Читать книгу Blick auf den Nil - Karim Lardi - Страница 11
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Begegnung
Es gibt Tage, die vergisst man sein Leben lang nicht. Und heute war so ein Tag. Es war der Tag, an dem Laura ihm im alten Fahrstuhl des Hauses begegnete.
„Da ist er“, sagte ihr unversehens eine innere Stimme, während der Fahrstuhl langsam nach oben ruckelte. Sie hätte schwören können, dass sie ihm noch nie vorher begegnet war, doch entdeckte sie Vertrautes in seinen Zügen, als sie für eine Sekunde einen verstohlenen Blick auf sein Gesicht erhaschte. Sie glaubte, ihn schon lange zu kennen.
Seine dichten, glänzend schwarzen Haare waren straff nach hinten gebürstet und lenkten ihre Aufmerksamkeit auf seine dunklen Augen, die von ebenfalls dunklen Augenbrauen und Wimpern umrahmt waren. Ja, es waren seine schwarzen lachenden Augen, die ihre Aufmerksamkeit fesselten. Als er ihr kurz in die Augen sah, machte ihr Herz einen heftigen Satz. Es war als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Ihre Ohren fingen an zu rauschen und ihre Knie zitterten. Sie dachte, sie würde bewusstlos zusammenbrechen und samt Fahrstuhl nach unten rauschen. Sein Blick war wie ein Elektroschock stärkster Ladung, der ihr Herz stark zusammenzog und wieder rasen ließ, in heftiger Erregung, die ihre Brust kaum verhüllen konnte. Sie spürte, wie ihre Wangen vor Verlegenheit glühten, aus Angst er würde das Pochen ihres Herzens mitbekommen und in ihr flatteriges Innere schauen.
Er lächelte, besser gesagt seine Augen lächelten auf eine Art, die ihr das Gefühl gab, als könnte er in die tiefsten Winkel ihrer Seele blicken und als bemerkte er ihren inneren Aufruhr.
Unbehaglich blickte sie sich im Fahrstuhl um und überlegte, wie sie ihn am besten ansprechen könne, ohne gegen die vorherrschenden guten Sitten zu verstoßen. Es fiel ihr aber keine gute Gesprächseröffnung ein. Mit einem Ruck hielt der Fahrstuhl plötzlich und sie fiel ihm in die Arme.
„A wild Egyptian elevator, it hasn´t even asked us, whether we are made for each other! Whether we want something from each other“, sagte er in makellosem, geschliffenem Englisch mit einem lässigen Grinsen und einem verschmitzten Leuchten in den Augen. Seine Stimme entsprach seiner äußeren Anmut. Seine Worte schienen sie völlig zu überrumpeln. Er sah förmlich, wie sich ihre Gedanken überschlugen. Sie sah ihn an und war wie verloren. Alles andere versank.
„Kismet, Maktub - Schicksal!!?“, entfuhr es ihr, um selbst auch die Situation mit Humor zu meistern. Sie räusperte sich verlegen. Rote Flecken erschienen auf ihrem Gesicht. Ihre eigene Stimme klang ganz seltsam in ihren Ohren, weil sie nie so gesprochen hatte, weil ihr etwas ausrutschte, was sie nicht kontrollieren konnte und weil sie das ungute Gefühl beschlich, sie würde nicht rational handeln.
Bei Laura, dem kühlen und sachlichen Typ, hatte der Verstand immer das Kommando gehabt. Alles, was dem Verstand nicht unterlag, war fatal.
Er lächelte wieder, um ihr die Verlegenheit zu nehmen. Sein Lächeln war einnehmend und verlieh ihm eine sympathische Ausstrahlung, die seine Gegenwart wohltuend erscheinen ließ.
Sie merkte, wie sie etwas zögerlich sein Lächeln erwiderte und ihre Hand ausstreckte, um Gelassenheit bemüht. „Laura, bin die Neue, wohne oben auf der Terrasse!“, sagte sie nach einer Weile und versuchte, ihre Gefühle mit keinem Wort zu verraten. Ohne auf die Antwort zu warten, eilte sie zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppen hinauf, die das letzte Stockwerk mit der Terrasse verbanden.
„Sherif ist mein Name und ich wohne eine Etage tiefer“, warf er ihr hinterher.
Zögernd brachte er die Frage heraus, ob sie gerne mit ihm und Freunden essen möchte.
„Heute Abend geben wir eine kleine Party. Wir essen zusammen oben, auf der Terrasse. Ich würde mich freuen, wenn du kommst!“
Es folgte ein Moment des Schweigens, das sich eine Weile hinzog. „Wie schaut es aus?“
Sie drehte sich langsam um, öffnete den Mund, aber sie brachte kein Wort heraus. Ihr Herz raste irgendwie und schnürte ihr die Kehle zu. Ein klein wenig Farbe stieg in ihre Wangen.
„Komm einfach vorbei, wenn dir danach ist, eine Schüssel wird schon für dich übrigbleiben“, rief er ihr scherzend hinterher und schaute ihr zu, wie sie weiter leichtfüßig die Treppe hinaufflog, als wäre sie schwerelos.
Er wünschte sich sehnlichst, dass sie kommen würde.
Oben angekommen, drehte sie sich halb um und sah, dass er ihr kopfschüttelnd immer noch hinterher blickte und auf eine Antwort wartete. Er schob in gespielter Enttäuschung seine Unterlippe vor und zog leicht eine bittende Grimasse. Sie sah die gespannte Erwartung in seinen Zügen.
Sie wischte sich die hellblonden Haarsträhnen aus dem Gesicht, nickte knapp und hielt dann den Daumen mit einem Zwinkern hoch. Sie bemühte sich, ihre Begeisterung zu zügeln, aber ihre blauen Augen sprachen Bände. Ein Lächeln umspielte ganz langsam ihre Lippen und ihre Augen leuchteten. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich keuchend mit dem Rücken dagegen.
Eine nie zuvor gefühlte Verliebtheit flammte in ihr auf. Sie hatte nie geglaubt, solcher Empfindungen überhaupt fähig zu sein. Sie, die immer dachte, dass es nichts in der Welt gebe, was ihre unumstößliche Vernunft aus dem Gleichgewicht bringen könnte, streckte nun beide Armen in den Himmel, quiekte vor Freude und jubilierte innerlich.
Sie wusste, dass der Verstand nicht mehr das Kommando hatte. Aber das war ihr in diesem Moment egal. Sie wusste nur, dass sie sich im warmen Strahl der Liebe sonnte und dass sie es genießen wollte, solange es währte. Sie schloss ihre Augen ganz fest, so als wollte sie das neue Gefühl aufs Tiefste auskosten.
„Ich fürchte, ich habe nicht gründlich durchdacht, was ich tue. Ich werde mich aber nicht umstimmen lassen“, murmelte sie zu ihrer inneren Stimme, als wollte sie sich überzeugen. Wie sagte ihre Oma Hildegart immer: „Der Blitz schlägt nicht zwei Mal in denselben Baum ein.“
Sie senkte ihre Lider, als gäbe sich der vernünftige Teil in ihr geschlagen und lauschte auf das wilde Klopfen ihres Herzens in der Hoffnung recht zu behalten.
„Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt“, dachte sie.
Sie schwieg einen Moment, weil sie denjenigen bewunderte, der diese unsterblichen Worte erdacht hatte. Blaise Pascal.