Читать книгу Alles Mythos! 20 populäre Irrtümer über die Ritter - Karin Schneider-Ferber - Страница 10

IRRTUM 4: Ritter waren nicht eitel

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Wer ständig in den Kampf zieht, Schmerzen und Entbehrungen erträgt, klaglos ein monatelanges Zeltlagerleben zwischen Pferdemist und Abfallhaufen verbringt, müsste doch eigentlich – so ließe sich schlussfolgern – ein gänzlich uneitler Mensch gewesen sein, ein Mann von schnörkellosem Charakter und anspruchslosem Lebensstil. Diese Mutmaßung geht im Falle der Ritter jedoch leider in die falsche Richtung. Denn nichts liebten die Herren in der blank geputzten Rüstung mehr als die Selbstdarstellung. Auf ihre Außenwirkung und auf die Überlieferung ihrer Heldentaten waren sie sorgsam bedacht. Schließlich sollte jeder wissen, welche ruhmreichen, tapferen Kämpfe sie bestanden hatten. Schluss mit falscher Bescheidenheit, mochte so mancher Ritter gedacht haben, wenn er zu Tinte und Federkiel greifen ließ, um seine Lebensbeschreibung auf Pergament bannen zu lassen. In Schrift, Bild und Architektur ließen die Rittergeschlechter nichts aus, um sich selbst zu feiern.

127 Pergamentseiten mit 19.914 Versen – ein wahrhaft stattliches Werk, das der Sohn des berühmten Ritters, Turnierkämpfers und englischen Regenten William Marshal in Auftrag gab, um das Andenken seines 1219 verstorbenen Vaters gebührend zu bewahren. Sieben Jahre lang saß ein Berufsdichter mit dem Vornamen Jean an dem großen Werk, befragte Zeitzeugen wie Jean de Early, den langjährigen Weggefährten des Marschalls, wühlte sich durch das Hausarchiv, las Chroniken, um den Werdegang seines Helden vom unbedeutenden nachgeborenen Sohn eines englischen Landadligen zum einflussreichen englischen Magnaten zu beschreiben. Und die Biografie – unter hohen Kosten vom „guten Sohn“ für die nähere und weitere Verwandtschaft in Auftrag gegeben, wie das Vorwort nicht vergisst zu erwähnen – feiert diesen erstaunlichen Aufstieg ganz als das Ergebnis des persönlichen Einsatzes und der außergewöhnlichen Tüchtigkeit des Helden, der durch seinen treuen Königsdienst und seine militärischen Fähigkeiten immer weiter auf der Karriereleiter vorrückt. Nicht die genealogische Abkunft William Marshals, dessen Großvater bereits das Amt eines königlichen Marschalls innehatte, auch nicht das vorteilhafte Erbe seiner Frau Isabella von Clare, die umfangreiche Herrschaftsgebiete in Westengland, Wales, Irland und der Normandie sowie den Grafentitel mit in die Ehe brachte, standen im Vordergrund der Darstellung, sondern allein die Verdienste der Hauptperson. „Der beste aller Ritter“, so wird William Marshal, den man in Frankreich Guillaume le Maréchal nannte, immer wieder im Text genannt. Als fahrender Ritter zog er in seiner Jugend von Turnier zu Turnier, um sich Ausrüstung, Pferde und Gagen zu erwerben und die Aufmerksamkeit hochrangiger Adliger zu erregen. Keiner saß so fest im Sattel wie er, keiner brach mehr Lanzen, niemand zeigte sich nach einem Sieg freigebiger als der englische Marschall. William diente nach einander fünf englischen Königen: Heinrich II., Heinrich dem Jüngeren, Richard Löwenherz, Johann Ohneland und nahm zuletzt noch den unmündigen Heinrich III. unter seine Fittiche. Trotz der schwierigen Lage angesichts der Zerstrittenheit des Königshauses und trotz der prekären Situation, in die ihn seine Lehnsbeziehung zum französischen König aufgrund seiner normannischen Besitzungen brachte, bewies William große Anhänglichkeit an das englische Königshaus. Zuletzt stellte er sich noch im hohen Alter dem in England gelandeten französischen Prinzen Ludwig dem Löwen entgegen, um die Herrschaft für Heinrich III. zu sichern.

