Читать книгу Blick auf den Nil - Karim Lardi - Страница 13
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Junge Blogger
Sherif hatte die ganze Zeit zugehört, aber nicht sonderlich viel gesagt. Man sah ihm an, dass er nicht gerne im Rampenlicht steht. Er war nicht der geschwätzige Typ, der zwei Wörter verschwendete, wenn eines genug war.
Laura und Sherif saßen einfach ruhig nebeneinander, als würden sie sich seit ewigen Zeiten kennen. Sie fühlte die Wärme seines Blickes, wenn er sie hin und wieder verstohlen anschaute, und die Wärme seiner Haut, die sich auf ihren Körper übertrug und in ihr ein Gefühl von Zuneigung auslöste. Und sie spürte, wie sein holzig-herber Duft wieder diese Welle von Hingezogenheit in ihr aufschäumen ließ.
Ihr Blick wanderte zu ihm, während sie genussvoll ihre Bohnen löffelte, deren warmer Duft und scharfer Geschmack sie verführerisch fand. Er war ein gelassener, gutaussehender junger Mann. Sein Alter, wie oft bei den Arabern, ließ sich schlecht erraten. Mitte zwanzig, schätzte sie gut und gerne. Seine glänzenden pechschwarzen Haare, die hohen Wangenknochen, das Grübchen an seinem kantigen Kinn und der exakt geschnittene Schnurrbart gaben ihm einen eitlen Gesichtsausdruck, ja die stolze Ausstrahlung eines Omar Sherifs in seinen jungen Jahren. Ein schönes Arabergesicht. Laura lehnte sich träumerisch auf der Bank zurück und genoss die angenehme Brise, die gerade vom Nil herüberwehte, die Blätter der Pergola streifte und von überall ungedämpft laute Musik vermischt mit Verkehrsrauschen, krachendem Feuerwerk, weit entfernten Muezzinrufen und Glockengeläut herbeitrug. Das, was zuerst wie zusammengeflossenes schreiendes Chaos klang, ließ eine flippige ansteckende Hybridmusik entstehen, die die Frühlingsluft erfüllte, den Boden unter den Füssen erbeben ließ und für einen treibenden Rhythmus und ausgelassene Stimmung sorgte, die jeden erfasste.
Je später die Nacht, desto wilder und lauter wurde es.
Laura warf ihren blonden Schopf in den Nacken, hob das Gesicht in den Nachthimmel und sah wie die farbenfrohen Funken des Feuerwerks am Himmel zerstoben.
Sie hätte nichts dagegen, den ganzen Abend in genau dieser Haltung zu verbringen. Sie atmete langsam behaglich aus und gab sich dem angenehmen Wind hin, der vom Nil herüber wehte, und den sie wie zarte Küsse auf ihrer Haut spürte.
Sie kam erst wieder zu sich, als ihr Sherif zuflüsterte.
„Siehst du, wie Kairo sich auf dich freut und wie der Himmel leuchtet?“, und auf die atemberaubenden Blumenkronen, die die Feuerwerkskörper am Himmel hinterließen, zeigte.
Die Worte schienen ihr Gesicht in ein leuchtendes Rot verwandelt zu haben. Er sah, wie ihre Augen immer größer wurden und wie ein wunderbares Lächeln ihr ganzes Gesicht erfasste.
„Heute scheint mein Glückstag zu sein“, sagte sie und lachte. Ihr fröhliches Lachen schallte über die Terrasse und war wie der frische Nilwind, der den Staub der pessimistischen Gedanken, die Sherif in den letzten Jahren folterten, fortblies.
Ein Glücksgefühl, das ihnen nichts und niemand mehr nehmen konnte, überkam beide, während sie dasaßen und schweigsam die Feuerstreifen am Nachthimmel Kairos betrachteten.
…
„Was machst du so, beruflich?“, fragte Laura, die ihre brennende Neugier nicht verbergen konnte und merkte, dass ihm ihre Frage zu abrupt war.
„Blogger…Influencer“, sagte er, legte eine kleine Pause ein und rieb sich die Stirn, als würde er seine Gedanken sortieren, bevor er ihr von seinen Abenteuern als Blogger umfänglich berichtete.
Vor genau zwei Jahren begann Sherif mit der Umsetzung seiner Idee, Gedanken zu teilen und den Dialog mit Gleichaltrigen zu suchen, um gemeinsam über gewisse Probleme und Phänomene zu reflektieren, um Lösungswege zu suchen. Unter dem Motto „Junges Land, greise Regierung“, lernte Sherif in sozialen Netzwerken immer mehr junge Menschen kennen, die das System nicht mehr aushalten konnten, dem ständigen Zusehen der Missstände überdrüssig waren und langsam den Drang verspürten, gegen die brackigen Zustände zu rebellieren und selbst etwas zu ändern. Sherif war klargeworden, dass der, der eine neue Gesellschaft gründen möchte, heutzutage keine Zeitungen und keine Bücher braucht, sondern die neuen Medien. Die meisten Zeitungen lieferten für Jugendliche nur einfallslose Berichterstattung. In ihrer miserablen Druckqualität verschmierten sie bloß alles, was mit ihnen in Kontakt kam, von den Händen bis in die Köpfe hinein. Mit den Büchern verhielt es sich auch nicht anders. Sie forderten weder den Verstand der Leser heraus, noch beruhigten sie ihn durch neue Erkenntnisse. Ein Teil war voller elitärem Unsinn, der keine zeitgemäßen Analysen und Lösungen bot, sondern altbewährte Inhalte. Die anderen Bücher gingen nach Gewicht; ihre Seiten waren gerade gut genug, um geröstete Nüsse, Sonnenblumen- und Kürbiskerne einzutüten.
