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Kapitel 2

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Linz an der Donau, April 2012

Viktoria Sandgruber stand im Toilettenraum des Nobelrestaurants „Zu den drei Mühlen“. Sanfte Violinenklänge und zarter Rosenduft schwebten in der Luft. Der Raum strahlte exquisite Reinlichkeit aus mit den matt glänzenden, beigen Marmorfliesen. Aber sie achtete nicht darauf. Sie starrte in den Spiegel, sah die Wut in ihren Augen und stieß heftig die Luft aus.

Nun mach schon! Vergiss diesen Blödsinn! Du bist doch keine Träumerin!

Das hätte auch ihr Vater sagen können.

Sie schob trotzig ihr Kinn vor. „Ich bin aber nicht mein Vater. Ich bin anders! Ich bin ich!“

Energisch rieb sie ihre Hände unter dem Wasserstrahl. Seifenreste spritzten auf das blank geputzte Waschbecken. „Geschäft ist Geschäft! Ich gehe jetzt da hinaus und bringe das zu einem guten Ende.“

Viktoria trocknete ihre Hände ab und zog ihren Lippenstift nach.

Zur Hölle mit diesem Troger!

Schon als sie ihn zum ersten Mal in der Agentur getroffen hatte, war ihr sein überlegenes Lächeln aufgefallen. Ein typischer Selfmade-Man, der seine Ziele mit Hartnäckigkeit und einer Portion Arroganz erreichte. Er hatte nur auf ihren Ausschnitt gestarrt.

„Sei nett zu Herrn Troger, er ist schließlich ein wichtiger Kunde. Guter finanzieller Hintergrund, viel versprechende Ideen, ein innovatives Produkt. Wenn wir diesen Auftrag bekommen, haben wir gewonnen.“

Die Worte ihres Vaters und zugleich Chefs klangen wie Hohn in ihr nach. Nun – sie war nett genug gewesen und jetzt reichte es.

Nach einer hastig gemurmelten Entschuldigung hatte sie fluchtartig den Speiseraum verlassen, als Otto Trogers Bemerkungen unerträglich wurden.

Prüfend musterte Viktoria sich im Spiegel. Eine richtige Schönheit konnte man sie nicht nennen. Dafür waren ihre Gesichtszüge etwas zu herb, wie sie selbst fand. Normalerweise verstärkten das auch noch die streng zu einem Knoten frisierten und hochgesteckten Haare. Aber dieser Eindruck wurde heute geschickt durch die langen, dunkelblonden Locken gemildert, die auf ihre Schultern fielen.

Das war der erste Fehler, den sie gemacht hatte. Die Hochsteckfrisur verhalf ihr üblicherweise zu einem Gefühl von kühler Distanziertheit. Mit offenen Haaren fühlte sie sich verletzlich und angreifbar. Der zweite Fehler war die Wahl der Kleidung gewesen. Sie hatte durchaus sehr weibliche Rundungen vorzuweisen, die in dem schwarzen Cocktailkleid gut zur Geltung kamen, obwohl es einen dezenten Ausschnitt hatte. Der burgunderrote Lippenstift ließ ihren Mund sinnlich wirken – zu sinnlich.

Valentin würde sie so bestimmt nicht gefallen. Er hasste Make-up. Aber bei ihm hatte sie sowieso nicht die geringste Chance. Er liebte zierliche Dunkelhaarige. So wie Petra. Die beiden passten perfekt zusammen.

Sie verdrängte die aufkommende Bitterkeit. „Zum Teufel mit Valentin! Vergiss ihn endlich! Kehr auf den Boden der Tatsachen zurück! Valentin hat doch keine Ahnung vom richtigen Leben!“

Viktoria stemmte die Hände in die Hüften. „Wenn du Teilhaberin der Agentur werden willst, musst du das bringen! Mach jetzt bloß nichts falsch! Du wirst diesem Troger sagen, was Sache ist! Er muss deine Meinung respektieren!“

Aber er ist nun mal ein arroganter Widerling, flüsterte eine Stimme hartnäckig in ihr. Und warum soll ich ihm nach dem Mund reden, nur damit ich einen Auftrag bekomme, mit dem ich ohnehin nicht glücklich sein werde!

