Читать книгу Nächster Halt Walding - Karen Sommer - Страница 4

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Auch der zweite Blick auf das Stäbchen in ihren Händen änderte rein gar nichts. Zwei blaue Striche. Schwanger. Das konnte doch gar nicht wahr sein. Es war nur eine Nacht gewesen. Nacht? Eher einige Momente Unachtsamkeit. Hannah war so betrunken gewesen. Ein Mal. Jahrelang hatte sie sich gegen ihn gewehrt. Aber ein Fehler und schon wurde man bestraft. Obwohl Strafe vielleicht ein hartes Wort war. Das Baby konnte doch nichts für seinen Vater.

Verzweifelt saß Hannah auf dem WC-Sitz und ihre Gedanken überschlugen sich. Was sollte sie nur tun? Schwanger! Was würde ihre Mutter dazu sagen? Wahrscheinlich hatte sie ja selber Schuld. Wie sollte es nur weiter gehen?

In den letzten Monaten, Jahren hatte sie den Kopf in den Sand gesteckt, aber das war nun vorbei. Sie musste, wollte kämpfen. Für sich. Für das Baby. Zuerst hieß es, den Schwangerschaftstest gut verstecken, damit ihn niemand fand. Sie wollte dieses Baby. Sanft streichelte Hannah über ihren noch nicht vorhandenen Bauch. Sie musste ungefähr in der sechsten Woche sein. Obwohl es völlig irrational war, freute sie sich über das Baby. Vermutet hatte sie die Schwangerschaft ja schon. Das WC war morgens aufgrund ihrer Übelkeit ihr neuer bester Freund geworden.

Felix klopfte energisch. „Komm in mein Büro! Ich muss dir etwas sagen!“

„Ja, bin sofort da“, beeilte sich Hannah noch zu sagen. Ihre Hände zitterten. Ahnte er etwas? Hatte sie jemand mit dem Test beobachtet? Hannah stand auf und überlegte, wo sie ihn verstecken sollte. Sie schob das Stäbchen ganz nach hinten in den Kasten unter dem Spülbecken, eingewickelt in ein altes Putztuch. Sie musste unbedingt später damit verschwinden. Sie bürstete noch einmal durch ihre schulterlangen braunen Haare.

„Pokerface, Hannah! Du kannst das! Schultern zurück! Du hast auch die letzten Jahre überlebt!“ Ihr Spiegelbild blickte unsicher zurück.

„Hannah, das ist mein Freund Heinz. Du wirst ihn nächsten Monat heiraten.“

Hannah prallte zurück. Sie hatte diesen schmierigen Freund schon einige Male gesehen. Heinz lümmelte etwas übergewichtig im zweiten Sessel im kleinen Büro und taxierte Hannah von oben nach unten. Seine Sonnenbrille hatte er dafür auf die Nasenspitze geschoben und grinste lüstern. Seine strähnigen Haare hingen ungewaschen bis zum Hemdkragen. An seinem Hals baumelte eine dicke Goldkette. Hannah wurde übel.

„Was? Warum? Wir kennen uns gar nicht!“ Hannah blickte Felix verwirrt entgegen.

„Ihr werdet euch schon kennenlernen, mit der Zeit. Und warum? Das braucht dich nicht zu kümmern.“ Seit dem Tod ihres Stiefvaters lebte Felix zügellos und ohne jegliche Konsequenz. Ihre Mutter und sie huschten wie Schatten durch das Haus. Felix überwachte und kontrollierte jeden Schritt der beiden. Er funkelte sie nun böse an.

„Heinz hast du ja nun gesehen. Damit ist es beschlossen. Heute Abend geht ihr beiden mal miteinander aus und dann passt das. Den Hochzeitstermin gebe ich dir noch bekannt. Du kannst gehen.“

Hannah torkelte aus dem Büro, lehnte sich schwer gegen die Wand und ließ sich daran hinunter gleiten. Sie stand so unter Schock, dass sie erst spät erkannte, dass sie die Tür hinter sich nicht ganz geschlossen hatte.

„Also sind wir uns nun einig. Du bekommst meine Schwester und dann haben wir die leidige Geldangelegenheit aus der Welt geschafft.“

„Felix, ich weiß nicht. Es ist doch mehr oder weniger Menschenhandel, was du hier betreibst. Und was wird deine Mutter dazu sagen?“

„Stiefmutter. Die musst du selbstverständlich dazu nehmen. Die bleibt nicht in diesem Haus. Du kannst sie ja in einem Pensionistenwohnheim oder so ähnlich abladen. Und Hannah. Das wird schon. Sie braucht Beschäftigung. Und die wirst du ihr ja bieten.“ Felix lachte schmutzig.

Hannah konnte nicht glauben, was sie gehört hatte. Das war nun der Höhepunkt. Er „verkaufte“ sie. Wahrscheinlich übernahm dieser Heinz wieder einige Spielschulden von Felix. Die Installationsfirma ihres Stiefvaters war mittlerweile hoch verschuldet. Und das Haus auch. Felix hatte alles geerbt. Ihre Mutter hatte zwar ein Wohnrecht, aber sie war nur geduldet und ihrem Stiefbruder ausgeliefert. Nach ihrer Ausbildung zur Konditorin ging die kleine Bäckerei in Konkurs und ihr Stiefvater drängte sie nicht, eine neue Stelle zu suchen. Dann wurde ihre Mutter kränklich und so beschloss Hannah, sie zu unterstützen und blieb fortan Zuhause.