Die Neuen Medien dagegen waren schnell, zeitlos, interaktiv und brachten Sichtweisen ein, die in den traditionellen regierungstreuen Medien nicht vorkamen. Blogs waren geradezu ideal, um ein breites Publikum zu erreichen.
Die neuen Informationsträger gaben Sherif ungemein Rückenwind, seine Vorhaben zu realisieren; er hatte mit ein paar mutigen Federn ein im Internet veröffentlichtes Onlinemagazin gegründet: The groaning of the Nile. Das Ächzen des Nil.
Sherif hatte darin seine eigene Rubrik Fern von Kairo. Hier dokumentierte er anhand seiner Fotos die Misere und das Leiden des ägyptischen Volkes in den vergessenen Gegenden des Landes: Schafkhana, Kharanqa, Fartusch, Tafnis, Hawawisch und und und.
Seine Freunde hingegen führten scharfe Federn und deckten energisch auf, welche verschleierten Skandale im Lande vonstatten gingen und sie fanden großen Zuspruch.
The Groaning blühte immer mehr und die Leserzahl nahm rapide zu. Der Einfluss auch.
„Sogar europäische Blätter sind auf unsere Beiträge erpicht“, sagte Sherif mit scheuem Stolz während ein bescheidenes Lächeln flüchtig über sein Gesicht glitt.
„Was er vor die Linse bekommt ist unglaublich! Du sollst seine Fotoreportagen sehen“, sagten seine Freunde. Ihre Stimmen waren von Stolz erfüllt. Lauras Blick schweifte über einige seiner Aufnahmen. Ein Bild beindruckender als das andere.
Es war ihm gelungen, in ihnen so viel Gefühl einzufangen, dass man beinahe den Eindruck hatte, vor Filmen zu stehen.
Er liebte die Kamera. Sie war seine Leidenschaft, für die er bereit war, jeden Preis zu bezahlen. Die verwegene Liebe zum Fotografieren trug ihm einige Auszeichnungen im Ausland ein, im Inland aber Verhaftung, einen Prozess und Freiheitsstrafe, die er im Gefängnis verbüßt hatte. Er wurde verhört, durchsucht und anderen entwürdigenden Prozeduren unterzogen.
Richtig meinungsfrei war eigentlich niemand. Anfangs ging es der Regierung lediglich darum, durch das Bloggen den sogenannten unzufriedenen Jungs von Onkel Google einen Raum zur Verfügung zu stellen, wo sie klönen und sich verlustieren konnten, und wo man sie besser im Auge behielt.
Als die Blogs der Regierung später ein dicker Dorn in ihrem eitrigen Auge wurde, versuchte sie, mit ständigen Rechtsstreitigkeiten dem Vorhaben einen Stock ins Rad zu stecken. Sie erhob in mehreren Punkten Anklage gegen die Web-Site: Verstellung der Realität, Verstöße gegen das Landessicherheitsgesetz, Verschwörung und Aufruf zum zivilen Ungehorsam.
Die stetigen Abmahnungen und Drohungen konnten die Mitarbeiter weder aus der Ruhe bringen noch einschüchtern. Im Gegenteil, die Resonanz und die Wertschätzung wuchsen dadurch nur noch. Für sie war das ein nobles Ideal, für das sie den Kampf aufnehmen mussten, ohne die Konsequenzen zu fürchten. Sie waren jeder Zeit bereit gewesen, ihr Leben dafür zu opfern. Ihnen war klar, dass jeder Hauch der Freiheit hart erkämpft werden musste.
Je mehr Zuspruch die Blogs fanden, desto größer auch die Unterdrückungsmaßnahmen. Wer die rote Linie überschritt, wurde von der Dreschmaschine niedergedroschen wie Wildwuchs, der ihr den Weg versperrte.
Sherif erzählte tiefbetrübt von etlichen Kollegen und Kolleginnen, die von dubiosen Männern gepackt und in ein Auto bugsiert wurden. Entweder sie waren bis heute verschwunden oder wurden später am Rande der Desert Road aufgefunden, den Leib völlig entstellt, mit einem Gesicht, das wie ein Klumpen Hackfleisch aussah.
Schlüssige Hinweise über die Täter hatte keiner und gab es keine. Alles vollzog sich in Sekundenschnelle. Naheliegende Zusammenhänge verflüchtigten sich im Laufe der Zeit.
Diese repressiven Maßnahmen erschwerten die Aufgabe der Blogger. Die Kolleginnen und Kollegen mussten sich immer wieder neue Ideen einfallen lassen, um sich geschickt durch die Repressalien zu lavieren. Selbst als die Regierung beschlossen hatte, das gesamte Internetsystem im Lande einzustellen, probierten sie -nicht ohne Opfer- alle möglichen Zauberkunststücke, um ihre Artikel unzensiert an die Öffentlichkeit zu bringen.
„Das Bloggen ist das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte. Ich habe wunderbare Menschen aus allen Schichten und Konfessionen kennengelernt, die ich sonst nie hätte treffen können“, sagte Sherif glücklich und deutete mit einer Kopfbewegung auf die vielen jungen Menschen auf der Terrasse. „Sie alle gehören jetzt zu meiner neuen großen Familie“, setzte er fort und drückte ein kleines Mädchen mit auffällig wuscheligem schwarzem Haar, das die ganze Zeit nicht von seiner Seite gewichen war, fest an sich.