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ZUM ANDEREN ENDE DER WELT

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Den halben Weg über den Atlantik hat die LATAM Airlines Maschine auf den Flug nach Lima bereits hinter sich.

Der Bordservice verspricht ein saftiges Steak aus Argentinien. Zu sehr verlockend für Martin, sich dazu einen guten Schluck Shyraz, den klassischen chilenischen Rotwein, zu nehmen und so wohl auch verdientermaßen ein beinahe fürstliches Essen zu genießen.

Die Termine in München sind trotz Stress und andauernden Änderungen doch zufriedenstellend verlaufen, wäre da nicht eine SMS-Nachricht von Mark gekommen, die seinen gesamten Reiseplan weitgehend durcheinander bringt.

Mitten in der Nacht, in Australien natürlich helllichter Tag, ist das für Martin eine richtig bittersüße Attacke.

„Mein lieber Martin!

Diese Nachricht für Dich tut mir unendlich leid, aber ich kann es nicht ändern. Wir müssen unser Australien-Rendezvous leider verschieben.

Mein bester Kunde in Französisch Polynesien – Air Franc Voyage – auf Tahiti in Papeete, hat arge Probleme mit russischen Touristen, die im Moment richtig boomen und sich immer anspruchsvoller zeigen.

Sie wollen die gebuchten Rundreisen plötzlich mit Guide-Begleitung in russischer Sprache und die Einwegvermietungen zwanzig

Prozent preisreduziert.

Dabei haben diese Knaben Rubel wie Heu. Jedenfalls ist bei den neuen Verhandlungen in Papeete meine Anwesenheit äußerst nötig.

Aber, lieber Martin, so ist es halt einmal im Business. Sei nicht betrübt, das holen wir ein andermal nach. Wie heißt es so schön: „Schwächliche Menschen werfen die Würfel – doch wie sie fallen, bestimmt der liebe Gott“ … Und übrigens findet unser vereinbartes Treffen ja ohnedies statt. Ich komme Dir ja praktisch auf halbem Weg von Südamerika herüber entgegen und habe Dich, auf Tahiti in Papeete, im Hotel „Tahiti Pearl Beach Resort“, einmal für drei Tage eingebucht.

Mensch, Martin, wir zwei in der Südsee. Wann hast Du dazu Gelegenheit? Du weißt gar nicht, welches Paradies Du da kennenlernst. Einer der schönsten Flecken der Erde. Also ich hoffe, das passt Dir so. Treffe Dich im Hotel, wie zum damals vereinbarten Termin, aber eben in Papeete. Mach’s gut und Happy Landing auf Tahiti.

Herzl. Mark.“

Das war sie also, die neue Situation. Jedoch irgendwie hat Mark ja recht. Wann ergibt sich auch schon die Möglichkeit, diese viel besungene Welt der Südsee zu erleben. Unendlich weites Meer, weißer Strand mit türkisen Lagunen, umsäumt von wiegenden Palmen in ewiger Sonne.

Und plötzlich freut er sich diebisch über diese Überraschung. Der erste Blick auf die Anden von der LATAM Airlines Maschine aus ist atemberaubend. Leuchtende, weißschillernde Gipfel an Gipfel, zieht sich diese gigantische Gebirgskette mit den Vier- und Sechstausendern 7500 Kilometer gegen Süden.

Nicht umsonst nennt man sie „das Himalaya Südamerikas“ und stellt eine einzige Herausforderung für Martins Leica-Kamera dar. Seinen ursprünglichen Plan, Santiago de Chile anzulaufen, um den 6952 Meter hohen Aconcagua in Argentinien, den höchsten Berg der Anden, zu sehen, hat er verworfen. Lima also ist sein neues Ziel und Ausgangspunkt, um den Anden näher zu rücken.

Die Liebe zur Eiskletterei ist es, die ihn bewegt, sein Vorhaben zu ändern, um Peru mit dem immerhin doch stolzen 5947 Meter hohen „Alpamayo“ endlich kennenzulernen.

