Читать книгу Gestrandet in Nairn - Karin Firlus - Страница 8
ОглавлениеKapitel 2: Reise mit Hindernissen
An einer Tankstelle an der A61 kaufte Lena sich eine Straßenkarte, denn auf den Navi allein wollte sie sich nicht verlassen. Er war schon älter und sie hatte ihn nie aktualisiert. Außerdem hatte sie keine Ahnung, von wo aus eine Fähre nach Großbritannien übersetzte. Die kurze Strecke von Calais nach Dover schied aus, denn da wäre sie zu weit südlich und müsste fast die gesamte Länge der Insel hinauffahren.
Bei einem Kaffee konsultierte sie die neu erworbene Karte und entdeckte, dass von Amsterdam aus eine Fähre nach Newcastle fuhr.
Das wäre natürlich ideal gewesen, denn Newcastle war nicht weit unterhalb der schottischen Grenze. Allerdings gab es einen Nachteil: Ihr Smartphone sagte ihr, dass die Fährüberfahrt etwa sechzehneinhalb Stunden dauern würde. Das war ein absolutes No-Go. Lena wurde schon übel, wenn sie nur auf einer Ausflugsfahrt in Küstennähe länger als eine halbe Stunde auf einem Schiff ausharren musste.
Sie suchte weiter und entdeckte, dass von Rotterdam aus eine Fähre nach Hull übersetzte. Und diese Überfahrt dauerte immerhin nur elf Stunden. Hull war etwas südlich von York, also auch relativ nah an der schottischen Grenze.
Und York hatte sie sich immer schon einmal ansehen wollen; es musste eine Kleinstadt mit mittelalterlichem Charme sein, und Lena liebte Städte, die noch die Atmosphäre vergangener Tage ausstrahlten.
Aber die Strecke nach Rotterdam war zu weit, um sie an diesem Tag zu schaffen. Sie war nach dem Frühstück zunächst noch zur Bank gefahren und hatte von ihrem Sparbuch Geld abgehoben, um die Fahrtkosten damit zu decken. Den Koffer und die Reisetasche hatte sie direkt mitgenommen, damit sie nicht ins Wanken kam und die Reise doch nicht antrat. So kam sie dennoch erst gegen Mittag los.
Sie suchte nach den Abfahrtszeiten der Fähre: Die letzte Möglichkeit einzuchecken war 19:30 Uhr, die Abfahrt wäre um einundzwanzig Uhr. So beschloss sie, sich in der Nähe von Köln eine Pension zu suchen und samstags weiterzufahren.
Nach einer unruhigen Nacht mit allerlei Alpträumen, die sie nach dem Aufwachen nicht mehr benennen konnte, fuhr sie weiter. Sie kam um die Mittagszeit in Rotterdam an, fuhr zum Hafen und sicherte sich ein Ticket für eine Einzelkabine. Sie hatte mit sich gerungen, ob sie sich das Geld für eine Kabine nicht sparen sollte, aber wenn sie den ganzen nächsten Tag Auto fahren wollte, musste sie ausgeschlafen sein.
Sie ließ ihr Auto am Hafen stehen und fuhr mit dem Bus ins Stadtzentrum.
Sie war noch nie in Rotterdam gewesen. Sie aß ein Stück Pizza aus der Hand und bummelte zunächst lustlos durch die Straßen. Sie wäre am liebsten zurück zum Hafen gefahren und hätte auf der Fähre eingecheckt, um sie ja nicht zu verpassen. Es war schließlich die erste Reise, die sie allein unternahm, und so konnte sie eine gewisse Nervosität nicht unterdrücken.