Der „beste aller Ritter“ tat bis zum letzten Atemzug wirklich sein Bestes, um der Krone zu dienen. Diese Botschaft der Reimbiografie stieß beim adligen Publikum auf tief verwurzelte Ideale: den Glauben an die eigene Leistungskraft, das Vertrauen auf Gott und den Lehnsherrn, die Hoffnung, dass sich Loyalität auch in materieller Hinsicht auszahlte. Die Karriere William Marshals vom nachgeborenen Adelssohn zum reichsten und mächtigsten Baron des englischen Königreiches wurde den Familienangehörigen als erstrebenswertes Vorbild vor Augen gestellt. Denn auch William Marshal, der bei seinem Tod 1219 zehn Kinder hinterließ, musste den jüngsten Sohn Anselm unversorgt zurücklassen. Das reiche Erbe, das an die älteren Söhne ging, sah für diesen keinen Landbesitz mehr vor. „Möge er so lange leben, dass er Ritter wird“, wünschte sich der Vater in seinem Testament, „möge er fahren, bis er Ehre erlangt; dann wird er einen finden, der ihn liebt und der ihm große Ehre erweist, mehr als jedem anderen.“

So sah sich der Ritterstand am liebsten – tat- und schlagkräftig an den eigenen Aufstieg glaubend, missliche Umstände beharrlich ignorierend. So wurde aus Marshals Biografie nicht nur eine Familiengeschichte, sondern ein Lehrstück für den Ritterstand insgesamt. Die Nachwelt sollte sich so lange wie möglich an die von William verkörperten Ideale erinnern.

Den eigenen Ruhm bewahren – das wollten neben William Marshal noch recht viele Ritter. Auch der weit gereiste französische Marschall Jean II. le Maingre Boucicaut, der an vielen Kriegsschauplätzen in Frankreich, Spanien, dem Baltikum, im Orient und dem Balkan gekämpft hatte, bevor er 1415 nach der Schlacht von Azincourt in englische Gefangenschaft geriet, in der er auch verstarb, ließ seinen bewegten Lebensweg zu Lebzeiten in einer eigenen Biografie festhalten. Verfasser war wahrscheinlich sein Kaplan Honorat Durand, der das Werk 1409 nicht zuletzt deshalb schrieb, um Boucicauts unglückliche Herrschaft über Genua, die dieser im Auftrag Karls VI. von Frankreich ab 1401 ausgeübt hatte, zu rechtfertigen und seine Hauptperson dabei ins rechte Licht zu rücken. Dies gelang ihm, denn er stellte den Marschall als besonders tugendhaften und christlichen Ritter dar. Angeblich hörte er zweimal täglich die Messe, verharrte stundenlang im Gebet und trug freitags nur schwarze Kleidung. Dies entsprach natürlich ganz dem Bild des christlichen Ritters, der nicht aus Eigennutz in den Kampf zog, sondern bei seinem Einsatz stets die gerechten Ziele fest im Blick behielt und dabei auch noch die „richtige“ Gesinnung mitbrachte. Genau das wollte das Publikum hören – der Ritter als Tugendheld kam immer an.

Wer als Minnesänger selbst künstlerisch tätig war, sorgte sich verständlicherweise auch um die Überlieferung seines Werkes. Ulrich von Liechtenstein, der Landesministeriale aus der Steiermark, der um 1275 starb, gab seine kunstvoll geschmiedeten Verse daher noch zu Lebzeiten selbst heraus. Sein 14.800 Verse umfassender Roman „Frauendienst“ war nicht nur ein fiktiver Lebensbericht, der die Turnierabenteuer und Minnefahrten des Ritters Ulrich von Liechtenstein verherrlichte, sondern auch eine Werkausgabe des Lyrikers. In den epischen Bericht streute Ulrich nämlich 58 Minnelieder, eine Leich genannte Großdichtung, drei kleinere Büchlein mit jeweils etwa 300 Versen sowie mehrere Briefe ein. Inwieweit die in Ich-Form geschriebene und mit vielen komischen Elementen durchsetzte Rahmenhandlung Selbsterlebtes widerspiegelt, mag dahingestellt bleiben. Viele der Turniergegner des Liechtensteiners wie auch viele Ortsnamen sind historisch nachweisbar, was aber nicht beweisen muss, dass die geschilderten Erlebnisse auch in der Realität so stattgefunden haben. Nur eines ist sicher: Ulrich von Liechtenstein machte sich mit diesem Großwerk selbst zur Hauptperson. Er ist der Held der Turniere und der Held des Minnedienstes und ganz nebenbei auch noch der begabte Urheber des enthaltenen Liedgutes. Die Selbststilisierung scheint ihm zuletzt dann doch etwas peinlich gewesen zu sein. Im Epilog gibt er zu, dass es nicht statthaft sei, sich selbst zu rühmen, er habe aber im Auftrag seiner Minneherrin gehandelt und nenne daher sein Werk „Frauendienst“. Eitelkeit hin oder her – die Aufnahme der Liechtensteinlieder in den ab 1300 entstandenen Codex Manesse, der bedeutenden Heidelberger Liedersammlung, garantierte seinem Werk jedenfalls eine gestiegene Reputation.

