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IRRTUM 2: Ritter konnte jeder werden

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Angesichts der Brutalitäten der Kriegsführung könnte man auf die Idee kommen, dass sich vornehme Adelssöhne viel zu schade für dieses blutige Geschäft waren. Warum überließen sie das „Schlachterhandwerk“ nicht einfach generell den Männern aus einfachem Stand? An diesem Punkt zeichnen sich die Widersprüche des ritterlichen Selbstverständnisses ab. Denn Tapferkeit auf dem Schlachtfeld galt im mittelalterlichen Verständnis – und bis weit in die Neuzeit hinein – als höchste Tugend. Nur im Krieg konnte man heldenhaften Ruhm ernten, auch wenn der Weg dahin mit Leichen und Grausamkeiten gepflastert war. Die Ritter waren daher stets darauf bedacht, den Kampf zu Pferd, der das höchste gesellschaftliche Ansehen versprach, als soziales Vorrecht für sich selbst zu reservieren und Aufsteiger von unten aus ihren Reihen fernzuhalten. Das Ritterdasein blieb eine elitäre Angelegenheit in enger Verbundenheit mit dem Adelsstand. Das gesamte Mittelalter hindurch war der Adel Träger der Ritterkultur, auch wenn der Leistungsgedanke in diesem Berufsfeld immer eine starke Rolle spielte und auch Männern einfacher Abkunft eine Aufstiegsperspektive versprach. Doch die „rechte“ Abkunft war immer noch der beste Garant für den Eintritt in die (Traum-)Welt des höfischen Rittertums. Ritterbürtigkeit vererbte sich von Generation zu Generation, daran war im Normalfall nicht zu rütteln.

Schon im Frühmittelalter konnten aufgrund der teuren Ausrüstung nur reiche Grundbesitzer hoch zu Ross in den Krieg ziehen. An sich war zwar im Reich der Karolinger jeder Freie zum Militärdienst verpflichtet, doch konnten ärmere Zeitgenossen allenfalls zu Fuß und mit einfacher Bewaffnung, die aus Pfeil und Bogen, einer Lanze, vielleicht auch nur aus einem Knüppel bestand, in die Schlacht ziehen. Da ihr Wert militärisch begrenzt war und sich der strategische Schwerpunkt zunehmend auf die Reiterei verlagerte, begann die Kriegsführung ein Vorrecht der wohlhabenden Schichten zu werden. Nur wer genügend Land und Einkommen besaß, um ein wertvolles, hochgezüchtetes Schlachtpferd zu unterhalten (das immerhin pro Tag 15 Pfund Hafer verschlang!), und sich dazu qualitativ hochwertige Waffen und Rüstung leisten konnte, war geeignet, um mit dem König in den Krieg zu ziehen. Die nobilis, wie die Quellen sie nannten, die Mächtigen und Wohlhabenden, die den Kriegsdienst leisteten, stiegen so allmählich zur sozialen und politischen Elite des karolingischen Reiches auf. Einfache Freie hatten nur die Möglichkeit mitzuhalten, wenn sie ein genügend großes Lehen als Finanzierungsgrundlage für sich und ihren Waffendienst erhielten. Doch die meisten Freien mussten einen anderen Weg wählen: Sie gaben ihren freien Rechtsstatus auf und übergaben sich und ihre schmalen Felder einem mächtigeren geistlichen oder weltlichen Grundbesitzer, der ihnen dafür den Kriegsdienst abnahm.