„Ihren Treuhandfond teilen wir uns. Sie weiß nichts von dem Geld und das belassen wir auch so.“

Hannah rappelte sich mühsam hoch. Treuhandfond? Sie besaß Geld? Eigentlich hatte sie kein Geld. Felix stattete sie monatlich mit einem Taschengeld aus, das gerade so für ihre persönlichen Bedürfnisse reichte.

Langsam ging sie zu ihrem Zimmer. Auf ihrem Bett versuchte sie die Gedanken zu ordnen. Sie sollte heiraten. Jemanden, den sie gar nicht kannte. Damit Felix weniger Schulden hatte.

Sie hatte Geld. Irgendwo. Auf einem Treuhandkonto. Wie kam es zu dem Geld? Wie kam sie zu dem Geld? Das wäre eine Möglichkeit für einen Neustart.

Mit dem Baby. Weit weg von Felix.

Sie wollte ihre Mutter befragen. Die müsste eigentlich irgendwas wissen.

Ihre Mutter bügelte im Wintergarten die Hemden von Felix.

„Mutter, das ist nicht deine Arbeit. Dafür hat Felix eine Putzhilfe.“

„Aber sie bügelt sie nicht so ordentlich und Felix wird dann immer wütend.“ Auch ihre Mutter fürchtete sich vor dem Zorn von Felix.

„Mutter, es ist was passiert. Felix möchte, dass ich seinen Freund heirate. Bald.“

Die Hand ihrer Mutter stand still. Furcht und Schrecken blitzten in ihren Augen auf. Aber sie versteckte diese Gefühle sofort wieder.

„Ach, Kind. Wirklich? Kennst du den Freund auch schon?“

„Ich kenne ihn gar nicht! Und ich werde ihn auch nicht heiraten!“

„Pst. Sonst hört dich Felix. Warum möchte er dich verheiraten?“

„Ich habe diesen Menschen nur kurz gesehen und er war mir sofort unsympathisch!“

„Ja, aber was willst du dagegen unternehmen. Du weißt, dass wir auf Felix mehr oder weniger angewiesen sind. Und du hast ja sonst nichts und auch keinen anderen Freund. Möchtest du dem Ganzen nicht eine Chance geben?“

Hannah zwang sich ihre verkrampften Fingern zu lockern und atmete mehrmals tief ein und aus.

„Nein, Mama. Du hast ein Wohnrecht. Ich bin gerade noch so geduldet. Und so kann es nicht weitergehen. Felix hat da etwas von Geld für mich erwähnt. Weißt du etwas darüber?“

Ihre Mutter zuckte merklich zusammen. „Geld? Nein. Also, du weißt, dass wir nichts besitzen und froh sein müssen, hier bleiben zu können.“

Nach der Hochzeit ihrer Mutter mit ihrem Stiefvater hatte dieser die gesamten Finanzen übernommen. Ihre Mutter hatte ihm völlig vertraut und sich in die Rolle des Hausmütterchens gefügt. Aber Hannah wollte und konnte nicht mehr so weiterleben. Sie wollte leben. Atmen. Frei sein. Sie wusste, dass auch ihre Mutter wirklich nichts darüber wusste.

Felix war der Sohn ihres Stiefvaters. Aber er wurde auch von ihrer Mutter anfangs wie ein Halbgott hochgehoben. Sie fügte sich jedem seiner Wünsche unterwürfig. Für ihre Mutter war das Wort des Hausherren oberstes Gesetz. Sie hinterfragte keine Anordnung und ergab sich ihrem Schicksal. Aber war das auch die Zukunft für Hannah? In ihrem Innersten wusste sie, dass Gott für sie ein anderes Schicksal bestimmt haben musste. Dies konnte nicht ihr Schicksal sein.

Der Halbgott steckte seinen Kopf in den Wintergarten. „Da bist du. Um sieben holt dich Heinz ab. Du machst dich ordentlich zurecht. Nicht immer in diesem Schlapperlook. Sexy und willig! Ich möchte von Heinz keine Klagen über dich hören.“ Er schüttelte drohend seinen Zeigenfinger.

„Felix, lass uns noch einmal darüber reden.“

Felix holte tief Luft und seine Augen begannen zu funkeln. Sie kannte diesen Blick zur Genüge. „Worüber reden? Du hast nichts, du kannst nichts, du bist nichts. Ich weiß, was für dich gut ist. Fertig. Wir haben nichts mehr zu besprechen. Du tust, was ich dir sage.“

Hannah nickte blass und eingeschüchtert. Ihre Mutter zitterte am ganzen Körper. „Hannah, also, dein Bruder meint es doch nur gut mit dir.“

„Genau, Hannah, hör auf deine Mutter.“ Felix äffte ihre Mutter nach. „Um sieben bist du fertig.“


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