Noch ein anderer sorgte sich schmerzenden Herzens um seinen Nachruhm – der Südtiroler Ritter und Dichter Oswald von Wolkenstein. Er packte in seine populären von derber Erotik, Weltschmerz und kluger Selbstironie geprägten Lieder jede Menge biografischer Angaben. 1423/24 ließ er eine erste Sammlung seiner bis dahin entstandenen Werke anlegen. „Mit der Jahreszahl 1425 ist dieses Buch niedergeschrieben und trägt den Titel: Summa des Wolkensteiners“, verkündete der Autor voller Stolz. Die 61 Pergamentseiten umfassende, in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien liegende Handschrift fällt durch eine sorgfältige Herstellung auf. Gleich vorn ein farbiges Autorenbild: Oswald in Ganzkörperansicht mit einem Notenblatt in der Hand, den repräsentativen Kannenorden um den Hals, zu Füßen die Familienwappen. Ein Ritter adliger Abkunft, freier Autor und Musiker zugleich, stellt sich hier vor. Die Lieder hielt der Schreiber in brauner und schwarzer Tinte fest, die Notenlinien in roter Tinte, die Initialen gestaltete er in Blau und Rot. Mit Nachträgen überliefert die Handschrift insgesamt 108 Lieder. Doch damit nicht genug. 1432 ist die zweite Sammelhandschrift fertig, die 118 Lieder mit Melodien enthält. Auch diesen Band ließ Oswald von Wolkenstein repräsentativ ausschmücken. Das auf dem ersten Blatt gezeigte farbige Brustbild gilt als das erste authentische Porträt eines deutschen Dichters überhaupt. Oswald wird lebensecht mit lockigem Haar, geschlossenem Auge, hermelinbesetzter Purpurmütze und mit Orden geschmückt dargestellt. Ein Mann in seiner ganzen Würde. Wie der Vergleich der Liedtexte der ersten und zweiten Sammelhandschrift zeigt, hat Oswald redigierend eingegriffen, einiges verändert oder weggelassen, sorgfältig darauf bedacht, der Nachwelt sein Œuvre in geeigneter Form zu hinterlassen. Auch bei den biografischen Angaben arbeitete der Ritter rege an seinem Image und überlieferte aus seinem an Familienfehden, Kriegen und Abenteuern reichen Leben nur das, was ihm zur Durchsetzung seiner persönlichen und politischen Ziele sinnvoll erschien. Der Autor schuf sein Bild für die Nachwelt selbst, wollte sich in seinem künstlerischen Anspruch gewürdigt und in seiner ritterlichen Beharrlichkeit in bedrängten Lebenslagen bewundert sehen.

Eine stete Quelle der Selbstdarstellung waren auch die Turniere, die im Spätmittelalter immer üppiger und prächtiger in Szene gesetzt wurden. Der Auftritt der kämpfenden Ritter vor großem Publikum bot die ersehnte Chance, im ganzen Prunk der Farben und Waffen zu erscheinen und dabei bella figura zu machen. Um die einzelnen Ritter identifizieren zu können, bürgerte es sich seit dem 12. Jahrhundert ein, bestimmte Zeichen und Symbole auf Schilden, Bannern und Waffenröcken zu verwenden. Die sich daraus entwickelnden Wappen gehörten zu den Erkennungsmerkmalen der Ritter schlechthin, denn sie gaben Auskunft über Familien- und Lehnsbeziehungen, über den Platz eines Geschlechtes in der sozialen Hierarchie, über Haupt- und Nebenlinien einer Sippschaft. Je mehr niederadlige Familien sich im 13. Jahrhundert ein Wappen zulegten, je komplizierter die Familienverknüpfungen durch Erbteilungen und Einheiraten ausfielen, umso fantasievollere Kombinationen von Zeichen und Farben waren natürlich gefragt.

