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DIE REISE

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Schneller als befürchtet war der spannende Moment des Aufbruchs gekommen. Der große Lebenstraum des Martin Völler sollte seinen Anfang nehmen.

In der Nacht hatte es geschneit. Nicht ausgiebig, aber genug, um dem Advent seine erwartungsvolle Stimmung zu verleihen.

Leichte, flaumige Flocken rieselten über das Tiersertal und verwandelten es wie schon ersehnt in eine romantische Bilderbuchlandschaft. Die Pfarrkirche mit einem weißen Zuckergusshäubchen, umgeben von lichterglanzgeschmückten Häusern, aus denen es schon verführerisch nach Lebzelt, Zimt und Kloatznbrot duftete.

Martin, in warmer Lodenjacke gehüllt, stapft hinauf zur Ahornrast. In nachdenklicher Stimmung versunken, fegt er den Schnee von der Bank, um noch einmal an seinem geliebten Refugium zu verweilen.

Einmal noch.

Den Blick hinauf in den Rosengarten, grüßt er sie alle noch einmal, seine vertrauten Gipfel und Türme. Wenn sie auch in der grandiosen, hochalpinen Gletscherwelt des Karakorum, die ihn erwartet, verschwindend gering erscheinen. Vergessen werde ich euch nicht, sinnt er vor sich hin. In meinem Herzen seid ihr ja mit dabei.

Es gibt kein Zurück mehr und mit Hirn und Seele ist er ja doch schon unterwegs. Fühlt es mit allen Sinnen und geht im Geiste nochmals in aller Ruhe sein hoffentlich perfekt geplantes Vorhaben durch.

Morgen in aller Herrgottsfrühe wird er schon im Zug nach München sein Frühstück hoffentlich genießen können. Zwei bis drei Tage sich Zeit nehmen für Verhandlungen mit TV-Kanälen über eine neu geplante Staffel unter dem Titel “Himmel über Südtirol“, mit 8 Folgen und Mitarbeit im Drehbuch. Darauf freut er sich besonders, wenn auch Drehbeginn und Location noch ausgehandelt werden müssen.

Besprechungen im Alpenverein für seinen Karakorum-Trip sowie eine Autogrammstunde in einigen Pilgerbüros für seinen neu erschienenen Band „Bergwandern plus“.

München via Frankfurt mit der Lufthansa nach Südamerika. Im Anflug nach Santiago de Chile den ersten Blick auf die atemberaubende Gletscherwelt der Anden mit ihren kühnen Sechstausendern werfen. Und er weiß, das Herz wird ihm höher schlagen, wenn er einige davon endlich vor sich hat.

Die Air-New-Zealand-Maschine nach Australien wird er vor Ort buchen, wie es ja sein Time-Management vorsieht.

Auf diesen rein privaten Trip über den endlosen Pazifik, an das andere Ende der Welt, freut er sich wie ein Kind aufs Christkind. Dient dieser Stopp in Australien doch dazu, ein langjähriges, oftmaliges Versprechen einzulösen, seinen wahren Seelenfreund endlich zu besuchen.

Mark Pirker. Herr über eine Flotte von 800 Campern und Wohnmobilen in Cairns an der Ostküste Australiens am großen Barrier Riff.

Mark hatte er auf ganz zufällige Art in Bozen kennengelernt.

Ein sonniger Sommertag war’s. In einer dringenden Angelegenheit hetzte er von Tiers nach Bozen. Stress pur, jedoch mit sehr positivem Verlauf. Gut gelaunt gönnte er sich in seinem Stamm-Café in den Lauben ein kühles Bier.

Zufällig vernahm er am Nebentisch ein sehr angeregtes Gespräch, wo es zwischen Serviererin, die er gut kannte, und einem Gast scheinbar um die Frage ging, wo denn der gute „Ötzi“ in Bozen zu finden sei.

„Ich kann Ihnen keinen besseren Rat geben, als diesen Herrn hier zu fragen“, deutete die Serviererin auf Martin.

Und Mark kam, stellte sich freundlich vor und nahm an seinem Tisch Platz.

So haben sie sich vor Jahren kennen und im wahren Sinne des Wortes schätzen gelernt.

Sein Vater, ein geborener Bozener, wanderte in den kargen Nachkriegsjahren nach Australien aus, um einen Job zu finden, wie es damals viele junge Männer taten. Als gelernter Kfz-Mechaniker fand er Arbeit in einem Wohnmobil-Verleih, der damals durch den aufstrebenden Tourismus schon boomte, bedingt durch die endlosen Entfernungen der Ausflugsziele.