So setzte sich bis zum Hochmittelalter allmählich eine neue soziale Ordnung durch: Auf der einen Seite die berittenen Kämpfer, die sich durch Grundbesitz und hohes gesellschaftliches Ansehen auszeichneten, auf der anderen Seite die wehrlosen Bauern, die auf ihren Äckern arbeiteten und auf den Schutz dieser Kriegerelite angewiesen blieben. Die Kleriker, die ihr Leben Gott weihten, bildeten die dritte Säule dieses Gesellschaftsmodells. Von ihrem Selbstverständnis her verstanden sich die Panzerreiter von vornherein als etwas Besseres: Sie schützten mit ihrer Waffengewalt Land und Leute, fochten für die Aufrechterhaltung der Ordnung, nahmen sich der Armen, Waisen und Witwen an und stellten sich in den Dienst der Kirche. „Dreigeteilt ist das Haus Gottes, das ein einziges ist“, beschrieb Bischof Adalbero von Laon um 1025 die neue soziale Wirklichkeit, „die einen beten, die anderen kämpfen, die dritten schließlich arbeiten. Diese drei sind eins, und eine Spaltung ertragen sie nicht. Sie unterstützen sich alle in gegenseitigem Wechsel.“ Für ihn war aber klar, wer die prestigeträchtigere Aufgabe erfüllte, nämlich die Krieger: „Sie sind die Verteidiger des Volkes, der Großen wie der Kleinen, kurzum aller, so wie sie gleichzeitig für ihre eigene Sicherheit sorgen.“

Wohlhabenheit, Waffendienst und Königsnähe machten aus den Rittern schließlich einen bevorrechtigten Stand. Nur für ein kurzes Zeitfenster öffnete sich die soziale Schranke, um Aufsteiger von unten in die Reihen der adligen Reiterkrieger aufzunehmen. Dies war im 11. und 12. Jahrhundert der Fall, als die adligen Familien nicht mehr in der Lage waren, den gestiegenen Bedarf der Könige und Fürsten an geübten Panzerreitern personell zu erfüllen. Gerade in den unruhigen Zeiten des Investiturstreits, als König Heinrich IV. gegen Papsttum und aufständische Sachsen ums politische Überleben kämpfte, waren hohe Truppenzahlen gefragt. Daher betrauten der König, aber auch weltliche und geistliche Große zunehmend unfreie Dienstleute mit militärischen Aufgaben. Ihre Tüchtigkeit und ihre Loyalität zum Dienstherrn zeichneten sie in besonderem Maße aus und machten ihre unfreie Herkunft rasch vergessen. Man nannte sie Ministerialen. Der Salier Heinrich IV. scheute sich nicht, unfreie Dienstleute aus Süddeutschland, die ihm treu ergeben waren, als Burgherren und Besatzungsmannschaft auf sächsische Burgen zu holen, um die aufständische Region zu kontrollieren. Auch die Staufer stützten ein Jahrhundert später ihre Herrschaft ganz wesentlich auf unfreie Ministerialen, die ihnen loyaler ergeben waren als mächtige Adlige. Sie erhielten Lehen, Burgen und Ämter im Dienste der Reichsverwaltung. Manchem Ministerialen gelang ein märchenhafter Aufstieg wie zum Beispiel Markward von Annweiler, der im Dienste Kaiser Heinrichs VI. die Freiheit und dazu das Herzogtum Ravenna mit der Romagna, die Mark Ancona, die Grafschaft Abruzzen und die Grafschaft Molise als Lehen erhielt und damit zu einem der bedeutendsten Männer des Reiches aufstieg.

Die Ministerialen wussten ihre Chancen geschickt zu nutzen und ließen sich ihre Vorrechte in einem eigenen Dienstrecht verbriefen, das ihnen die Vererbbarkeit ihres Rechtsstatus, ihrer Lehen und der damit verbundenen Ämter sicherte. Die zu ritterlichen Ehren aufgestiegenen Emporkömmlinge reagierten danach wie zuvor der privilegierte Adel: Sie grenzten sich sozial nach unten ab. Sie fühlten sich als Teil des Adels und ahmten die ritterliche Lebensart nach, bauten eifrig Burgen, beachteten den ritterlichen Tugendkatalog, mehrten ihren Besitz und suchten günstige Heiratsverbindungen abzuschließen. Viele Hochadlige rümpften über die Neulinge, die sich nach einem herben Urteil aus dem 16. Jahrhundert wie „Mäusedreck unter den Pfeffer“ gemischt hätten, die Nasen, doch rückgängig zu machen war die Entwicklung nicht. Die Ritterschaft hatte eine breitere soziale Basis erhalten, wandelte sich aber schnell wieder in einen closed shop. Schon Ende des 12. Jahrhunderts zeigten sich Ansätze, den Aufstieg in die Ministerialität zu begrenzen. „Ein Knecht aber solle keinerlei Anspruch auf Ritterschaft besitzen“, hieße es in einem Reichslandfrieden Friedrich Barbarossas aus dem Jahr 1186. Söhnen von Priestern, Diakonen und Bauern war es fortan verboten, den Rittergürtel zu erwerben.

