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M. Porcius Cato und P. Cornelius Scipio Aemilianus
ОглавлениеBei der Überprüfung, wie weit diese Normen auch noch für das 2. Jahrhundert v. Chr. Gültigkeit besaßen und in welchen Punkten sie verwandelt wurden, ist es am zweckmäßigsten, von einem Vergleich jener beiden Persönlichkeiten auszugehen, die für das Geschehen in diesem Zeitraum selbst maßgebend geworden sind, durch einen Vergleich des M. Porcius Cato mit dem jüngeren Scipio. Die Entwicklung dürfte sich so plastischer abzeichnen als durch lediglich abstrakte Setzungen.
Der 234 v. Chr. in Tusculum als Sohn eines römischen Ritters zur Welt gekommene M. Porcius Cato ist aus vielen Gründen diejenige Persönlichkeit aus der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr., über die wir am besten Bescheid wissen. Die Armut und Härte seiner Anfänge hat Cato selbst nicht ohne Pathos betont, wenn er feststellte, daß er von Anfang an in Sparsamkeit und in Härte und Fleiß seine ganze Jugend fern von Genüssen gehalten habe beim Bestellen des Ackers, sabinischen Felsbodens, hartes Gestein umgrabend und bepflanzend. Und in diesen Zusammenhang gehört auch die rührende Geschichte, die Plutarch von Catos Gutsnachbarn und angeblichem Vorbild, dem dreifachen Triumphator, dem Sieger über die Samniten und über Pyrrhus, Manius Curius Dentatus, erzählt, der angeblich gerade selbst seine Rüben kochte, als eine samnitische Gesandtschaft einen Bestechungsversuch machte, und der diesen Gesandten erklärt habe, „wem ein solches Essen genüge, der brauche kein Geld“. Cato konnte ganz im Gegenteil Geld sehr gut gebrauchen und in ungewöhnlicher Weise mit Geld umgehen, denn wie Plutarch an einer anderen Stelle von ihm berichtet, „legte (er) seine Einkünfte in wertbeständigen und sicheren Objekten an und erwarb Teiche, warme Quellen, Plätze, die Walkern überlassen werden konnten, Pechbrennereien und Land mit natürlichen Weiden und Gehölzen“, ja er betrieb sogar, durch einen Freigelassenen als Strohmann, die verrufenste Spekulation seiner Tage in der Form von Darlehen für Seehandelsgeschäfte.
Schon von Anfang an ist sein Vermögen jedenfalls groß genug gewesen, daß er sowohl in seiner Nachbarschaft als auch in Rom als Redner auftreten und Klienten verteidigen konnte, daß er dann auch der Reihe nach die ja noch immer unbesoldeten Ämter der Republik bekleidete, wobei er im Jahre 199 v. Chr. als Ädil gerade durch prächtige Spiele und den Aufwand einer öffentlichen Göttermahlzeit eindrucksvoll auffiel. Mit dem Idol eines einfachen und biederen Landmannes hat das alles wenig zu tun, und wenn man an die völlig skrupellose Ausnutzung seiner Arbeitskräfte denkt, wird man seinen Egoismus auch nicht mehr naiv nennen können.
Cato, der im 2. Punischen Krieg als Militärtribun diente, hat dann Rang um Rang der magistratischen Laufbahn bekleidet. Daraus hervorzuheben ist einmal schon seine Quaestur im Stabe Scipios, in der es sehr bald zu Reibungen kam, weil Cato, der stets auch für den Staatsdienst seine privaten Finanzgrundsätze zum Prinzip erhob, für die großzügigen, manchmal an Verschwendung grenzenden Ausgaben seines Befehlshabers kein Verständnis hatte. Sein Konsulat im Jahre 195 v. Chr. brachte Cato dann auf dem spanischen Kriegsschauplatz zu. Mit geradezu penetrantem Eigenlob hat er dabei später seine gewiß nicht unbedeutenden Leistungen ins Licht gerückt, einen Sieg bei Emporiae, die Unterwerfung der Stämme nördlich des Ebros, die sich erhoben hatten, einen Vorstoß ins Landesinnere, der ihn bis in die Gegend von Numantia führte. Dabei ist es auch hier typisch für Cato, daß er sich nach der Beendigung seiner militärischen Aufgaben sogleich energisch um die spanische Eisen- und Silberproduktion kümmerte. Vier Jahre später, 191 v. Chr., zeichnete er sich dann an den Thermopylen erneut aus, als er in einem berühmten nächtlichen Umgehungsmarsch durch das Gebirge wesentlich zum entscheidenden Sieg beitrug.
