Читать книгу Blick auf den Nil - Karim Lardi - Страница 12
Оглавление-7-
Unter der kleinen Pergola
Gegen Abend schlich Laura aus ihrem Zimmer. Stimmengewirr und lautes Gelächter schlugen ihr von der Terrasse entgegen. Die Party war bereits in vollem Gange. Es herrschte große Betriebsamkeit, immer mehr junge Leute drängten auf die Terrasse. Kleine Lampions beleuchteten den Abendhimmel und ließen die Terrasse freundlicher aussehen, als sie in Wirklichkeit war. Auch die Stadt wirkte von hier oben bei Nacht schön. Der Nil in dieser Ecke mit den hübschen Booten, auf denen bunte Lichterketten blinkten und ihre laute volkstümliche Habibi-Musik sorgten für etwas Heiterkeit und eine fröhliche Atmosphäre.
Auf der ganzen Terrasse duftete es nach leckerem Essen. Der Tisch, auf dem ein buntes Buffet mit vorzüglich zubereiteten Speisen angerichtet wurde, war bereits umlagert. Mit Heißhunger machten sich alle darüber her. Es gab Saubohnen in scharfer Tomatensoße und viele andere ägyptischen Spezialitäten. Dazu trank man Granatapfel-, Limonen- oder Hibiskus-Saft, alles serviert unter der kleinen Pergola, wo Onkel Hany und seine Frau Saadiya mit wendigen und energischen Bewegungen bewirteten. Sie waren die Seele der Terrasse. Während sie Getränke servierten, scherzten sie heiter mit den Gästen und versprühten gute Laune. Es gab nichts, was sie nicht mit sarkastischen Sprüchen, albernen Maskeraden oder Witzeleien kommentierten. Zwei Menschen, die lachend durchs Leben gingen, ohne die Dinge kompliziert zu machen. Ihre Geschichten waren zum Brüllen. Laura mochte ihren Dialekt. Er hatte etwas Natürliches, Unschuldiges, ja Freundliches.
Als Saadiya Laura zum ersten Mal sah, umarmte sie sie stürmisch und küsste sie auf die Wangen, während Onkel Hany sie mit überschwellender Freude begrüßte und ihre beiden Hände schüttelte.
Laura sah wie Sherif ihr zuwinkte und ihr bedeutete, sich zu ihnen zu gesellen.
„Ich hatte schon gefürchtet, du hättest es vergessen“, sagte er ihr entgegengehend. Seine Freunde bemerkten eine gewisse Nervosität, die gar untypisch für ihn war und die er zu überspielen versuchte. Sie sahen, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg und hänselten ihn.
„Ja!!? Wie könnte ich, wo es doch so köstlich bis in mein Zimmer duftet!“, sagte sie so gelassen wie möglich, doch war ihre Aufregung nicht zu übersehen.
Sie war rot bis über beide Ohren und es kostete ihr Mühe, natürlich zu bleiben.
Sherif war Mitte zwanzig, mit seinen dunklen Augen wirkte er intelligent, er sah freundlich aus und hatte gute Manieren. Er trug eine abgewetzte Jeans und ein weißes T-Shirt, wodurch seine Bräune noch unterstrichen wurde.
Mit einer freundschaftlichen Geste fasste er sie an der Hand und manövrierte sie über die Terrasse.
Sie tauchten ein in die Menge. Es war eine bunt zusammengewürfelte Gruppe lässig gekleideter junger Menschen ihres Alters, mit rutschenden Hosen und neumodischen Undercut-Frisuren, die in ausgelassener Stimmung und guter Laune bei Tanz, Musik und Essen zusammengedrängt standen, einander umarmten, Selfies machten und mit zusammensteckten Köpfen Youtube-Videos anschauten, kommentierten, lachten und lebhaft und ungezwungen diskutierten.
Laura wunderte sich, wie offen und unbeschwert locker sie alle waren, voller enthusiastischer Zukunftspläne und vor neuen Ideen und Selbstvertrauen strotzend, als könnte ihnen nichts und niemand etwas anhaben.