Aber bald zogen sie die hohen, schmalen Häuser mit den beigen und hellbraunen Fassaden in ihren Bann. Es waren alte Kaufmannshäuser und sie erinnerte sich daran, einmal gelesen zu haben, dass Rotterdam Europas größten Handelshafen hatte. Bestimmt war die Stadt vor Jahrhunderten einmal reich gewesen, den schönen Gebäuden nach zu urteilen. Sie war auch überrascht über die vielen Hochhäuser, die es in dieser Fülle eher in amerikanischen Städten zu bewundern gab.
Am Ufer der Rotte setzte sie sich in ein Café und trank einen Becher Kaffee. Sie schaute sich um und stellte fest, dass außer ihr noch einige andere, Männer wie Frauen, allein dort saßen. Dadurch fühlte sie sich etwas besser. Bald lenkte sie ihre Schritte in die Innenstadt zurück und fuhr mit dem Bus wieder zum Hafen hinaus.
Es lagen mehrere Schiffe in der Bucht, die Masten hochgestreckt in einen blassblauen Himmel. Sie ging zu ihrem Auto und stellte fest, dass sich bereits eine große Schlange anderer PKWs vor der Auffahrt zur Fähre gebildet hatte. Es blieben noch zwei Stunden bis zur Abfahrt und sie war froh, daran gedacht zu haben, sich in einer Apotheke Tropfen zu besorgen, die gegen Seekrankheit helfen sollten.
‚Wenn es doch nur Tropfen gegen Liebeskummer gäbe‘, dachte sie traurig.
Sie reihte sich in die Warteschlange ein und bemühte sich, nicht ungeduldig zu werden. Sie war an diesem Tag zwar nicht um sechs Uhr aufgestanden, aber allmählich machte sich eine lähmende Müdigkeit in ihr breit, die wahrscheinlich von der längeren Fahrt herrührte. Sie freute sich auf das Bett in ihrer Kabine und hoffte, dass sie die Überfahrt ohne Übelkeit hinter sich bringen würde.
*
Lena hatte die Fährfahrt gut überstanden; die meiste Zeit hatte sie verschlafen, und war danach von Hull aus auf der A63 in knapp anderthalb Stunden nach York gefahren. Sie war erleichtert, dass sie die meiste Zeit auf der Autobahn hatte bleiben können, denn der Linksverkehr in einem deutschen Auto, mit dem Steuerrad auf der linken Seite, war nicht ohne. Aber auf einer mehrspurigen Straße konnte sie sich allmählich an die ungewohnte Spur und die Ausfahrt auf der linken Seite gewöhnen.
Sie ließ ihr Auto am Stadtrand von York auf einem kleinen Parkplatz stehen und fuhr mit dem Bus in die Innenstadt.
Das York Minster, wie die größte mittelalterliche Kathedrale Englands genannt wird, war beeindruckend. Sie machte eine Führung mit, bestaunte die riesige Orgel und konnte sich gar nicht an den bunten und großen Fenstern satt sehen.
Nach einem Snack ging sie durch die Gässchen der Altstadt, in denen sich ein Geschäft an das andere reihte. Die Häuser waren weiß, grau-schwarz und bunt, teilweise mit Blumen geschmückt, und sahen aus wie größere Puppenstuben. Lena hätte gerne mehr Zeit gehabt, um gemütlich da und dort einzukehren, denn die Geschäfte luden mit ihren diversen Auslagen zum Schmökern und Kaufen ein. Aber sie verkniff es sich, einen der interessanten Romane oder eines der Paar Ohrringe zu erstehen, die sie anlachten.
In einem Sweetshop kaufte sie sich eine kleine Packung Toffees, aber dann trieb irgendetwas sie weiter. York war schließlich nur ein Punkt auf ihrer Reise in den Norden, und an ihrem dritten Tag wollte sie wenigstens die Grenze nach Schottland überqueren.