Den Höhepunkt von Catos Karriere stellt dann zweifellos die Censur von 184 v. Chr. dar. Cato hat dabei nicht allein Senat und Ritterschaft von unwürdigen Elementen gesäubert und durch eine Luxussteuer auf Schmuck, prunkvolle Kleidung, Kutschen und junge Sklaven Auswüchse beschnitten, sondern überdies auch durch den Ausbau von Kanalisation und Wasserleitungen und durch die Errichtung der Basilica Porcia, des ersten geschützten und überdachten Baues für Markt- und Gerichtszwecke, eine durchaus fortschrittliche und weitsichtige öffentliche Baupolitik inauguriert. Daß an diesen Staatsbauten nichts zu verdienen war, verstand sich bei einem Cato von selbst. Beliebt hat er sich mit all dem nicht machen können, nur gefürchtet: In nicht weniger als 44 Prozessen haben ihn seine Gegner zu belangen gesucht. Wenn Cato in keinem verurteilt wurde, so war das nicht nur eine Frage des Rechts, sondern ebenso ein Erfolg von Catos Rhetorik. Wenn Catos Censur aufsehenerregend, ja epochemachend war, so fand sie ihren Niederschlag einmal darin, daß dem Censor im Salustempel eine Ehrenstatue errichtet wurde, weil er — wie die Widmung lautete — „den römischen Staat, der sich neigte und zum Schlechten wandte, als Censor durch gute Leistung und vernünftige Gewöhnung und Lehre wieder aufrichtete“, zum andern aber darin, daß auch in den folgenden 3 Censuren die Grundlinien von Catos Politik weiterverfolgt wurden, und zwar sowohl was das regimen morum als auch, was die Bautätigkeit anbetrifft. Daraus läßt sich wohl am besten ermessen, daß Catos Haltung keineswegs nur persönlichen Überzeugungen entsprach, sondern zugleich auch den Vorstellungen eines nicht kleinen Kreises der römischen Nobilität, der, wenn schon nicht immer mit Catos Vehemenz und Catos Stil, so doch in jedem Falle mit Catos Prinzipien einverstanden war.
Indessen ist das für Catos Haltung scheinbar bezeichnende Prüffeld sein Verhältnis zum Griechentum, und gerade hier gilt es, den Tatbestand sehr genau zu analysieren. In Catos Erziehungshandbuch für seinen Sohn, den libri ad filium, findet sich die bekannte und oft zitierte Stelle: „Ich werde Dir über diese Griechen an der rechten Stelle sagen, mein Sohn Markus, was ich in Athen erkundet habe und daß es gut ist, ihre Schriften anzusehen, aber nicht auswendig zu lernen. Ich werde erhärten, daß ihre Art nichtsnutzig und unbelehrbar ist. Und dies glaube, habe ein Seher gesagt, wenn einmal dies Volk uns seine Schriften gibt, wird es alles verderben; dann aber noch mehr, wenn es seine Ärzte hierherschickt. Sie haben unter sich geschworen, alle Barbaren durch ihre Medizin zu verderben…“ Für seine extreme Abneigung gegenüber der Medizin mochte Cato viele Erfahrungen mit griechischen Chirurgen, die auch von anderen als Schlächter und Pfuscher bezeichnet wurden, ins Feld führen — nur muß man sich einmal klarmachen, was Cato nun selbst eigentlich dagegensetzte. Zufällig ist uns aus Catos de agricultura einiges von seiner eigenen Baderkunst erhalten. Für Verrenkungen und Brüche etwa empfiehlt Cato folgendes: „Wenn etwas verrenkt ist, wird es durch diesen Zauberspruch gesund: Nimm dir ein grünes Rohr, vier oder fünf Fuß lang, spalte es in der Mitte, und zwei Mann sollen es an ihre Hüften halten. Fang an den Spruch herzusagen: moetas uaeta daries dardaries astataries dissunapiter, bis sie zusammenkommen. Lege Eisen darauf. Wenn die beiden Teile zusammengekommen sind und einander berühren, fasse sie mit der Hand, schneide rechts und links ab, binde es an die Verrenkung oder den Bruch, so wird er heil. Aber du mußt täglich hersagen: huat huat huat ista sistas sistardamabou dannaustra.“ Soweit de agricultura 160.