Eine einzige Eispyramide, einem Obelisk gleich, ragt dieser abstrakte Gletscherkogel in den peruanischen Himmel. Mit seinen bizarren Gletscherschluchten ist er eine abenteuerliche Herausforderung für das Eisklettern, das ja schon längst heimlicher Wunsch unter seinen Bergkameraden im Alpenverein ist. Lima. Mit seinen 9 Millionen Einwohnern die Hauptstadt von Peru. Die schicksalhafte Stadt aus der Kolonialzeit hat ihre eigene, besonders abenteuerliche Entstehungsgeschichte.

Kein Geringerer als der Conquistador Fernando Pizzaro gründete 1535 Lima, das damalige „Ciudad de los Reyes“ die „Stadt der Könige“.

Ganze zwei Dutzend spanische Eroberer, in armseligen Lehmhütten mit Schilfdächern, waren die einzigen Einwohner.

Pizzaro, der die vortreffliche Lage mit seinen Schiffen direkt am Meer, für seine strategischen Pläne sofort erkannte, setzte selbst den ersten Stein, schleppte Lehmziegel und Balken.

Er selbst entwarf die ersten schachbrettartigen Stadtpläne für großzügige Anlagen, pflanzte Feigen, Orangen und half mit beim Guss der ersten Glocke.

Als ehemaliger einfacher Ziegenhirte und Analphabet, geprägt als rücksichtsloser Machtmensch, geht er letztendlich als brutaler Eroberer mit der Niederwerfung des Reichs der Inka in die Geschichte ein. Und es ist wohl das Recht der Geschichte, dass sein Name in der heutigen Zeit einen so negativen Widerhall findet.

Seine Ermordung 1541 in seinem Palast in Lima war eine logische Folge der Streitigkeiten unter seiner Gefolgschaft. Der Glanz der Edelsteine und des Goldes verwirrte Seelen und Gehirne, die Gier nach Macht und Reichtum führte zu teuflischem Denken und Handeln.

So kam es denn wie es kommen musste. Jedoch das Inkareich hatte nichts davon. Dreißig Jahre später war das einst so mächtige Reich der Inkas lediglich bewegte Geschichte.

Was heute wie ein Märchen klingt, wurde wahr. Die Stadt des Fernando Pizarro blühte durch unermessliche Reichtümer von Silber und Gold der unterworfenen Inkas auf. Dazu noch der Rest der Goldminen in den Anden, die vom Inkareich noch übrig blieben.

Die goldbeladenen Schiffe eines Columbus für die spanische Krone in Europa sowie die sagenhaften Beutezüge des englischen Piraten Drake und viele andere Freibeuter des Mittelalters kreuzten die Meere auf der Suche nach dem Inka Gold. Aber das ist eine andere Geschichte.

Martin hat zur Besichtigung der Stadt gerade einen Tag eingeplant. Sein Ibis Hotel Miraflores im Zentrum war gut gewählt. Ideal für einen Bummel durch die Altstadt von Lima.

Auf der beeindruckenden Plaza de Major mit ihren typischen Kolonialfassaden und bewegten Geviert, tummelt sich das südländisch peruanische Leben in allen seinen lebensfrohen und fremdartigen Facetten.

Für die Kathedrale mit dem Grabmal Pizzaros und Museum mit der fesselnden Geschichte der Inkas in den Anden nimmt er sich viel Zeit, um mit diesem Land, als eines der zukünftigen Ziele mit seinen Bergkameraden, auch bestmöglich vertraut zu sein.

Heute also, an diesem wolkenlosen Tag im peruanischen Sommer, startet er von der faszinierenden Hauptstadt Perus seine abenteuerliche Erkundungstour zum vielgerühmten „Alpamayo“, der weißschimmernden Eis-Pyramide in der „Cordillera Blanca“, der höchsten Bergkette Perus. Die „weiße Kathedrale“ wie der Alpamayo ehrfürchtig von den Einheimischen genannt wird.

Nicht umsonst wurde er von einer hochkarätigen Jury anlässlich eines weltweiten Fotowettbewerbes zum „schönsten Berg der Welt“ gekürt. Immerhin vor dem europäischen Matterhorn.

Ein würdiger Juwel also, unter den zweiundzwanzig Sechstausendern der Anden.

Die sechzig Kilometer auf holpriger Schotterstraße hinauf in das hochgelegene Huaraz werden mit größter Bestimmtheit keine Vergnügungsreise.