Sie fuhr gegen drei Uhr weiter, die A1 hoch in Richtung Berwick-Upon-Tweed. Sie brauchte knapp drei Stunden und beschloss spontan, an diesem Tag nicht mehr weiterzufahren. So nahm sie sich ein Zimmer in einer Pension am Ortsrand und machte sich am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück auf. Sie wollte zunächst Edinburgh auslassen und an der Ostküste entlang nach Norden fahren. Eigentlich konnte sie die gesamte Küste abfahren, dachte sie, um dann im Südwesten bei Oban wieder nach Osten zu drehen, wo sie sich Glasgow und schließlich Edinburgh ansehen wollte.
Sie nahm die A1 weiter, ließ Edinburgh wörtlich links liegen und fuhr über die Forth Bridge mit ihren drei mächtigen Pfeilern in die Grafschaft Fife.
Den Nachmittag verbrachte sie in St. Andrews, wo sie sich die mächtige Ruine der Kathedrale ansah und einen kurzen Strandbummel unternahm. Sie lenkte ihr Auto jedoch ein Stück aus der Stadt hinaus und blieb die Nacht in einer Pension in der Nähe, denn die Preise in St. Andrews selbst waren horrend. Sie würde auch beim Essen sparen müssen, wenn sie länger als drei Wochen hier bleiben wollte.
In einem Supermarkt holte sie sich ein Truthahnsandwich, das sie im Gehen aß. Als sie in die Pension zurückkam, fragte die Wirtin, ob sie sich nicht zu den anderen Gästen setzen wolle.
Sie hatte eigentlich keine Lust darauf, fremde Leute kennenzulernen und Smalltalk machen zu müssen. Aber die Aussicht, schon wieder den Abend allein in ihrem Zimmer zu verbringen, war noch weniger reizvoll. So ließ sie sich überreden.
In dem großen Wohnzimmer flackerte ein Feuer im Kamin, in dessen Schatten drei Paare beieinander saßen. Zwei waren aus den USA, das dritte Paar aus Frankreich. Sie saßen um einen niedrigen Couchtisch herum, vor sich hatten sie Whiskygläser stehen.
„Probieren Sie mal diesen Scotch, junge Dame. Er schmeckt nach Früchten und ein bisschen nach dem Sherryfass, in dem er gelagert wurde.“
Der Amerikaner auf dem Sessel neben ihr schenkte ihr ein gutes Maß ein. Die anderen erhoben ihre Gläser und die Wirtin sagte etwas, das wie „Slänschi Ma“ klang.
Lena nippte an ihrem Glas und stellte fest, dass dieser erste Schluck Whisky, den sie in ihrem Leben trank, gar nicht schlecht schmeckte.
Während der folgenden Stunde unterhielt man sich allgemein über die jeweiligen Pläne für die anstehende Urlaubsreise. Lena hörte meist nur zu. Sie bekam jede Menge Tipps, was sie sich unbedingt würde ansehen müssen in Schottland.
Bevor ihr Glas zum zweiten Mal aufgefüllt wurde, zog sie sich jedoch zurück. Zum einen hatte der ungewohnte Whisky sie ganz schön benebelt, zum anderen wurde ihr zum ersten Mal seit Tagen bewusst, dass sie nicht nur allein unterwegs, sondern allein war.
Sie zog sich aus, putzte ihre Zähne und schlüpfte unter die hellgrüne Decke, die sie wie schützend um ihre Schultern schlang, obwohl es in dem Zimmer angenehm warm war.
Bisher hatte sie es während ihrer Fahrt vermieden, allzu lang über ihre Trennung von Erik nachzudenken, aber dieses Zusammensein mit den drei Paaren hatte ihr verdeutlicht, dass sie ab jetzt wieder Single war.
Der Amerikaner, der ihr den Whisky eingeschenkt hatte, hatte offen mit ihr geflirtet, was seiner Frau natürlich nicht gefallen hatte. Lena hatte sich sehr zurückgehalten, denn sie hatte die Signale wiedererkannt.
