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DIE AHORNRAST

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Über Nacht ist es Herbst geworden. Ein frostiger Morgen überdeckt die vor Tagen noch durch unzählige Herbstzeitlosen in blasses Lila getauchte Bergwiesen im Tierser Tal.

Glitzernder Raureif, silbrige Nebelschleier nisten im Tal und geben ihm ein doch etwas fremdartiges, mystisches Gepräge.

Die Blumenpracht an den Fenstern der schmucken Berggehöfte um St. Cyprian ist längst abgeräumt. Nur in den lieblichen Hausgärten zeigen sich da und dort noch die letzten Rosen mit ihren verwelkten Köpfchen, die doch den ganzen Sommer über die Herzen ihrer Betrachter erfreuten. Und unübersehbar künden sorgsam aufgeschichtete Holzstöße für Brennholz an den behäbigen Hausmauern den nahenden Winter an.

Gegen Mittag jedoch, wenn die Sonne über die Rosengartengipfel steigt und das Tal ausleuchtet, schält sich ein sonniger Herbsttag aus dem Morgennebel.

Von den hohen Zinnen und Graten im Rosengarten grüßt der erste Schnee und oben beim Eingang ins Tschamintal leuchten die mächtigen Lärchenstämme in sattem Gelb und stehen wie flüssiges Gold im bizarren Gegensatz zum tiefblauen Himmel, der sich heute wohl von den Dolomitengipfeln bis ins Rebenland über das ganze Südtiroler Land spannt. Unweit des Bergpfades, der auf den Tschafon führt, steht stolz der mächtigste Bergahorn des ganzen Landes in seiner stolzen, herbstlichen Würde. Ein kühler Windhauch vom Schlern herunter fächelt durch die mächtige Krone und pflückt unbarmherzig schon die bunt gefärbten Blätter.

In verzweifelten Kapriolen und Windungen segeln sie noch mal durch ihr heimatliches Geäst, um im weichen Moos ihr Leben auszuhauchen.

Über das biblische Alter des Bergahorns weiß wohl niemand so richtig Bescheid. Er stand einfach immer da und auch älteste, vergilbte Fotos zeugen von allen möglichen Anlässen und Feiern längst vergangener Generationen und Zeiten. Jahrhundertelang hat das Wasser vom Berg herunter die mächtigen Wurzeln ausgehöhlt und besonders eine von ihnen empfahl sich so einladend als willkommener Rastplatz, dass man einfach einen Lärchenpfosten mit einer dürftigen Lehne darüber befestigte. Und fortan nannte man dieses einladende Plätzchen die „Ahornrast“.

Eine unübersehbare Sammlung von originellen Einkerbungen in den mächtigen Stamm mit Herzen und Jahreszahlen, versprach wohl so manche ewige Liebe und Treue, Leid und Freude, Schwüre und Gelübde.

Zum Teil vernarbt oder auch noch gut lesbar. Wie viele sinnreiche Stunden haben hier Menschen wohl erlebt und ins Leben mitgenommen.

Es ist später Nachmittag. Die sinkende Herbstsonne sendet noch ein Bündel ihrer wärmenden Strahlen durch ein brüchiges Wolkenband, das sich auch schon ins zarte Orange färbt, als sich ein auffallender, hochgewachsener, allem Anschein nach junger Mann auf der Ahornrast niederlässt.

Martin Völler ist’s.

Ein begnadeter Bergführer der jüngeren Generation, den jedes Kind hier im ganzen Land und weit darüber hinaus kennt und schätzt. Als Mensch beliebt, in den Bergen ein äußerst verlässlicher Anker, bei dem man sich einfach geborgen fühlt.

Die buschigen schwarzen Augenbrauen zeugen von Tatkraft und Zuverlässigkeit. Die braunen Augen passen gut zum Bronzeton, des von Sonne und Wind gebrannten Gesichts.

Zwei heimliche Fältchen spielen um die Mundwinkel, gefurcht von Willenskraft und oft unmenschlichen Entbehrungen auf dem Weg zum Gipfel.

Auffällig sehnige, starke Arme und kräftige Beine, geformt von Fels und Eis, vermitteln Attribute der Sonderklasse, alles in allem ein Typ, den man mag und in dessen Nähe man gerne verweilt.

Wenn er auch erst auf die dreißig zugeht, hat er sich bereits eine fast unglaubliche Alpinerfahrung zugelegt. Gereift und gestählt, in zahlreichen Expeditionen und Trekkings im Himalaya, Karakorum und Hindukusch.

Durch die schon schrägen Sonnenstrahlen geblendet drückt Martin seinen Filzhut tiefer ins Gesicht, um dem Blick hinauf in den Rosengarten und den Vajolettürmen mehr Schärfe zu verleihen.