Kaiser Friedrich II. schließlich bestimmte für sein Königreich Sizilien in den Konstitutionen von Melfi 1231, dass niemand mehr Ritter sein dürfe, „der nicht aus einem Geschlecht von Rittern stammt“. Dieser Grundsatz galt bald auch andernorts, sodass in der Regel die adlige Abkunft Voraussetzung für den Erwerb der Ritterwürde war. Die aus der Ministerialität aufgestiegenen Familien gehörten seitdem zum Niederadel, während die hochrangigen Fürsten und Grafen bis hin zu den Königsfamilien ihre eigene, ziemlich abgehobene Kategorie der Adelswelt bildeten. Die Ritterschaft besaß dadurch zwar eine recht stattliche soziale Bandbreite, die vom landlosen nachgeborenen Kleinadelssohn bis hin zum edlen Fürsten reichte, doch der Standesdünkel war allen gemeinsam. Dass auch reiche Patrizier in italienischen Städten die Ritterwürde erwerben konnten, kommentierte der Florentiner Dichter Franco Sacchetti nur mit Hohn und Spott: „Wenn diese Art Rittertum zählen soll“, meinte er, „kann man auch einen Ochsen oder Esel zum Ritter schlagen – oder jedes beliebige Vieh“.

Als echter Ritter glänzte man eben nicht nur mit militärischen Heldentaten auf dem Schlachtfeld, sondern auch mit einem standesgemäßen Lebensstil. Neben Tapferkeit und Treue zählten Freigebigkeit, höfische Manieren und Selbstdisziplin zu den höchsten Tugenden des Ritters. Diese Ansprüche an Erziehung und Kultur konnten von vornherein nur bessergestellte Adelsfamilien erfüllen. Allein der Wohnort, die Burg, verschlang für Ausbau und Unterhalt ein Vermögen, dazu kam die Zurschaustellung verschwenderischer Freigebigkeit durch Turniere, Festmähler, Jagden, ohne die die Gefolgschaft nicht zufriedenzustellen war. Die höfische Kultur mit ihren gefeierten Tafelrunden, den Freundschaftsschwüren und Minnediensten, wie sie in den großen Epen der Zeit erscheint, war eine Adelskultur für einen kleinen exklusiven Kreis. Da Rittertum und adliger Lebensstil so eng zusammengingen, wurde die Erhebung eines jungen Mannes in den Ritterstand entsprechend gefeiert und herausgehoben. Zu großen Ereignissen wie Königserhebungen, Hochzeiten, Lehnsinvestituren, Erbeinsetzungen oder hohen kirchlichen Festtagen wurde gerne auch die Schwertleite, die feierliche Übergabe des Schwertes unter Weihegebeten an den fertig ausgebildeten jungen Mann, anberaumt.

Welche Ausmaße solche Festivitäten annehmen konnten, zeigt das rauschende Hoffest in Mainz, das Kaiser Friedrich Barbarossa an Pfingsten 1184 abhielt, um seine beiden Söhne zu Rittern zu schlagen. An den Ufern des Rheins wurde eine riesige Zeltstadt errichtet, um die vielen Gäste, darunter 70 Fürsten und angeblich bis zu 70.000 Ritter, standesgemäß zu bewirten und mit Kampfspielen zu unterhalten. Das Fest fiel so verschwenderisch aus, dass es der französische Dichter Guiot de Provins mit den glänzenden Gelagen eines Alexanders des Großen oder Königs Artus verglich. Im Aeneas-Roman Heinrich von Veldekes wird es gebührend gerühmt: „Ich habe von keinem Fest je erzählen hören, das ebenso groß gewesen wäre wie das, das Eneas veranstaltete – außer dem, das zu Mainz stattfand, das wir selbst gesehen.“ Die Hürde für eine standesgemäße Rittererhebung lag folglich hoch. Auch Herzog Leopold von Österreich ließ sich 1222 seine Ritterpromotionen etwas kosten. Als er 250 Knappen am gleichen Tag in die Ritterschaft aufnahm, übernahm er ganz selbstverständlich die Kosten für die Bewirtung und die standesgemäße Beschenkung der Gäste. „Fünftausend Ritter oder mehr aßen dort das Brot des Fürsten“, berichtet ein Chronist. Auch der König von England geizte nicht, als er 1306 seinen Sohn, den späteren König Edward II., mitsamt 300 weiteren Männern zu Rittern schlug. Jeder der Ritteranwärter bekam verschiedenfarbige Tuche und edle Pelze sowie Goldstoffe und Bettleinen als Ausstattung zugewiesen. Für das Festessen waren 5000 Aale, 287 Kabeljaue, 136 Hechte und 102 Lachse eingeplant.