Schon einige Jahre zuvor, als sie noch nicht mit Erik zusammen gewesen war, hatte sie die Erfahrung gemacht, dass sie als alleinstehende Frau für etliche Männer Beute war, und für deren Frauen eindeutig eine potentielle Bedrohung für ihre eheliche Harmonie. Sie rutschten näher an ihre Männer heran, manche nahmen in einer Art besitzergreifender Geste ihre Hand und warfen Lena Blicke zu, die besagten: ‚Untersteh dich!‘, obwohl sie nicht den Eindruck vermittelte, dass sie auf Männersuche war.
Dieses Verhalten verletzte sie so sehr, dass sie manchmal versucht war, ihre gute Erziehung zu vergessen und zu den Frauen zu sagen: ‚Ich bin zwar nicht auf Männerfang im Moment, aber wenn ich es wäre, Ihren Mann würde ich mir bestimmt nicht aussuchen‘! Aber natürlich tat sie das nicht.
Sie musste plötzlich daran denken, wie sie Erik kennengelernt hatte. Sie waren sich an Fastnacht auf einer Party begegnet, und Erik hatte sie sehr bestimmt von dem Betrunkenen weggelotst, der die Faschingstage wohl als Erlaubnis, Frauen zu begrapschen, missverstanden hatte.
Sie waren ins Gespräch gekommen und hatten sich spontan für den nächsten Tag zum Kino verabredet. Danach waren sie etwas trinken und landeten miteinander im Bett. Nach einem halben Jahr zogen sie schließlich zusammen.
Und nun war dieser Lebensabschnitt vorbei. Sie war in einem Alter, in dem die meisten ihrer Freundinnen entweder ans Kinderkriegen dachten oder ihre Karrieren vorantrieben. Alle waren sie verheiratet oder hatten einen Partner.
Lena schniefte und versuchte die Tränen zurückzuhalten. Aber die Aussicht, zukünftig allein ausgehen zu müssen oder ihre Freundinnen mit ihren Männern wie ein ungeliebtes Anhängsel zu Feiern zu begleiten, machte sie so fertig, dass sie sich schließlich ihrem Frust und ihrer Trauer hingab.
*
Am nächsten Morgen setzte sie ihre Fahrt in den Norden später als geplant fort. Sie hatte einen ausgewachsenen Heulkrampf gehabt und war erst gegen Mitternacht eingeschlafen, nicht sicher, was sie hier eigentlich sollte. Fast war sie entschlossen, wieder zurückzufahren. Nur die Aussicht darauf, dass sie in den folgenden Wochen allein vor sich hinsitzen würde, weil ihre Freundinnen in Urlaub waren, ließ sie an ihrem Entschluss festhalten weiterzufahren.
Nahe Stonehaven legte sie nach eineinhalb Stunden Fahrt bei Dunnottar Castle eine Pause ein und besichtigte die wehrhafte Burgruine. Dicke Mauern trotzten den Winden der Nordsee, die Burg war direkt an einen Steilhang über dem Meer gebaut, und hunderte von Möwen hatten sie zu ihrem Wohnort erklärt. Lena musste aufpassen, dass sie nicht in ihre Losung griff, die überall die grauen Mauern bedeckte.
Die Lage dieser Ruine war spektakulär, aber sie dachte mit Schaudern daran, dass ein paar Jahrhunderte zuvor in diesen wind- und wasserumtosten Mauern Menschen gelebt hatten, die weder Zentralheizung noch für die Frauen lange Hosen kannten.
Am frühen Nachmittag machte sie sich wieder auf, um irgendwo an der Nordostküste zu übernachten. In Frazerburgh trank sie einen Kaffee und sah auf der Karte, dass sie noch etwa drei Stunden von Inverness entfernt war.
Die Stadt lag sehr zentral, um sich einige Sehenswürdigkeiten anzuschauen, und Lena beschloss, sich dort eine Pension zu suchen, in der sie ein paar Nächte bleiben wollte. Sie tankte und fuhr weiter.