Selbstverständlich war allen Rittern daran gelegen, ein besonders mächtiges Wappentier, einen Löwen, Leoparden, Drachen, Eber oder Adler, im Wappen zu führen oder eine attraktive Farbkombination zu erhalten. Erlaubt waren allerdings nur die Farben Blau, Rot, Grün, Schwarz, Purpur und die beiden Metalle Gold und Silber. Ein kompliziertes System aus Schildteilungen mittels Balken, Pfählen und Quadrierungen ermöglichte viele Kombinationen. Da die Wappen zu einem Machtsymbol ersten Ranges aufstiegen, bemühte sich jede Ritterfamilie, ihren sozialen Aufstieg im Wappen zu dokumentieren. Sie wechselten gegebenenfalls Farben und Symboltiere, um den neuen Stand anzuzeigen. So führte das Reichsministerialengeschlecht von Sulzbürg nach der Belehnung mit der wichtigen Burg Wolfstein kurz vor 1300 einen Wolf in ihr Wappen ein und wechselte auch den Namen hin zu „Wolfstein“. Überhaupt waren sprechende Wappentiere beliebt, weil sie die Individualität des Trägers gebührend herausstrichen. So führte das Geschlecht der Affensteiner einen Affen „im Schilde“, die Henneberger eine Henne, die Herren von Falkenstein einen Falken, die Schwangauer einen Schwan usw.

Bei großen Ereignissen wie Turnieren prangten die Wappen und ihre Farbkombinationen von Bannern, Pferdedecken, Waffenröcken, die man über der Rüstung trug, und den Wimpeln der geschmückten Lanzen. Welch prachtvoller Eindruck, wenn hohe Herren mit ihrem zahlreichen Gefolge in der gleichen Farbkombination erschienen! Die ranghöchsten Ritter trugen am Ausgang des Mittelalters zudem besonders aufwendig hergestellte Turnierrüstungen mit Ätzritzungen, Riefelungen und Vergoldungen, dazu Prunkschilde und Prunkstreitäxte oder besonders schön verzierte Schwerter. Selbst die Pferde schützte man mit dekorativen Rossharnischen. Zusätzliche Aufmerksamkeit erheischte man noch durch eine aufwendige auf den Kopfschutz angebrachte Helmzier in Form von Menschen- und Tierfiguren, Pflanzen, Geräten, Hörnern oder Flügeln. Der Codex Manesse zeigt zu Beginn des 14. Jahrhunderts eine Fülle fantasievoller Möglichkeiten, die man sich auf den Topfhelm stecken konnte und die im Krieg völlig unbrauchbar gewesen wären. Stolz wie die Platzhirsche zogen die Ritter mit Büffelhörnern, Hirschgeweihen, Vogelflügeln, ja ganzen Damenfiguren auf dem Kopf ins Turnier – ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Mit dem Aufkommen des Kolbenturniers in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde es üblich, im Kampf nur noch das Zimier abzuschlagen. Daher übertrug man den Aufsatz vom Topfhelm auch auf später benutzte Turnierhelmformen. Um das Gewicht möglichst gering zu halten, fertigte man die Gebinde aus Holz- und Drahtgestellen sowie Textilien oder anderen leichten Materialien an. Die Helmzieren gingen dann auch in die Wappengestaltung ein. Noch im 13. Jahrhundert ergänzte man die Wappenschilde um ein Oberwappen, das den Helm mit seinem Aufsatz zeigte.