Nur einer saß verdächtig still und vollkommen abseits, wie von seiner Umwelt abgeschnitten, allein in einer unauffälligen Ecke vor dem eingeschalteten kleinen Fernseher. Mit seinem strengen Gesicht saß er da in schlecht sitzender Kleidung. Unter seinem abgetragenen beigen Mantel lugte ein verwaschenes Gewand hervor, dazu trug er abgelatschte Sandalen.
Er wirkte fehl am Platz.
Er schien etwas in sich zu tragen, das ihn auffraß und innerlich zerriss. Sein Gesicht trug Spuren eines inneren Traumas.
„Das ist Ramzi!“, sagte Sherif im Flüsterton. Eine Sekunde lang dachte Laura, Sherif würde noch etwas sagen, doch er bremste sich, als hätte er sich die Zunge verbrannt.
Ein merkwürdiges Gefühl stieg in ihr hoch. Sie glaubte den Jungen mit dem zerschlissenen Mantel schon irgendwo gesehen zu haben.
Zu ihrer Überraschung erinnerte sie sich plötzlich, war das nicht der Junge, der am Freitagsgebet Spenden gesammelt hatte?
Es ist erstaunlich, wie ein Erlebnis von wenigen Augenblicken im Gedächtnis hängenbleibt.
Gedankenversunken wechselte Ramzi von einem Sender zum nächsten.
Die Bilder kamen zeitversetzt. Das, was man sah, war nicht identisch mit dem, was man hörte.
„Der Irak hat es schon wieder in die Nachrichten geschafft“, bemerkte Sherif kurz.
Die Nachrichten lauteten so düster. Laura sah beiläufig in die Luft gesprengte Häuser, Feuerflammen und Aschenflocken, Menschen in Furcht, tote Kinder, schreiende Väter, brüllende Brüder, weinende Mütter. Ungezügelte Jugendliche zerrissen die amerikanische Flagge. Andere steckten sie an. Ein amerikanischer Regierungssprecher gab in zerkautem Amerikanisch mit eiskalter Miene ein Statement über einen erfolgreichen Luftangriff.
Der Junge mit dem abgetragenen beigen Mantel richtete die Fernbedienung auf den Bildschirm, drückte auf Aus und schaute zu, wie der amerikanische Politiker ruckartig verschwand. Dann stand er auf und ging mit starrem Blick niedergeschlagen in sein Zimmer, das sich in der letzten Ecke der Terrasse befand.
Er sah aus, wie jemand, der sich an etwas zurückerinnert, an das man sich nicht gern erinnert und das einen immer wieder aus der Fassung bringt.
Bevor er in sein Zimmer verschwand, fasste ihn sein bärtiger Zimmernachbar am Ellbogen und führte ein angeregtes Gespräch mit ihm, während er rasche finstere Blicke in die feiernde Runde warf. Im Halbdunkeln stand er im Türrahmen seines Zimmers und sah mit seinem langen Bart unsäglich streng aus.
„Sifou! Unser durchtriebener Chefideologe, der wieder seine Gehirnwäsche verpasst!“, flüsterte Sherif.
„Das verheißt nichts Gutes“, dachte sie.
„Spitzname?“ Es muss ja wohl einer sein, denn sie kannte keinen arabischen Namen, der so klang. Hinter seinem Rücken hatten die Nachbarn ihn Sifou getauft. Sherif selbst hasste die Wendung, aber auf Saif passte sie. So heißt er in Wirklichkeit. Sifou, der endlos Wahnsinnige, der vor nichts zurückschreckte, war nur ein Spitzname, den man ihm gab wegen seiner Wutanfälle, seiner gefährlichen Stimmungsschwankungen und seinem bizarren Benehmen. Sifou war ein Mensch emotionaler Extreme. Viele meinten, dass er an einem Wahn litt. Seine ganze Welt, seine ganze Person ist ein einziges verdammtes Geheimnis. Undurchschaubar.
Es war unmöglich zu erkennen, was in seinem Geist vorging. Seine Stimme wurde plötzlich scharf und ihn packte Zorn.
„Brennholz der Hölle und Satansbraten, Sodom und Gomorrha, Sittenlose Bagage!“, schimpfte er, die anderen nicht aus den Augen lassend, bevor er in seinem Zimmer verschwand und die Tür zuknallte.