Tüchtig, wie er war, kam es durch Drängen seiner späteren Schwiegereltern zur Hochzeit mit ihrer einzigen Tochter.

Mit viel Unternehmergeist und Geschick baute er den Betrieb ständig weiter aus. Nach seinem Tod übernahm nun sein einziger Sohn Mark den Laden und hatte erst recht das richtige Händchen dafür.

Heute hat er es zum größten Camper-Vermieter an der Ostküste gebracht und betreut Kunden auf der ganzen Welt, die mit seinen Jeeps, Campern und Wohnmobilen die endlosen Straßen Australiens, oft unter Entbehrungen und Gefahren eines wahren Abenteuers zuliebe, befahren.

Auch sein zufriedener Kundenkreis in Europa kann sich sehen lassen und werden jährlich persönlich von Mark besucht, um die Mietverträge für das gewünschte Kontingent für die nächste Saison abzuschließen.

Und ebenso besucht Mark fallweise auch ein spezielles Reisebüro in Innsbruck, das sich auf Angebote für Reisen in den Südpazifik spezialisierte.

Natürlich wird bei dieser Gelegenheit auch Bozen, die geliebte Heimatstadt seines Vaters aufgesucht. Im Geiste sieht er ihn in den Gassen mit leeren Taschen schlendern, auf der Suche nach Arbeit. Bis eines Tages der Entschluss reifte, auf nach Australien! Und Südtirol hatte einen guten Tiroler weniger.

So begann an diesem Sommertag in Bozen eine herzliche Verbundenheit und echte Freundschaft. Alle Jahre wieder kam Mark und nahm sich genügend Zeit, um mit Martin so manche unvergessliche Tour in die Berge zu unternehmen. Die Liebe dazu hatte er wohl von seinem Vater.

Was hatten sie nicht in den Berghütten, in fröhlicher Runde mit Martins Bergkameraden, Spaß, nach manch kühnen Touren auf den Almen und Gipfeln der Dolomiten.

Obwohl zehn Jahre älter als Martin, verfügte er über eine glänzende Kondition, war trittsicher und schwindelfrei und für jeden Spaß zu haben.

So entwickelte er sich im Laufe der Jahre zum liebgewonnenen australischen Freund. Besonders auch, als er bei einem seiner Besuche von seinem Vater ein altes, schon vergilbtes Foto mitbrachte, das Vater mit Bergkameraden vor einem morbiden Berggasthof zeigt.

Mark hat natürlich keine Ahnung, woher diese Aufnahme stammen könnte. Jetzt wo er mit seinen Freunden in den Bergen herumgekommen ist, würde er nur zu gerne diese Stelle kennenlernen. Und bald war man sich einig. Das alte Schutzhaus auf dem Schlern war des Rätsels Lösung.

Ein herzliches Wiedersehen wird es geben mit Mark in Cairns, an der Ostküste mit dem gewaltigen Barrier Riff, das größte der Welt mit gewaltigem Ausmaß von über 1000 km Länge gegen Süden.

Mark hatte Martin bereits gebeten, ihm am Riff Tauchunterricht zu geben. Da kennt er sich aus wie Martin in seinen Bergen. Und auch einen Trip mit dem Jeep in die Pampa Australiens werden sie sich als Seelenfreunde nicht entgehen lassen.

Es wird ein schwerer Abschied sein, wenn er dann Australien gegen Westen, nach Indonesien, verlassen wird.

Mit der Singapore Airlines wird er via Jakarta in Singapur zwei Tage Stopp einlegen. Ganz deutlich hat sich Singapur in letzter Zeit zur Drehscheibe für den fernöstlichen Markt von Nepal-Trekking-Fans entwickelt. Ja und auch Südtirol bekam dies ebenso immer merkbarer zu spüren. Über Kontaktadressen, die höchst interessant erscheinen, verfügt er ja über den italienischen und deutschen Alpenverein zur Genüge.

Der Neunstundenflug mit der Qatar Airways nach Islamabad in Pakistan wird es dann in sich haben. Aber die Vorfreude, seinem ersehnten Ziel näher zu rücken, wird die Strapazen der verschiedenen Zeit- und Klimazonen bald vergessen machen.

Auch in Islamabad wird er ein bis zwei Tage im Marriott Hotel Station machen. Einfach ein Muss, sich hier wieder umzusehen.

Als in den turbulenten 1960er Jahren die damalige Hauptstadt Karatschi der vollkommen neu aus dem Boden gestampften Planstadt Islamabad ihre Rolle abgeben musste, hatte wohl niemand geahnt, welche rasante Entwicklung diese faszinierende Stadt nehmen wird.