Die komplizierte Wappenkunde erforderte die Ausbildung eigener Spezialisten. Herolde tauchten seit Ende des 12. Jahrhunderts am Rande der Turniere auf, um die Wappen zu identifizieren und die teilnehmenden Kämpfer wortgewaltig anzukündigen. Dabei übertrieben sie die Heldentaten der antretenden Ritter gehörig, je nachdem wie hoch die Belohnung durch sie hinterher ausfiel. Diese in der Dichtung der Minnesänger Krogierer genannten Männer stammten aus ganz unterschiedlichen sozialen Gruppen, konnten fahrende Sänger, aber auch adlige Minnesänger sein. In jedem Fall wussten sie über den Turniererfolg der ritterlichen Herren, über deren Herkunft und soziale Stellung Bescheid. Mancher Ritter, so behauptet zumindest die Lebensbeschreibung William Marshals, verdankte seinen Ruf überhaupt nur diesen Marktschreiern, die als gewitzte „Werbefachmänner“ dessen Vermarktung übernahmen und damit die Gage in die Höhe trieben. Später übernahmen die Herolde jedoch wichtige Aufgaben: So überbrachten sie die Einladungen zum Turnier, überprüften die Teilnahmeberechtigung der Turnierkämpfer anhand der Wappen und Helme, überwachten die Einhaltung des Reglements, übernahmen gar Aufgaben als Botschafter zwischen den Kriegsfronten. Vor allem die Überprüfung der Turnierteilnahme wurde im Laufe des Mittelalters immer bedeutender, da die Turnierfähigkeit als Privileg des Adels verstanden wurde und der sozialen Abgrenzung gegenüber aufstrebenden bürgerlichen Geschlechtern diente. Wer zur ersten Garde der Ritterschaft zählte, das entschieden nicht zuletzt auch die Herolde über die von ihnen geführten Wappenrollen mit.

Gelegentlich gingen die Wappenkundigen auch zu einer eigenen Geschichtsschreibung über. Über das Anfertigen und Beschreiben von Wappen ließ sich auch leicht die Genealogie einer Familie erklären und die Erinnerung an einen besonders würdigen noch lebenden oder verstorbenen Vertreter der Sippe hervorheben. Die daraus entstehende Heroldsdichtung blühte vor allem im 14. und 15. Jahrhundert. Sie war in erster Linie Gelegenheitsdichtung, die anlässlich eines Turniers oder Kriegszuges verfasst und vorgetragen, aber selten aufgezeichnet wurde. Ein Glücksfall ist daher die Überlieferung des Werks von Peter Suchenwirt, des Hauptvertreters der Gattung. Um 1325 geboren, war er zunächst – wie sein Name „Such den Gönner“ schon andeutet – ein fahrender Spruchdichter und einfacher Bote bürgerlicher Abkunft, bevor er ab 1377 zum angesehenen Herold Herzogs Albrecht III. von Österreich aufstieg. Er schrieb insgesamt 22 Ehrenreden und 19 Klagelieder auf bedeutende Persönlichkeiten wie den Burggrafen Albrecht von Nürnberg, Ludwig I. von Ungarn oder Albrecht III. von Österreich, immer ausgehend von den Beschreibungen der Wappen. Eine Kriegsfahrt Albrechts III. nach Preußen, an der Suchenwirt 1377 teilnahm, wurde zum Anlass für das Gedicht „Von Herzogs Albrechts Ritterschaft“, in dem die Rittertugenden alten Stils gefeiert wurden, obwohl der ungleiche Kampf mit den heidnischen Litauern alles andere als ritterlich war. Doch das Fürstenlob hatte Vorrang, das Plündern, Sengen und Morden im Heidenland musste zur Heldentat verklärt werden und Suchenwirt gab sein Bestes, um seinen Auftraggeber zufriedenzustellen und sich damit auch einen bedeutenden Mäzen zu sichern.

