Читать книгу Nächster Halt Walding - Karen Sommer - Страница 5
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ОглавлениеDer Februar zeigte sich grau in grau. Kein Schnee in Sicht. In Wien sah man noch weniger Schnee als im restlichen Österreich. Die Villa ihres Stiefvaters befand sich am Stadtrand und verfügte über einen üppigen Garten. Einmal im Monat erledigte ein Gärtner die groben Arbeiten. Die beiden Frauen versorgten die Blumenbeete und Rabatte. Hannah nutzte jede freie und unbeobachtete Minute, um Streifzüge durch die Umgebung zu machen. Sie liebte es, spazieren zu gehen. Seltene Momente, um sich frei und lebendig zu fühlen.
Seufzend zog sie ein schwarzes, hochgeschlossenes Etuikleid aus dem Kasten, das ihre Figur betonte, jedoch kaum Einblicke gewährte. Bewusst entschied sie sich dafür, um diesem Heinz nicht zu viel Hoffnung zu machen. Ihr dunkler Wintermantel verhüllte sie gänzlich und ließ keine Zweifel, dass Hannah nicht das geringste Interesse zeigte. Heinz kam fast pünktlich an.
„Na, du Hübsche. Wollen wir gleich zu mir heim oder willst du was essen?“
Hunger verspürte sie keinen, aber zu ihm wollte sie auf keinen Fall. „Ich hätte doch Lust, irgendwo einen Happen zu essen.“ Diese Lügen galten sicher nicht als Lügen, da es absolute Notlügen waren. Und essen wollte sie definitiv nichts. Sie musste einfach die Zeit totschlagen, damit Felix nicht sofort bemerkte, dass sie an einer anderen Lösung arbeitete.
In einem dunklen italienischen Restaurant saßen die beiden an einem etwas zu kleinen Tisch. Hannah hatte sich absichtlich nicht auf die Bank gesetzt, sondern den Stuhl gewählt. Heinz bestellte für sie beide. Pizza Diabolo. Sie mochte weder scharf noch Salami. Sie bevorzugte vegetarisch. Als Hannah Einwände aufwarf, schaute er sie nur böse an und fuhr mit der Bestellung fort. Er legte ständig seine fleischige Hand auf ihre und versuchte sie zu betatschen, wo auch immer es ging. Der Chef bemühte sich um Heinz. Scheinbar war er in diesem Lokal ein oft gesehener Gast.
Hannah rutschte immer weiter weg, was dieses Ekelpaket als Aufforderung sah, näher zu rücken. Sie zwang sich zu einem verkrampften Lächeln und zählte die Minuten, bis sie wieder nach Hause konnte.
„Und, Schnurli, wir werden es nett haben, wenn wir verheiratet sind. Brauchst dich um nichts zu kümmern. Ich mach das dann für dich.“
Schnurli! Ein passender Name für die Katze aber nicht für einen Menschen, dem man Zuneigung zeigen möchte.
„Ich heiße Hannah.“
„Weiß ich doch, Schnurli.“ Er tätschelte beruhigend ihre Hand.
Die Unterhaltung bestritt Heinz ganz alleine, um sich selbst zu loben. An Hannah zeigte er kein Interesse.
Auf der Heimfahrt versuchte er, sie zu überreden, auf einen Absacker zu ihm zu kommen.
Hannah lächelte ihn freundlich entgegen: „Ich bin gerade unpässlich, da ginge jetzt sowieso nichts.“
Säuerlich blickte Heinz nach vorne und brachte sie auf direktem Weg zu ihrem Haus, ließ sie aussteigen und raste davon.
Die Hoffnung, nicht auf Felix zu treffen, erwies sich als trügerisch. Leise schloss sie die Tür hinter sich. Felix riss seine Bürotür auf. „Schon zurück? Hast du es ihm nicht besorgt?“
Hannah blickte nervös auf ihre Füße.
„Was bist du doch für ein Trampel! Er ist meine Garantie, dass deine Mutter in diesem Haus bleiben kann! Und du bist in keiner Weise dankbar oder hilfsbereit! Ich schmeiße deine Mutter auf die Straße, wenn du mit Heinz nicht ins Bett hüpfst!“ Und er wackelte schon wieder mit dem Zeigefinger vor ihrem Gesicht.
„Meine Mutter hat ein lebenslanges Wohnrecht.“
Seine Hand hatte sich nicht kommen sehen. Die Wucht der Ohrfeige riss ihren Kopf nach hinten.
„Bist du irre! Das ist mein Haus. Ich bestimme, wer hier wohnt und was hier passiert. Der Alte hat mir nichts mehr zu sagen. Der liegt unter der Erde.“
Die Faust landete direkt unterhalb der Rippen. Er traktierte sie mit mehreren Schlägen. Hannah sank auf die Knie und rollte sich am Boden zusammen. Ihr einziger Gedanke galt dem Baby. Felix trat noch einige Mal mit dem Fuß nach ihr und verschwand dann aus dem Haus. Sie hörte seinen SUV bei der Abfahrt aufheulen.
Sie wusste nicht, wie lange sie dort am Boden gelegen hatte. Eine sanfte Hand streichelte über ihren Rücken.
„Hannah?“
„Mama, wir müssen weg. Wir können hier nicht mehr bleiben.“ Heiser brachte Hannah einige Worte hervor.
„Aber wo sollen wir denn hin? Wir haben niemanden und nichts. Und wenn er uns findet, dann wird es nicht gerade leichter.“
Hannah setzte sich mühsam aus. Ihr ganzer Körper schmerzte. Sie nahm ihre Mutter an den Schultern.