Trotz so konsequenter Ablehnung darf nicht übersehen werden, daß Cato die griechische Sprache beherrschte und daß er auch für seine Schriften griechische Impulse aufgriff. Was er leidenschaftlich haßte, war die Unterwerfung unter alles Griechische, und was er fürchtete, war die Auflösung bewährter römischer Traditionen durch die Einflüsse griechischer Philosophie. So hat er Römer verachtet, die um Entschuldigung für ihr schlechtes Griechisch baten, und so hat er insbesondere im Jahre 156/155 v. Chr. auf die berühmte griechische Philosophengesandtschaft reagiert. Als diplomatische Fürsprecher Athens, das damals in einer unbedeutenden Streitfrage Roms Unterstützung gewinnen wollte, waren in jenem Jahr der Peripatetiker Kritolaos, der Stoiker Diogenes von Seleukia und Karneades als Repräsentant der Akademie in Rom erschienen. Da sich die Entscheidung der Angelegenheit verzögerte, hielten die führenden griechischen Philosophen jener Tage öffentliche Vorlesungen ab, die eine große Resonanz fanden. Die festgefügte Normenwelt einfacher römischer Gemüter mußte dabei ins Wanken geraten, als Karneades, getreu dem Ideal des späten Skeptizismus seiner Schule, an einem Tage die Gerechtigkeit feierte, um sie am folgenden aufzuheben. Wenn Cato daraufhin im Senat den Antrag gestellt haben soll, in der Angelegenheit, welche die drei Philosophen nach Rom geführt hatte, möglichst rasch einen Beschluß zu fassen, damit diese Männer in ihre Schulen zurückkehrten und mit den Griechenknaben debattierten, die römischen Jünglinge aber wie früher auf die Gesetze und die Vorgesetzten hörten, dann war das alles andere als bornierte Ablehnung gewandter Dialektik, denn gerade vor der neuen Akademie eines Karneades hat noch Cicero in de legibus (1, 30) gewarnt mit dem Hinweis, „wenn sie in das einbricht, was uns genügend klug eingerichtet und zusammengefügt scheint, wird sie allzu viele Trümmer hinterlassen“.