Etwas schlichter fielen die Ritterschläge vor oder nach Feldschlachten aus. Es war üblich, vor großen kriegerischen Ereignissen wie Schlachten oder Belagerungen noch rasch Hunderte Knappen zu Rittern zu erheben, um ihre Motivation im Kampf zu erhöhen. So wurden 1382 vor der Schlacht bei Roosebeke 467 junge Männer zu Rittern gemacht. Vor der entscheidenden Schlacht von Azincourt 1415 erhielten allein im französischen Heer 500 Männer den Ritterschlag, während es vor der Schlacht von Ouedenaarde 1452 immerhin noch rund 200 waren. Selbst der berühmte „Schwarze Prinz“ wurde im Vorfeld der Schlacht von Crécy 1346 von seinem Vater Edward III. zusammen mit einer Reihe von Weggefährten ohne größere Formalitäten zum Ritter geschlagen. Wer sich noch als Knappe im Kampf bewährt hatte, konnte auch nachträglich zur Belohnung die Ritterwürde erhalten, sofern er adliger Abkunft war. Doch jeder Neu-Ritter, egal, wie er zu seiner Würde gekommen war, verpflichtete sich mit deren Annahme zur Einhaltung eines bestimmten Ehrenkodex, zu dem unter anderem ein gehobener Lebensstil und Großzügigkeit gegenüber den Gefolgsleuten zählte. Für ärmere Zeitgenossen konnte sich daher die Ritterwürde schnell in eine schwer erträgliche Bürde verwandeln.

Je stärker sich der Ritterstand sozial nach unten abschloss, umso weniger begehrenswert erschien daher im Laufe der Zeit der Erwerb dieser Würde. Die soziale Stellung als Teil des Adels war für die Ritterfamilien, auch für jene, die aus der Unfreiheit aufgestiegen waren, gesichert – weshalb sollte man da die mit besonderen Kosten verbundene Erhebung eines einzelnen Familienmitglieds zum Ritter anstreben? Schleichend verringerte sich der Anteil der Ritter am Adel. Führten um 1300 in Frankreich noch etwa 30 Prozent aller Adligen den Rittertitel, waren es um 1500 nur noch etwa fünf Prozent. Die stolze Ritterschar von etwa 5000 bis 10.000 Mann, die noch um 1300 für Frankreichs Ehre in die Schlacht galoppiert war, schmolz so binnen zwei Jahrhunderten auf kärgliche 1000 Ritter zusammen. Andernorts sah es nicht besser aus. In England gab es zu Beginn des 13. Jahrhunderts etwa 4000 Ritter, ein gutes Jahrhundert später nur noch knapp die Hälfte. Zum Konstanzer Konzil reisten 1414 gerade einmal 1500 deutsche Ritter an, während die Zahl der anwesenden Edelknechte 20.000 betrug.

