Читать книгу Nächster Halt Walding - Karen Sommer - Страница 8
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ОглавлениеEin schmaler Feldweg hinter der Kirche führte einen kleinen Hügel bergan. Obstbäume – jetzt Anfang Februar waren sie noch kahl - säumten den Weg. Nach einigen Minuten fuhren sie über eine kleine Kuppe in eine Senke. Ein Bauernhof, liebevoll restauriert, schmiegte sich an den Hang. Hühner liefen kreuz und quer. In einem Gatter liefen einige Ziegen auf und ab oder fraßen an der aufgebauten Heustelle.
Hannah fühlte sich wie in einem Heimatfilm. Es fehlte nur mehr der Alm Öhi, der bei der Tür herausschaute. Stattdessen parkte in dem kleinen Hof ein geländetauglicher Wagen, dessen Hecktür offen stand. Daran werkelte eine gut gebaute Gestalt. Er drehte sich mit Schwung um, als er den Wagen kommen hörte.
„Griaß di, Simon. Warst du erfolgreich am Markt?“
„Griaß di, Onkel Toni. Ja, ich kann nicht klagen. Die Sachen verkaufen sich gut in der Stadt.“
Hannah musterte verstohlen den Mann, von dem sie annahm, dass es dieser Simon sein musste.
„Du, Simon, wir haben ein Problem. Und du kannst uns helfen.“ Dieser Onkel Toni packte die Angelegenheit ganz schön ausgefuchst an. Hannah musterte ihr Gegenüber verstohlen. Muskulös, aber schlank. Das Gesicht vom Arbeiten im Freien sonnengebräunt. Er trug eine robuste Arbeitshose und feste Schuhe. Obwohl es an diesem Tag schon nach Frühjahr roch, war es doch relativ kühl und dennoch trug Simon nur ein Hemd und einen Pullover. „Bei uns ist die Hannah gestrandet. Sie kennt niemanden in der Gegend und braucht eine Bleibe. Und da habe ich an deinen Zubau gedacht, der ja derzeit leer steht.“
In Simons Gesicht spiegelte sich die Fassungslosigkeit. „Nein, das geht nicht. Der ist nicht in Betrieb und schon ewig nicht geputzt.“
„Simon, das wäre ja nicht für immer. Nur für den Übergang. Schauen wir mal. Ich bin mir sicher, man kann es wieder in Schuss bringen.“ Onkel Toni hielt zielstrebig auf ein kleines Nebengebäude zu, das Hannah erst jetzt bemerkt.
Ein kleineres Gebäude, fast versteckt hinter dem Haupthaus, duckte es sich seitlich an das Bauernhaus. Man erkannte, dass es erst viel später errichtet wurde.
Onkel Toni war bereits eingetreten. Simon folgte ihm auf dem Fuß. Hannah stand unschlüssig am Auto. Sollte sie auch nachgehen? Sie kam sich so unerwünscht vor. Ihr Blick wanderte herum. Die beiden Wohngebäude und der Stall bildeten ein Eckensemble, wodurch ein kleiner Hof entstand. Sie ging einige Schritte zurück, sodass sie am Wohnhaus vorbei sehen konnte. Man überblickte das Tal und hatte freien Blick auf Walding. Wenn die Sonne schien, musste es hier heroben herrlich sein. Am Hang vorm Haus und hinter dem Haus befanden sich viele Obstbäume aber auch einige kleinere Felder, die im Sommer scheinbar bebaut wurden.
„Hannah!“ Onkel Toni rief bereits nach ihr. „Schau mal her!“
Hannah folgte dem Ruf und betrat das kleinere Wohngebäude. Von dem kleinen Vorraum gingen vier Türen weg. Alle waren nun geöffnet und Hannah erblickte ein kleines Bad mit Dusche, ein WC, ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett und Kasten und der rechte Teil des Hauses war fast zur Gänze von einer Küche eingenommen. Hannah betrat staunend diesen Raum. Obwohl sie keine Bautechnikerin war, erkannte sie, dass hier fast nur Vollholz zum Einsatz gekommen war. Die Küche bestand aus einer frei stehenden Kücheninsel mit Backrohr und Induktionsherd. An der Wand waren helle Kästen mit einem Waschbecken. Auf der anderen Seite des Raumes befand sich noch ein kleinerer Esstisch, wo bequem vier Personen Platz fanden. Es war alles etwas klein aber heimelig eingerichtet. Und es reichte für Hannah. Die beiden Männer starrten sie an.
„So, also Hannah, wie gefällt es dir?“
„Es ist sehr schön.“ Vorsichtig strich Hannah über die Arbeitsplatte der Kücheninsel. „Würden Sie mir die Wohnung vermieten? Ich kann auch bezahlen.“ Vertrauensvoll versuchte sie Simon anzulächeln.