P. Cornelius Scipio Aemilianus, der jüngere Scipio, wurde schon von früh an durch ganz andere Kräfte geprägt als Cato. Denn der etwa um 185 v. Chr. geborene Sohn des L. Aemilius Paullus, des Siegers von Pydna, wurde nicht nur altrömisch-aristokratisch erzogen, sondern nach dem Willen seines graecophilen Vaters auch in griechischem Sinne modern. Das aber hieß nach Plutarch, daß die Kinder „ständig von Sprachlehrern, Philosophen und Lehrern der Redekunst umgeben (waren), ja sogar Bildhauer, Maler, Pferde- und Hundedresseure und Jagdmeister waren für sie angestellt“. Man muß damit etwa die folgenden Sätze aus Catos carmen de moribus vergleichen, in dem Cato die mores maiorum explizierte: „Es war Brauch, sich auf dem Forum ansehnlich zu kleiden, zu Hause nur ausreichend. Für Pferde zahlten sie mehr als für Köche. Dichtkunst stand nicht in Ehren. Wenn sich jemand damit abgab oder sich zu Gastereien und Gelagen begab, hieß er Tagedieb.“
Gemäß den Usancen patrizischer Familienpolitik ist der junge Publius Aemilius dann noch vor dem Jahre 168 v. Chr. von den Cornelii Scipiones adoptiert worden, vor allem deswegen, um eine enge politische Zusammenarbeit der Cornelii mit den Aemilii und den Fabii zu verankern. Da P. Cornelius Scipio Aemilianus, wie er seitdem hieß, einen politisch nur wenig aktiven Adoptivvater erhalten hatte, mußte zu seinem eigentlichen Vorbild der Adoptivgroßvater, der berühmte Scipio Africanus maior, werden, und es gibt tatsächlich nicht wenige Züge und Eigenschaften, die beiden gemeinsam sind.
Schon im Krieg gegen Perseus zeichnete sich der jüngere Scipio militärisch aus, es ist charakteristisch, daß er Bücher aus der erbeuteten Bibliothek des Königs erhielt, und bald darauf begann sein enges Verhältnis mit Polybios. Für einen Augenblick mochte es scheinen, als würde die stoische Ethik von dem Kreis um Scipio ganz bewußt als ein Mittel zur Restauration der römischen Gesellschaft im Sinne der Aristokratie eingesetzt. Spätestens durch Polybios war Scipio auf die Verfallserscheinungen im römischen Staate hingewiesen worden, auf die Zwangsläufigkeit des Niedergangs politischer Formationen, das sogenannte biologische Prinzip von Wachstum, Blüte, Altern und Verfall aller staatlichen Gebilde und Reiche.
Doch für all das erlebte Scipio auch den Anschauungsunterricht der Realität, und er erlebte ihn an führender Stelle. Obwohl er sich bereits 149 v. Chr. als Kriegstribun für den 3. Punischen Krieg gemeldet hatte, wurde er doch erst für das Jahr 147 v. Chr. zum Konsul und Oberbefehlshaber gegen Karthago gewählt, als die Routinestrategen mit ihrer Weisheit am Ende waren. Als er dann, noch nicht einmal 40 Jahre alt, über Karthago triumphiert hatte, mußte auch er sich wieder — wie sein Adoptivgroßvater nach Zama — mit einem Platz im Hintergrund der politischen Bühne Roms begnügen. 142 v. Chr. bekleidete er, gemeinsam mit L. Mummius, dem Zerstörer Korinths, die Censur. Soweit die wenigen Splitternachrichten erkennen lassen, die wir für diese Periode besitzen, griff auch der jüngere Scipio in Senat und Ritterschaft scharf durch, ging auch er gegen luxuriöse Exzesse vor und forderte auch er eine Rückkehr zu den mores maiorum. Doch 40 Jahre nach Catos Censur war dies alles nichts Neues mehr und lediglich ein Vorgehen gegen Symptome. Die Chance des „principiis obsta“ war längst vertan und überraschend lediglich das eine, daß auch der wohl gebildetste Politiker Roms nur die traditionellen Mittel anwandte, die inzwischen völlig abgestumpft waren.
