sehr gemütlich aus: Sie hatten ein Lager aus weichen Matratzen und vielen Kissen in lustigen Farben, auf denen sie herumlaufen konnten. Manche hatten ihre Eier in die Kuhlen der Kissen gelegt und brüteten sie aus. Alle Tiere konnten frei herumlaufen, es gab keine Trennwände, keine Ketten, keine Gitter. Das gefiel Holly. So hätte es Linda auch gemacht auf ihrer Farm. Als sie sich genug umgeschaut hatte und merkte, wie ihre Beine und Augenlider vor Müdigkeit immer schwerer wurden, wollte sie sich auf den Platz begeben, den Gerda ihr bereitet hatte. Doch noch bevor sie das Stroh erreichte, kamen auf einmal alle Tiere, groß wie klein, aus den Ecken des Stalls angelaufen, bildeten eine Kette – und ließen sie nicht durch.
„Entschuldigung, darf ich?“, fragte sie und wollte sich sanft durch die Menge von Hühnern und Enten schieben, natürlich vorsichtig, um nicht auf ihre kleinen Watschelfüße zu treten. Doch niemand bewegte sich.
„Ich möchte gerne auf meinen Platz. Ich bin sehr müde und würde mich gern ein wenig ausruhen“, erklärte Holly. Sie dachte daran, dass sie zwei lange Autofahrten mit Bert und Holger und noch dazu die ganze Flugreise hinter sich hatte. Wahrscheinlich würde sie nicht einmal mehr von dem frischen Hafer fressen können, den ihr Gerda gebracht hatte, so erschöpft war sie.
Die Tiere schauten Holly zwar an, bewegten sich aber keinen Zentimeter. Holly war ratlos. Das war nicht das Willkommen, das sie sich vorgestellt hatte. Warum verhielten sich die Tiere ihr gegenüber so? Doch sie war viel zu kaputt, um sich darüber heute noch Gedanken machen zu können. Um keinen Streit mit den anderen zu verursachen, gab sie nach und lief ein paar Meter weiter im Stall umher in der Hoffnung, noch einen anderen Schlafplatz zu bekommen. Doch es gab keinen Platz mehr, der mit frischem Stroh bedeckt war, und alle anderen Schlafstätten, die gemütlich wirkten, waren schon belegt. Schließlich fand Holly eine kleine dunkle Ecke direkt unter dem Stallfenster. Man konnte den Mond und die Sterne sehen. Zwar nur einen winzigen Ausschnitt, der in keinem Vergleich zu dem riesigen freien Himmelszelt stand, das Holly in ihrer Heimat jede Nacht umgeben hatte, doch immerhin.
Ihr Magen knurrte. Sie hatte doch Hunger, aber es war zwecklos. So wie sie sich verhielten, würden die anderen Tiere sie sicher nicht an das Futter lassen. Nun, sie würde es aushalten. In ihrer Heimat waren Wildponys oft mehrere Tage lang ohne Futter. Sie war daran gewöhnt. Aber seltsam war es doch. Und es fühlte sich nicht schön an.
Die anderen Tiere hatten angefangen, sich wieder zu unterhalten, doch sie sprachen so leise, dass Holly sie nicht verstehen konnte. Sobald sie ihnen den Kopf zuwandte, verstummten sie gleich wieder. Holly war nicht dumm, sie spürte genau, dass sie beobachtet wurde, aber immer, wenn sie einen von ihnen direkt anschaute, tat er oder sie sehr beschäftigt oder gab vor zu schlafen.
Lieber Mond, dachte Holly, bitte hilf mir, dass es hier schöner wird. Das kann doch nicht der Hof sein, von dem Linda immer erzählt hat. Bin ich womöglich auf dem falschen Hof gelandet? Aber nein, Holger und Gerda sind die richtigen Besitzer, und sie freuen sich doch ganz offensichtlich über mich … warum nicht die anderen Tiere? Ich habe ihnen doch gar nichts getan!
Über all diesen Gedanken, mit dem Blick auf den Mond und einem knurrenden Magen musste Holly erschöpft eingeschlafen sein, denn als sie aufwachte, ging draußen die Sonne auf.