Sherif blickte ihm wortlos nach. Er schüttelte bloß den Kopf. Laura konnte wegen der Akustik kein Wort aus dem Gespräch auffangen, aber sie konnte sehen, wie ein Schatten über Sherifs Gesicht glitt, es leicht verfinstern und alle Belustigung für einen Moment aus seinem Gesicht schwinden ließ. Was führten Saif und Ramzi im Schilde? Das hätte Sherif Laura gern ausführlich erklärt, aber er hielt lieber den Mund.
Als Laura sich den Feiernden auf Arabisch vorstellte, sahen sie sie mit erstaunter Neugier an. Kontaktfreudig zogen sie sie sofort ungezwungen in die Gruppe, umschwärmten sie und überschütteten sie mit unzähligen Fragen und viel Aufmerksamkeit. Im Halbkreis standen sie um sie herum und machten ihr Komplimente: Aus ihrem Mund klänge Arabisch besonders schön, melodiös wie ein Vogelzwitschern, ein Bulbul, eine Nachtigall also, wohltönender als manch pseudoblonde Fernsehsprecherin, von denen heutigentags die arabischen Sender wimmeln und die so vorlesen als hätten sie ihre Zunge samt Manuskript verschluckt.
„Wann wirst du eine Arabisch-Schule für unsere Abgeordneten aufmachen“, fragte ein Junge scherzend.
Laura lächelte etwas verlegen und zeigte ihr Grübchen auf der linken Seite. Sie hatte gelesen, dass Ägypter schöne Worte lieben und umso großzügiger damit umgehen, wenn sie mit Gästen sprechen. Sherif meinte zwar, das sei ein ernstgemeintes Kompliment.
Die lockere Stimmung gefiel ihr besonders gut und die honigsüßen Lobsprüche erleichterten ihr den Umgang. Offenherzig, animiert durch die lockere Atmosphäre, glitten ihr die Worte leicht über die Lippen.
Sie saßen ungezwungen auf der Terrasse, erzählten unbefangen voneinander und bestürmten sie mit neugierigen Fragen, die Laura gerne beantwortete.
Auch Saadiya und Onkel Hany zogen sich einen Stuhl an den Tisch und hörten aufmerksam zu, wie Laura von ihrer Heimatstadt, ihrer Liebe zur Archäologie und Völkerkunde erzählte.
„Ich stand vor drei Optionen, entweder später eine Priesterin werden, einen Fahrradladen aufmachen, oder in die weite Welt flüchten. Da ich mich weit weg sehnte, ging ich der letzten Option nach, und ich bereue es nicht. Es war von Anfang an eine Sache des Herzens; ich wollte immer Entdeckungsreisende werden. Es gibt so viel auf der Welt zu entdecken, dass dafür zwei Leben nicht reichen. Die ganze Erdkugel ist eine Fundgrube und wir Menschen sind Grabungsarbeiter.“ Ein Satz, den alle schön fanden.
Saadiya fragte Laura besorgt, ob sie Eltern hätte, ob sie noch am Leben seien und was sie davon hielten, dass ihre so hübsche blonde Tochter in so jungen Jahren alleine reiste.
„An dem Tag, an dem euer Onkel Hany mich geheiratet hatte“, erzählte Saadiya voller Genugtuung, „konnte ich zum ersten Mal, den Fuß vor die Tür setzen. Davor hätten mir meine Eltern die Beine zerschmettert, wenn ich jemals bloß daran gedacht hätte, einen kleinen Mörser aus dem Nachbarhaus zu holen, geschweige denn einen Krug Wasser vom Nil“, sagte sie fröhlich. Was von den anderen natürlich allusorisch verstanden wurde und ein brummiges Lachen hervorrief. Als Saadiya die Zweideutigkeit dieser Vorstellung bewusst wurde, wurde sie unwillkürlich rot.
„So selbstverständlich war das auch bei mir nicht“, schaltete sich Laura mit erstaunter Stimme ein.
„Meine Eltern hatten etliche Anfälle bekommen, als sie erfuhren, dass ich nach Ägypten ziehen wollte“, erzählte sie.