In einer späten Nachricht des Valerius Maximus wird berichtet, daß Scipio den Text des abschließenden Sühnegebets beim Vorgang der feierlichen Reinigung abgeändert habe, indem er demjenigen, der das Gebet an die Götter richtete, den Besitz des römischen Volkes zu fördern und auszudehnen, zurief: „Er ist mächtig und groß genug. So bitte ich die Götter nur darum, ihn für immer unversehrt zu erhalten.“
Trifft dies zu, so wäre Scipio die Problematik der römischen Expansion voll bewußt gewesen. Wenn seine Leistung vor Karthago im Grund die schwierige Liquidation einer reichlich verfahrenen militärischen Situation gewesen war, so gilt dies für den Spanienkrieg und Numantia in noch höherem Maße. Ruhm war hier nicht zu ernten, und als die Kämpfe abgeschlossen waren, hatte man in Rom näherliegende Sorgen, war mit dem Tode des Tiberius Gracchus, Scipios Schwager, die innere Krise bereits zum Ausbruch gelangt. In ihr stand Scipio letzten Endes zwischen den Fronten, denn die gemäßigte Linie, die er hier vertrat in der Modifikation des vielumstrittenen Ackergesetzes, war der Nobilität bereits zuviel, dem Volk dagegen zu wenig. Für das Verhalten von Scipios Kreis ist es sehr bezeichnend, daß man die Probleme wohl sah, aber dann doch nicht die Kraft aufbrachte, um sie entschieden zu lösen. Das Musterbeispiel dafür ist wohl das Vorgehen des Laelius, der in den 40er Jahren an die Verteilung von Staatsland in der Nähe Roms dachte und der sich deswegen den Beinamen des Weisen verdiente, weil er davon wieder Abstand nahm. Der plötzliche Tod, der Scipios Leben dann im Jahre 129 v. Chr. ein Ende setzte, besiegelte, diesem Eindruck kann man sich kaum entziehen, das Handeln eines Politikers, der zum Scheitern verurteilt war.
Bei dem Versuch, das Verhältnis der beiden Männer zueinander zu bestimmen, ist davon auszugehen, daß sie sich, vor allem gegen Ende von Catos Leben, sehr nahestanden. „Er allein ist beseelt: die anderen sind flatternde Schatten“, mit diesen homerischen Worten läßt Polybios Cato die Taten Scipios in Afrika rühmen, die ja nicht zuletzt seine Politik verwirklichten, und andererseits beteuert der Aemilianus in Ciceros de re publica (2, 1) seine Verehrung und Bewunderung für den alten Censor. Jeder Schwarzweißmalerei und etwa der Konfrontation eines Griechenhassers mit einem Graecomanen ist so schon von vornherein der Boden entzogen.
Dazu aber konnte es kommen, weil Cato ganz in den Vorstellungen der römischen Nobilität aufgegangen war, sie mit neuem Leben erfüllte und gerade ihre Traditionen wie ihre Stellung im Staate mit Schärfe und Leidenschaft verteidigte. Als Scipio Africanus maior, der Sieger von Zama, einst Catos Maßnahmen in Spanien kritisierte, da soll dieser geantwortet haben, „dann sei Rom am stärksten, wenn die großen Herren den geringeren Leuten den Ruhm der Tapferkeit streitig machten, die Plebejer seines Schlages dagegen mit der Nobilität wetteiferten.“ Denn auch daran kann man nicht vorbeigehen, daß Catos imponierende Position nicht die Resonanz eines kauzigen Originals war, eines derben und nüchternen Realisten, sondern dazuhin eben auch ein Resultat seiner Leistungen, seiner Erfolge und Erfahrungen.