Nach etwa einer halben Stunde wurde ihr Renault immer langsamer und blieb schließlich stehen. Auch mehrere Versuche, den Motor wieder zu starten, blieben erfolglos.
Ein strammer Wind fegte über die Ebene, es war schon kurz nach fünf und die Chance, irgendwo noch ein Zimmer in einer Pension zu ergattern, schwand zusehends. Lena saß am Steuer und starrte vor sich hin. Zu diesem Zeitpunkt eine Autopanne zu haben, war äußerst ungünstig.
Sie nahm die Straßenkarte vom Beifahrersitz, faltete das steife Papier auseinander und versuchte herauszufinden, wo genau sie war. Etwa hundert Meter zuvor war sie an einer Straße vorbeigekommen, die rechts zu irgendeinem Ort mit Cr führte. Sie suchte die Küste ab – da: Crovie. Das musste es sein. Alle anderen Ortschaften schienen weiter weg zu sein.
Da ihr in der letzten halben Stunde nur wenige Autos begegnet waren, glaubte sie nicht, dass ihre Chance, von einem Autofahrer mitgenommen oder gar abgeschleppt zu werden, groß war. Also sollte sie versuchen, in diesem Crovie ein Zimmer für die Nacht zu bekommen oder zumindest in einem Pub in Erfahrung zu bringen, wo die nächstgelegene Autowerkstatt war.
Sie überlegte, ob sie ihr Gepäck mitnehmen sollte. Aber ein Fußmarsch mit Koffer und Reisetasche schien ihr zu mühsam. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wie weit dieses Crovie weg war.
Also schulterte sie nur ihre Handtasche und lief zurück zu dem Schild, auf dem Crovie 1 m. stand. Während sie forsch vor sich hin schritt, rief sie sich in Erinnerung, dass eine Meile etwa 1,6 Kilometer betrug. Das war ein netter Spaziergang, um einige Kalorien des fetten Burgers zu verbrennen, den sie sich mittags an dem Kiosk bei Dunnottar Castle einverleibt hatte.
Nach einer guten Viertelstunde sah sie einen Parkplatz vor sich, daneben einen kleinen Ort. Die Häuser standen dicht an dicht. Als sie dort ankam, stockte ihr der Atem: Eine schmale Straße führte vom Parkplatz nach rechts unten. Dort standen nur ein paar Dutzend Häuser, die vordersten entlang eines schmalen Fußweges, der sich direkt an den felsigen Strand der wellenumtosten Nordsee klammerte.
Sie fragte sich, wie oft die Keller dieser Häuser bei einem Sturm wohl vollliefen, schließlich standen die ersten höchstens vier, fünf Meter vom Wasserrand entfernt.
Nach kurzem Zögern lief sie den Fußweg hinunter, in der Hoffnung, früher oder später auf eine Pension oder zumindest ein Pub zu treffen. Aber der winzige Ort schien nur aus Ferienhäusern zu bestehen. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Lena das andere Ortsende erreicht hatte. Sie drehte um und ging den Weg zurück. Nun war guter Rat teuer.
Am vorletzten Haus begegnete ihr ein Mann, der seinen Hund ausführte. Sie fragte ihn, wo denn das nächste Pub oder die nächste Pension sei. Zu ihrer großen Enttäuschung gab es in diesem Kaff weder das eine noch das andere. Aber immerhin erfuhr sie, dass in der Kleinstadt Nairn nebst beidem eine Autowerkstatt war.
Sie bedankte sich und stapfte weiter in Richtung Parkplatz, von wo aus die schmale Straße aus dem Ort hinausführte, auf der sie hergekommen war.
Sie blieb einen Augenblick stehen, schaute über die geparkten Autos und überlegte, was sie jetzt tun sollte, als sie in ihrer Nähe deutsche Laute hörte. Sie drehte sich um und sah ein älteres Paar auf einen blauen Opel zu steuern.