Auf 500 m Seehöhe in einer grünen Oase gelegen und in einem faszinierend geplanten Stadtbild tummeln sich heute über 600.000 Einwohner.

Noch eine Flugstunde und er wird endlich auf dem Karakorum Highway angekommen sein. Erschöpft, jedoch glücklich und voll motiviert, seine ausgeklügelten Programmpunkte abzuhandeln.

Lange schon hat er sich diesen Flug mit der lokalen Linie Pakistan International Airlines im Geiste ausgemalt und den damaligen Anflug in die Stadt Skardu auf 2300 m Seehöhe im Morgengrauen nicht vergessen.

Skardu, inmitten der majestätischen Achttausender, dem K2 und Broad Beak, Gasherbrum und Masherrbrum, mutet wie ein hochalpines Amphitheater an. Der Sonnenaufgang taucht den Südostgrad des K2 in ein leuchtendes, magisches Licht und die Gasherbrum-Gruppe mit ihren Achttausendern im Hintergrund noch im diffusen Morgenlicht reckt ihre umnachteten Gletschergipfel erwartungsvoll der Morgensonne entgegen.

Ein Eindruck, der sich in sein Herz gebrannt hatte und nicht loslassen will.

In Skardu am Karakorum Highway, Zentrum und Ausgangspunkt für viele Trekkingtouren und Himalaya-Abenteuer, wird er Hannes Becker, einen bayrischen Alpinisten und Experten für Logistik, Trekkings, Basislager und Besteigungen, einen angekündigten Besuch abstatten und einige Nepal-Drinks nehmen.

Seit Jahren mit Martin in Verbindung, ist er der Mann in Skardu. Mit ihm wird es möglich sein eine Plattform zur weiteren Ausbildung und Besteigungen im Karakorum zu ermöglichen. Von hier aus wird er mit dem Jeep die steinige Straße über Bungi zum Karakorum Highway nehmen.

Vorbei am legendären Nanga Parbat nach Chilas, seiner romantischen Lieblingsstadt mit dem aufregenden, rauen Flair und sich im ruhigen Shangrila Resorthotel Chilas für unbestimmte Zeit einquartieren, um Zeit zu finden. Auch die zehntausendjährige Kulturgeschichte am Karakorum Highway will studiert sein.

Und auch den bekannten Chinesen Mr. King Kung Sun, mit dem größten Ausstattungsmarkt im Umkreis, wird er wieder Guten Tag sagen.

Auch wenn der gute Mr. King einstweilen schon in die Jahre gekommen ist, führt er seinen Laden perfekt. In Qualität und Preis unschlagbar in typischer chinesischer Art. Das hat zu einem riesigen Shop mit zwei Hektar Ausmaß geführt. Man könnte ihn ruhigen Gewissens den „Tante-Emma-Laden“ Karakorums bezeichnen. Vom Kletterhelm und Gurt, Steigeisen, Eispickel, Eisschrauben, Seile und Schraubkarabiner bis zur Stirnlampe, Literatur usw. findet man bei ihm alles. Einfach eine Auswahl, die das Alpinherz höher schlagen lässt.

In Zeit und Terminplanung vorgesehen ebenfalls ein Besuch des Hunza-Tales. Ein Erlebnis in diesem Raum der besonderen Art und kein Geheimnis, dass hier die ältesten Menschen des asiatischen Raumes leben und durch ihre außergewöhnliche Gesundheit die höchste Lebenserwartung haben. 110- und 120-jährige Menschen in den Familien sind keine Seltenheit. Ja, sogar bis 150 Jahre weiß man Fälle. Welche unbekannte Energie ermöglicht dies alles? Natürlich hat es schon auch seine Auswirkung, dass dieses Tal, von Siebentausendern eingekesselt und jahrhundertelang von der Außenwelt praktisch abgeschottet, gelernt hat, mit einfachster Ernährung auszukommen.

Gemüse, Weizen, Hafer und Gerste, von Umwelteinflüssen verschont, garantiert gesündeste ballaststoffreiche Ernährung, verbunden mit viel Schlaf. Elektrizität, Kerzen oder Öllampen kennen sie nicht. Man steht mit der Sonne auf und geht mit der Sonne zu Bett. Man trinkt Gletscherwasser und atmet reinste Himalaya-Luft.

Wie war das doch damals, bei seinem letzten Aufenthalt im Hunza Tal.