Er liebt diesen Augenblick von Kindheit an. Wenn der Tag sich neigt, die Abendsonne den Rosengarten purpurn färbt und die Bergdohlen ihre letzten Runden majestätisch im Aufwind drehen. Dann kann es schon sein, dass er ein wenig wehmütig auf das kleine Hotel etwas unterhalb der Ahornrast blickt, sollte es doch seine Zukunft und Existenz werden. Vater war viel zu früh an einer heimtückischen Krankheit aus dem Leben geschieden und hatte eine große Lücke hinterlassen. Nach seiner gastronomischen Ausbildung in Bozen führte er die bescheidene elterliche Gastwirtschaft bei St. Cyprian zu einem kleinen, aber feinen Hotel. Beliebt bei der einheimischen Bevölkerung und den treuen Feriengästen. Seither führt nun die Mutter, als gern gemochte „Völlerin“, mit seiner jungen Schwester mit viel Fleiß, Umsicht und mühevollem Einsatz, der oft beinahe bis zur Erschöpfung reicht, das Hotel. Als gläubige Frau aus dem Pustertal, hat sie ihr unbändiges Gottvertrauen nie verloren und auch Martin schon in frühen Kindesjahren dadurch geprägt. Natürlich wollte Martin ihren sehnsüchtigen Wunsch nach einer passenden Schwiegertochter frühzeitig erfüllen und gab sich auch große Mühe. Seine erste Wahl war eine Hotelierstochter von der Seiseralm. Mit vielen Erwartungen holte man sie zur Praxis ins Hotel. Der passte jedoch die stete Sonntagsarbeit nicht und sie empfahl sich mit guten Wünschen. Die folgende Wahl war ein nettes Mädchen aus dem Vintschgau. Die verstand wieder seine Liebe zu den Bergen nicht und war so auch kein Fall fürs gemeinsame Leben.

Als Gefühlsmensch durch und durch, wie er war, zog er sich immer mehr in seine Berge zurück und Mutter und Schwester fühlten und ahnten schon, dass sie mit Martin wohl nicht mehr zu rechnen brauchten. Obwohl ein großer Traum sich in seinem Herzen immer merklicher einnistet, das Hotel auszubauen zu einer internationalen, richtigen alpinen Kaderschmiede für Spitzenleute zu Erstbesteigungen in die Karakorum-Region. Die extremsten Berge der Welt.

Ja, gerade Tiers hat in seiner alpinen Vergangenheit einen sehr bedeutenden Bekanntheitsgrad und unvergesslichen Namen im internationalen Alpinismus.

Oftmalig kehrten seine kühnen Bergführer als wahre Pioniere aus dem Himalaya zurück und brachten viel Ruhm ins Tal.

Es ist einfach Martins Traum, da wieder anzuschließen. Voll motiviert, mit viel Zuversicht und kühnen Ideen, beginnt er bereits, seinen Plan umzusetzen.

Durch sehr professionelle, mediale Vernetzungen hat er dazu auch die besten Voraussetzungen und Möglichkeiten. Als anerkannter viel beachteter Autor alpiner Literatur und vielbeschäftigter Experte in TV-Kanälen. Durch sein gutes Aussehen, stets gern gesehener Star in Bergfilmen und Dokumentationen, hat er es bereits zu einem guten Namen und ansehnlichem Vermögen gebracht.

Außerdem ist er ein begnadeter Fotograf und seine Leica-Motive türmen sich im Landes-Tourismus-Amt in Bozen und sind so exzellente Botschafter des vielgerühmten Südtirols.

Bereits seit einem turbulenten Jahr brütet er über sein Vorhaben. Andauernde, nervenzermürbende Scherereien und Stress hindern ihn nicht, mit äußerster Präzision und Geduld sein Projekt voranzutreiben. Eine ausgedehnte Weltreise über Monate sollte es werden. Über Südamerika mit den Anden, Australien privat, Asien mit dem Karakorum-Highway, um private Kontakte für nötige Anlaufstellen für seinen Traum auszuloten.

Es ist merklich kühl geworden auf der Ahornrast. Ein Blick noch hinauf in den Abendhimmel, wo die stolz aufragenden Vajolettürme mit ihrem magischen Zauber im Abendrot glühen. Die ersten Sterne blinken noch ein wenig zaghaft über den Gipfeln, aber bald wird sie ein sterneübersätes Himmelszelt in einen hellen, funkelnden Silberglanz tauchen.

Morgen wird er noch einmal in diesem Jahr auf seinen geliebten “Winklerturm“, seine Lieblingstour in den Vajolettürmen klettern, falls der Schnee ein nicht allzu großes Hindernis darstellt. Längst schon ist ihm diese Tour einfach eine lässige, morgendliche Aufwärmrunde geworden, wo andere sich damit brüsten.

Über die Bergwiesen oberhalb von St. Cyprian und den steilen Pfad durch den Hochwald, wird er zur Haniger Schwaige, unter der Laurinswand, hochsteigen.

Vorbei am „Tierser Kreuz“, wie immer den Hut ziehen, seinem Schöpfergott in kurzer Andacht ein inniges „Vergelt’s Gott“ sagen für sein glückliches Leben hier in seiner geliebten Bergheimat.

In der Haniger Schweige aus seinem Verschlag Helm, Bergausrüstung und die kleine Leica-Kamera nehmen und gleich oberhalb der Schuttkegel in die himmelhoch, drohend aufragenden Wände einsteigen. Da ihm die etwas abseits befindliche Delagokante zu einfach ist, hat er sich seine eigene Route gewählt und wenn er auch jeden Tritt und Griff wie seine Westentasche kennt, ist morgens durch den Neuschnee auf alle Fälle äußerste Vorsicht gefragt. Aber gerade diese Anforderungen sind es, die er sucht und liebt. Oben am 2813 m hohen Gipfel in der Nachbarschaft des „Delago“ und des „Stabelerturmes“ wird er an der Scharte beim Gipfelkreuz beglückt kurz ausruhen, hinunter ins Gartl blicken, wenn die letzten Touristen respektvoll ihre Fotos von den Vajolettürmen schießen.

Eisblumen

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