Doch all dies erklärt seinen ungewöhnlichen Einfluß noch keineswegs. Die eigentliche Waffe, über die Cato verfügte, war seine Rhetorik. Cato ist einer der schlagfertigsten Redner gewesen, die die Römische Republik kannte, ein durch seine Sachkenntnis, seine treffenden Bonmots und seine lapidaren Sätze, von denen wenigstens einige Fragmente erhalten sind, gleich mitreißender Politiker. Vom Jahre 195 v. Chr. bis zu seinem Tode zieht sich die Kette seiner großen Staatsreden hin, von denen noch Cicero nicht weniger als 150 kannte. Für sie hatte er bei Thukydides und Demosthenes Anregungen aufgegriffen, für sie entfaltete er seine Logik, aber auch alle Mittel des Effekts. So ließ er am Ende einer politischen Rede gegen Karthago, nachdem er seine Argumente vorgetragen hatte, wie zufällig einige riesige afrikanische Feigen aus seiner Toga fallen, und als diese allgemein bewundert wurden, warf er die Worte hin: „Das Land, das diese Feigen trägt, ist nur 3 Tage Seefahrt von Rom entfernt.“ So ist Cato einer der unbequemsten Leute gewesen, die je im römischen Senat saßen, ein Mann, der es sich leisten konnte und leistete, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, und der eine ganze Reihe von berühmten Skandalprozessen auslöste, wie jener gegen den Paederasten L. Flamininus.
Bei Scipio Aemilianus stehen wir in einer ganz anderen Welt. Wo Cato aus Prinzip knausert, herrscht bei ihm die Großzügigkeit, wie sie in solcher Weise nur eine adlige Herkunft ganz selbstverständlich macht. Wird dort mit der Emphase des homo novus markig gesprochen, so wird hier meist leise und oft griechisch geredet. Ohne Frage war Scipios geistiger Horizont weiter, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die allzustarke Reflexion sein Handeln lähmte und damit sein Wirken beschnitt. Bis in die Generation des Aemilianus hinein war der Kanon der mores maiorum, die man naiv als gegeben akzeptierte, für die römische Nobilität geistig eine absolute Größe gewesen. Jetzt ordnete man ihn ein, historisch und philosophisch, lebte und bekannte sich zu dem Ideal der Humanitas, die ungeachtet ihres hohen inneren Ranges auf jeden Fall die elementare Wucht des früheren Handelns hemmen mußte.
Die Entwicklung innerhalb der römischen Führungsschicht wurde bereits von Zeitgenossen, wie Cato, oder antiken Historikern, wie Sallust, kritisch analysiert und überwiegend nach moralischen Kategorien bewertet. Brandmarkte Cato die Habgier und den Luxus, Bestechung, Arroganz und Grausamkeit, aber auch Schamlosigkeit, Verletzung der Religion wie der Pflicht, so wies auch Sallust auf dasselbe Feld von Symptomen hin. Es war schon in der Antike naheliegend, diesen Niedergang der Moral der römischen Nobilität mit ganz bestimmten Ereignissen in Verbindung zu bringen, so mit dem Ende des 2. Punischen Krieges und des Krieges mit Philipp V. von Makedonien, mit der Rückkehr des römischen Heeres aus Asien nach dem Kampf gegen Antiochos III. im Jahre 187 v. Chr., mit dem Ende des Perseuskrieges oder der Zerstörung Karthagos und anderen Anlässen mehr. Es wurde somit nach inneren und äußeren Ursachen gesucht, um den Niedergang der Moral plausibel erklären zu können.
Die Perspektiven der Quellen präjudizierten dann naturgemäß bis zu einem gewissen Grade auch die Sicht der modernen Forschung. So sah Ulrich Knoche die Ursachen der Krise wiederum einzig und allein im moralischen Bereich, nämlich, wie er schreibt, „in der Unmöglichkeit, ein ausgedehntes Kolonialreich mit einer Moral zu beherrschen und zu verwalten, die in der Hauptstadt des alten Latinischen Bundes entstanden und allein auf diese sowie auf ihre Bürgerschaft zugeschnitten war“. Indessen vermag solche ausschließlich moralische Wertung nicht voll zu überzeugen. Es ist deshalb am Ende dieser Erörterung noch einmal kurz auf die Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Entwicklung der Führungsschicht zurückzukommen.