„Mama, er will mich mit seinem Freund verheiraten! Gegen meinen Willen! Er unterdrückt dich und mich! Er hält uns als seine Haussklaven! Mama, das ist nicht mehr normal! Er verspielt Haus und Hof.“
„Hannah, du musst ihn verstehen. Er hatte eine schwere Kindheit, als seine Mutter verstarb. Und ich dann mit dir hier einzogen bin.“
„Eine schwere Kindheit? Er war auf Rosen gebettet. War meine Kindheit denn nicht gleich schwer?“ Hannahs Vater verstarb plötzlich, als sie neun gewesen war.
„Das ist anders. Eine Mutter ist eine Mutter und kann nicht ersetzt werden. Ich verstehe dich. Aber ich weiß nicht, wie ich uns helfen könnte.“
Fassungslos starrte Hannah ihre Mutter an.
„Ilse hat mir neulich beim Einkaufen von einer Seniorenwohngemeinschaft etwas außerhalb erzählt. Sie wird dort hingehen. Ich könnte dort auch unterkommen. Aber wir brauchen eine gute Lösung für dich Hannah. Ich möchte dich nicht alleine lassen.“ Hannah seufzte schwer.
„Lass gut sein. Mir geht es gut. Mach dir keine Sorgen. Mir fällt bestimmt was ein. Geh wieder ins Bett.“
Traurig stand ihre Mutter auf. „Man bekommt im Leben nicht immer das, was man sich erträumt und was einem von irgendwelchen Romanschreibern vorgegaukelt wird. Als Frau muss man sich einfach fügen.“ Mit hängenden Schultern ging ihre Mutter den Gang hinunter.
Hannah erkannte, dass ihr gemeinsames Leben mit Felix und ihrer Mutter hier enden musste. Ohne lange darüber nachzudenken, betrat Hannah das Büro ihres Bruders. Wenn sie wegwollte, brauchte sie Geld und wenn es Unterlagen über das erwähnte Geld irgendwo gab, dann hier.
Ihr Körper schmerzte. Das linke Auge schwoll bereits zu. Ihre Rippen stachen bei jedem Atemzug. Und dennoch wusste Hannah, dass diese Nacht ihre letzte in diesem Haus sein musste.
Sie schaltete die Schreibtischlampe an und ließ sich schwer auf den Stuhl fallen. Sie begann, den Schreibtisch systematisch zu durchsuchen. Nichts. Kein Hinweis. Nur unbezahlte Rechnungen. Ihre persönlichen Dokumente fand sie in der untersten Lade. Die nahm sie beiseite.
Der Kasten war versperrt. Es dauerte einige Minuten, bis sie das Schloss mit einer umgebogenen Büroklammer geöffnet hatte. Ordner über Ordner. Bestelllisten. Buchhaltung von ihrem Stiefvater.
Von Felix fanden sich keine neuen Unterlagen. Es sah fast aus, als ob die Firma mit dem Tod ihres Stiefvaters zum Stillstand gekommen war. Eigenartig? Dabei war es immer ein gut gehendes Unternehmen gewesen.
Ein schmales Kuvert im obersten Regal weckte schließlich Hannahs Neugierde. Schmerzend griff Hannah danach und wusste sofort, dass sie hier fündig werden würde.
Es waren Unterlagen vom Notar, Dr. Weinhub. Es war eine Kopie des Testaments ihres Stiefvaters. Hannah überflog die Unterlagen. Sie verstand nur die Hälfte des Geschriebenen. Aber eines las sie deutlich heraus: Es gab ein Bankkonto, für sie eingerichtet, über dessen Geld sie ab ihrem 21. Geburtstag verfügen konnte. 40000 Euro. Nur für sie. Bei der Hausbank. Sie konnte einfach darauf zugreifen. Glaubte sie zumindest. 40000 Euro. Ihr Geld. Das Geld für eine gemeinsame Zukunft für das Baby und sie. Und auch eine Chance für ihre Mutter. Auch für sie gab es ein Konto mit Geld.
Nachdenklich schob sie die Papiere wieder ins Kuvert zurück und räumte alles wieder zusammen. Sie kontrollierte noch einmal, ob sie keine Spuren hinterlassen hatte. Hannah hatte schon ihre Hand am Türgriff, als sie einem inneren Instinkt folgte. Sie ging zurück und entnahm dem Kuvert das Testament. Sie kopierte es fein säuberlich auf dem einfachen Drucker im Büro ihres Stiefbruders. Die Kopien nahm sie mit.
In ihrem Zimmer zog sie sich vorsichtig aus und begutachtete die blauen Flecken, die sich schön langsam breit machten. Ihre Rippen leuchteten dunkellila, Oberschenkel und Oberarm genauso. Im Gesicht war die Wange noch gerötet. Über dem Auge begann sich ein Veilchen abzuzeichnen.
Sie wollte nur mehr weg. Nach vorne sehen. Sie duschte, zog sich sorgfältig an und packte in eine Reisetasche die wichtigsten Dinge ihres Lebens. Papiere. Ein wenig Kleidung. Das Notizbuch mit den gesammelten Rezepten. Viel besaß sie nicht.
Sie musste weg. Hannah erkannte, dass der Weg von Felix nicht ihr Weg sein konnte. Sie hatte viel zu lange gewartet.
Sie legte sich noch kurz hin und stellte sich den Wecker an ihrem Handy, um rechtzeitig wach zu werden.