Sie stieß den Atem aus. Andererseits – wie wichtig ist schon, was ich darüber denke? Ein Profi fragt nicht nach, er macht seine Arbeit!

Sie wollte wirklich nach ihrer Arbeit beurteilt werden und nicht nach ihrem Aussehen. Troger schien zu der Sorte Mann zu gehören, die glaubte, dass eine Frau, die einigermaßen gut aussah, einen Intelligenzquotienten wie ein Kuscheltier hatte.

Viktoria streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. „Nun mach schon, du blöde Kuh! Zeig es diesem Kerl!“

Sie puderte ihre Nase und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Mit einer heftigen Bewegung warf sie den Kopf zurück, presste die Lippen zusammen, straffte die Schultern und ging zurück ins Restaurant.

Gedämpftes Stimmengewirr und diskrete Beleuchtung empfingen sie. Troger hatte das Lokal mit Bedacht gewählt. Teuer und exquisit. Genau richtig für einen aufstrebenden Geschäftsmann, der nur an seinen Profit dachte.

Valentin verabscheute solche Leute. Doch er lebte ja auch in einer ganz anderen Welt. Wieder ein Grund, warum sie sich ihn so schnell wie möglich aus dem Kopf schlagen sollte.

Viktoria schluckte und versuchte, das Gefühl loszuwerden, in einer Falle zu sitzen.

Troger lächelte breit und zeigte zwei blendend weiße Zahnreihen, das Ergebnis intensiver und kostspieliger Zahnarztarbeit. Er war ein großer, schlaksiger Mann Anfang Dreißig mit kurz geschorenem Haar. „Da sind Sie ja wieder. Ich dachte schon, Sie hätten sich aus dem Staub gemacht. Aber ich warte natürlich gerne auf eine schöne Frau.“ Auf ihren protestierenden Laut reagierte er mit einer lässigen Handbewegung. „Doch, Sie sehen gut aus. So gar nicht wie eine dieser Öko-Tussis.“ Seine Augen glitzerten und sie bemerkte die Belustigung über ihr letztes Gesprächsthema darin. „Ich verzeihe Ihnen den kleinen Ausrutscher, wenn Sie versprechen, jetzt vernünftig zu sein.“

„Das bin ich durchaus.“ Viktoria nickte steif. „Ich habe inzwischen keineswegs meine Meinung geändert.“

Sein Lächeln verschwand. „Sie denken also noch immer, ich möchte den Leuten irgendwelches Giftzeug andrehen? Dann sollten Sie sich vielleicht besser informieren. Sämtliche Zusätze in meinem neuen Energy-Drink sind völlig unbedenklich. Aber setzen Sie sich doch erst wieder.“ Er wies auf den Stuhl neben sich.

Viktoria bemerkte, dass sein Weinglas schon wieder voll war. Die Flasche Welschriesling auf dem Tisch wurde beängstigend schnell leer. Doch offensichtlich war er an Alkohol gewöhnt, es war ihm nichts anzumerken.

Sie wich seiner einladend ausgestreckten Hand aus und ließ sich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder.

„Ich habe mir die Zutatenliste Ihres ‚Power of Nature’ angesehen. Wie können Sie glauben, dass ich dieses Gemisch aus künstlichen Farb- und Aromastoffen als frisch aus der Natur anpreisen kann?“, sagte sie fest.

Was rede ich da? Ich bin wohl übergeschnappt! Das kann mir doch alles völlig egal sein!