Es wurde oben ausführlich auf die Bedeutung des Grundbesitzes und insbesondere der Villenwirtschaft als der wichtigsten Basis der Einkünfte der römischen Senatoren hingewiesen. Daneben stehen auf der Habenseite der Führungsschicht andere bedeutsame Posten, welche diese Vermögen noch laufend vergrößerten, so Erbschaften, Mitgiften, Honorare für die erfolgreiche Interessenvertretung von Klienten, die auf Grund der ungeschriebenen Gesetze des Klientelwesens als selbstverständlich angesehen wurden. Auch die Vermietung von Wohnungen und Häusern in Rom gewann zunehmend an Bedeutung. Daneben steht jedoch die Bereicherung durch die völlig skrupellose Ausnutzung der militärischen Kommandos, der administrativen Kompetenzen und des politischen Einflusses. Das Beispiel des Cn. Manlius Volso und die später zu besprechenden Vorgänge während des Jugurthinischen Krieges zeigen die Hemmungslosigkeit, die hier herrschte, zur Genüge.
Wohl wurden nach einer Aufstellung von A. Piganiol zwischen 200 und 157 v. Chr. insgesamt rund 600 Millionen Denare Kriegsentschädigung und Beute an die römische Staatskasse abgeführt und dank dieser günstigen Finanzlage des Staates von 167 v. Chr. ab die einzige direkte Steuer, die der römische Bürger damals zu zahlen hatte, das tributum, nicht mehr erhoben. Doch was weit wichtiger ist, innerhalb der Führungsschicht nahm die Konzentration der Vermögen erheblich zu: Dasjenige des Scipio Africanus wird auf 1 Million Denare geschätzt, das des Aemilius Paullus auf 700.000, das der Gracchen jeweils auf 300.000 Denare.
Umgekehrt sind von den Mitgliedern der Führungsschicht im 2. und dann vor allem erst recht im 1. Jahrhundert v. Chr. aber auch immer aufwendigere Leistungen erwartet worden. Durch den Konkurrenzdruck innerhalb der Gesellschaft wurden die Ausgaben für Spiele, Speisungen, Geschenke, öffentliche Bauten, Unterstützungen an Angehörige der eigenen Klientel, die von den Angehörigen der Aristokratie erwartet wurden, immer weiter in die Höhe geschraubt. Dazu kamen bald auch noch die Aufwendungen für systematische Wahl- und Richterbestechungen.
Die immer höher getriebene dignitas der Angehörigen jener Korporation, welche praktisch den Mittelmeerraum regierte, mußte sich notwendig veräußerlichen. Eine zeitgemäße und der gesellschaftlichen Stellung entsprechende Repräsentation wurde unumgänglich. Der puritanische Lebensstil der römischen Senatoren der Frühzeit ließ sich in einer Umwelt nicht mehr aufrechterhalten, da nur derjenige als absolut kreditwürdig, mächtig, einflußreich und unabhängig galt, der seine Mittel auch zur Schau stellte und im reinen Luxuskonsum mithalten konnte. Die Tatsache, daß die Senatoren in der späten Republik nahezu um jeden Preis die Prätur oder das Konsulat erlangen mußten, weil nun einmal die Bekleidung dieser Ämter Voraussetzung für die Übernahme eines Imperiums war, erklärt die Verschärfung der Wahlkämpfe ebenso wie den Anstieg der Wahlkampfkosten, die aus den regulären Einkünften gar nicht mehr zu bestreiten waren. So bildeten die Ausbeutung der Provinzen und die Bereicherung im Kriege oft die einzigen Wege, um die Investitionen in die politische Karriere wieder auszugleichen. Hier war gleichsam ein Teufelskreis geschlossen, der die Vermögenskonzentration ebenso beschleunigte wie den Ruin aller jener Politiker, welche nicht ans Ziel gelangten. Deshalb ist auch die von Helmuth Schneider formulierte These einleuchtend, daß die Kriminalität der römischen Senatoren weniger „durch einen Niedergang der Moral als vielmehr durch die objektiven Bedingungen der römischen Politik“ hervorgerufen wurde, mit denen ein römischer Senator in jener Epoche konfrontiert wurde.