Die Möglichkeit dazu ergab sich mit einem „Collektivo Toyota“. Zwar nicht mehr der Jüngste, jedoch für die staubige Piste über den viertausend Höhenmeter hohen Conacoche-Pass mit seinen schwindelerregenden Abgründen, wird er auch diesmal hoffentlich wohl auch gut überstehen.

Ein besonderes Erlebnis ist die Nächtigung im kleinen, aber landestypischen Hotel „La Costa de mi Abuela“ in wunderschöner, wildromantischer Lage mit typisch peruanischem Ambiente. Ein gut sortierter Souvenirladen mit farbenprächtig gewebten Ponchos und köstlichem Berghonig aus dieser artenreichen, verschwenderisch blühenden Vegetation. Typische Inkamützen aus Schafwolle und wetterfeste Stoffhüte und Damen-Zigarren für den Alltag der Inkafrauen.

Bestes Fotomaterial und empfohlene Aufstiegsrouten auf den Alpamayo sowie eine Liste für Eseltreiber und Vermietungen.

Dann endlich, Martins Ziel Caraz.

Das romantische Bergdörfchen ist angefüllt mit fachkundiger, alpiner Literatur für die Eiskletterei am Alpamayo. Mögliche Besteigungen von allen vier Himmelsrichtungen werden empfohlen und minutiös aufgezeigt.

Vor allem im peruanischen Winter, wenn die wohl attraktivste, vierhundert Meter hohe Südwestwand mit schillerndem Eis überzogen ist.

Damit hat Martin alles Wissenswerte, was er im Moment sucht und an Informationen für weitere Pläne benötigt.

Dieses Mal blickt er doch mit einer gewissen Sehnsucht im Herzen den vielen Trekking-Gruppen und gut ausgerüsteten Alpinisten nach, wie sie sich mit hochbepackten Eseln auf den Weg machen.

Zwei Tage werden sie durch das wildromantische Santa-Cruz-Tal, mit seinen türkischimmernden, klaren Bergseen, hinauf ins 3000 Meter hoch gelegene „Cashapampa“, steigen.

Begleitet von den mahnenden Rufen des Anden-Condor, mit seiner gigantischen drei Meter Flügelspannweite.

Endlich dann der Ausgangspunkt zur dreitägigen Besteigung des 5947 Meter hohen „Alpamayo“. Dem „schönsten Berg der Welt“.

Früher als geplant kehrt Martin zurück nach Lima. Eine unerklärliche Ungeduld treibt ihn einfach an. Plötzlich fühlt er ein heißes Verlangen.

Drängendes Begehren nach diesem angekündigten Paradies. Er fühlt ein zartes Streicheln der Seele und leises Brennen im Herzen. Kann nicht mehr erwarten, auf den Zauber der Südsee und Mark, den guten Freund, zu treffen.

Mit dem Hotel in Papeete gibt es durch die vorverlegte Ankunft kein Problem und so hat er dann einen Tag alleine für sich, um den sprichwörtlichen Zauber der Südsee erstmalig und erwartungsvoll auf sich einwirken zu lassen.

Die Air Tahiti Nui steht auf der Rollbahn, bereit für den elfstündigen Flug nach Papeete auf Tahiti.

Hübsche polynesische Stewardessen mit duftenden Blumenkränzen im pechschwarzen Haar wünschen ein charmantes „Bon Voyage“ und im einschmeichelnden Gitarrensound klingt die heimliche Hymne der Südsee „Alo aoe“ sehnsuchtsvoll durch die Kabine.

In einer eleganten Steigkurve über Lima hinaus auf das Meer zieht die Air Tahiti Nui ihre nächtliche Bahn.

Ein schwüler Abend senkt sich über Lima und eine millionenfache Lichterkette spiegelt sich in den ruhigen, anrollenden Wellen des Pazifik.

Einmal noch findet Martin Gelegenheit, zu den Anden zurückzublicken. Die sinkende Sonne taucht die „Cordillera Blanca“ in ein leuchtendes, purpurnes Licht, ehe sie im Süd-Pazifik, dem „Stillen Ozean“, versinkt, während hoch oben ein blinkender Jumbo der Air Tahiti seine Bahn zum andern Ende der Welt zieht.

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