„Was? Allein nach Arabien? fragten sie fassungslos, als läge Ägypten am Ende der Welt und als hätte ich gerade eine höchst waghalsige Sindbad-Reise vor mir, nach Zim-Zamalek, der Insel in der ungezähmten Wildnis. Meine Entscheidung war ein furchtbarer Schock für die ganze Familie.“
„Mädchen! Bist du dir im Klaren über die Tragweite deiner Entscheidung? Weißt du was du dir damit antust?“, fragte mich meine Mutter unter Tränen.
„Bedenke den Weg, über den Frauen gehen müssen, bevor sie die Aussicht haben, ein Mensch zu werden!“, warnte mich meine überängstlichste Tante Alice scharfzüngig. Ihr schlimmster Albtraum war schon immer eine Reise in den Orient gewesen, wo die armen Frauen beschnitten und dem finsteren Unheil der wilden orientalischen Männerwelt ausgeliefert werden. Sie würde sich lieber ans Kreuz nageln lassen, als sich in den Orient zu begeben. Der ganze Orient müsste, ihrer Meinung nach, in therapeutische Behandlung gehen und seine dunklen Seiten ausleuchten lassen.
„Lass dich bloß nicht radikalisieren, sagte sie als sie dann sah, dass ich meine Entscheidung nicht mehr revidieren würde und dass ihr urfreudianischer Quatsch nicht fruchtete.“
„Genau wie Du, sind viele naive Mädchen dahin gereist und endeten gekleidet wie Fledermäuse im Harem der Salafisten oder als Sexgespielin auf den groben Bettmatten der gräulichen Dschihadisten“, warnte sie mich abschreckend mit ihrem lippenlosen Mund.
„Du wirst mich erst verstehen, wenn der erste Dschihadist dir mit einem eisernen Schwert entgegenstürmt und mit voller Wucht in deinen zarten Körper einfährt und ihn zersäbelt.“
„Selbst meine Freunde halten mich für seltsam. Ja, für eine wirklichkeitsfremde Irre und eine Ausreißerin“, flüsterte sie.
Onkel Hany starrte die ganze Zeit auf Laura während sie redete. Und wer ihn und seine Gestik kannte, wusste ganz genau, dass ihn bald wieder einer seiner Anfälle der übermütigen Heiterkeit überkommen würde.
„Wenn meine Nachbarn nichts mehr zu sagen hatten, zogen sie über mich her. Es wurde viel über mich gelästert und ich war Gegenstand des Spotts in jeder Runde. Sie sagten Dinge wie „Laura von Arabien“. Um mich zu ärgern setzten sie noch einen drauf und nannten mich „Usama Ben Ladens neuer Schwarm.“
Abwägend wackelte Onkel Hany mit den buschigen Augenbrauen, kratzte sich leicht an der Brust und setzte sein spöttisches Grinsen auf.
„Bruder Usama hätte sie ganz bestimmt nicht von der Bettkante gestoßen“, witzelte er mit dieser besonderen Stimme, die er sich immer für Gelegenheiten aufhob, wenn er einen seiner absonderlichen Späße machen wollte. „Er hätte höchstselbst seinen weißen Turban und seinen langen schwarz gefärbten Bart ausgebreitet“, sagte er frotzelnd und löffelte seine Bohnen. Alle lachten belustigt. Erst ein warnender Blick und ein Knuff in die Magengrube von seiner Frau brachten ihn zum Schweigen, zumindest für einen Moment, bevor er wieder seiner Zunge freien Lauf ließ.
„Wer könnte, bitte schön, solchen Augen widerstehen. Nur einer der keine im Kopf hat. Solchen Augen würde selbst der radikalste Dschihadist nicht widerstehen“, sagte er weiter, seine Bohnen kauend, mit amüsierter Stimme und zwinkerte ihr anzüglich zu. Er flehte die Runde an, seinen Satz genau zu übersetzen. In der Runde wurde geflüstert, dann kicherten alle. Auch Sherif konnte ein Grinsen nur schwer verkneifen. Laura meinte, darin eine Spur der Belustigung zu sehen.
„Habe ich etwas verpasst?“, wandte sie sich zu Sherif und warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu.
Sie neigte den Kopf und wartete einen Moment auf eine Erklärung.