Waren die Turniere und die zu ihnen gehörenden Schaueffekte flüchtige Ereignisse, bot die Architektur dauerhaftere Formen, um die Größe eines Rittergeschlechts zu verherrlichen. Die Burgen sind die bis heute erhaltenen Relikte in Stein gemeißelter Eitelkeiten. Denn die imposanten Wehr- und Wohnbauten dienten nicht allein militärischen Zwecken, sondern auch der Zurschaustellung der Macht ihrer Besitzer. Wie die Burgenforschung der jüngsten Zeit beweisen konnte, boten Zinnen, Schießscharten, Türme und Torzugänge dem Betrachter auch eine Schauseite, die ihm Respekt einflößen sollte. Die Ende des 12. Jahrhunderts auf einem Bergsporn errichtete Burg Wildenberg im Odenwald, die Wolfram von Eschenbach vermutlich als Vorbild für seine literarische Gralsburg des Parzival-Romans vor Augen stand, entfaltete ein Panorama, das ganz auf die Perspektive des vom Torweg Herannahenden ausgerichtet war: Die hohe, 2,5 Meter dicke Schildmauer wurde überragt vom Hauptturm der Burg, dem 25 Meter hohen Bergfried mit Zinnenkranz, der um 45 Grad diagonal zur Bergseite gedreht stand und durch seine mächtige Buckelquadermauerweise bestach. An der Südostseite erhob sich ein Torturm mit einem monumental gestalteten Stufenportal. Der Blick durch das Tor verlängerte die Sichtachse auf den Palas, der mit seiner durch Fensterarkaden strukturierten Fassade einen besonders prächtigen Eindruck vermittelte und an die Kaiserpfalz Gelnhausen erinnerte. Wehrhaftigkeit und Schönheit kündeten so schon von Weitem von der Größe des Erbauers Ruprecht von Dürn, der ein eifriger Parteigänger der Staufer war und seine Urheberschaft über einen Inschriftenstein der Nachwelt überlieferte.

Die Außenwirkung war auch den Erbauern der Burg Münzenberg in der Wetterau besonders wichtig. Das nach der Burg benannte Ministerialengeschlecht, das ebenfalls zu den treuen Stauferanhängern zählte, begann hier auf einem hohen Basaltkegel in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts einen Bau, der die umliegende Landschaft markant prägen sollte. Eine die ganze Bergkuppe umfassende Ringmauer aus Sandsteinbuckelquadern sorgte schon von Weitem dafür, dass niemand die „Herren der Wetterau“ übersah. Als die Burg in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an das Geschlecht der Falkensteiner ging, stellten diese dem romanischen Palas und dem romanischen Bergfried jeweils ein eigenes, baulich höchst anspruchsvolles Pedant gegenüber. Seitdem zierten den Münzenberg gleich zwei imposante Bergfriede. Die Zinnen, die nur an der zur Stadt hin gewendeten Ostseite der Mauer errichtet wurden, unterstrichen noch den Eindruck von Wehrhaftigkeit.

Abseits militärischer Notwendigkeiten wurde der mächtige Bergfried als höchster Turm der Burganlage sowie Zinnen, Schießscharten und Toranlagen mit Fallgittern zu zeitlosen Symbolen der Macht, die auch auf Siegeln, Wappen und anderen Abbildungen dargestellt wurden und zu jeder „echten“ Burg dazugehörten.

Selbst als sich die Kriegsführung im 15. und 16. Jahrhundert veränderte und sich die Zeit der Ritter und Burgen allmählich dem Ende zuneigte, hielt man an diesen Sinnbildern alter Größe fest. So verwendete man Zinnen bis ins 17. Jahrhundert hinein als reine Dekorationselemente, ebenso die Schießscharten, die zu reinen Schmuckelementen ohne militärischen Nutzen degenerierten, aber nach außen ein weites Schussfeld vortäuschten. Auch Toranlagen mit allzu weiten und daher schlecht zu verteidigenden Portalen blieben lange in Gebrauch. Ein standesgemäßes Entree bestehend aus Tor mit Torturm, Fallgitter und vorgelagertem Graben erfüllte offensichtlich das Bedürfnis der Erbauer nach Repräsentation, denn schon vor Betreten der Innenräume bekam der Gast das Gefühl vermittelt: Hier wohnen keine unbedeutende Leute, sondern mächtige im Reichs- oder Lehnsdienst groß gewordene Herren! Konkurrenz unter den Rittergeschlechter belebte zudem das Geschäft: Die trutzigste Mauer, der höchste Bergfried, der schönste Palas, die massivste Toreinfahrt – danach strebte jeder, der seinen Nachbarn zu überbieten suchte. Letztendlich war das bauliche Engagement eine Frage des Vermögens, sodass der Bauherr auf diesem Felde zeigen konnte, welche wirtschaftliche Bedeutung ihm zukam.

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