„Hallo? Können Sie mir helfen?“, fragte sie auf Deutsch. Sie ging lächelnd auf die beiden zu.
Der Mann schaute sie mit großen Augen an. „Nanu, hier oben Deutsch zu hören ist ja eine Überraschung.“
„Und eine schöne dazu, wo wir seit zwei Wochen verzweifelt versuchen, dieses schottische Englisch zu verstehen“, ergänzte die Frau lächelnd.
Lena musste lachen. „So geht es mir auch.“ Dann erklärte sie den beiden ihre Situation.
Der Mann winkte ab. „Kein Problem, junge Dame. Wir haben ein Seil im Wagen. Wenn Sie Ihr Auto wieder finden, können wir Sie bis nach Nairn abschleppen. Es liegt eh auf dem Weg nach Inverness, wo wir ein Zimmer für die heutige Nacht gebucht haben.“
Als sie eineinhalb Stunden später in Nairn ankamen, war die Werkstatt bereits geschlossen, da es schon nach sieben war. Also ließ Lena ihr Auto auf dem leeren Parkplatz davor stehen und hievte Koffer und Reisetasche heraus. Dann bedankte sie sich bei den beiden Deutschen, die es eilig hatten, nach Inverness zu kommen.
Sie machte sich im Schneckentempo über die Kopfsteinpflastersträßchen auf in Richtung Stadtmitte. Die Touristeninformation war natürlich auch längst geschlossen, also fragte sie in einem Pub in der Nähe, ob sie wüssten, wo sie übernachten könne.
Es stellte sich heraus, dass der Wirt zwei Gästezimmer hatte, eines davon bekam Lena.
Für einen vergleichsweise horrenden Preis überließ er ihr eine Kammer über der gut besuchten Schankstube. Die Musik, das Klirren von Gläsern und das Stimmengewirr aus etlichen Kehlen würden sie wohl nicht so schnell einschlafen lassen. Und außer Bett und Spind bot das kleine Zimmer nur ein Waschbecken, das definitiv schon bessere Tage gesehen hatte. Toilette und Dusche befanden sich auf dem Gang.
Aber im Pub bekam sie ein Bier, eine Pastete und sie hatte ein Dach über dem Kopf – ein kleiner Luxus angesichts der Tatsache, dass es draußen inzwischen wie aus Eimern kübelte.
*
Am nächsten Morgen verschlang sie Eier mit Bacon, Tomaten und Pilzen, bevor sie ihren Koffer wieder über die holprigen Gehwege zur Werkstatt schob. Der Himmel war dunkelgrau und drohte mit neuerlichem Regen.
Der Werkstattmeister hatte ihren alten Renault schon entdeckt und sich gewundert, wo er denn so plötzlich hergekommen war.
Lena sagte ihm, dass der Wagen einfach stehen geblieben war und öffnete dann die Motorhaube.
Er beugte sich beflissen darüber. Je länger er dort herumhantierte und vor sich hin brummelte, desto mulmiger wurde ihr. Sie wünschte sich inständig, dass er das Problem noch am selben Tag würde lösen können; schließlich wollte sie so schnell wie möglich weiterfahren. Außerdem hatte sie weder eine Kreditkarte, noch besaß sie die finanziellen Mittel, um eine größere Reparatur bezahlen zu können.
Wahrscheinlich war es sowieso eine Schnapsidee gewesen, mit einem vierzehn Jahre alten Auto vom Süden Deutschlands bis in den Norden Schottlands tuckern zu wollen. Aber hatte sie eine Alternative gehabt? In der gemeinsamen Wohnung mit Erik zu bleiben, wäre undenkbar gewesen.
Es war an der Zeit, den Tatsachen ins Auge zu blicken: Anstatt mit Erik eine Familie zu gründen, würde sie sich umorientieren müssen. Nicht nur privat, vielleicht auch beruflich.