Trogers Finger schlossen sich um ihr Handgelenk. „Ach lassen Sie das doch, meine Liebe. Darüber sollten Sie sich Ihren hübschen Kopf nicht zerbrechen. Sie sollen nur einen knackigen Slogan und ein Design mit Wiedererkennungswert liefern. Sie enttäuschen mich wirklich fast ein wenig. Ich hätte Sie als erfahrener und realistischer eingeschätzt. Dieses Gerede von moralischer Verpflichtung gegenüber den Kunden und nachhaltiger Produktion irritiert mich. Ihr Vater hat mir versprochen, dass Sie bestens für diesen Job qualifiziert sind.“

Viktoria ballte ihre Finger zur Faust. „Das bin ich auch. Ich muss mich nur mit dem Produkt identifizieren können, für das ich eine Kampagne entwerfe.“

Warum kann es nicht mehr solcher Menschen wie Valentin geben?

Sie schluckte. „Tut mir leid, wenn es wie eine Moralpredigt geklungen haben soll. Das wollte ich nicht. Ich wollte nur eine andere Sichtweise …“ Sie verstummte und dachte wieder an Valentin. Seine Ideen hatten sie fasziniert und die Zusammenarbeit mit ihm hatte wirklich Spaß gemacht und ihr neue Erkenntnisse geschenkt.

Bist du glücklich in deinem Leben? Befriedigt dich das, was du tust?

Seine sanfte Stimme hatte sie aufgeweckt. Nichts war mehr so, wie es einmal gewesen war. Was er wohl machte? Auf ihre letzten beiden SMS hatte er nicht geantwortet. Aber das spielte ohnehin keine Rolle. Er wollte nichts von ihr. Zumindest nicht so, wie sie es gerne gehabt hätte.

„Was sagen Sie dazu?“ Otto Troger fixierte sie neugierig.

„Wie bitte?“ Viktoria schüttelte verwirrt den Kopf und verdrängte mit aller Macht Valentins Gesicht und seine leuchtenden dunklen Augen aus ihren Gedanken. Dieses Strahlen hatte nichts mit ihr zu tun, wie sie schmerzlich feststellen hatte müssen. Er liebte nur seinen Beruf und die Möglichkeiten, die Viktoria ihm geboten hatte.

„Ich sagte, dass ich Ihnen insofern recht gebe, dass der Trend nun mal in Richtung Natürlichkeit geht und ein paar esoterisch angehauchte Sprüchlein auf der Flasche doch gut ankommen würden.“

Viktoria musterte ihn vorsichtig, während sie an ihrem Weinglas nippte.

Sag jetzt nicht so einen abgedroschenen Blödsinn wieDer Weg ist das Ziel“!

„Wie wäre es mit ‚Der Weg ist das Ziel’?“

Sie verschluckte sich, musste husten.

Troger sprang auf, wollte ihr auf den Rücken klopfen, aber sie wehrte ab. „Es geht schon wieder, lassen Sie nur.“

„Der Spruch gefällt Ihnen wohl nicht?“, feixte Troger. „Dabei dachte ich, Sie hätten einen Draht zur Esoterik. Ging nicht Ihr letzter Auftrag in diese Richtung? Dieser Yoga-Typ, oder?“

Viktoria nickte und versuchte, die Hitze zu ignorieren, die in ihr aufwallte. „Valentin Rainer. Und er ist kein Yoga-Typ, er ist Prana-Healer und leitet ein Meditationszentrum.“

Troger wedelte mit der Hand. „Ist auch egal. Ich kenne mich da nicht wirklich aus. Sind doch alles Spinner.“

„Ja, vielleicht haben Sie recht“, murmelte Viktoria abwesend. Valentin hatte ihr verschwiegen, dass er eine Lebensgefährtin hatte. Aber warum hätte er ihr das auch erzählen sollen? Ihre Beziehung war rein geschäftlicher Natur. Sie hatte sich etwas eingebildet, das nicht existierte.

„Also, was denken Sie?“ Otto Troger sah sie erwartungsvoll an und sie merkte beschämt, dass sie ihm schon wieder nicht zugehört hatte.

„Ich glaube, da sollten wir uns etwas Aussagekräftigeres einfallen lassen“, meinte sie abwesend.

Aber ich habe überhaupt keine Lust dazu.

Sie atmete tief durch. „Wissen Sie was? Ich muss mir das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Vielleicht bin ich doch nicht die Richtige für diesen Auftrag.“

Was? Was sage ich da? Das ist doch Blödsinn!