„Ich brauche kein Geld.“ Simon brummte ungehalten zurück.
„Das wissen wir, Simon. Es war ja nur ein Vorschlag. Vielleicht kann dir Hannah auch etwas bei deiner Arbeit zur Hand gehen? Oder für euch beide gemeinsam kochen?“ Onkel Toni machte Vorschläge, um Simon von der Idee zu begeistern.
„Sie kommt aus der Stadt. Wo soll sie mir helfen? Im Stall?“ Simon behandelte sie wie Luft.
„Ich habe zwar bisher noch nie im Stall gearbeitet, würde es aber gerne versuchen.“ Ungläubig blickte ihr Simon entgegen.
„Na, schau. Da lässt sich sicher was machen. So, ich muss jetzt aber heim. Wenn noch was ist, meldest dich einfach.“ Er strich mit seiner rauen Hand über die Wange von Hannah und verließ flugs den Raum.
Hannah sah verlegen ihr Gegenüber an.
„Ich glaube, wir hatten einen schlechten Start. Mein Name ist Hannah Neuhart.“ Sie hielt ihm tapfer ihre Hand entgegen.
„Simon Egger.“ Er schüttelte kräftig die angebotene Hand. Sie erkannte den Moment in seinen Augen, als er ihr blaues Auge erblickte. Er zuckte zurück. Hannah schob vorsichtig ihre Sonnenbrille auf die Nase.
„Ich bin heute erst in Walding angekommen und ich suche eine Bleibe für einige Zeit. Onkel Toni meinte, dass ich vorübergehend bei Ihnen bleiben könnte, aber wenn es ein Problem ist, finde ich sicher etwas anderes.“
„Wir sagen hier Du zueinander. Und du kannst einige Zeit bleiben, bis du was anderes gefunden hast.“
„Ich zahle auch Miete. Ich kann für Andrea im Café backen und dann finde ich sicher eine Bleibe.“
Simon schüttelte den Kopf. Erst jetzt fielen ihr seine tiefblauen Augen an, die müde und ein wenig traurig schauten.
„Passt schon. Ich stelle mal die Heizung an und kontrolliere den Wasseranschluss und die Lichter in den Räumen. Hat schon lange keiner mehr hier drinnen geschlafen. Du musst es selbst ein wenig durchputzen.“
Erst jetzt fiel es Hannah auf, dass es etwas kühl in dem kleinen Haus war.
„Danke“, rief sie noch hinterher.
Unschlüssig stand sie alleine herum. Sie ging zu den Küchenkästen und öffnete einzelne Schränke. Geschirr war genug da. Es war alles etwas verstaubt, da es sicher länger nicht benutzt worden war. Aber es machte einen behaglichen Eindruck.
Hannah begutachtete auch die anderen Räume. Alle Räume waren klein, aber boten alles, was sie derzeit für ihr Leben brauchte. Ihr eigenes kleines Reich. Sie konnte es kaum glauben. Es war noch keine 24 Stunden her, in denen sich ihr Leben komplett umgekehrt hatte.
„Bettzeug und Bettwäsche ist im Kasten. Die ist frisch gewaschen. Musst du dir selbst beziehen. Und putzen musst du auch selber.“
„Mach ich. Ich werde mich schon zurechtfinden. Danke für alles.“
Simon hatte ihre Reisetasche herein getragen. Sie stand in dem kleinen Flur. Hannah zog ihren Mantel aus und hängte ihn an einen Haken im Flur. Sie ging zurück ins Schlafzimmer, setzte sich aufs Bett und seufzte tief.
Ein Tag und ihr Leben hatte sich um 180 Grad gewendet. Bis vor 24 Stunden hatte sie noch nie alleine gewohnt, nie wirklich gearbeitet, sich weiters keine Sorgen über ihre Zukunft gemacht.
Nun wohnte sie in einer Gegend, die sie vorher nicht mal auf der Landkarte gesucht hatte. Alleine. Hatte eine Anstellung. Eine ungewisse Zukunft. Und war noch dazu schwanger. Sie hatte diesen Umstand bei Andrea nicht erwähnt. Hätte sie sie dann noch genommen? Sollte sie es sagen oder noch warten, bis man es sah? Hatten die Schläge von Felix dem Kind geschadet?
Müde stand Hannah auf und suchte sich Bettzeug und Bettwäsche aus dem Kasten. Es war später Nachmittag geworden. Und sie wollte einfach nur mehr schlafen. Sie bezog das Bett und legte sich vollbekleidet hin.
Der letzte Gedanke galt ihrer Mutter und dem Baby.