Ziyan Notariu, der junge Guide, den er durch eine Trekking Tour mit einigen Touristen kennenlernte, überredete ihn einfach, einige Tage sein Gast zu sein. Dies war eine willkommene Gelegenheit, das karge Leben der Hunzukutz mitzumachen.

Morgens gab es Ziegenmilch, einfache Trockenfrüchte, vor allem Aprikosen und Hunzabrot aus Gerste, Hafer und etwas Weizen, gewürzt mit Himalaya-Salz.

Heute weiß man, dass das Müsli von hier aus wahrscheinlich seinen Siegeszug nach Europa angetreten hat und das Bircher-Müsli eventuell auch hier seine Inspiration gefunden hat.

Tagsüber arbeitete man auf den Terrassen, bepflanzt mit Obstkulturen. Großteils ca. dreizehn Dutzend Sorten Aprikosen, Äpfel, Kirschen, Mandeln und Nüsse. Man schichtete Steine auf und leitete Wasser in die Bewässerungskanäle. Das Abendessen einfach, jedoch schmackhaft. Brot, getunkt in Aprikosenöl und wieder Trockenfrüchte.

Es war ein schwerer Abschied, damals aus dem Hunza-Tal mit seiner magischen, wilden Natur und atemberaubender Landschaft. Obwohl 2400 m hoch gelegen und trotzdem eine grüne, fruchtbare Oase, umsäumt von wilden Schluchten mit rieselnden Flüssen. Ein geradliniger, gastfreundlicher Menschenschlag, zwar mit verschlossenen Gesichtern, denen man aber trotzdem sehr deutlich den Stolz und die Zufriedenheit, hier ihre Heimat zu haben, ablesen kann.

Unter blühenden Aprikosenhainen, überdacht von den himmelhoch leuchteten Gletschergipfeln der Himalaya-Zauberwelt. Damals hat wohl auch ihn der Himalaya-Bazillus hoffnungslos erfasst und nie mehr losgelassen.

Auf der Ahornrast ist es spürbar kalt geworden. Ein schneidender Wind vom Eissacktal her treibt wieder satte Schneewolken ins Tal und erste Flocken wirbeln vom bleigrauen Himmel.

Von Tiers her bimmeln leise die Mittagsglocken und mahnen auch Martin zum Aufbruch. Fröstelnd stellt er den Kragen hoch und wendet sich abwärts dem Hotel zu. Ungewöhnlich ruhig ist es um das Hotel, bis die nächsten Gäste wieder anrollen.

Erst zu Weihnachten wieder geöffnet, genießt man die Ruhe und Zeit für sich. Am Abend wird die traditionelle Adventfeier des morgigen zweiten Adventsonntags gleich auch als Abschiedsfest für Martin im kleinen, vertrauten Kreis begangen.

Wie alle Jahre üblich sind auch einige Nachbarsfamilien sowie auch die Angestellten des Hotels gekommen, um heute auch Martin „Leb’ wohl“ zu sagen. Ihn haben sie ja alle ins Herz geschlossen.

Er zeigt sich sehr gerührt und verspricht feierlich, an sie zu denken und ein kleines Mitbringsel bei seiner Heimkehr in der Tasche zu haben.

Salz aus dem Himalaya wird es sein. Das ist nicht nur sehr gesund, sondern auch ein Segen für ihre Stuben zu Hause.

Die gemütliche Stube duftet nach Weihrauch, der „Hergottswinkel“ liebevoll geschmückt und im großen Kachelofen knistern behaglich die Buchenscheiter. Am Tisch wartet schon ein Teller mit Kloatzenbrot und Nusskeksen für nachher und Mutter wird wieder viel Lob für ihr Backwerk bekommen.

Es wird ihr wohl auch guttun, obwohl es diesmal nicht so richtig von der Hand ging. Zu sehr bedrückt sie der Gedanke, zu Weihnachten ihren Buben nicht mehr im Haus zu wissen. Jedoch Martin soll nichts davon merken. Zu schwer würde auch ihm der Abschied fallen, wenn sie ihm wie üblich, wenn er in die Berge aufbricht, ein Segenskreuz auf die Stirn zeichnet.

Schwester Maria liest mit etwas zittriger Stimme aus der alten Hausbibel und trotz ihrer erst achtzehn Jahren macht sie heute einen sehr gesetzten, würdigen Eindruck.

„… Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen. Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken …“ (Lk 3, 1-6)

Obwohl Martin sich bemüht, in Andacht diesen Gedanken zu folgen, sind diese schon unterwegs. Hoch oben rund um den Erdball.

Eisblumen

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