Angesichts dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass auch in den Reiterkontingenten der Heere der Anteil der Ritter stetig sank. Konnte man im Jahr 1340 im französischen Heer 16 Prozent Ritter ausmachen, fiel ihr Anteil 50 Jahre später auf 11 Prozent. Auch in den Truppen Herzog Johanns von Burgund stellten die Ritter 1417 nur noch einen verschwindend geringen Anteil von 1,6 Prozent. Im englischen Heer gehörten um 1415 nur noch etwa acht Prozent der Panzerreiter dem Ritterstand an. Gerade mittlere Adelsfamilien ließen nicht mehr alle ihre Söhne in den Genuss der Ritterwürde kommen. Vor allem nachgeborene Söhne begnügten sich mit dem Status eines Edelknechts. Adlig blieben sie und ihre Nachkommen ohnehin, auch das Recht der Wappenführung stand ihnen zu, nur sparten sie sich den Aufwand für einen ritterlichen Lebensstil. „Nun, lass dir ruhig Ritters Namen verleihen!“, spottet in einem Lehrgedicht von etwa 1300 ein Knappe über seinen ambitionierteren Gesprächspartner. „Das wird dich sehr viel Geld kosten. Du sollst es damit genug sein lassen, dass wir Knappen es besser haben als die ernannten Ritter. (…) Wenn es die Ritter je irgendwo besser haben, dann kostet es sie so viel, dass sie diese Ehre viel teurer kaufen, als sie wert ist.“

Bei dieser Einstellung wundert es nicht, dass die Ritterkultur vorwiegend zu einer Sache der großen Königs- und Fürstenhöfe wurde und dort ihre schönsten Blüten feierte. Das Ritterdasein mutierte zu einem exklusiven Vergnügen für nur wenige Auserwählte. Für die Könige und aufstrebenden Landesfürsten war die Zelebration einer vollendeten und elitären Ritterkultur auch eine Möglichkeit, wichtige Adelsfamilien an den Hof zu holen, sie zu kontrollieren und in die eigenen Machtstrukturen einzubinden. Diesem Zweck dienten die zahlreichen weltlichen Ritterorden, die Könige und Fürsten ins Leben riefen. Eine der bekanntesten Stiftungen machte der englische König Edward III. 1348 mit der Gründung des Hosenbandordens, in den er 24 Ritter berief, die sich in der Schlacht von Crécy ausgezeichnet hatten. Seitdem galt es als höchste Ehre, dem exklusiven Zirkel mit dem geheimnisvollen Motto „Ein Schelm, der schlecht darüber denkt“ (vermutlich eine Anspielung auf Edwards Ansprüche auf den französischen Thron) anzugehören. Der bis heute existierende Orden mit der englischen Königin Elizabeth II. an der Spitze hatte sein Hauptquartier auf Schloss Windsor und der dortigen St.-Georgs-Kapelle, bewegte sich also auch räumlich in unmittelbarer Nähe zum englischen Königtum. Als Antwort auf diese prestigeträchtige Vereinigung jenseits des Ärmelkanals gründete König Johann von Frankreich 1352 seinen Sternenorden, der immerhin 300 Mitglieder zählte, wegen der Gefangennahme des Königs in der Schlacht von Poitiers aber nicht lange überdauerte.

Auch in Ungarn, Kastilien, Aragon, Sizilien, Savoyen und Neapel sprossen solche Ritterorden unter königlicher oder fürstlicher Patronage aus dem Boden. In ihnen galt ein besonders strenger Ehrenkodex, der das Prestige ihrer Stifter und Mitglieder in besonderem Maße erhöhen sollte. Eine spanische Chronik berichtet über Sinn und Zweck des 1330 in Kastilien gegründeten Ordens vom Bande Folgendes: „Sie hatten unter sich eine Festsetzung vieler guter Dinge, die allesamt Taten der Ritterlichkeit waren. Und wenn sie einem Ritter ein Band gaben, so ließen sie ihn schwören und geloben, dass er für sich alle ritterlichen Dinge einhalten werde, die in dieser Verordnung geschrieben waren.“ Selbstverständlich gehörte galantes Verhalten den Frauen und Loyalität gegenüber dem König ebenso zum Programm wie Kühnheit im Kampf und eine helfende Hand für Schwächere oder Kranke. „Allen Beherztheit und Kühnheit zu verleihen, um Gutes zu tun und die Guten und Tapferen zu lieben, zu ehren und hoch zu achten und die Schlechten und Feigen zu hassen und gering zu schätzen“, hieß das Ziel des Ordens vom Schiff, der 1381 von Karl III. von Neapel ins Leben gerufen wurde. Zu den anerkanntesten Stiftungen gehörte der von Herzog Philipp dem Guten von Burgund 1430 gegründete Orden vom Goldenen Vlies. Welche Schande war es, wenn man wie Louis de Chalon, Fürst von Orange, oder Jean de Neufchatel, der Herr von Montaigu, den Orden wegen unwürdigen Benehmens – in ihrem Fall die Flucht während der Schlacht von Anthon (1430) – wieder verlassen und die goldene Kette als Ordensabzeichen wieder zurückgeben musste!