„Scherzen, darin seid ihr Ägypter unübertroffen“, sagte sie dann mit einem enttäuschten Lächeln, als er nur eine wegwerfende Handbewegung machte und belustigt lachte.
Saadiya aber schlug sich neiderfüllt auf die Brust. Sie fuchtelte eifersüchtig mit einer Schöpfkelle ihrem Mann zu. Schließlich rannte er davon mit kehligem Lachen, während er mit einer Hand sein langes Gewand anhob, um zu verhindern, dass es sich zwischen seinen Beinen verfing, und mit der anderen Hand seinen dicken, bläulichen sich auflösenden Turban festhielt und um Gnade bettelte.
„Ich kenne dich! Du missratenes Wesen. Du schlimmster aller Männer. Er ist unersättlich wie kein anderer. Ich werde dir zeigen, wie es dir ergeht“, sagte sie in gespielt strengem Tonfall, und ihre Augen verrieten, dass sie scherzte. Sie warf eine Sandale nach ihm und stemmte die Fäuste in ihre vollen Hüften. Die anderen krümmten sich vor Lachen und machten sich lustig: „Onkel Hany du bist und bleibst ein Lausebengel, den Kopf voller Flausen!“ „Onkel Hany, du sexy-Biest, du Ladykiller und Frauenheld!“, schrien sie mit gespielter Derbheit.
Die lustigen Hänseleien zwischen Onkel Hany und seiner Frau Saadiya begeisterten den Freundeskreis immer wieder aufs Neue. Das, was nach Zank und Streit aussah, war bloß Spaß. Ein herzlicher Spaß, der immer damit endete, dass Onkel Hany Saadiya tollpatschig umarmte, ihr versöhnlich einen Kuss auf die Stirn drückte und etwas reumütig sagte:
„Möge Gott uns unser Lachen vergeben! Kommt Kinder! Lasst uns wieder seriös werden.“
Onkel Hany zog sich lautlos zurück, sein Ohr dem kleinen schwarzen Taschenradio, das einst bessere Zeiten gesehen hatte, zugeneigt. Seit Sherif denken konnte, sah er ihn sein über alles geliebtes Gerät ans Ohr gedrückt haltend. „Ohne mein Radio bin ich ein halber Mensch“, betonte er immer wieder. Dauernd kochte und rührte er die alten Batterien in der rußgeschwärzten Kasserolle um, als würde er harte Eier fürs Sonntagsfrühstück kochen.
„Wie oft willst du sie noch kochen. Wo kein Saft ist, kann man auch keinen Saft herauspressen!“, raunte Saadiya ihm zu und seufzte wie jemand, der es überdrüssig war, ständig dieselbe Bemerkung zu machen. Onkel Hany antwortete nichts, Saadiyas Worte schlicht ignorierend.
Er löffelte eifrig seine Saubohnen, wie ferngesteuert verfolgte er tief besorgt die Weltnachrichten, die aus dem kleinen Gerät dröhnten und rauschten, als kämen sie aus einem anderen Universum.
Onkel Hany war ein richtiger Newsaholic, ein echter Nachrichtensüchtiger. Er hörte, seit Sherif denken konnte, BBC-Arabic. Er schwor auf den Sender und kannte das ganze Team mit Namen, als wären sie alle seine Kollegen, mit denen er gerade die Morgensitzung geteilt hätte. Die Jungs in der Gasse nannten ihn spaßeshalber Mister Bean-BC. Alle amüsierten sich, wenn er die Eröffnungsmelodie sang und seine Stimme an und wieder abschwoll, um die sonore und volltönende Stimme der Sprecher nachzuahmen, sein oberägyptischer Akzent sich aber stärker durchschlug: „Huna London! Huna London! Hier ist London! Hier ist London!“
„Wenn er ….. (sie meinte, wenn er stirbt, sie sprach das aber nicht aus. Sie zeigte bloß mit dem Zeigefinger himmelwärts) wird er bestimmt seinem Willen gemäß sein heiliges Radio neben ihm begraben haben“, sagte Saadiya. Am liebsten wäre es ihm wohl, wenn bei seinem Begräbnis das ganze BBC-Arabic-team anwesend wäre“, sagte sie belustigt und flocht ihren grauen Zopf etwas nachdenklich.