Trogers Lächeln erlosch schlagartig. „Wie Sie meinen. Es wird kein Problem sein, eine andere Agentur zu beauftragen, da können Sie sicher sein. Mit Ihnen scheine ich wohl meine Zeit verschwendet zu haben. Schade.“

Sein Blick glitt über ihre Figur, verharrte sekundenlang auf ihrem Dekolleté. „Ich hätte mir eine Zusammenarbeit gut vorstellen können. Ihr Vater wird nicht begeistert sein. Aber das ist bestimmt nicht mein Problem.“

Er winkte dem Kellner und bat ihn um die Rechnung.

„Ich möchte mein Essen selbst bezahlen“, sagte Viktoria.

Troger hob erstaunt die Augenbrauen, protestierte aber nicht.

Der Kellner verschwand mit einem diskreten Nicken.

Viktoria hielt es nicht länger aus. Sie stand auf. „Ich möchte mich verabschieden.“

„Meine Karte haben Sie ja“, meinte er kühl. „Wenn Sie es sich anders überlegen, können Sie mich jederzeit anrufen. Aber zögern Sie nicht zu lange. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Möchten Sie wirklich in Ihrem Job gut werden und Geld verdienen, vergessen Sie dieses Gerede von Ethik und Moral.“

„Danke für den Rat. Wir werden sehen“, sagte sie mühsam beherrscht. Sie drehte sich um und ging, fühlte seine Blicke auf ihrem Rücken.

Der Kellner kam ihr mit einem Tablett entgegen, auf dem die Rechnung lag. Er sah sie fragend an. „Sie wollten getrennt bezahlen?“

„Ja. Wie viel macht es aus?“

Sie kramte mit zitternden Fingern nach ihrer Geldbörse und warf einen flüchtigen Blick auf die Rechnung.

„Den Wein bezahlt der Herr?“

Sie nickte. „Ja, den Wein bezahlt der Herr.“

Viktoria verließ das Restaurant, eilte zum Parkplatz und suchte hektisch in der Dunkelheit nach ihrem Auto.

Dann erst fiel ihr ein, dass sie ja mit dem Bus gefahren war. Daran hatte auch nur Valentins Gerede über den Klimaschutz Schuld.

Sie hastete auf die Bushaltestelle zu. Ihr Herz hämmerte wild gegen die Rippen.

Was ist bloß in mich gefahren? Wie kann ich nur so doof sein!

Sie starrte auf den Fahrplan, fand sich nicht zurecht. Die kleingedruckten Zahlen begannen vor ihren Augen zu flimmern.

Immer wieder warf sie vorsichtige Blicke auf die Tür des Restaurants.

Troger kam nicht.

Nicht auszudenken, wenn sie ihm nach dieser Blamage noch einmal über den Weg lief!

Viktoria verbarg sich im Schatten des Wartehäuschens, stopfte die Faust in ihren Mund, um nicht laut los zu weinen vor Zorn auf sich selbst, auf Valentin und auf diesen eingebildeten Schnösel. Was für eine Blamage!

Erleichtert atmete sie auf, als endlich der Bus auftauchte und anhielt. Hastig sprang sie hinein. Der Busfahrer musterte verwundert seinen hektischen Fahrgast, sagte aber nichts.

Viktoria warf sich auf den Sitz, sah noch einmal zurück zum Restaurant.

Jetzt kam Troger heraus. Sie duckte sich und kauerte sich zusammen.

Der Bus fuhr mit einem Ruck an, verließ die Altstadt.

Sie legte ihre Stirn an die Fensterscheibe und schloss die Augen.

Alles ist schief gelaufen! Jämmerlich versagt habe ich! Und das nur, weil ich mich in Valentin verguckt habe. Ich bin doch wirklich eine blöde Kuh! Es läuft außerdem nun mal nicht so, wie er sich das vorstellt. Geld regiert die Welt und nicht Liebe und Rücksichtnahme!

Ich werde wohl nie das Richtige tun.

Wir sind nur Gast auf Erden

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