Zu den angemessenen Repräsentationsformen des in Ritterträumen schwelgenden Adels zählte neben der Mitgliedschaft in exklusiven Zirkeln vor allem das Turnier. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts erfreuten sich die Kampfspiele verstärkter Beliebtheit. Doch wer daran teilnehmen wollte, musste seine adlige Abkunft über vier Generationen hinweg nachweisen. Die immer ausgefeilteren Turnierregeln und die besonders in Szene gesetzten Zweikämpfe machten aus den Veranstaltungen, die ursprünglich der Vorbereitung auf den Krieg dienten, gesellschaftliche Ereignisse ersten Ranges. Unter den Augen der vornehmen Damen trat die in schwere Turnierrüstungen gehüllte Crème de la Crème der Ritterschaft zum Tjost, dem Zweikampf zu Pferd und mit Lanze, an. Herolde kündigten die Teilnehmer an, farbenprächtige Wappen, Banner und Farben zeigten den Zuschauern optisch, welch hoher Herr gerade auftrat. Die spezielle, bis zu 45 Kilogramm wiegende Turnierausrüstung, die außerordentlich teuer war und sich von der normalen Feldausrüstung unterschied, konnten sich selbstverständlich nur die reichsten Adligen leisten. Ihnen gehörte die Bühne, ihnen zollte die Damenwelt höchste Aufmerksamkeit. Da die vornehmen Damen stets im Kreise zahlreicher adliger Hofdamen erschienen, eigneten sich die Feste naturgemäß auch vorzüglich zur Brautwerbung – man sah und wurde gesehen, machte sich bekannt, traf Absprachen.

Der Adel feierte sich selbst und wollte dabei unter sich bleiben. Eine Einladung zu einem fürstlichen Turnier bekam daher nicht jeder ab, schon gar kein Bürgerlicher. Im späten 15. Jahrhundert entstanden erstmals neuartige Turnierbücher, die genau Auskunft gaben über den Verlauf eines Turniers und seiner anschließenden Fest- und Tanzveranstaltungen und die den einladenden Fürsten, die Teilnehmer, Preisrichter und anwesende Damen präzise festhielten. Das von dem Herold Georg Rüxner verfasste, 1530 erschienene „Thurnierbuch“ beschreibt so 36 Turniere, die zwischen 938 und 1487 stattgefunden haben sollen. Da die Turniere der frühen Zeit natürlich frei erfunden waren, lagen Sinn und Zweck des Buches auf einem anderen Feld: Es sollte Adelsfamilien den „Beweis“ liefern, schon seit langer Zeit an Turnieren teilgenommen zu haben. Denn nur wer auf eine lange Familien- und Turniertradition zurückblickte, durfte hoffen, auch in Zukunft turnierfähig zu bleiben und damit zur obersten Gesellschaftsschicht dazuzugehören. Die Turniere dienten so der sozialen Abgrenzung nach unten. Das Schaulaufen des Hochadels war so beliebt, dass sich das Turnierwesen bis ins 17. Jahrhundert hielt, obwohl die Ritter ihre herausragende militärische Rolle zu diesem Zeitpunkt bereits verloren hatten. Kaiser Maximilian I., der 1519 starb und den man gern den „letzten Ritter“ nennt, galt als begeisterter Turnierkämpfer. Er focht leidenschaftlich ohne jede Absprache und ohne Rücksichtnahmen, so wie es seinem Bild von einem ritterlichen Kampf entsprach. Noch als 56-Jähriger trat er gegen den „goldenen Ritter“ Kaspar von Winzerer auf einem Turnier in Wien an. Den Traum vom Rittertum hatte der Hochadel noch lange nicht ausgeträumt.

Alles Mythos! 20 populäre Irrtümer über die Ritter

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